Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die heutige Sitzung und begrüße Sie alle sehr herzlich. Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich einige Hinweise geben. Für den heutigen Tag ist Herr Abgeordneter Thomas Rother beurlaubt. Wegen auswärtiger Verpflichtungen sind Frau Ministerin Dr. Trauernicht sowie Herr Minister Austermann ebenfalls beurlaubt. Wir freuen uns, auf der Tribüne unseren ehemaligen Landtagspräsidenten Heinz-Werner Arens begrüßen zu können. Herzlich willkommen!
Wir begrüßen auch die Schülerinnen und Schüler der Hauptschule Nortorf sowie die Mitglieder des CDU-Ortsverbandes Lehmkuhlen aus dem Kreis Plön sehr herzlich. - Herzlich willkommen!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Aufmerksamkeit für Kriminalitätsopfer hat in den letzten 20 Jahren stetig zugenommen. Der Ihnen vorliegende Zweite Opferschutzbericht ist selbst Ausdruck dieser gestiegenen Aufmerksamkeit. Ich denke, ein beliebiger Blick in die Zeitungen der letzten Tage macht die Aktualität des Themas Opferschutz deutlich.
Da ist zum Beispiel ein 14-jähriger Kieler, der am Samstagabend von anderen Jugendlichen geschlagen und ausgeraubt wird. Am nächsten Abend wird in derselben Gegend einem 50-jährigen Radfahrer ohne erkennbaren Grund ein Messer in den Rücken gestochen. Innerhalb einer Woche werden in der Nähe von Sereetz auf einem Parkplatz an der A 1 dreimal Autofahrer verletzt und bestohlen.
hung und das subjektive Sicherheitsgefühl auseinanderklaffen lässt. Das ist schlimm, denn auch schon die Angst, Opfer einer Straftat zu werden, kann einem alle Unbeschwertheit nehmen.
Hinzu kommt, dass die im Opferschutzbericht aufgeführten Statistiken tatsächlich für die letzten zehn Jahre einen deutlichen Anstieg der Gewaltkriminalität ausweisen. Wir haben hier das Phänomen, dass sich die Kriminalität insgesamt nicht ausweitet, wohl aber die Gewaltkriminalität und insbesondere bei Jugendlichen sogenannte Rohheitsdelikte erschreckend zugenommen haben.
Meine Damen und Herren, Polizei und Justiz konzentrieren sich darauf, Straftäter zu ermitteln und zur Rechenschaft zu ziehen. Diese Täterfixierung dient der Gerechtigkeit und der Verhütung weiterer Straftaten. Den häufig traumatisierten Opfern ist damit allein aber wenig geholfen. Deshalb denke ich, dass die Verbreitung des Opferschutzgedankens so wichtig ist. Ich bin froh, sagen zu können: In Schleswig-Holstein ist der Opferschutz in Politik und Gesellschaft fest verankert.
Um Opferinteressen durchsetzen zu können, müssen die rechtlichen Rahmenbedingungen stimmen. Das heißt, es müssen Zeugenschutz, Beratungs-, Informations- und Beistandsrechte, Nebenklagebefugnisse und Schadensersatzansprüche gewährleistet sein. Was die rechtlichen Rahmenbedingungen des Opferschutzes angeht, haben wir ein sehr hohes Niveau erreicht. Genauso wichtig - wenn nicht wichtiger - sind Sensibilität gegenüber Kriminalitätsopfern und praktisch geleistete Hilfe. Die lassen sich nur selten gesetzlich anordnen und garantieren. Das Thema Opferschutz ist deshalb ein fester Bestandteil in der Aus- und Weiterbildung insbesondere bei Polizei und Justiz.
Schließlich brauchen wir auch eine gute Vernetzung zwischen den verschiedenen Einrichtungen und Projekten der Opferhilfe und hier könnten wir noch besser werden. Denn unser oberster Grundsatz muss sein: Kein Opfer einer schweren Straftat darf alleingelassen werden.
Opfer und Täter haben oft gegensätzliche Interessen. Die Versuchung ist deshalb groß, Opfer- und Täterschutz gegeneinander auszuspielen. Ich halte das für gefährlich, aber auch für unnötig. Es gibt kein Entweder-oder. Wir können Opfern helfen, ohne rechtsstaatliche Prinzipien oder die Grundrechte der Täter über Bord werfen zu müssen.
Opfer und Täter - und daran sollten wir immer denken - müssen über kurz oder lang wieder gemeinsam in derselben Gesellschaft leben. Unsere Aufgabe ist es, weitere Straftaten zu verhindern und wenn möglich - zwischen Täter und Opfer für Schadenwiedergutmachung und eine Verständigung zu sorgen. Dazu brauchen wir moderne Elemente wie den Täter-Opfer-Ausgleich und die Diversion bei der Jugendkriminalität. Ich kann hier anführen, dass wir ein hervorragendes Beispiel im Landgerichtsbezirk Itzehoe haben, wo die Diversion in der Jugendkriminalität hervorragend gehandhabt wird.
