Protokoll der Sitzung vom 11.10.2006

Für die Landesregierung erteile ich dem Innenminister, Herrn Dr. Ralf Stegner, das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Mit den vorliegenden Gesetzentwürfen beschließt das Parlament heute nach langem und wohl auch beschwerlichem Werdegang einen, wie ich meine, guten und tragfähigen Kompromiss zur wichtigsten Rechtsnorm des Landes Schleswig-Holstein und zu den Landesverfassungsorganen.

Lassen Sie mich im Folgenden mit der gebotenen Zurückhaltung der Exekutive zu diesen Gesetzentwürfen der Parlamentsfraktionen Stellung nehmen.

Ich beginne mit dem Gesetzentwurf zur Änderung der Landesverfassung. Die Landesregierung begrüßt die Einführung des Staatszieles Schutz und Förderung pflegebedürftiger Menschen. Wir alle wissen, dass es hier um eine Gruppe von Menschen in unserem Land geht, die unsere ganze Aufmerksamkeit und Unterstützung benötigt. Wir sind uns aber auch bewusst - Kollege Stritzl hat darauf hingewiesen -, dass sich die Situation pflegebedürftiger Menschen nicht durch die Normierung eines Staatsziels in unserer Verfassung von allein verbessert. Hier ist die Landesregierung gefordert und wir sind alle gefordert, das uns Mögliche dazu beizutragen, dieses Staatsziel durch konkretes Handeln, gegebenenfalls auch durch neue Rechtsvorschriften, mit Leben zu erfüllen.

(Beifall bei der FDP)

Die Änderung des Artikels 22 der Landesverfassung erhebt eine bereits von der Landesregierung ausgeübte Informationspraxis gegenüber dem Landtag im Hinblick auf Staatsverträge, Verwaltungsabkommen und zwischenstaatliche Einrichtungen in den Verfassungsrang. Dies ist als klarstellende Ergänzung der bisherigen Regelung durchaus positiv zu bewerten, wenn es aus meiner Sicht auch keine wesentliche inhaltliche Neuerung darstellt.

Ganz anders sind die Artikel zur Errichtung eines Schleswig-Holsteinischen Landesverfassungsgerichts zu bewerten. Hier schließt Schleswig-Holstein endlich die Lücke, die im Ländervergleich besteht. Ich bin davon überzeugt, dass ein eigenes Landesverfassungsgericht erheblich dazu beitragen kann, durch seine Entscheidungen über Landesverfassungsstreitigkeiten die Eigenständigkeit unseres Landes zu betonen. Es dürfte auch auf der Hand liegen, dass die speziellere Sachnähe zu Landesproblemen und wohl auch zügigere Urteile die Akzeptanz verfassungsrechtlicher Entscheidungen stärken können.

Ich möchte aber auch nicht missverstanden werden. Ich bin der Auffassung, dass die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in seiner Eigenschaft als Landesverfassungsgericht für unser Land von erheblicher Bedeutung waren, und zwar unabhängig davon, wie man sie im Einzelnen politisch bewerten mag. Deswegen sind wir dem höchsten Gericht unseres Staates für seine bisherige Tätigkeit im Interesse des Landes Schleswig-Holstein zu Dank verpflichtet.

Für die Landesregierung begrüße ich die Einigung, die im Innen- und Rechtsausschuss im Hinblick auf die Frage des Quorums für die Anrufung des Landesverfassungsgerichts gefunden wurde. Ich sehe die Einigung, wonach das Antragsrecht zur Erhebung einer abstrakten Normenkontrolle der Landesregierung, eines Drittels der Mitglieder des Landtags, zweier Fraktionen oder einer Fraktion gemeinsam mit den Abgeordneten, denen die Rechte einer Fraktion zustehen, bedarf, als einen tragfähigen Kompromiss an. Diese Regelung wird dazu beitragen, dass das Landesverfassungsgericht nicht wegen jeder verfassungsrechtlichen Meinungsverschiedenheit vom Parlament angerufen werden kann. Insofern war Ihr Beispiel sehr schlecht, Herr Kollege Kubicki. Die Anrufung erfolgt vielmehr von der Bedeutung der Sache her. Das Erfordernis, dass sich zwei Fraktionen oder eine Fraktion zusammen mit Abgeordneten, die Fraktionsrechte haben, einig sein müssen, wird verhindern, dass das Recht zur Anrufung des Landesverfassungsgerichts im Einzelfall missbraucht wird.

Wir alle wissen, dass die Regelung des Artikels 44 der Landesverfassung und seine notwendigen Folgeänderungen zunächst nur die erforderliche verfassungsrechtliche Grundlage für die Errichtung des Gerichts bilden. Damit ist es jedoch nicht existent. Die Landesregierung sieht sich deshalb zusammen mit Ihnen in der Pflicht, die zur Umsetzung des Verfassungsauftrags einfachgesetzliche Regelung so bald wie möglich zu erarbeiten. Herr Kollege Döring wird das mit großer Energie angehen; das kann ich Ihnen zusichern.

