Protokoll der Sitzung vom 24.01.2007

Wir wollen die Vernetzung der Bildungseinrichtungen vorantreiben. In der Sprachförderung müssen die Kindertageseinrichtungen eng mit den Grundschulen zusammenarbeiten. Die Grundschulen, die Förderzentren und ihre Schulen in der Sekundarstufe I müssen ihre Anstrengungen bei der Förderung von Kindern koordinieren. Berufliche Schulen, die sich zu Regionalen Berufsbildungszentren, also zu rechtsfähigen Anstalten des öffentlichen Rechts, weiterentwickeln, übernehmen künf

(Susanne Herold)

tig auch eigenständige Aufgaben in der Weiterbildung, und zwar mit weitreichenden Folgen für ihre innere Verfassung. Wir wollen gemeinsam die Verschwendung von Lebenszeit und Ressourcen durch das Wiederholen ganzer Schuljahre zurückdrängen. Die Frage der Versetzung wird sich nicht mehr nach jedem einzelnen Schuljahr stellen. Künftig wird es Nachprüfungen und Versetzungen auf Probe geben.

Das neue Schulgesetz beschreibt unser Schulsystem so, wie wir es spätestens mit Beginn des Schuljahres 2010/2011 haben werden. Die Hauptschulen und die Realschulen werden dann der Vergangenheit angehören. Dies ist bereits in einer Reihe von neuen Bundesländern und demnächst auch in der Hansestadt Hamburg der Fall. Die Hauptschulen werden durch die Regionalschulen ersetzt. Auch die Gesamtschule wird es in ihrer bisherigen Form nicht mehr geben. An ihre Stelle tritt die Gemeinschaftsschule, die jedoch nicht ausschließlich dort entstehen soll und wird, wo bisher Gesamtschulen existierten. Vielmehr soll sie überall dort existieren, wo sich Schulträger für diesen Weg entscheiden und wo sie den Rahmenbedingungen der Schulentwicklungsplanung entspricht. Bei kooperativen Gesamtschulen gibt es für die Schulträger eine Übergangsfrist von drei Jahren, in denen sie entscheiden und beantragen können, einen anderen Weg als den zur Gemeinschaftsschule zu gehen.

Wir alle wissen, dass eine so grundlegende Umgestaltung auf Sorgen und Ängste stößt. Jeder von uns ist mit dem traditionellen Schulsystem aufgewachsen und wurde als Zehnjähriger - wie schon unsere Eltern- und auch unsere Großelterngeneration - entweder auf die Hauptschule, auf die Realschule oder auf das Gymnasium verteilt. Man musste an Klassenkameraden oder sogar an sich selbst die Erfahrung machen, dass das Absteigen von einer Schulart zur anderen sehr viel leichter war als das Aufsteigen. Das Bildungsministerium hat in der Vergangenheit eine ganze Reihe an Maßnahmen ergriffen, um die Hauptschulen zu stärken. Wir wissen aber und müssen dies auch zur Kenntnis nehmen, dass diese Schulform keine Zukunft mehr hat. Ihre Absolventen sind längst die Verlierer im Verdrängungswettbewerbs auf dem Arbeitsmarkt. Ihre Eltern meiden diese Schulart. Die Regionalschule wird also künftig dafür verantwortlich sein, die Bildungsreserven in unserer Bevölkerung auszuschöpfen. Ich bin davon überzeugt, dass die befürchtete Verschlechterung der bisherigen Realschulausbildung nicht eintreten wird.

(Beifall der Abgeordneten Frauke Tengler [CDU])

Die individuelle Förderung wird - verbunden mit der Umsetzung von Standards, wie sie von der Kultusministerkonferenz definiert wurden -, dafür sorgen, dass mehr Schüler einen höheren Bildungsabschluss erreichen und dass die Zahl der Jugendlichen ohne Abschluss auf ein Minimum zurückgehen kann.

(Beifall bei SPD, CDU und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Wir sind uns alle einig: Ohne Abschluss hat man auf dem Arbeitsmarkt keine Chance. Auch für diese Jugendlichen wird es an den Beruflichen Schulen neue und andere Möglichkeiten geben, Abschlüsse nachzuholen. Es wird auf die Schulträger ankommen, ob der Weg der Umwandlung der weiterführenden Schule zur Regionalschule gegangen werden soll, der sonst zwangsweise gegangen werden muss, oder ob die Schulen sich für Gemeinschaftsschulen entscheiden. Für viele Schulträger werden das gymnasiale Bildungsangebot und die Möglichkeit einer gymnasialen Oberstufe besonders attraktiv sein. Auch das Gymnasium wird sich stärker um die Förderung des einzelnen Schülers bemühen müssen und die Möglichkeiten dafür schaffen, dass auch Schülerinnen und Schüler, die das Abitur absehbar nicht erreichen können, am Gymnasium einen anderen Schulabschluss erreichen.