Wir brauchen auch einen modernen Strafvollzug. Das alles bekommen wir nicht zum Nulltarif. Ich denke, die Ereignisse in anderen Bundesländern haben uns das drastisch vor Augen geführt. Resozialisierung kostet Geld, aber erfolgreiche Resozialisierung verhindert neue Opfer und ist deshalb der beste Opferschutz überhaupt.
Natürlich stehen Opfer- und Täterinteressen manchmal in einem Spannungsverhältnis, aber auch dann verpflichten uns Erfahrungen und Vernunft zu einem rational-rechtsstaatlichen Interessenausgleich. Das schließt meiner festen Überzeugung nach Extremlösungen wie die öffentliche Anprangerung entlassener Sexualstraftäter aus. Solche Methoden mögen in den USA mehrheitsfähig sein, aber die USA haben auch die größte Gefängnispopulation der Welt. Kalifornien gibt mehr Geld für Gefängnisse als für Bildung aus. Die Gefahr, Opfer zu werden, ist in den USA trotzdem um ein Vielfaches höher als bei uns. Deshalb bin ich über die fast einhellige Ablehnung entsprechender Vorschläge in den vergangenen Wochen sehr froh. Ich selbst habe mich dazu auch sehr deutlich geäußert.
Trotz aller Fortschritte beim Opferschutz dürfen wir die Hände nicht in den Schoß legen. Es bleibt viel zu tun. Gerade auf Landesebene können wir auch einiges bewirken. Ich möchte hier zum Schluss vier konkrete Punkte ansprechen und in die politische Diskussion einbringen, die nicht im Bericht enthalten sind.
Erstens. Verhängte Geldstrafen und der von Tätern im Wege des Verfalls abgeschöpfte Gewinn fließen derzeit vollständig in die Landeskasse - jedes Jahr deutlich mehr als 10 Millionen €. Sollten wir nicht einen Teil dieses Geldes von den Tätern in einen gesonderten Haushaltstitel umleiten, der der Unterstützung von Opfern dient? - Ich würde
Sollten wir in diesem Zusammenhang nicht noch einmal über die Errichtung einer Opferschutzstiftung nachdenken, wie es sie in einigen Bundesländern gibt? Sie soll keine Konkurrenz zu bestehenden Einrichtungen sein, sie soll vielmehr die Lücken ausfüllen, die wir noch haben. Organisationen wie der Weiße Ring und andere, die hervorragende Arbeit leisten, könnten an so einer Stiftung beteiligt werden, indem wir sie in den Stiftungsrat mit einbeziehen und dadurch auch eine Vernetzung gewährleisten
Zweitens. Häufig wird ein Strafverfahren nach § 153 a StPO gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt. Ich bin dafür, solche Geldauflagen wesentlich häufiger als bisher gemeinnützigen Einrichtungen, die einen engen Bezug zum Opferschutz haben, zufließen zu lassen. Wir setzen uns für eine Änderung der entsprechenden bundesweiten Richtlinien ein. Aber auch ohne diese Änderung könnten unsere Staatsanwälte schon jetzt durch ihre Antragspraxis für eine stärkere Berücksichtigung von Opferschutzeinrichtungen sorgen.
Drittens. Die Informationsrechte von Opfern schwerer Straftaten können trotz des erreichten hohen Niveaus nach meiner Auffassung verbessert werden. Bisher wird das Opfer über Vollzugslockerungen und Haftentlassung des Täters nur auf Antrag informiert. Wir sollten überlegen, ob bei schwerer Gewaltkriminalität die Opfer auch ohne Antrag informiert werden müssen, wenn erstmalig Vollzugslockerungen, die Verlegung in den laufenden Vollzug oder die Haftentlassung des Täters ansteht. Ich will anfügen: Man mag sich gar nicht das Entsetzen vorstellen, das ein Opfer erfasst, wenn er seinem Peiniger unvermittelt wieder gegenübersteht. Häufig kommt er aus der Gegend, in der man wohnt und lebt; denn solche Taten sind häufig Beziehungstaten. Deswegen plädiere ich dafür, dass wir insoweit die Informationsrechte erweitern. Da der Landtag seit Neuestem für das Strafvollzugsrecht zuständig ist, können wir das auf Landesebene regeln.
