Protokoll der Sitzung vom 30.11.2006

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich könnte mir vorstellen, dass wir jetzt die Beschlussfähigkeit erreicht haben. Deswegen eröffne ich die heutige Sitzung und begrüße Sie alle ganz herzlich.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, teile ich Ihnen mit, dass Frau Abgeordnete Herold erkrankt ist. Ich wünsche ihr von dieser Stelle aus gute Besserung.

(Beifall)

Wegen auswärtiger dienstlicher Verpflichtungen sind Frau Ministerin Erdsiek-Rave sowie die Herren Minister Dr. von Boetticher und Wiegard beurlaubt.

Auf der Tribüne begrüße ich ganz herzlich Schülerinnen und Schüler der Käthe-Kollwitz-Schule aus Kiel mit ihren Lehrkräften. - Seien Sie uns herzlich willkommen!

(Beifall)

Außerdem ist heute dabei - ich denke, das ist dem Thema geschuldet - der Vorsitzende des Kindertagesstättenverbandes, Herr Kulp. - Herzlich willkommen bei uns!

(Beifall)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:

Familienpolitik in Schleswig-Holstein ist eine Querschnittsaufgabe

Große Anfrage der Fraktion der CDU Drucksache 16/563

Antwort der Landesregierung Drucksache 16/1068

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist ersichtlich nicht der Fall.

Zur Beantwortung der Großen Anfrage erteile ich der Ministerin für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren, Frau Dr. Gitta Trauernicht, das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Lebenswirklichkeit von Familien hat sich in den letzten Jahrzehnten rasant verändert. Verändern muss sich auch der Sozialstaat, denn der

alte Wohlfahrtsstaat funktioniert nicht mehr. Dieser war um das Modell des männlichen Familienernährers aufgebaut. Wir haben heute eine völlig neue Realität. Frauen wollen arbeiten, müssen arbeiten, wollen Autonomie. Die Annahme, dass es freie Betreuungs- und Pflegekapazitäten in Familien gebe, bei den Frauen gebe, gehört der Vergangenheit an, stimmt zunehmend weniger. Das hat entscheidenden Einfluss auf die Geburtenrate und insgesamt auf das Aufwachsen von Kindern.

Wir brauchen deshalb einen modernen Sozialstaat, einen modernen Sozialstaat, der in all seinen Politikfeldern diesen Entwicklungen von Familie, vom Leben mit Kindern, von Frauen und von Männern Rechnung trägt. Deshalb ist Familienpolitik eine Querschnittsaufgabe der Landesregierung. Deshalb sind aus den verschiedensten Ressorts wichtige Beiträge und Impulse in diesen Bericht eingeflossen. Ich denke zum Beispiel an die Infrastruktur im Bildungsbereich, an die Kindertagesbetreuung, die Ganztagsschulen. Ich denke an die familienförderlichen Angebote im Bereich der Kinder- und Jugendpolitik. Ich denke an den familienfreundlichen Betrieb und an das Thema Wohnraumpolitik für Familien in Schleswig-Holstein.

Mit diesem Bericht haben wir insgesamt eine spannende Lektüre zusammengestellt, die alle Arbeitsbereiche der Finanzwirtschafts-, der Wohnungsbau, der Bildungs-, der Frauen- und der Kinderpolitik umfasst. Ich empfehle die Lektüre dieses Berichtes. Es wäre schade, wenn sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so viel Arbeit gemacht hätten und dieser Bericht nicht in der gebotenen Weise gewürdigt würde. Bei der Gelegenheit denke ich, es gibt Anlass, sich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aller Ressorts zu bedanken, die diesen Bericht zusammengetragen haben.

(Beifall)

Dieser Bericht ist eine gute Grundlage für weitere Diskussionen und Planungen im Bereich der Familienpolitik in Schleswig-Holstein.

Die schleswig-holsteinische Landesregierung hat die Botschaft des Siebten Familienberichts des Bundes verstanden. Diese lautet nämlich: Deutschland hat bisher in vielen Bereichen nicht angemessen auf die gesellschaftliche Entwicklung reagiert. Wir zeigen in unseren Einzelantworten zur Großen Anfrage, dass wir uns auf einem guten, auf einem richtigen Weg befinden. Die Landesregierung legt ihre Stadtentwicklung perspektivisch darauf aus, ihren Beitrag zu einem kinder- und familienfreundlichen Umfeld zu leisten und angemessene Rahmenbedingungen zu entwickeln, die insbesondere die

3140 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 44. Sitzung - Donnerstag, 30. November 2006

Kinder fördern. Das klingt sehr abstrakt. Wenn man den Bericht liest, sieht man, wie konkret das vor Ort ausgestaltet wird.