Wir wissen, dass die Umstellung des Gymnasiums von bisher neun auf zukünftig acht Jahre für die Lehrerinnen und Lehrer und besonders für die Schülerinnen und Schüler eine Herausforderung darstellt. Wir folgen hiermit aber einer unaufhaltsamen Entwicklung. Es wäre aus unserer Sicht unverantwortbar, wenn junge Menschen aus unserem Bundesland ein Jahr später als ihre Altersgenossen aus anderen Bundesländern in die Hochschulen oder auf den Arbeitsmarkt entlassen würden. Es wird bei einer dreijährigen Oberstufe bleiben. Die Straffung wird sich in den Jahren davor ergeben. Wir haben aufgrund der Festlegungen in der Kultusministerkonferenz keinen Spielraum dafür, den gesamten Lehrstoff des Gymnasiums einfach um ein Neuntel zu kürzen. Viele Schulen werden im Rahmen ihrer Eigenverantwortung beschließen, zukünftig mehr Unterricht am Nachmittag oder auch am Sonnabend zu erteilen.

Ich will an dieser Stelle nicht verschweigen, dass die Verkürzung der gymnasialen Schulzeit nicht ohne Risiken ist. Wenn wir die Selektivität unseres Schulwesens abbauen wollen, dürfen wir sie in den Gymnasien nicht durch eine Überbelastung der Schülerinnen und Schüler verschärfen. Wir werden uns also genau ansehen müssen, ob das neue achtjährige Gymnasium dem Scheitern in der Schule

(Dr. Henning Höppner)

entgegenwirkt oder es sogar verstärkt. Ich bin aber optimistisch, dass sich auch hier die Befürchtungen nicht bewahrheiten werden. Die Gymnasien werden - wie alle Schulen - Nachprüfungen und Probeversetzungen einführen. Die Standards des Abiturs werden durch Profiloberstufe und Zentralabitur gestärkt. Wir wissen, dass dies auf Vorbehalte stößt. Es nützt aber niemandem, wenn das bisherige Kurssystem eine große Zahl an theoretischen Wahlmöglichkeiten vorhält, diese in der Praxis aber daran scheitern, dass die Wahlkurse nicht zustande kommen.

Auch weiterhin werden die Schülerinnen und Schüler an den Gymnasien persönliche Schwerpunkte bilden können. Wir werden an allen Schulen Abschlussprüfungen mit zentralen Elementen einführen. Hier folgen wir im Übrigen dem bundesweiten Trend. Wir können es uns nicht leisten, die Zahl der Abiturienten in Deutschland und in Schleswig-Holstein weiter zu senken. Im internationalen Vergleich beenden bereits zu wenige Schülerinnen und Schüler ihre Schulzeit mit dem Erwerb der Hochschulreife. Wir sind - neben dem Bundesland Bayern - das Bundesland, das am wenigsten Abiturienten hervorbringt.

Wir folgen dem Wunsch der Privatschulen nach einer Verkürzung der Wartezeit bis zum Einsetzen der Bezuschussung durch das Land auf zwei Jahre. Das Ansinnen der Kollegen des SSW, die Kreise zur Erstattung der Schülerbeförderungskosten in Höhe von zwei Dritteln der jeweils anfallenden Durchschnittssätze zu verpflichten, stößt nach unserer Auffassung auf die Grundsätze von Konnexitäts- und Gleichbehandlungsprinzipien. Solche Regelungen, die drei der elf Kreise betreffen, können nach unserer Auffassung nicht Gegenstand eines Gesetzes sein, zumal dieses Gesetz den Kreisen die Satzungshoheit gibt. Liebe Kollegin Spoorendonk und lieber Kollege Harms, wir werden aber mit Beginn des Doppelhaushalts 2009/2010 einen Weg finden, den Schülerinnen und Schülern an den Schulen des Dänischen Schulvereins hier eine dauerhafte Perspektive zu geben.