Mit dem Parlamentsinformationsgesetz wird der Auftrag des Artikels 22 Abs. 3 der Landesverfassung umgesetzt, der zur Ausgestaltung der Informationsverpflichtung der Landesregierung gegenüber dem Landtag ein Gesetz erfordert. Die Regierungsfraktionen haben, weil dies ein originäres parlamentarisches Thema ist, einen Gesetzentwurf vorgelegt. Er wurde im Ausschuss beraten. Bei der Einbringung des Gesetzentwurfs im März 2006 habe ich gesagt, dass ich mit den im Gesetz verankerten Verpflichtungen überhaupt keine Probleme habe, weil Offenheit und offensives Vortragen der Regierungspolitik zur streitbaren Demokratie gehören.

Ich habe im Interesse eines leichteren Verständnisses einige Regelungen angeregt. Sie betreffen zum Beispiel die Vielzahl der unbestimmten Rechtsbegriffe wie „erhebliche landespolitische Bedeutung“ oder „Gegenstände von grundsätzlicher Bedeutung“ oder noch anderer Begriffe. Ich habe angeregt, solche Begriffe durch konkretere Verfahrensregelungen zu ersetzen. Leider sind Sie dem nicht gefolgt.

Dennoch hoffe ich, dass eventuell unterschiedliche Auslegungen derartiger unbestimmter Rechtsbegriffe im Einvernehmen gelöst werden können. Dazu kann sicherlich die Regelung des § 10 des Gesetzes beitragen, die einige Anwendungs- und Auslegungsgrundsätze enthält.

Für die Praxis sowohl des Parlaments als auch der Landesregierung wird es darauf ankommen, den richtigen Weg zu finden und die dem Parlament gegenüber erforderliche Informationsdichte mit angemessenem Aufwand der fachlich zuständigen Ministerien zu gewährleisten. Das Parlament ist das oberste Organ der politischen Willensbildung. Der Oppositionsführer hat das gesagt. Die Landesregierung wird dieses Gesetz jedoch in jeder Weise mit Leben erfüllen. Freuen Sie sich auf viel Post von der Regierung, insbesondere von dem Herrn Kollegen Europaminister.

Erlauben Sie mir zum Schluss noch eine persönliche Anmerkung, denn auch ein Landesminister hat persönliche Überzeugungen: Ich finde es sehr schade, dass die Einbindung von Sinti und Roma, von Menschen mit Behinderung und von Kindern und Jugendlichen mit ihren Beteiligungsrechten keinen Verfassungsrang bekommen. Das finde ich sehr schade. Es scheitert an einer Fraktion. Ich sage aber auch ausdrücklich, dass ich als Jungparlamentarier weiß, wie mit dem Instrument namentlicher Abstimmungen umgegangen wird. Bei symbolischen Dingen geht es nicht darum, zwischen gut und böse zu unterscheiden, sondern darum, dafür zu kämpfen, dass sich Mehrheiten ändern.

(Beifall bei SPD und FDP)

Zu einem weiteren Kurzbeitrag nach § 56 der Geschäftsordnung erteile ich dem Herrn Abgeordneten Thomas Stritzl das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Heinold, ich respektiere es, wenn Sie dafür eintreten, dass wir eine Staatszielbestimmung bekommen, die den Schutz von Kindern und Jugendlichen in den Vordergrund stellt. Ich habe Sympathie für dieses Anliegen. Das ist aber nicht die Fragestellung. Die Fragestellung, um die es geht, ist die Gewichtung der elterlichen Erziehungsgewalt kontra staatlichen Erziehungsanspruch. Darüber muss man miteinander in ein vernünftiges Gespräch kommen. Ich glaube, wir sind noch nicht am Ende der Diskussion. Bisher haben wir die Argumente über den Vorrang des elter

(Minister Dr. Ralf Stegner)

lichen gegenüber dem staatlichen Erziehungsanspruch gehört. Man muss dies auch vor dem Hintergrund der jetzigen gesetzlichen Regelung sehen. Aber darüber müssen wir im Detail noch reden.

Jeder weiß, was es bedeutet, wenn der Staat - zu Unrecht - von Maßnahmen Gebrauch macht, die das Elternrecht beschneiden. Man muss immer bedenken, was die Regelungen im Einzelnen für die Familie bedeuten.

Es wurde das bedauerliche und schlimme Ereignis von Bremen angeführt. Ich glaube aber, wir tun uns keinen Gefallen, wenn wir dieses mit unserer heutigen Diskussion in einen Zusammenhang bringen, wo es doch um Änderungen der Verfassung geht.

(Beifall bei der CDU)

Wenn wir zur namentlichen Abstimmung kommen, sollten wir unsere Stimme im gegenseitigen Verständnis und im gegenseitigen Respekt abgeben. Das zeigt dann auch unseren Respekt vor unserer Verfassung.

