Protokoll der Sitzung vom 30.11.2006

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Genauso wenig gibt es den einen Grund, keine Kinder zu haben. Wer eine eigene Familie gründen möchte, diesen Wunsch aber nicht in die Tat umsetzen kann, verweist auf viele Gründe. Berufliche Unsicherheit rangiert dabei an erster Stelle. Die Entscheidung für ein Kind zieht eine langjährige Verpflichtung nach sich. Zeitverträge und Kettenpraktika lassen keine langfristige Perspektive zu. Hier müssen die Betriebe einen anderen Kurs einschlagen. Man kann nicht über steigende Sozialkosten jammern und gleichzeitig den Mitarbeitern den Boden unter den Füßen wegziehen.

Darum kritisiert der SSW die Pläne der Bundesregierung, den Kündigungsschutz für Berufsanfänger für zwei Jahre auszusetzen. Wer nach 24 Monaten ohne Angabe von Gründen auf die Straße gesetzt werden kann und in den sozialen Abstiegsstrudel geraten kann, wird sich schwerlich für eine Familie entscheiden. Hier müssen wir Initiativen unterstützen, die familienfreundliche Strukturen in den Betrieben schaffen. Dabei sollten wir uns nicht auf Appelle und die Auszeichnung beispielhafter Betriebe beschränken. Bereits in wenigen Jahren werden wir einen so massiven Facharbeitermangel haben, dass es zum Wettbewerb um gute Bewerberinnen und Bewerber kommen wird.

In Dänemark ist es derzeit so: Faktische Vollbeschäftigung beflügelt die Unternehmen zu sehr kreativen Arbeitszeitmodellen. Ich bin davon überzeugt, dass auch die Unternehmen bei uns erkennen müssen, dass familienfreundliche Strukturen in ihrem ureigensten Interesse liegen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Um ein Thema kommen wir nicht herum: Computerspiele und ihre Auswirkungen. Die CDU-Fraktion hat nach dem Schutz vor gewaltverherrlichenden Angeboten im Internet gefragt. Wir haben über Egoshooter-Spiele à la Counter-Strike bereits gestern gesprochen. Die Landesregierung ist in der vorliegenden Antwort ehrlich - das rechne ich ihr hoch an -; denn die Ministerin weiß, dass sich das Internet den klassischen Regelungsversuchen - so ist es formuliert - entzieht. Betreiber von Homepages sind nur schwer auszumachen und die Überwachung von Chatrooms läuft oftmals ins Leere. Bekommen die Jugendlichen das mit, wechseln sie einfach auf eine andere Plattform und sind dem staatlichen Zugriff wieder entzogen. Die Stärkung der Medienkompetenz ist meines Erachtens der

(Lars Harms)

vordringlichste Weg, was den Umgang mit den Gefahren dieser Spiele angeht.

Hinhören und zuhören, was Jugendliche sagen, ist wichtiger denn je. Vielleicht sollten wir Eltern noch mehr schauen, was unsere Kinder im Internet treiben. Ich meine das nicht als Kontrolle, sondern auch als gemeinsames Miterleben. Heutzutage hat der Computer das gemeine Brettspiel schon bei den unter 10-Jährigen verdrängt. Die Eltern sollten sich darauf einlassen und die Kinder in der virtuellen Gemeinschaft nicht alleinlassen.

Die Antwort der Landesregierung zur Familienpolitik zeigt, dass wir in vielen Punkten auf dem richtigen Weg sind, vor allem beim Ausbau der Kinderbetreuung. Dennoch ist die Familienpolitik noch keineswegs die Querschnittsaufgabe, die der Titel nahelegt. Im Gegenteil: Manche Probleme sind kleingehackt, damit sie überhaupt an bestehende Strukturen andocken können. Die Vernetzung bestehender Angebote bleibt nach wie vor eine vorrangige Aufgabe. Das muss aber nachhaltig geschehen. Wir sollten dabei nicht nur auf Kongresse und Bündnisses setzen. Koordinierung kostet Zeit und muss bezahlt werden. Ein Ausspruch wie: „Setzt euch mal zusammen!“ ist nicht genug. Transparente und eindeutige Strukturen fallen nicht vom Himmel, sondern müssen finanziell unterstützt werden. Viele Projekte, die die Ministerin nennt, müssen jedes Jahr neu beantragt werden. Eine institutionelle Förderung wäre auch im Sinne einer verlässlichen Familienpolitik besser. Deshalb müssen wir unsere guten Projekte verstetigen, ausbauen und zur Regel werden lassen.