(Beifall bei SPD und SSW)

Für die Schulträger - also in erster Linie für die Gemeinden - ist es wichtig, dass allzu kleine Schulen künftig keinen Bestandsschutz haben, dass es aber die Möglichkeit gibt, mehrere Standorte zu einer Schule zusammenzuschließen. Die vorgesehenen Mindestgrößen von 80 Schülern für Grundschulen, von 240 Schülern für Regionalschulen und von 300 Schülern von Gymnasien und Gemeinschaftsschulen sind sinnvoll und lassen mehr Spielraum für den Erhalt dieser Schulen als in der Ver

gangenheit. Dabei betone ich, dass diese Mindestgrößen jeweils für mehrere Standorte gelten. Niemand muss befürchten, dass seine Kinder zukünftig einen unzumutbar langen Schulweg hinter sich bringen müssen.

Das neue Schulgesetz beschreibt eine umfassende Reformperspektive. Reformen setzen sich allerdings nicht automatisch um, weil ein neues Gesetz in Kraft tritt. Reformen sind Prozesse, die von den Betroffenen gestaltet werden müssen; von Eltern, Schülern und Lehrern. Wir wissen, dass die Zumutungen, die wir den Lehrern - wie allen Beamten auferlegen mussten, indem wir ihnen Mehrarbeit abverlangen und zugleich die Sonderzahlungen empfindlich kürzen, Enttäuschungen und Frustrationen verursacht haben und nicht dazu angetan waren, die Motivation zu erhöhen. Dennoch bitte ich alle Lehrerinnen- und Lehrerkollegen, ihre Enttäuschung über eine Maßnahme der Regierung und des Landes nicht an den Schülerinnen und Schülern auszulassen. Sie, die Lehrerinnen und Lehrer, haben diesen Beruf ergriffen, um jungen Menschen eine möglichst erfolgreiche Perspektive zu geben und sie auf ihr Leben vorzubereiten. Bei aller Uneinigkeit über die richtigen Maßnahmen gehe ich davon aus, dass wir uns in dem Ziel einig sind, die Chancen der jungen Menschen zu verbessern und ihr Scheitern zu verhindern.

(Beifall bei SPD und CDU)

Meine Damen und Herren, es hat im Anhörungsverfahren durch das Ministerium und im Bildungsausschuss vielerlei Anregungen gegeben und es hat sich gezeigt, dass die Standpunkte der Verbände und Institutionen äußerst heterogen waren. Die Koalitionsfraktionen haben über 80 Änderungsanträge eingebracht und ich denke, diese Zahl spricht dafür, dass wir diese Bedenken und Anregungen in der Anhörung sehr ernst genommen haben.

Wegen der dadurch entstandenen Lücken in der Paragrafenfolge war es sinnvoll, den Text kurzfristig zu überarbeiten und über die Fraktionen neu einzubringen. Ich bitte Sie hier im Haus um Verständnis für dieses unübliche Verfahren.

Meine Damen und Herren, das neue Schulgesetz markiert eine Zäsur für längeres gemeinsames Lernen und für mehr Förderung von Schülerinnen und Schülern. Wie alle Gesetze wird es sich in der Praxis bewähren müssen. Es wird genau wie alle Vorgängergesetze irgendwann überarbeitet werden und sich neueren Bedingungen anpassen müssen.

Meine Fraktion steht hundertprozentig hinter diesem Schulgesetz. Wir sind davon überzeugt, dass dieses Schulgesetz unsere Schullandschaft nachhal

(Dr. Henning Höppner)

tig und zukunftsfähig entwickeln kann. Ich bin hier sehr großer Hoffnung, so wie meine Fraktion auch.

(Anhaltender Beifall bei SPD und CDU)

Meine Damen und Herren, auf der Tribüne darf ich noch unsere früheren Kollegen Behm, Füllner, Poppendiecker und Plüschau begrüßen. - Herzlich willkommen!

(Beifall)

Ich erteile nunmehr Herrn Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine „Große Koalition kann keine große Politik machen“. Das ist ein Zitat, es stammt von dem SPDBundestagsabgeordneten Sönke Rix aus der „Eckernförder Zeitung“ vom 18. Januar 2007. Es ist natürlich in einem anderen Zusammenhang gefallen, aber trifft trotzdem die hier zur Debatte stehende Bildungspolitik der Großen Koalition.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Kluger Mann!)

Statt alte Probleme der Schulen zu lösen, werden neue geschaffen. Kein Wunder, dass auch Teile der Union den von ihrer eigenen Partei vorangetriebenen Weg ablehnen. Gestern konnten wir in einer Pressemitteilung lesen, dass ein Bündnis für ein besseres Schulgesetz, das heißt für ein anderes Schulgesetz, als Sie es planen, auch von der Frauen Union der Landes-CDU unterstützt wird.

