Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viele Themen, die Familie betreffend, prägen die aktuelle Diskussion. Das kostenfreie und verpflichtende letzte Kindergartenjahr für alle Kinder, Gewalt verherrlichende Killerspiele im Internet und die Ohnmacht der Gesellschaft; Kinderverwahrlosung und -misshandlung bis zum Tod und Ablage im Kühlschrank. Oder: Familienpolitik ist endlich wieder Thema.
Dafür gibt es wie mehrere Gründ, unter anderem auch die Erkenntnis, dass der Wert „Familie“, der Wert „Kinder“ in unserer individualisierten Gesellschaft in den letzten drei Jahrzehnten schleichend verloren gegangen ist. Der Kern ist aber die Erkenntnis der Auswirkung der demografischen Entwicklung.
„Was passiert, wenn nichts passiert? Es wird bei gleich bleibender Geburtenrate ab 2025 auf dem Arbeitsmarkt zu großen Nachwuchsproblemen kommen.“
In diesem Zusammenhang weitere Fragen: Wer pflegt künftig unsere Alten? Wer zahlt künftig in die Sozialversicherungssysteme ein?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben uns in einigen Landtagssitzungen der 16. Wahlperiode bereits mit Einzelthemen zum großen Thema Familienpolitik beschäftigt. Um einen Gesamtüberblick zum Querschnittsthema „Familienpolitik“ in Schleswig-Holstein zu bekommen, hat meine Fraktion diese Große Anfrage gestellt. Im Namen meiner Fraktion danke ich allen an der Antwort beteiligten Mitarbeitern der entsprechenden Ministerien sehr herzlich für diese umfassende Grundlage. Frau Ministerin, seien Sie versichert, wir lesen sie nicht nur, wir werden mit ihr auch arbeiten.
Vor uns liegt eine umfangreiche Bestandsaufnahme und Darstellung zu den Themen Kernbereiche, Strukturen, wirtschaftliche und soziale Situation von Familien, familienfreundliches Wohnumfeld und Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Auf 91 Seiten sind 72 Fragen unterschiedlich ergiebig beantwortet worden. Die Antwort auf die Große Anfrage wird für uns die Grundlage für die Weiterentwicklung der Familienpolitik in Schleswig-Holstein sein. Frau Ministerin, darauf können Sie setzen.
In der Beantwortung der Großen Anfrage wird deutlich, welch eindrucksvolles Netzwerk an Hilfe- und Beratungsangeboten sich bereits um schleswig-holsteinische Familien legt. Darauf wird noch einzugehen sein. Schleswig-Holstein will kinder- und familienfreundliches Land Nummer 1 in Deutschland werden. Wir müssen miteinander erarbeiten, wo wir stehen und welche Anstrengungen noch unternommen werden müssen, um dieses Ziel zu erreichen.
Im Jahr 1994 gab es Schleswig-Holstein 638.000 Familien, davon 301.000 ohne Kinder. 10 Jahre später waren es mehr Familien, nämlich 651.000, aber auch wesentlich mehr Familien ohne Kinder, nämlich 368.000. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind in 10 Jahren 67.000 Familien mehr ohne Kinder.
Der Umfang der Großen Anfrage erlaubt es nicht, auf alle Punkte einzugehen. Das Kernthema der Familienpolitik ist aus unserer Sicht die Vereinbar
keit von Familie und Beruf. Junge Frauen wollen und müssen häufig beides parallel handhaben. Unsere skandinavischen Nachbarn sind uns in diesem Bereich um Längen voraus, unter anderem auch beim kulturellen Mutterbild. So gilt etwa in Dänemark, anders als in Deutschland, eine Frau als Rabenmutter, die ihren Kindern den sozialen Kontakt in Krippen und Kitas mit Gleichaltrigen verweigert. Aber auch Männer, die eine Auszeit nehmen, um Kinder zu betreuen, werden in Skandinavien eher anerkannt als in Deutschland.
In der Antwort auf die Große Anfrage ist eindrucksvoll dargestellt, welch beispielhaften Möglichkeiten der Arbeitszeitmodelle es in der Landesverwaltung gibt und wie sie wahrgenommen werden. Während 25 % der beschäftigten Frauen in Teilzeit arbeiten, sind es nur 5 % der Männer. Mit der Darstellung der Zahlen ist ein Appell der Landesregierung an die Gesellschaft verbunden, auch die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf als Normalfall anzuerkennen.