Ein gutes Wohnumfeld hat eben bedeutenden Einfluss auf die soziale und die gesundheitliche Entwicklung unserer Kinder. Vom Grundsatz her sind wir in Schleswig-Holstein verwöhnt. Aber wir haben Regionen, in denen wir etwas tun müssen, damit wirklich alle Kinder die gleichen Chancen haben.

Eine geringe Geburtenrate, immer mehr Singlehaushalte, ein steigender Anteil älterer Menschen werden dazu führen, dass eine Entwicklung voranschreitet, die wir jetzt schon verzeichnen können, nämlich dass sich die Zahl der Familienhaushalte und der größeren Haushalte verringert.

Unsere Wohnraumversorgungskonzepte und Stadtentwicklungskonzepte sind die Basis dafür, dass Wohnquartiere und Wohnformen noch intensiver an den künftigen Bedürfnissen von Familien ausgerichtet werden. Hier ändert sich etwas und ich bin froh, sagen zu können, dass auch die Wohnungsbaugenossenschaften diese Entwicklung längst bemerkt und aufgegriffen haben und dass sich die Wohnquartiere entsprechend des Bedürfnisses von Familien verändern.

Die Landesregierung hält die Wohnungsbauförderung weiterhin für notwendig. Für einkommensschwache Familien stellen wir weiterhin diesen Bedarf fest. Das ist keine selbstverständliche politische Feststellung, aber für uns als soziales Schleswig-Holstein ist das klar.

Sozial benachteiligte Familien werden in den städtischen Entwicklungsgebieten und in den Gebieten der Sozialen Stadt auch durch Infrastruktur unterstützt. Wir alle kennen dies aus eigener Anschauung: Maßnahmen der Sozialberatung, Schularbeitenhilfe, Freizeitangebote, Sprachkurse, Kleiderkammern, teilweise selbst von den Wohnungsunternehmen. Das ist eine gute Entwicklung.

Wie der Bericht darlegt, ist eine stagnierende Einkommensentwicklung bei Familien festzustellen. Auch insoweit sind künftig der Ausbau und das Vorhalten von Unterstützungsmaßnahmen erforderlich, insbesondere für sozial benachteiligte Familien.

Der Bericht macht deutlich, was wir auch bei anderen Gelegenheiten schon diskutiert und gesehen haben, dass Schleswig-Holstein nämlich grundsätzlich über unterschiedlichste flächendeckende Angebote der Jugend und Familienförderung verfügt. Familien benötigen aber auch bei der Erziehung ihrer

Kinder neben der materiellen Unterstützung ein soziales und ein institutionelles Netzwerk. Deswegen kommt es darauf an, dass Land und Kommunen in ihren Anstrengungen nicht nachlassen, auch bei schwierigsten Rahmenbedingungen diese Infrastruktur vorzuhalten. Sie kann und darf nicht weggespart werden. Das macht sich bei der Entwicklung der Kinder unmittelbar bemerkbar.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Landesregierung wird deshalb ihre Angebote weiter aufrechterhalten und weiterentwickeln. Ich denke zum Beispiel an die 34 geförderten Familienbildungsstätten und ich denke daran, dass wir diese Familienbildungsstätten stabilisieren und weiterentwickeln wollen. Ich habe mit ihnen gemeinsam vereinbart, die Aktion „Willkommen im Leben“ auf den Weg zu bringen, um deutlich zu machen: Kinder sind in Schleswig-Holstein willkommen und brauchen die notwendige Unterstützung.

Sie wissen, dass wir weitere niederschwellige Angebote auf den Weg gebracht haben, so zum Beispiel das Landesprogramm „Schutzengel“; denn wir brauchen ein Frühwarnsystem, wir brauchen insgesamt eine Verbesserung und Stabilisierung des Kinderschutzes in unserem Land. Das sind wir den Schwächsten unter uns schuldig.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Bericht macht deutlich: Die wirtschaftliche Situation von Alleinerziehenden, insbesondere von alleinerziehenden Müttern, ist gekennzeichnet durch eine vergleichsweise schlechtere ökonomische Situation gegenüber verheirateten Paaren mit Kindern, insbesondere wenn beide berufstätig sind. Das liegt ja auch auf der Hand. Alleinerziehende Frauen mit mehreren Kindern verfügen über die niedrigsten Nettoeinkommen. Das ist nachvollziehbar, weil sie aufgrund der Schwierigkeiten in der Kinderbetreuung und aufgrund der Arbeitsmarktsituation seltener erwerbstätig und damit auf öffentliche Hilfe angewiesen sind. Das macht einmal mehr deutlich, dass Armut eben auch viel mit Arbeit zu tun hat und dass erst ein Arbeitsplatz auch alleinerziehende Frauen in die Lage versetzt, in anderer Weise für ihren Lebensunterhalt aufzukommen.

