Protokoll der Sitzung vom 27.05.2005

Guten Morgen, meine Damen und Herren! Ich eröffne die 5. Sitzung und begrüße Sie alle sehr herzlich, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Erkrankt sind die Herren Abgeordneten Günter Neugebauer, Peter Sönnichsen und Jens-Christian Magnussen. Noch einmal von dieser Stelle gute Genesungswünsche.

(Beifall)

Wegen dienstlicher Verpflichtungen auf Bundesebene sind Ministerpräsident Carstensen, Innenminister Dr. Stegner, Finanzminister Wiegard beurlaubt.

Auf der Besuchertribüne begrüße ich Schülerinnen und Schüler des Emil-von-Behring-Gymnasiums aus Großhansdorf

(Beifall)

sowie Schülerinnen und Schüler der HeinrichAndresen-Realschule aus Sterup. - Seien Sie uns herzlich willkommen!

(Beifall)

Wir treten wieder in die Tagesordnung ein. Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf:

Branchenspezifische Mindestlöhne und Ausweitung des Entsendegesetzes

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/20

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Herr Abgeordnete Klaus Müller.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Antrag fordern wir die neue Landesregierung auf, sich für die Einführung regionaler und branchenspezifischer Mindestlöhne sowie die Ausweitung des Entsendegesetzes auf alle Wirtschaftsbranchen einzusetzen und dies dann auch im Bundesrat zu unterstützen.

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

- Danke, Lars.

Aus unserer Sicht gehört dazu die Erleichterung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen, eine Reform des Gesetzes über die Mindestar

beitsbedingungen von 1952 sowie die Ausweitung des Entsendegesetzes über das Baugewerbe hinaus.

Eine soziale Wirtschaftspolitik hat Mindeststandards für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer genauso wie faire Wettbewerbsbedingungen für kleine und mittelständische Unternehmen zu sichern. Es darf weder für deutsche noch für ausländische Beschäftigte, die in Deutschland arbeiten, ein Lohndumping geben. Durch die im Entwurf vorliegende Dienstleistungsrichtlinie der EU und das darin enthaltene Herkunftslandprinzip hat die Diskussion über Mindestlöhne und Lohndumping eine neue Qualität erreicht. Ein generelles Absinken des Lohnniveaus muss effektiv verhindert werden und der Verarmung von einzelnen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern am unteren Ende des Einkommensspektrums ein wirksames Instrument entgegengestellt werden.

Die Bundesregierung hat reagiert. Am 11. Mai hat das Bundeskabinett über die Novellierung des Arbeitnehmerentsendegesetzes beraten und folgende Eckpunkte beschlossen: Aufhebung der Branchenbeschränkung, Anpassung der Kontrollvorschriften zur Einhaltung der maßgeblichen Arbeitsbedingungen an den erweiterten Geltungsbereich.

Mit einer Ausweitung des Arbeitnehmerentsendegesetzes auf alle Branchen können ausländische Arbeitgeber verpflichtet werden, den deutschen branchenüblichen tariflichen Mindestlohn zu zahlen. Damit das wirkt, müssen die Tarifvertragsparteien bundesweit geltende Tarifverträge in den Branchen abschließen. Wegen des EU-Verbots der Diskriminierung müssen ausländische Arbeitgeber nämlich nur dann deutsche Tarifverträge einhalten, wenn diese Verträge auch für alle deutschen Arbeitgeber der betreffenden Branche gelten. Der Bundesinnungsverband der Gebäudereiniger will als erste Branche Mindestlöhne nach den Möglichkeiten der erweiterten Entsendegesetzes festlegen. Bis Mai 2006 ist diese Branche noch vor Billigkonkurrenz aus anderen Ländern geschützt. Auch das Fleischerhandwerk denkt darüber nach. Da gilt es allerdings, 17 verschiedenen Tarifverbände unter einen Hut zu bringen.

