Protokoll der Sitzung vom 11.10.2006

Es wird eine Informationsoffensive geben und vor allen Dingen auch eine Fortbildungsoffensive, damit die Lehrerinnen und Lehrer auf das Neue vorbereitet sind.

(Beifall)

Ich muss aber sagen, an nicht wenigen Schulen ist das, was ich beschrieben habe, bereits Alltag. Dort gibt es eine konsequente Förderung. Dort gibt es das integrative Lernen und das Miteinander-Lernen ebenso wie die Kooperation der Schularten untereinander. Die Schulen haben sich bereits auf diesen Weg gemacht. Wir werden auch die Gesamtschulen davon überzeugen, dass sie durch die Umwandlung zu Gemeinschaftsschulen nicht an Attraktivität verlieren, sondern auch neue pädagogische Entwicklungschancen haben. Wir werden die Schulträger in diesem Umstrukturierungsprozess beraten und begleiten, und zwar bei der Bildung neuer Schulverbände, bei der Erweiterung des Schullastenausgleichs sowie bei der Zusammenführung in die neue Regionalschule und dort, wo es gewünscht wird, bei der Entstehung von Gemeinschaftsschulen.

Das Gerüst dieses neuen Schulgebäudes steht. Es ist klar: Allein mit der Schulsystemfrage ist es nicht getan. Ich sage sowohl den Vertretern einer streng gegliederten Form des Schulwesens als auch denen, die etwas gänzlich anderes wollen: Schulformen sind kein Selbstzweck, sie haben eine dienende Funktion. In Zukunft kommt es mehr denn je auf die Standards, auf die Qualität, auf mehr Abschlüsse und auf bessere Ergebnisse an als auf den Weg dorthin.

(Beifall bei SPD und CDU)

Die inhaltliche Ausgestaltung und die Qualität von Schule und Lernen sind also ebenso wichtig. Das bedeutet, dass wir all das weiterentwickeln und gesetzlich verankern, was wir und die Schulen selbst in den letzten Jahren insbesondere nach dem PISA-Schock auf den Weg gebracht haben: Erstens. Die frühe Förderung in den Kitas und in den Grundschulen wird gestärkt. Die Sprachförderung wird ausgebaut und das Schulgesetz macht diese verpflichtend. Herr Abgeordneter Kubicki, dafür nehmen wir viel Geld in die Hand. Sie können gern einen Blick auf die entsprechende Haushaltsstelle werfen.

Kürzlich hat mir während einer Diskussion zum neuen Schulgesetz jemand entgegengehalten, wir sollten doch auch die Begabten besser fördern und nicht nur die Migranten. Ich weiß nicht, ob sich derjenige, der das gesagt hat, darüber bewusst war, was er da eigentlich ausgedrückt hat. Gerade bei Migranten und bei Kindern aus sogenannten bildungsfernen Familien geht es darum, ihre Begabungen überhaupt erst zu entfalten und dies über die Sprache zu ermöglichen!

(Beifall bei der SPD)

Wir werden in den kommenden Jahren weiter steigende Migrantenanteile unter den Schulanfängern haben. In Neumünster sind es in diesem Jahr beispielsweise 20 % aller eingeschulten Kinder. Das macht die Herausforderung deutlich, vor der wir stehen. Wir sind es diesen Kindern ebenso wie uns, der Gesellschaft, in der sie leben und arbeiten sollen und zu der sie gehören, schuldig, für Integration durch Bildung zu sorgen.

(Beifall bei SPD, CDU und SSW)

- Da könnten ruhig alle klatschen, das muss ich wirklich sagen. Das ist auch die zentrale Botschaft des Integrationsgipfels gewesen, an dem ich teilgenommen habe. Es war sogar die zentrale Botschaft und das zentrale Thema beim Islam-Gipfel. Es geht um Integration durch Bildung. Das gilt sowohl auf die Migranten bezogen als auch auf die Gesellschaft insgesamt und ihr Auseinanderdriften. Integration durch Bildung muss das oberste Prinzip sein!

(Beifall bei SPD und CDU)

Zweitens. Individuelle Förderung wird durchgängiges Unterrichtsprinzip. Dafür braucht man Instrumente und Unterstützung. Das fordern die Schulen zu Recht von uns allen. Deshalb wird jede Schule ein Förderkonzept entwickeln. Außerdem gehören folgende Aspekte zur Unterstützung: Fortbildungsangebote für die Lehrkräfte und die Hilfen, die wir mit dem aufwachsenden Förderfonds anbieten können.

Drittens. Wir wollen für die Schülerinnen und Schüler, die entsprechende Leistungen erreichen, mehr Durchlässigkeit nach oben und garantierte Instrumente dafür.