Betrachten wir die Entwicklung im Bereich der Kindertagesbetreuung, so können wir anhand dieses Berichts feststellen, dass sich in den Jahren 1990 bis 2002, also in gut zehn Jahren, in unserem Land enorm viel getan hat. Die Anzahl der Krippenplätze hat sich in Schleswig-Holstein in dieser Zeit versiebenfacht und die Zahl der Angebote im Kindergarten hat sich verdoppelt. Das ist eine un

Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 44. Sitzung - Donnerstag, 30. November 2006 3141

(Ministerin Dr. Gitta Trauernicht)

glaubliche Leistung, die heute selbstverständlich wirkt, aber angesichts der noch vor uns liegenden Herausforderungen gibt es keinen Anlass, damit Schluss zu machen. Wir brauchen weiterhin Angebote für die Kleinsten, wir brauchen noch mehr Krippenplätze, wir brauchen Ganztagsplätze, wir brauchen altersgemischte Gruppen, wir brauchen die Verzahnung zwischen Kindertagesbetreuung und Schule, zwischen Kindertagesbetreuung und Kinderschutz.

(Beifall bei SPD und CDU)

Es gibt weiteren Handlungsbedarf. Das Tagesbetreuungsgesetz muss bis zum Jahre 2010 konsequent umgesetzt werden. Wer sagt, wir könnten uns das nicht leisten, der kann nicht rechnen. Sämtliche Studien zeigen, dass aufgrund der Entwicklung der Kinderzahlen und auch des Rückgangs der Ausgaben für die Kinder die Ressourcen auf materieller Ebene vorhanden sind. Man muss nur das Geld im System lassen und auch tatsächlich für die Kinder einsetzen und es nicht herausziehen und für andere Aufgaben verausgaben.

(Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ja!)

Ich versichere Ihnen, dass wir auch in Zukunft in unseren Bemühungen nicht nachlassen werden, ein flächendeckendes, ein qualitativ hochwertiges Angebot an Kindertagesbetreuung für alle Kinder von Geburt an zu schaffen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch wenn uns allen bewusst ist, dass Familienpolitik in weiten Teilen durch Bundespolitik bestimmt wird, entlastet uns dies nicht, darüber nachzudenken, wie wir uns einen gerechten Familienleistungsausgleich vorstellen. Wir werden uns in Schleswig-Holstein für einen gerechten Familienleistungsausgleich einsetzen und damit auch zukünftig zur wirtschaftlichen Absicherung von Familien beitragen wollen. Deshalb wird die Landesregierung im Rahmen ihrer politischen Gestaltungsmöglichkeiten im Bundesrat Einfluss auf bundespolitische Entscheidungen nehmen. Dazu gehört auch eine Diskussion über die Neuregelung des Ehegattensplittings.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Günter Neugebauer [SPD])

Auch die gesetzliche Harmonisierung familienpolitischer Leistungen - eine große Aufgabe in dieser Legislaturperiode auf Bundesebene - muss politisch vorangetrieben werden, genauso wie die organisatorische Bündelung dieser Leistungen. Die Landesregierung will diese familienpolitische Zielorientie

rung durch eigene landesspezifische Aktivitäten unterstützen. Wir haben deshalb in Zusammenarbeit mit dem Kreis Nordfriesland, der Bundesagentur für Arbeit und dem Landesamt für soziale Dienste das erste Familienbüro auf den Weg gebracht, in dem in dieser Form bundesweit einmalig Beratung und Anträge zu Leistungen für Familien gebündelt werden.

Natürlich war das eine schwierige Geburt, aber das sollte uns nicht davon abhalten, diese Richtung weiter zu gehen. Deswegen werden wir zum 1. Januar nächsten Jahres ein Landesfamilienbüro einrichten, das das Elterngeld verlässlich auszahlt und das auf weitere Unterstützungsmöglichkeiten für Eltern hinweist.

(Beifall)

Auch die Zahl der lokalen Bündnisse für Familien wächst in unserem Land ständig. Wir wissen: Gute Familienpolitik ist ein Mix aus Infrastruktur, Geld und Zeit. Und wir wissen auch: Für eine weiter notwendige und auszubauende Infrastruktur müssen zukünftig Bund, Länder und Kommunen gemeinsame Anstrengungen unternehmen. Eine gute Familienpolitik gleicht darüber hinaus die materiellen und sozialen Nachteile aus und gibt allen Kindern von Anfang an die gleichen Chancen für ihren Lebensweg, damit die Herkunft nicht über die Zukunft von Kindern entscheidet.

(Beifall bei SPD und CDU)