Viertens. Überall im Land gibt es Initiativen, die sich für Kriminalprävention und Opferschutz einsetzen. Mein Haus bereitet eine umfassende Bestandsaufnahme vor, um festzustellen, wo es welche Projekte gibt. Wir wollen Lücken erkennen und eine Prioritätenliste aufstellen. Best-Practice-Projekte wollen wir landesweit bekannt machen, wir
Meine Damen und Herren, wenn es um besseren Opferschutz geht, sind nicht nur der Justizminister und der Landtag gefragt. Denn die Möglichkeiten des Staates sind begrenzt; das wissen wir alle. Das Engagement der Zivilgesellschaft können wir nicht ersetzen. Was wir brauchen, ist eine Kultur des Hinsehens, des Einmischens und der praktischen Hilfe.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich plädiere nicht für falsches Heldentum. Aber es darf nicht möglich sein, dass in der Holstenstraße in Kiel zur Haupteinkaufszeit ein Rollstuhlfahrer von Jugendlichen umgekippt und mit Füßen getreten wird und eine Vielzahl von Mitbürgerinnen und Mitbürgern daran vorbei geht. Ich behaupte, drei Viertel davon hatten ein Handy in der Tasche. In einem solchen Falle kann man es, denke ich, auch benutzen. Deswegen noch einmal: Wir brauchen eine Kultur des Hinsehens; wir brauchen eine echte Bürgergesellschaft.
Dazu gibt es gute Beispiele. Erst vor wenigen Tagen wurde die Bürgerstiftung Region Rendsburg gegründet, die sich die praktische Opferhilfe zum Ziel gesetzt hat. Wäre es nicht gut, wenn wir solche Bürgerstiftungen auch in anderen Teilen des Landes hätten?
Auch gibt es das bayerische Modell der Anwaltsschlichtung. Eine Schlichtungsstelle vermittelt zwischen Täter, Opfer, Polizei und Justiz und fördert eine schnelle Wiedergutmachung. Dem Opfer bleiben belastende Zivilprozesse erspart, um seine Ansprüche durchzusetzen, und die Schadenwiedergutmachung ermöglicht es dem Gericht, die Strafe zu mildern oder das Strafverfahren ganz einzustellen.
Meine Damen und Herren, wäre es nicht gut, wenn es auch in Schleswig-Holstein eine vergleichbare Initiative gäbe?
All dies zeigt: Der Opferschutz ist eine Aufgabe, der wir uns unabhängig von der Tagesaktualität widmen müssen. Ich habe mir vorgenommen, mich in den nächsten Jahren besonders für diesen Opferschutz einzusetzen, und ich würde mich freuen, wenn ich dabei auf die Unterstützung des Landtages zählen könnte.
Ich danke Herrn Minister Uwe Döring und erteile für die CDU-Fraktion Herrn Abgeordneten Peter Lehnert das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich mich für den umfangreichen Opferschutzbericht der Landesregierung beim zuständigen Justizministerium und auch ganz persönlich bei Herrn Minister Döring bedanken, der, wie ich finde, durch eine sehr bemerkenswerte Rede deutlich gemacht hat, dass ihm der Opferschutz ein ganz persönliches Anliegen ist.
Nachdem die Berichte zum Thema Opferschutz in den Jahren 1997 und 2003 noch von der CDULandtagsfraktion beantragt wurden, kommt dieser Bericht nun direkt von der Landesregierung. Der vorliegende Bericht beinhaltet viele lesenswerte Ausführungen, insbesondere zu grundsätzlichen Fragen des Opferschutzes. So führt der Bericht aus, dass wir noch stärker als bisher ein opferorientiertes Bewusstsein in der Kriminalpolitik benötigen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass Opfer lediglich Objekt des Verfahrens sind und als Beweismittel im Strafverfahren lediglich zur Überführung des Täters herangezogen werden. Anschließend bleibt der Mensch mit seinen Sorgen und Ängsten, nicht selten ratlos, sich selbst überlassen. Vielfach sind Organisationen wie der Weiße Ring die einzigen Anlaufstellen, die konkrete Hilfe anbieten.
In einer solchen Situation ist der Staat zum Handeln aufgerufen, um im Strafverfahren auch die Menschenwürde des Opfers in den Vordergrund zu stellen. Dies gilt insbesondere für Kinder, Jugendliche, behinderte Menschen, Senioren und Frauen, die fast ausschließlich die Opfer von Sexualdelikten sind.
Vor geraumer Zeit haben daher Politik, Strafrechtspflege und Rechtswissenschaft damit begonnen, dem Opfer einer Straftat, insbesondere Opfern von Gewaltdelikten, auch im Strafverfahren verstärkt Aufmerksamkeit zuzuwenden. So hat der Gesetzgeber auf verschiedenen Ebenen Reformen und Programme entwickelt und umgesetzt, um die rechtliche Situation von Opfern im Strafverfahren zu verbessern. Die Situation von Opfern war und ist deshalb ständiger Gegenstand von Reformen.