Die Antwort auf die Große Anfrage zeigt auf, welche Maßnahmen die Wirtschaft in diesem Bereich ergriffen hat. Betriebe, Verbände und Kammern unterstützen Initiativen wie „Standort Familienfreundlichkeit - Initiative Kiel“. Ich nenne als Beispiel hier auch das Projekt „Chefsache Familie“ der Kreise Dithmarschen und Nordfriesland. Die Handwerkskammern Flensburg und Lübeck führen das Projekt „Personalmanagement im Handwerk“ durch. Die Industrie- und Handelskammern sind Partner der Landesregierung beim Wirtschaftspreis 2007, der unter anderem auch für Familien unterstützende Maßnahmen ausgelobt wird. Dies ist ein Schritt zu der in unserem Familienpapier geforderten Bündelung und Koordinierung der familienfreundlichen Initiativen.
Die CDU-Fraktion ist Herrn Wirtschaftsminister Dietrich Austermann dankbar, dass er am 1. Juni 2005 die Projektgruppe „Familienfreundlicher Betrieb“ im Ministerium gegründet hat. Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist nur mit entsprechenden verlässlichen Betreuungsangeboten zu erreichen. Das im Familienpapier der CDU geforderte kostenfreie letzte Kindergartenjahr ist Beschlusslage, allerdings noch nicht ausfinanziert.
Die Kita-Versorgung ist in Schleswig-Holstein gut bis sehr gut ausgestaltet. Die Ministerin ist darauf eingegangen. Alle Kreise - bis auf Dithmarschen haben ein bedarfsgerechtes Angebot für Kinder ab drei Jahre. Im Bereich der Krippenplätze geschieht etwas. Der Bedarf wächst, ist aber - ich verweise auf Seite 53 - in einigen Kreisen und kreisfreien Städten nicht hinreichend bekannt. Umfragen in Ki
Die Entwicklung der Grundschule zu einer Verlässlichen Grundschule ist in Schleswig-Holstein auf einem sehr guten Weg. Das Land stellt inzwischen 300 Planstellen dafür zur Verfügung. Die flächendeckende Einführung wird 2007/08 abgeschlossen sein. Das ist ein sehr gutes Ergebnis. Auch im Bereich der Ganztagsschulen wird von Landesseite weiter investiert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, große Wertschätzung erfahren die zwölf vor Ort in unterschiedlichster Zusammensetzung gegründeten lokalen Bündnisse für Familien, die zum Ziel haben, die Situation von Familien vor Ort zu verbessern. Sie arbeiten hoch motiviert und ehrenamtlich. Dann aber kommt wie zum Beispiel in Schleswig-Flensburg der Datenschutz zu den fehlenden finanziellen Mitteln hinzu. Um überhaupt eine Grundlage zu haben, plant das Bündnis in Schleswig-Flensburg einen entsprechenden Fragebogen, den die Landesregierung dankenswerterweise unterstützt, an die Familien des Kreises zu versenden, aber das Einwohnermeldeamt gibt aus Gründen des Datenschutzes keine Adressen heraus. Das ist schade. Hier brauchen die Ehrenamtler unsere Unterstützung und Anerkennung. Frau Minister, das heißt auch, dass sie bei familienpolitisch relevanten Themen auf Augenhöhe von der Landesregierung gehört werden sollten.