Viertens. Wir müssen und wir wollen die Zahl der Rückstufungen und die Zahl der Sitzenbleiber deutlich reduzieren. Wiederholung darf nur das allerletzte Mittel sein, wenn andere Mittel wie Lernpläne, Nachprüfungen oder Versetzungen auf Probe nicht greifen.

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Fünftens. Es gibt in Zukunft in den Regionalschulen und in den Gemeinschaftsschulen mehr gemeinsames Lernen. In Zukunft wird es nur noch zwei Schulformen geben. Eine davon ist die Regionalschule, in der die bisherigen Haupt- und Realschulen aufgehen, wie das bereits in der Hälfte der Bundesländer der Fall ist. Auch bei uns gibt es bereits hervorragend funktionierende Modelle dazu. Die Regionalschule wird eine gemeinsame Orientierungsstufe haben und die Schülerinnen und Schüler erst ab der siebten Jahrgangsstufe in unterschiedlichen Bildungsgängen zum Hauptschulabschluss oder zum mittleren Abschluss führen. Zwischen diesen Bildungsgängen soll es ein hohes Maß an Durchlässigkeit und - wenn möglich - gemeinsamem Lernen geben können. Ab dem Schuljahr 2010/11 wird es in Schleswig-Holstein statt der Realschulen und Hauptschulen nur noch Regionalschulen geben. Ich betone aber, dass sich die Schulträger freiwillig auch schon vorher auf diesen Weg machen können.

(Beifall bei der SPD)

Erweitert wird die Struktur der Regionalschule in der Gemeinschaftsschule. Dort können die Schülerinnen und Schüler unter einem Dach den Hauptschulabschluss, den mittleren Abschluss oder auch den Übergang in die gymnasiale Oberstufe erreichen. Sie ist für alle Schülerinnen und Schüler offen und ermöglicht nach den Jahrgangsstufen fünf und sechs ein längeres gemeinsames Lernen und neue Formen der Förderung und Differenzierung. Gemeinschaftsschulen entstehen generell auf Antrag der Schulträger aus den Schulen des gegliederten Systems. Sie wissen, welche Anträge bereits vorliegen. Bis zum Schuljahr 2011 sollen sich die bestehenden integrierten Gesamtschulen ebenfalls zu Gemeinschaftsschulen weiterentwickeln.

Sechstens. Erhebliche Veränderungen kommen auch auf die Gymnasien zu. Ich nenne hier die Verkürzung der Schulzeit von neun auf acht Jahre und die Reform der Oberstufe, aber auch die Einführung von zentralen Abschlussprüfungen, die es übrigens in Zukunft für alle drei Bildungsgänge geben wird. Für die neuen Schulformen heißt dies im Klartext: Orientierung an Standards und Orientierung an Abschlüssen und keineswegs Abstriche bei der Qualität der Schulform, egal in welcher Form gearbeitet wird.

In der Kürze der Zeit ist es nicht möglich, alle Veränderungen im Schulgesetz darzustellen. Ich bedaure dies, weil es auch die Regelungen zu den priva

ten Schulen und die Regelungen zur Mitbestimmung der Eltern sowie die Regelungen, die wir mit besonderem Bezug auf das Zusammenwirken zwischen Schulleitungen und Kollegien getroffen haben, wert wären, hier behandelt werden. Die Diskussion beginnt aber erst. Ich möchte noch die Veränderungen in den Beruflichen Schulen zu RBZs als eine wirklich zukunftsorientierte, moderne und wegweisende Form der beruflichen Schule oder die neuen Schulträgerstrukturen, deren Finanzierung, die Frage des Kopftuchverbots, die im Schulgesetz nun nicht geregelt ist, nennen. All dies sind Themen, die die öffentliche Debatte bestimmt haben und auch in Zukunft sicherlich noch bestimmen werden.

Gesetze legen einen Rahmen fest. Ausgefüllt wird er durch die Beteiligten: die Lehrerinnen und Lehrer sowie die Eltern mit ihrer Erziehungsverantwortung, die wir von ihnen einfordern müssen und die im Schulgesetz auch eingefordert wird.

(Beifall bei SPD und CDU)

Dieser Rahmen wird auch durch die Schülerinnen und Schüler selbst ausgefüllt. Er wird durch ihre Leistungsbereitschaft und ihre Bereitschaft zu Anstrengungen gefüllt. Abschließend will ich besonders betonen: Die wichtigsten Partner bei den anstehenden - und auch anstrengenden - Veränderungen sind die Lehrerinnen und Lehrer. Ich weiß, dass viele von ihnen unterstützen, was wir jetzt auf den Weg bringen. Manche sind sogar der Meinung, die Reformen sollten noch weiter gehen. Es gibt natürlich auch Skeptiker, das will ich nicht verschweigen. Ich weiß auch, dass es mit der Begründung, dass die Arbeitsbedingungen bei sinkenden Gehältern ohnehin immer schwieriger würden, Abwehr gibt. Dennoch sage ich mit großem Ernst: Ich habe großes Vertrauen in unsere Lehrerinnen und Lehrer, in ihr Engagement und in ihre Veränderungsbereitschaft.