(Beifall bei SSW, FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich erteile dem Minister für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr, Herrn Dietrich Austermann, das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ging um die Frage, ob Frau Birk zu Recht Vorwürfe erhoben hat. Das musste sauber geklärt werden, weil wir ein Interesse daran haben, deutlich zu machen, dass wir im Bereich der Familienpolitik wirklich alles unternehmen, um vernünftig zu handeln.

Frau Birk, Sie hatten drei oder vier Vorwürfe an mich gerichtet. Es ist immer gut, wenn man jemanden hat, den man als Reibebaum benutzen kann.

Das ist in Ordnung. Dazu will ich nur sagen: Es gibt auch im neuen Hochschulgesetz Frauenbeauftragte. Daran wird sich nichts ändern.

Beim Programm für Berufseinsteiger sind wir zurzeit dabei, eine Lösung herbeizuführen, die das Ganze auf einer anderen Ebene fortführt. Dieses Programm ist aus dem ESF gestrichen worden. Es liegt nicht mehr in der Zuständigkeit meines Hauses. Wir sind aber mit dem Arbeitsministerium dabei, etwas Neues zu machen.

Zur Frage des familienfreundlichen Betriebs möchte ich sagen: Wir machen einen Wettbewerb, aber wir werden über das Zukunftsprogramm Wirtschaft auch dafür sorgen, dass dies keine Eintagsfliege wird. Betriebe werden ausgezeichnet.

(Beifall bei der CDU, SSW und vereinzelt bei der SPD)

Übrigens gibt es hier einen großen Andrang von Mitarbeitern, die sagen, warum ihr Betrieb familienfreundlich ist. Auch das gehört zur Realität. Man gibt so nicht nur den Eindruck, dass alles kaputt und marode ist und dass es nur noch Familien gibt, die nicht intakt sind. Vielmehr gibt es wirklich eine Fülle von Betrieben, die sagen, dass bei ihnen viel auf dem Weg ist. Über das Zukunftsprogramm Wirtschaft werden wir dafür sorgen, dass auch in Zukunft Familienfreundlichkeit ein Förderkriterium für die Unterstützung von Betrieben sein kann.

(Beifall bei CDU, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt bei der SPD)

Ich denke, dies musste nachgetragen werden. Einen Satz von Herrn Harms fand ich besonders gut. Er hat gesagt, er habe den Eindruck, dass durch diese Regierung im Bereich der Familienpolitik einiges auf den Weg gekommen sei. Das betrifft sowohl Frau Kollegin Trauernicht als auch Frau ErdsiekRave, den Kollegen Döring und auch mich. Damit trifft dies praktisch für das ganze Kabinett zu.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Es ist kein Antrag gestellt worden. Der Tagesordnungspunkt ist damit erledigt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 27 auf:

Kindertagesstätten zu Familienzentren weiterentwickeln

(Lars Harms)

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/1079

Antrag der Fraktionen von CDU und SPD Drucksache 16/1107

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Frau Abgeordnete Monika Heinold hat das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Familienpolitik heißt, Eltern und Kindern die Unterstützung zu geben, die sie brauchen. Aus dieser Perspektive ist die Weiterentwicklung der Kindertagesstätten hin zu Familienzentren eine große Chance. Kitas sind selbstverständlicher Lebensmittelpunkt der Kinder. Sie sind für Mütter und Väter Anlaufstelle und Entlastung. Sie sind Kontaktbörsen für Eltern und sie sind ein für Eltern und Kinder vertrauter Ort. Kindertagesstätten erreichen circa 90 % aller Kinder und damit auch aller Eltern. Sie sind der Ort, der Hilfeangebote gut und niedrigschwellig gestalten kann. Kindertagesstätten beginnen landauf, landab, sich auf die neuen gesellschaftlichen Entwicklungen einzustellen; auf eine Situation, in der immer mehr Eltern Unterstützung bei der Erziehung ihrer Kinder brauchen.

