Protokoll der Sitzung vom 27.05.2005

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Antidiskriminierungsgesetz gehört zu denjenigen Vorhaben der rot-grünen Bundesregierung, die einen breiten Widerstand hervorgerufen haben. Dabei holt die Bundesregierung nur etwas nach, was die EU schon lange angemahnt hat, nämlich einen effektiven Schutz vor Benachteiligungen im Zivilrecht und im Arbeitsleben.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das stimmt doch nicht!)

(Anke Spoorendonk)

Dabei wird unter anderem eine Anlaufstelle eingerichtet, um Menschen, die beispielsweise am Arbeitsplatz aufgrund ihrer Religion, ihrer Weltanschauung, ihrer Behinderung, ihres Alters oder ihrer sexuellen Identität benachteiligt werden, die Möglichkeit einer umfassenden Beratung zu geben. Ein anderer Punkt ist, dass die Arbeitgeber angehalten werden, ihre Unterlagen für eventuelle Prozesse zu archivieren. Besonders dieser Punkt löst Kritik aus, weil dahinter eine neue bürokratische Belastung der Betriebe vermutet wird.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Nicht die Archivie- rung, sondern die Dokumentation!)

So weit erst einmal zum neuen Gesetz.

Allerdings zeigt der Blick auf die Antidiskriminierungsvorschriften, die wir bereits haben, dass ein Gesetz allein nicht viel bewegen kann. Seit 1980 zum Beispiel können Männer und Frauen, die aufgrund ihres Geschlechts am Arbeitsplatz diskriminiert werden, Schadensersatzansprüche geltend machen. Seit dem Inkrafttreten kam es erst zu 112 Prozessen; das sind rechnerisch vier Prozesse pro Jahr. Nun kann mir aber niemand erzählen, dass diese geringe Zahl von Prozessen ein Beleg dafür ist, dass Frauen in Deutschland im Arbeitsleben gleichberechtigt sind. Subtile Ausschlussprozesse führen dazu, dass der Anteil von Frauen in Führungspositionen in Deutschland europaweit zu einem der niedrigsten zählt. Professorinnen, Vorstandsvorsitzende und auch Ministerinnen sind in Deutschland auch im 21. Jahrhundert in der Minderheit.

Das zeigt zweierlei: Erstens. Die Befürchtungen vor einer Flut von Klagen gegen das Antidiskriminierungsgesetz sind unbegründet. Es ist nicht zu erwarten, dass das neue Gesetz alles auf den Kopf stellen wird. Zweitens. Auch ein Gesetz kann die Gleichstellung der Geschlechter nicht einfach verordnen. Die Lebenswirklichkeit richtet sich nach anderen als gesetzlichen Vorgaben. Man kann nur die schlimmsten Auswüchse verhindern.

Den Kollegen von der FDP-Fraktion geht es aber um etwas ganz anderes. Sie wollen ganz einfach keine Regelungen, die über die Vorgaben der EU hinausgehen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Warum sollten wir das denn machen?)

Das ist der Hebel, um Schleswig-Holsteins Ablehnung gegen das Gesetz im Bundesrat zu begründen. Diese Kritik ist nicht ganz neu. Aber auch andere Länder haben die bestehenden Spielräume genutzt und die Richtlinien erweitert. Die Merkmale Geschlecht und ethnische Herkunft reichen einfach

nicht aus. Die Vervollständigung ist richtig und, was das Merkmal Behinderung angeht, übrigens auch im Sinne des Grundgesetzes. Die Bundesregierung ist sich darüber hinaus durchaus bewusst, dass sie mit der Öffnung der Anlaufstelle für alle von Diskriminierung Betroffenen die Richtlinien erweitert. Ich halte es durchaus für sinnvoll, dass man es so macht, wie es im Gesetzentwurf vorgeschlagen wird, statt innerhalb der Diskriminierungsgründe eine Hierarchie einzuziehen.

Eine letzte Bemerkung! Ich denke, gerade das, was die Kollegin Langner vorhin sagte, ist wichtig. Wenn man die Menschen nur als Kostenfaktor betrachtet, erhält man nicht die Unternehmenskultur beziehungsweise Gesellschaftsstruktur schlechthin. Wir brauchen eine Gesellschaft, in der es zu den Werten gehört, dass für alle Menschen gleichberechtigte Möglichkeiten der Teilhabe am Berufs- und Gesellschaftsleben vorhanden sind. Das sind Werte und Standortfaktoren. Mit diesen Werten können wir wuchern.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das sind doch al- les Sprüche!)