(Beifall bei SPD und CDU)

Sie können sich darauf verlassen: Wir stehen zu unserer Zusage, in dieser Wahlperiode 700 neue Lehrerstellen zu schaffen. Wir stehen zu den Investitionen im vorschulischen Bereich und wir werden die Fortbildungs- und Unterstützungsangebote noch deutlich erweitern.

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Zum Schluss möchte ich noch eine sehr persönliche Bemerkung machen: Wir schreiben ab heute ein neues Kapitel in der Schulgeschichte SchleswigHolsteins. Ich freue mich darüber. Für mich ist heu

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

te ein schöner Tag. Ich werde alles tun, was ich kann, um für das, was wir jetzt vorhaben, Unterstützung einzuwerben.

(Beifall bei SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich danke der Frau Ministerin. Wir waren, was die Redezeit angeht, großzügig. Das ist, denke ich, dem Thema angemessen. Ich verspreche das auch den Fraktionen.

Für die CDU-Fraktion darf ich jetzt die Frau Abgeordnete Susanne Herold aufrufen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Welt und somit auch Deutschland haben sich in den letzten 30 Jahren drastisch verändert. Großteilig wurden diese Veränderungen im Bildungswesen zwar registriert, doch in viel zu geringem Maße ist auf sie mit zukunftstauglichen Maßnahmen reagiert worden. Wenn sich unser Bundespräsident Horst Köhler heute persönlich mit kritischen Worten zur Lage unseres Bildungswesens äußert, zeigt das doch nur, welch eminent wichtigen Stellenwert das Thema Schule in der Bundesrepublik einnimmt.

Mit der vorliegenden Schulgesetznovelle haben wir als Parlament gemeinsam die Chance, das Schulsystem in unserem Lande organisatorisch und inhaltlich derart zu reformieren, dass unsere Kinder auf allen Stufen, von den Kindertagesstätten bis hin zu den unterschiedlichen Schulabschlüssen, eine adäquate Versorgung und Ausbildung erhalten.

Der vorliegende Entwurf zur Weiterentwicklung des Schulwesens in Schleswig-Holstein ist das Ergebnis der von den Koalitionsparteien CDU und SPD für die 16. Wahlperiode im Koalitionsvertrag festgelegten bildungspolitischen Zielsetzungen. Ich muss Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, nicht darauf hinweisen, dass die Interessenlage der Parteien von CDU und SPD auf dem Bildungssektor nicht gerade gleichgerichtet ist.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Ach!)

Mit diesem Gesetzesentwurf ist es uns jedoch gelungen, eine Grundlage zu schaffen, um den Schulfrieden in Schleswig-Holstein zu fördern.

(Beifall bei CDU und SPD)

Das muss unser Ziel sein und ist auch erklärtes Ziel der CDU. Wir müssen es in Schleswig-Holstein endlich schaffen, fern von ideologischen Überzeu

gungen unseren Schülerinnen und Schüler bessere Bildungsergebnisse zu ermöglichen.

(Beifall bei CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW - Zurufe von der FDP und des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Und ich auf Ihr Klatschen und auf Ihren Applaus.

Bevor Herr Dr. Klug jetzt gleich wieder verbal auf die CDU einschlägt und mit undifferenzierten Prozentzahlen um sich wirft, sei hier noch einmal deutlich gesagt: Die CDU ist kein Freund der Gemeinschaftsschule; wir arbeiten jedoch zurzeit in einer großen Koalition, die vom Wähler so gewollt ist.

(Lachen des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Der Koalitionsvertrag steckt den Rahmen unseres gemeinsamen Handelns ab.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Wieso denken Sie nicht an die Kinder?)

Da ist es nun einmal nicht möglich, die reine Lehre unserer Partei 1:1umzusetzen, Herr Kollege Kubicki. Deshalb werden wir gemeinsam mit unserem Koalitionspartner vereinbarte Reformen nach vorn bringen.

Meine Damen und Herren, jetzt ist es Aufgabe des Landtages, die Schulgesetznovelle nach eingehenden Beratungen zu beschließen und damit dafür zu sorgen, dass die Schülerinnen und Schüler in unserem Land von den Maßnahmen profitieren, die im Schulgesetz verankert werden.