Unter dem Schwerpunkt „Familienberatungsangebote“ und „Hilfen zur Erziehung“ ist ein breites Spektrum von Beratungs- und Unterstützungsangeboten aufgeführt, die mit nicht unerheblichen Finanzmitteln des Landes gefördert werden. Aus dem Bereich Flensburg-Neustadt, einem Brennpunktviertel, weiß ich, dass der Sozialdezernatsleiter nicht sagen kann, wie viele Projekte in diesem Stadtteil laufen. Da in Familien zunehmend weniger Lebens- und Sozialkompetenz vermittelt wird, treten die Defizite in der Gesellschaft zutage, denen mit entsprechenden Projekten begegnet werden soll. Dies sind mittlerweile aber so viele, dass selbst Fachleute den Überblick verloren haben. In der Bundesrepublik werden jährlich zum Beispiel 20 Millionen € für das Projekt „Jugendliche für Toleranz und Demokratie“ ausgegeben. Die Entwickler der Programme, in die das Geld fließt, müssen jedoch nicht den Beweis erbringen, dass ihre Methoden wirklich Gewalt verhindern. In Skandinavien ist die Evaluation jedes Projektes selbstverständlich. Dieses muss auch für unsere Landesprogramme und -projekte gelten. Meine Fraktion wird diese Frage weiterhin verfolgen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zur Situation der Alleinerziehenden, einer Gruppe, die in familienpolitischen Debatten immer wieder erwähnt wird, kann die Landesregierung aus meiner Sicht keine belastbaren Aussagen machen. Sie weiß nicht, wie viele Alleinerziehende in Schleswig-Holstein wohnen, wie viele ohne Unterhaltsleistungen erziehen, wie viele von Hartz IV leben. Gerade hier lohnt es sich, genau hinzuschauen. Der verantwortungsvolle und kritische Umgang mit Medien - wir haben gerade gestern darüber gesprochen - ist aktueller denn je und nimmt einen breiten Raum in der Beantwortung der Großen Anfrage ein. Die Landesregierung weist darauf hin, dass Schulen und Kitas in dem hier angesprochenen Zusammenhang einen wesentlichen Beitrag leisten können. Das ist auch unserer Sicht zweifelsohne richtig, muss aber noch konkretisiert werden, wobei die Verantwortung der Eltern immer wieder einzufordern ist.
„Schleswig-Holstein - Familienland Nummer 1“ ist unser gemeinsames Ziel. Einen Königsweg zu einem kinderreichen Schleswig-Holstein gibt es nicht, wohl aber eine sinnvolle Abstimmung durchdachter notwendiger Angebote.
So kommt auch der im Sommer vorgestellte Siebte Familienbericht der Bundesregierung zu dem Schluss, der „Neuzuschnitt an Geldleistungen, Zielpolitik und Infrastrukturpolitik“ könne bessere Voraussetzungen für die Entscheidung für ein Kind schaffen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, schaffen wir weiterhin ein besseres Klima für Familien in Schleswig-Holstein und arbeiten wir weiter an unserem Ziel „Schleswig-Holstein - Familienland Nummer 1 in Deutschland“!
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich danke zunächst im Namen meiner Fraktion der Landesregierung und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die umfangreiche Beantwortung der Großen Anfrage, die nicht nur die Entwicklungstrends der Familien in unserem Land und die zahlreichen Aktivitäten zu ihrer Unterstützung darstellt, sondern auch zukunftsweisende Vorschläge formuliert.
Von einem Ende der Familie, wie es viele Pessimisten immer wieder prophezeien, kann keine Rede sein. Allerdings ändern sich die Lebensformen. Wir reden heute von Kernfamilien, Wohngemeinschaften, gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften, Einelternfamilien, Patchworkfamilien und eingetragenen Lebenspartnerschaften.
Die Handlungsoptionen der Politik stützen sich auf den Siebten Familienbericht des Bundes, über den wir hier schon früher gesprochen haben. Er lotet die sozialen und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Familiengründung und für das Leben in Familien aus und stellt Vergleiche mit anderen europäischen Ländern an.
Zu den Botschaften dieses Berichtes gehören: Die Familie als Konzept ist im Wandel und steht in Konkurrenz zu nicht familiären Lebensmodellen. Noch immer sind Frauen viel stärker als Männer durch die Aufgaben in der Familie belastet. Immer mehr Ehen enden vor dem Scheidungsrichter. Immer mehr Familien müssen sich reorganisieren. Die innerfamiliäre materielle Unterstützung wird durch Senkungen der Realeinkommen und Renten beeinträchtigt, womit wir wieder in der Diskussion um das neue Modewort, das Prekariat, sind.
Kommunale und wirtschaftliche Entscheidungen beeinflussen die Erfolgschancen von Familien maßgeblich; das gilt aber auch umgekehrt. Zeitmanagement ist dabei einer der entscheidenden Faktoren. Die Lebenslaufmodelle in Deutschland erzeugen eine Rushhour, in der Berufsausbildung, Familiengründung und Berufstätigkeit so zusammenfallen, dass sie schwer zu bewältigen sind.