(Beifall bei der CDU)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Ich erteile gemäß § 55 Abs. 1 der Geschäftsordnung der Frau Abgeordneten Dr. Gitta Trauernicht das Wort zu einer persönlichen Bemerkung.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich begrüße die Aufnahme des Anspruchs auf würdevolle Pflege in die Verfassung des Landes Schleswig-Holstein. Wir haben lange dafür gekämpft. Heute wird es Wirklichkeit.

Dieses Staatsziel muss allerdings - das ist auch heute deutlich geworden - durch konkrete Politik der Landesregierung untermauert werden. Deswegen finde ich es außerordentlich begrüßenswert, dass auch zukünftig die unabhängigen Pflege- und Beratungsstellen und die Offensive PflegePlus uneingeschränkt finanziell unterstützt werden. Erst durch diesen Doppelpack - Aufnahme als Staatsziel und konkrete Politik - wird für die Menschen tatsächlich etwas Positives daraus.

Selbstverständlich verfolgen wir auch weiter das Ziel, den Schutz von Kindern als eine besondere Aufgabe des Staates in der Landesverfassung zu verankern. Es gibt bereits jetzt ganz konkret die Möglichkeit, dieses Staatsziel durch konsequente Kinder- und Jugendpolitik umzusetzen. Deshalb

weise ich darauf hin, dass wir in Schleswig-Holstein mit dem Kinder- und Jugendaktionsplan bundesweit einmalig die Umsetzung des nationalen Planes für ein kindgerechtes Deutschland und die angesprochene UN-Kinderrechtskonvention aufgegriffen haben.

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zu Ihrer persönlichen Bemerkung, das ist ein Debattenbeitrag!

Hierzu gehört auch das Programm „Schutzengel für Schleswig-Holstein“. Auch hier gilt, dass an Kindern und jungen Menschen in Schleswig-Holstein nicht gespart wird.

Auch wenn Sie das wiederholt haben, Frau Kollegin, dies war keine persönliche Erklärung.

Gleichwohl ist die Beratung geschlossen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung. Ich lasse zunächst über den Änderungsantrag der Fraktionen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP sowie der Abgeordneten des SSW, Drucksache 16/1035, abstimmen.

(Zuruf des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Nun warten Sie doch bitte einmal, Herr Kollege Hentschel. Wir treten jetzt genau in diese Abstimmung ein. Es ist beantragt worden, über den Vorschlag zur Einfügung von Artikel 6 a, Schutz und Förderung von Kindern und Jugendlichen, in die Landesverfassung getrennt und namentlich abzustimmen. Sie hatten weiterhin beantragt - offenbar unter Bezugnahme auf § 61 unserer Geschäftsordnung -, dass der Text noch einmal vorgelesen wird. Es soll also über folgenden Gesetzesvorschlag abgestimmt werden:

„Artikel 6 a

Schutz und Förderung von Kindern und Jugendlichen

Kinder und Jugendliche stehen unter dem besonderen Schutz des Landes, der Gemeinden und Gemeindeverbände sowie der anderen Träger der öffentlichen Verwaltung.“

- Frau Spoorendonk, Sie haben zur Geschäftsordnung das Wort.

(Thomas Stritzl)

1 Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung liegt als Anlage bei

Herr Präsident, ich möchte gern unser Abstimmungsverhalten erklären, weiß aber nicht, wann ich das tun kann.

Entschuldigung, Frau Kollegin, Sie haben Ihr Abstimmungsverhalten in Ihrem Debattenbeitrag deutlich gemacht.

Ich möchte zu dem Punkt namentliche Abstimmung etwas zu unserem Abstimmungsverhalten sagen.

Das können Sie von dem Mikrofon aus gern tun.

Das möchte ich dann gern machen. Wir werden dem Antrag auf namentliche Abstimmung nicht zustimmen können. Wir werden uns da der Stimme enthalten, denn wir sind grundsätzlich der Auffassung, dass es keine Staatsziele erster oder zweiter Ordnung geben darf. Darum werden wir dem Punkt inhaltlich zwar zustimmen, werden aber dem Antrag auf namentliche Abstimmung nicht zustimmen können.

Nachdem nun das Abstimmungsverhalten des SSW auch an dieser Stelle erneut deutlich geworden ist, frage ich, wer dem Antrag auf namentliche Abstimmung zustimmen will. Den bitte ich um das Handzeichen. - Ich gebe das Abstimmungsergebnis bekannt: Es haben 26 Kolleginnen und Kollegen dem Antrag auf namentliche Abstimmung zugestimmt. Damit ist dieser Antrag angenommen worden.

(Vereinzelter Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich komme nunmehr zur namentlichen Abstimmung. Ich bitte, mit dem Namensaufruf zu beginnen.