(Widerspruch bei der CDU)

In der Regierung sitzen und gegen die Regierungspolitik opponieren - das müsste man Frau Staatssekretärin Wiedemann vielleicht einmal sagen -, das haben bislang tatsächlich nur die Grünen geschafft.

(Beifall bei der FDP - Zuruf von Ministerprä- sident Peter Harry Carstensen)

- Das wird vom Landesvorsitzenden der CDU dementiert. Gut, ich nehme diese kleine Anmerkung gern zurück, Herr Ministerpräsident, wenn Ihre Anmerkung hier denn zutrifft. Aber gleichwohl wissen Sie, dass es auch in den Reihen Ihrer Partei nicht wenige gibt, die dieses Vorhaben, was hier präsentiert wird, sehr kritisch sehen.

(Zuruf von Ministerpräsident Peter Harry Carstensen)

- Nein, nein, das ist ganz anders. Wir haben die Unterstützung, Sie haben sie nicht. Sie müssen einmal

an den Veranstaltungen teilnehmen, bei denen es um Ihre Schulpolitik geht, das tun Sie aber nicht.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, der weitgehende Umbau des Schulsystems wird viele Kräfte binden, viel Geld kosten und keinen der Mängel im bisherigen Bildungsangebot beseitigen. Dort, wo Schulen bereits heute Qualität sichern, werden ohne Not intakte Strukturen zerstört. Das betrifft ganz besonders die Abschaffung der Realschulen, die ja bundesweit in ihrer Schulart in einer Spitzenposition stehen - zusammen mit Realschulen aus BadenWürttemberg und Bayern. PISA hat es gezeigt.

Meine Damen und Herren, es bleibt aus Sicht der FDP ein Kardinalfehler der Großen Koalition, die neue Schulart Regionalschule flächendeckend einzuführen, statt sie oder andere Kooperationsformen unterschiedlicher Schularten nur als Option vorzusehen, etwa für die Regionen, in denen dies durch die Entwicklung der Schülerzahlen künftig erforderlich wird oder vielleicht heute schon hier und da erforderlich ist.

(Beifall bei der FDP)

Wir kritisieren darüber hinaus auch die Umwandlung kooperativer und integrativer Gesamtschulen in das neue Modell Gemeinschaftsschule. Die Gemeinschaftsschule ist eine Schmalspurvariante der Gesamtschule mit weniger differenzierter Förderung und damit absehbar schlechteren Leistungsergebnissen.

Im Übrigen ist auch mancher in der SPD nicht von dem überzeugt, was die Sozialdemokraten - hierzulande jedenfalls - als den großen Renner in der Schulpolitik propagieren. Der Berliner „Tagesspiegel“ berichtete am 18. Dezember 2006 über ein Positionspapier der Berliner SPD zur Gemeinschaftsschule, in dem Zweifel geäußert werden, ob der finanzielle und personelle Mehraufwand, den diese Schulform erfordert, leistbar sei und in einem vertretbaren Verhältnis zum Ergebnis stehe.

Ich finde es auch erstaunlich, dass CDU und SPD die Kritik der Opposition an ihrer Schulpolitik nicht gelten lassen wollen, wo doch hierzu in den Reihen der Regierungsparteien selber manche kritische Stimme laut wird. Wenn man einmal ins Ausland blickt: Die britischen Sozialdemokraten haben dies sei am Rande angemerkt - in jüngster Zeit das Ende der monolithischen Gemeinschaftsschule, der monolithischen Comprehensive School, proklamiert, die Entwicklung unterschiedlicher Schultypen eingeleitet und sich - Zitat - für die „Anerken

(Dr. Henning Höppner)

nung unterschiedlicher Fähigkeiten und Begabungen“ ausgesprochen. Man höre und staune!

Die CDU mag geglaubt haben, mit ihrem Modell Regionalschule dem SPD-Modell Gemeinschaftsschule Steine in den Weg legen zu können. Bei der Großen Koalition hat man nun einmal zwei Regierungen in einer und jeder will - wie das bei Loriot und Evelyn Hamann heißt - „etwas Eigenes“ haben.

Dass die Rechnung der CDU nicht aufgeht, wird immer deutlicher. Durch die flächendeckende Einführung der Regionalschulen werden alle Schulträger von Haupt- und Realschulen gezwungen, sich entweder für die Regionalschule oder für das Modell Gemeinschaftsschule zu entscheiden. Vielfach wird dann aus unterschiedlichen Motiven eher das SPD-Modell favorisiert,