In Deutschland ist die Vorstellung, dass Kindererziehung eine Privatangelegenheit ist, immer noch tief verwurzelt. Eltern entwickeln eher ein schlechtes Gewissen, als dass sie Hilfe fordern. Nachbarn, Freunde, selbst Lehrer trauen sich oft nicht, sich einzumischen oder Unterstützung anzubieten. Dabei geht es nicht nur darum, dass Leute da sind, wenn etwas schiefgeht.
Das allermeiste, was Kinder und Jugendliche lernen, lernen sie weder von ihren Eltern noch von ihren Lehrern. Es gibt ein treffendes afrikanisches Sprichwort: Es braucht ein Dorf, um ein Kind zu erziehen. - Ich glaube, dies ist ein wichtiger Gedanke.
zug. Es ist nicht mehr selbstverständlich, dass Großeltern ihre Kinder bei der Erziehung ihrer Enkel unterstützen. Und das wird sich in Zukunft durch den Trend zur späten Elternschaft dramatisch verschärfen. Wenn zwei Generationen hintereinander erst gegen Ende des vierten Lebensjahrzehntes Eltern werden, führt das dazu, dass die erste Generation nicht mehr wie früher im fünften oder zu Beginn des sechsten Jahrzehntes Großeltern wird, sondern gegen Ende des achten. Sie werden ihren Kindern kaum noch helfen können, sondern - ganz im Gegenteil - bereits Unterstützung und Betreuung von ihren Kindern in Anspruch nehmen. Das wird die mittlere Generation in eine Sandwich-Lage zwischen zwei Generationen bringen, die gleichzeitig von ihnen abhängig sind und sie finanziell, mental und organisatorisch überfordern. Hier entsteht Sprengstoff für das Verhältnis der Generationen.
Das Zusammenleben mit einem Partner und mit Kindern ist keine Fähigkeit, die von selbst vorhanden ist. Sie muss erlernt werden, aber die Familie gehört zu den wenigen Lebensbereichen, für die Vorbereitung und Qualifikation weder als notwendig noch als erforderlich angesehen wird. Dies verwundert umso mehr, wenn man bedenkt, dass bereits ca. 40 % aller Ehen scheitern und dass viele Eltern mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert sind. Die meisten Angebote der Familienbildung erreichen jedoch nur „Mütter und Väter aus der Mittelschicht, die in Städten wohnen“.
Um auch andere und letztlich wichtigere Zielgruppen ansprechen zu können, setzt man jetzt auf die Kindergärten: Hier könnte man erstmals alle Eltern erreichen und die Eltern von Kleinkindern wären auch noch am ehesten motiviert, ihre Erziehungskompetenzen zu verbessern. Ich halte dies für einen interessanten Weg.
Die Herausforderungen sind groß und verlangen hohe Investitionen. Sie verlangen nicht unbedingt die Erhöhung der bisherigen öffentlichen Mittel für die Familienförderung, sie verlangen aber ein Nachdenken darüber, ob wir diese Mittel richtig einsetzen. In Deutschland werden jährlich 111 Milliarden € für die Familienförderung ausgegeben. Dabei ist der kostenlose Schulbesuch noch nicht berücksichtigt. So geben wir für Kindergeld und Kinderfreibetrag 36,1 Milliarden € aus. Die beitragsfreie Mitversicherung von Kindern in der Krankenund Pflegeversicherung schlägt mit 13,4 Milliarden € zu Buche und die Anrechnung von Erziehungszeiten bei der Rente wird mit 11,4 Milliarden € veranschlagt. Für die Kinderbetreuung werden ca. 12 Milliarden € und für die Kinder- und Ju
gendhilfe 9 Milliarden € ausgegeben und der Steuerzahler zahlt künftig für Elterngeld 4 Milliarden €.
Aber: Insgesamt gibt Deutschland im OECD-Vergleich mit 60 % einen vergleichsweise hohen Anteil seiner Familienförderung direkt an die Eltern. In Schweden liegt dieser Anteil lediglich bei 30 %. Gerade beim Kindergeld - ich weiß, dass ich jetzt einige von den Stühlen reiße -, einer Gießkannenförderung par excellence, stellt sich doch die Frage, ob eine bedarfsunabhängige Leistung noch Platz in unserem Sozialsystem hat.
Wenn ein Land familienfreundlich sein möchte, muss es ein verlässliches Angebot von Kinderbetreuungseinrichtungen - auch solche, die die Schule ergänzen - sowie Verlässliche Grundschulen und offene Ganztagsschulen schaffen und ausbauen.