Lassen Kindertagesstätten die Türen offenstehen, so ergibt es sich schnell, dass aus dem unverfänglichen Türklinkengespräch ein notwendiges Beratungsgespräch wird. Ob Klönecke oder Kochkurs, ob Erziehungsberatung oder Sprachtherapie - wenn Kindertagesstätten diese Angebote vorhalten, werden sie gern angenommen. Gerade in Brennpunktstadtteilen ist dies eine gute Möglichkeit, Eltern zu erreichen. So hat beispielsweise die Kindertagesstätte der Arbeiterwohlfahrt in Kiel-Mettenhof mit ihrem Konzept des offenen Kinderhauses gute Erfahrungen gemacht und erweitert gerade ihr Angebot um die Schnittstelle Sozialarbeit Kindertagesstätte. Das ist ein Konzept, das eine gute Grundlage dafür ist, eine Kindertagesstätte zum Familienzentrum weiterzuentwickeln.

Kreise und Kommunen halten schon jetzt eine Vielzahl von Unterstützungsangeboten für Familien bereit; von der Erziehungsberatung bis zum Jugendamt, von der Familienbildung bis zur Frühförderung. Es gibt Eltern, die sich in diesem System der unterschiedlichen Hilfsangebote gut zurechtfinden. Es gibt aber auch Eltern, die sich im Hilfesystem nicht zurechtfinden oder die sich nicht trauen, beispielsweise eine Erziehungsberatungsstelle aufzusuchen. Es gibt aber auch Eltern, die es schlicht nicht schaffen, Hilfe für sich und für ihre Kinder zu

organisieren. Hier setzen die Familienzentren an. In der Kindertagesstätte, wo Kinder und Eltern Tag für Tag sind und wo Vertrauen aufgebaut worden ist, wird die Hilfe bereitgestellt. Familien unterstützende Dienste, Familien- und Erziehungsberatung, Familienbildungsarbeit, die Vermittlung von Tagesmüttern und -vätern, Sprach- und Frühförderung sowie Gesundheitsförderung können jeweils Teil eines Familienzentrums sein.

Schauen wir nach Nordrhein-Westfalen: Hier wurden im Rahmen eines Landesprogramms drei unterschiedliche Modelle mit passgenauen Angeboten für Kommunen und Träger unter Berücksichtigung vorhandener Strukturen entwickelt. Mit unserem Antrag fordern wir die Landesregierung auf, auch für Schleswig-Holstein ein Gesamtkonzept zu entwickeln.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Natürlich soll dies gemeinsam mit Experten aus der Praxis geschehen. Kindertagesstätten, die sich weiterentwickeln wollen, fragen, wie dieses neue Angebot finanziert werden soll. Dazu sage ich: Lassen Sie uns zuerst einmal vorhandene Hilfe zusammentragen, um dann zu schauen, was noch fehlt. Ich glaube, es ist insbesondere die zusätzliche Zeit, die eine Kindertagesstättenleitung braucht, um ein Familienzentrum mit den vielfältigen Hilfeangeboten zu leiten. Bei neuen Konzepten und Aufgaben müssen wir auch immer überlegen, ob vorhandene Strukturen aufgebrochen werden können und ob vorhandene Haushaltsmittel umgeschichtet werden können. Als Beispiel möchte ich die Arbeit der Familienbildungsstätten nennen. Hier haben wir über 750.000 € an Landesmitteln für ein Angebot für Familien, das bisher eher - so wird es berichtet die bildungsbereite Schicht erreicht. Hier frage ich: Können wir diese Angebote nicht zukünftig mit den Kindertagesstätten vernetzen oder auch in die Kindertagesstätten hinein verlagern?