Wir setzen uns für branchenbezogene Mindestlöhne in Deutschland ein. Ein einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn kann dagegen nicht die Lösung sein. Wird er zu niedrig angesetzt, können niedrige Löhne weiter auf Mindestlohnniveau gesenkt werden, ist er zu hoch, geraten in Branchen mit niedrigen Tariflöhnen die Arbeitsplätze in Gefahr. Eine Erleichterung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen ermöglicht die Festsetzung von branchenbezogenen Mindestlöhnen. Schon heute ist mit dem

(Klaus Müller)

Arbeitnehmerentsendegesetz für den Baubereich die Möglichkeit gegeben, dies zu erreichen. Diese Möglichkeit sollten wir ausweiteten.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Eine Ergänzung des Gesetzes über Mindestarbeitsbedingungen von 1952 würde Mindestlöhne für Branchen ermöglichen, in denen keine Gewerkschaften oder Arbeitgeberverbände bestehen und keine AVEs die Arbeits- und Entgeltbedingungen regeln.

Von Kritikern der Mindestlohnstrategie wird manchmal die Bauwirtschaft als Zeuge angeführt. Dort gibt es tarifliche Mindestlöhne, trotzdem hat sich der Niedergang fortgesetzt. Das ist richtig. Hier wird aber Ursache und Wirkung verkehrt. Der Arbeitsplatzabbau in der Bauwirtschaft hat ganz unmittelbar mit dem Abflauen der Bausonderkonjunktur in den neuen Bundesländern zu tun. Ich bin mir sicher, ohne die Mindestlöhne wären noch wesentlich mehr Arbeitplätze in Deutschland vernichtet worden. Die Politik darf der Lohndumpingentwicklung nicht tatenlos zusehen. Politik muss handeln, um zu verhindern, dass noch mehr Menschen in den Bereich des Working poor abgedrängt werden, wie uns andere Länder das vormachen.

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Müller. - Für die Fraktion der CDU erteile ich Herrn Abgeordneten Johannes Callsen zu seiner ersten Rede das Wort. Ich bitte um Aufmerksamkeit.

(Beifall)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Während über die notwendige und wirksame Bekämpfung von Lohndumping sicherlich schnell Einigkeit zu erzielen sein dürfte, gibt es doch hinsichtlich des richtigen Weges den einen oder anderen Unterschied. An der mit diesem Antrag beabsichtigten Ausweitung des Entsendegesetzes gibt es jedenfalls Zweifel, ob dies das richtige Instrument ist. Es dürfte nämlich im Ergebnis zu einer sicherlich nicht gewollten Schwächung der Tarifautonomie führen, ohne den Betroffenen in der Sache wirklich zu helfen.

So jedenfalls gehen Wirtschaftsverbände wie der Deutsche Industrie- und Handelskammertag davon aus, dass die Ausweitung des Entsendegesetzes die Situation am Arbeitsmarkt verschlimmern würde; ein weiterer Anstieg der Arbeitslosigkeit und mehr Schwarzarbeit und zusätzliche Verlagerungen von

Produktion und Arbeitsplätzen ins Ausland wären die Folge.

(Beifall bei CDU, FDP und vereinzelt bei der SPD)

Die Probleme, die etwa auf den Schlachthöfen entstanden sind, können durch das Entsendegesetz gar nicht gelöst werden, weil nämlich die osteuropäischen Fleischer dort als Selbständige in den Schlachthöfen arbeiten und somit nicht unter das Gesetz fallen. Sie profitieren von der Dienstleistungsfreiheit in der EU, die die Koalition in Berlin für einen Übergangszeitraum nicht eingeschränkt hat, wie es der Bundesrat ausdrücklich gewünscht hatte. Auch die kürzlich unterzeichnete Beitrittsakte von Rumänien und Bulgarien zur EU enthält Erklärungen der Bundesregierung, in denen sie sich verpflichtet hat, den Staatsangehörigen dieser Länder einen verstärkten Zugang zum nationalen Arbeitsmarkt einzuräumen. Erst dadurch werden nationale Regelungen erforderlich, um Lohn- und Sozialdumping zu bekämpfen.