Es gibt also allerhand Fragen. Es gibt viele Möglichkeiten, um die Kindertagesstätten zu unterstützen, die sich teilweise schon auf den Weg gemacht haben. Nun haben wir heute sehr kurzfristig den Antrag von CDU und SPD auf den Tisch bekommen. Ich muss meinen lieben Kolleginnen und Kollegen sagen: Ich bin enttäuscht. Der erste Teil des Antrages weiß nicht so recht, ob er loben will, dass sich im Land etwas tut oder nicht. Weiter heißt es, die Landesregierung möge positive Entwicklung vor Ort öffentlich positiv begleiten. Ich glaube, dazu braucht es keiner Aufforderung. Das traue ich der Ministerin auch ohne Landtagsbeschluss zu.

(Präsident Martin Kayenburg)

Nicht in dem Antrag steht, dass es für SchleswigHolstein tatsächlich ein Konzept geben soll.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Das scheint die Differenz zu sein. Ich finde, wenn ein Bundesland wie Nordrhein-Westfalen ein gutes Konzept auf den Tisch legt, dann sollten wir zumindest den Mut haben, uns das im Ausschuss einmal anzuschauen. Ich hoffe also auf die Ausschussberatung.

Meine Damen und Herren von CDU und SPD, ich bitte Sie herzlich: Nehmen Sie Ihren Berichtsantrag zurück, den Sie auf die zweite Seite des Antrages gedruckt haben. Wir haben heute 90 Seiten zur Familienpolitik vorgelegt bekommen. Sie fordern nun noch einmal einen Bericht zur Familienpolitik, diesmal - so schreiben Sie - sozial gerecht. Ich weiß nicht, was das soll. Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, was die Landesregierung da aufschreiben soll. Wir haben verschiedene Berichte zur Frühförderung und frühkindlichen Bildung. Sie wollen heute noch über die Erarbeitung eines zweiten Berichts beschließen, in dem noch einmal über Wellness und Schutzengel berichtet werden soll.

Ich habe genügend Berichte. Lassen Sie uns anfangen, Konzepte zu machen, und aufhören, die Landesregierung weiter mit Berichtsanträgen vollzumüllen!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte zwei Bemerkungen machen. Die erste ist, dass es Irritationen darüber gegeben hat, dass vorhin keine Ausschussüberweisung erfolgt ist. Ich stelle fest, dass kein Antrag gestellt worden war. Damit ist der Tagesordnungspunkt erledigt. Das schließt aber nicht aus - ich denke, das ist im Hause bekannt -, dass sich im Zuge des Selbstbefassungsrechtes natürlich jeder betroffene Ausschuss mit dem Bericht befassen kann. Wenn Anträge gestellt werden, werden sie aufgerufen, aber hier lag und liegt kein Antrag vor.

Die zweite Bemerkung geht auch in Richtung Regierung. Die Fraktionen haben sich darauf verständigt, für heute Nachmittag eine grundlegende Änderung der Reihenfolge der Tagesordnung vorzunehmen. Das möchte ich jetzt kurz bekannt geben. Wir beginnen um 15 Uhr mit dem Tagesordnungspunkt 37. Dann folgt Tagesordnungspunkt 31, danach der Tagesordnungspunkt 23, dann der Tages

ordnungspunkt 41 und abschließend der Tagesordnungspunkt 26. Ich bitte auch die Häuser, sich entsprechend vorzubereiten.

Auf der Tribüne begrüße ich nunmehr Schülerinnen und Schüler der Käthe-Kollwitz-Schule Kiel mit ihren Lehrkräften. - Seien Sie uns herzlich willkommen!

(Beifall)

Wir fahren in der Aussprache fort und ich erteile für die Fraktion der CDU Frau Abgeordneter Frauke Tengler das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieses Thema schließt sich nahtlos an die vorhergehende Debatte an.