Wie schwierig die Interessenlage im Übrigen ist, zeigt auch die Forderung eines großen dänischen Fleischereikonzerns nach Mindestlöhnen in Deutschland. Auf diese Weise soll „vor allem die Konkurrenz gebunden werden“, hat sogar die Gewerkschaft Nahrung, Genussmittel, Gaststätten erkannt. Was die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen angeht, haben wir in Deutschland die gute Tradition, dass sich die Tarifvertragsparteien hierüber verständigen. Auf dieser Basis ist es dann auch ganz normal, Allgemeinverbindlichkeitserklärungen für und von Tarifverträgen abzugeben. Die Entscheidung hierüber sollte aber Branche für Branche neu getroffen werden und darf nicht in das Belieben - wie es hier beabsichtigt ist - von nur einer Tarifvertragspartei gestellt werden. Denn damit hebeln wir die Tarifautonomie in Deutschland aus.

(Beifall bei CDU und FDP)

Um es klarzustellen: Allgemeinverbindlichkeitserklärungen für die gesamte deutsche Wirtschaft sehen wir durchaus problematisch. Wir verschließen uns aber auch nicht der grundsätzlichen Prüfung einer befristeten Ausweitung des Entsendegesetzes auf einzelne Branchen. Voraussetzung dafür ist, dass beide Tarifparteien diesen Schritt wollen.

Die Bundesregierung ist aufgefordert, ihren Gesetzvorschlag mit Fakten über die tatsächliche Situation zu untermauern, um im Interesse einer wirklichen und notwendigen Bekämpfung des Lohndumpings geeignete Maßnahmen einleiten zu können. Vor diesem Hintergrund sollte sich auch der Wirtschaftsausschuss des Landtages im Dialog mit den betroffenen Ver

(Johannes Callsen)

bänden mit dieser Frage und entsprechenden Lösungsmöglichkeiten befassen. Ich beantrage daher die Überweisung federführend in den Wirtschaftsausschuss und mitberatend an den Sozialausschuss.

(Beifall)

Herzlichen Dank, Herr Callsen. - Für die SPDFraktion hat jetzt Her Abgeordneter Olaf Schulze das Wort. Ich bitte auch hier um Ihre geschätzte Aufmerksamkeit für seine erste Rede.

(Beifall)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Arbeitslosigkeit ist das vordringlichste Problem in Schleswig-Holstein. Der Ministerpräsident hat dies am Mittwoch in seiner Regierungserklärung noch einmal bekräftigt. Wir werden uns mit aller Kraft dafür einsetzen, dass neue Arbeitsplätze in Schleswig-Holstein geschaffen werden und vorhandene Arbeitsplätze hier erhalten bleiben.

(Vereinzelter Beifall)

Seit Jahren werden Arbeitsplätze ins Ausland verlagert. Die Globalisierung als mehrdimensionaler Prozess der Zunahme der Nationen übergreifenden wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Beziehungen ist grundsätzlich eine gute Sache. Die Globalisierung führt jedoch in Teilen der Wirtschaft dazu, dass die Arbeitnehmer oft nur noch als Kostenfaktor wahrgenommen werden. Die sozialen Gesichtspunkte der Globalisierung gehen dabei sehr schnell verloren.

Durch das Zusammenwachsen Europas nimmt der Druck auf Arbeitnehmer und Unternehmer weiter zu. Die EU-Dienstleistungsfreiheit trägt dazu bei, dass Firmen aus dem europäischen Ausland Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hier beschäftigen können, ohne dass sie den hier geltenden tariflichen Regelungen unterliegen. Dem Druck auf Löhne und Gehälter müssen sich alle Arbeitnehmer und Arbeitgeber stellen. Das bedeutet oft, dass Arbeitnehmer massive Lohneinbußen haben oder gleich - wenn sie extrem viel Pech haben - entlassen werden.

Meine Damen und Herren, unsere Politik muss sich für die Regeln einsetzen, die den Menschen in Schleswig-Holstein ihr Einkommen sichern. Wir dürfen den Menschen nicht die Existenzgrundlage in diesem Land nehmen.

(Vereinzelter Beifall)

Selbst Ronald Profalla, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und jeglicher sozialistischer Ideologie völlig unverdächtig, worin Sie mir ja wohl Recht geben -

(Lachen bei der CDU)