Darum denke ich, wir müssen allmählich davon wegkommen, diese neoliberalen Berechnungsmethoden durchgehen zu lassen. Ich werde mich weiterhin vehement dagegen aussprechen.

(Beifall beim SSW)

Zu einem Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung hat der Vorsitzende der Fraktion der FDP, Herr Abgeordneter Wolfgang Kubicki, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin immer ganz begeistert, wenn ich von den Kolleginnen und Kollegen des SSW Bekenntnisse zu Werten, zur Menschenwürde und zu anderen Dingen mehr erfahre, auch mit dem Anspruch, dies sei nur bei ihnen der Fall, nicht aber bei uns. Wir müssen vielleicht von den Sonntagsreden wegkommen und uns fragen, was die praktischen Konsequenzen von bestimmten gesetzgeberischen Vorhaben sind. Abgesehen davon hat die große Koalition vereinbart, dass man ohnehin nur ein zu eins umsetzen will. Das entspricht unserem Antrag.

Ich komme zu drei zentralen Punkten, über die man bei jemandem, der im Erwerbsleben steht, der Gespräche dieser Art führen muss und der eine Vielzahl von Menschen in diesem Bereich vertritt, die mit

(Wolfgang Kubicki)

gleichen Problemen konfrontiert werden, reden muss. Wenn wir sämtliche Diskriminierungstatbestände auf alle Regelungen des Zivilrechts und des Mietrechts ausdehnen, bekommen wir mit den weiteren Regelungen dieses Gesetzesvorhabens, nämlich der Beweislastumkehr und der Dokumentationspflicht, ein Riesenproblem. Ich will kurz versuchen, das zu erklären.

Wenn wir bei uns eine Stelle ausschreiben, erhalten wir zwischen 80 und 100 Bewerbungen. Davon laden wir, nachdem wir uns die Zeugnisse und Lebensläufe angeguckt haben, ungefähr zehn bis zwölf Bewerber zu Besprechungen ein. Ich müsste, wenn das Gesetz in Kraft träte, die Gespräche nicht mehr allein, sondern in Begleitung eines Zeugens führen. Wenn ich das nicht mache, reicht die Erklärung eines der Beteiligten aus, es sei mit einem Halbsatz ein Diskriminierungstatbestand geschaffen worden, was er durch eine eidesstattliche Versicherung glaubhaft macht, und ich habe eine Beweislastumkehr. Ich muss dann beweisen, dass ich nicht diskriminiert habe. Das bedeutet, dass ich für jedes meiner Bewerbungsgespräche einen Zeugen brauche.

Ich muss das dokumentieren. Ich nehme an, Sie wissen, wovon Sie reden, wenn Sie den Kopf schütteln. Ich muss das dokumentieren, weil ich ein halbes Jahr die Möglichkeit habe, dass jemand, der sich diskriminiert fühlt, dagegen klagt. Die Dokumentationspflicht ist notwendige Voraussetzung dafür, dass ich etwas belegen, glaubhaft machen und dem entgegentreten kann.

Was glauben Sie eigentlich, wie viele Bewerbungsgespräche ich noch führen werde? Was glauben Sie eigentlich, was ein Vermieter, der eine Reihe von Vermietungsgesprächen führt, noch machen wird? Die werden sich jetzt auf einen ganz kleinen Bereich konzentrieren. Sie werden genau das Gegenteil von dem erreichen, was Sie erreichen wollen. Sie werden nämlich eine Diskriminierung bei der Vorauswahl erreichen, die bisher nicht stattgefunden hat. Dies wird ganz massiv geschehen, um Klagen zu entgehen.

Sie schaffen eine Verbandsklage. Ein Verein mit mindestens 70 Mitgliedern, von denen wir einige haben, wäre in der Lage, sich die Interessen abtreten zu lassen und die Klageverfahren zu führen. Frau Spoorendonk, ich kann Ihnen sagen, was passiert. Eine Heerschar von jungen Anwaltskollegen wird sich dieser Angelegenheit bemächtigen und selbstverständlich eine Vielzahl von Klagen auf den Weg bringen. Sie können sich ausrechnen, wenn sie als Verein nur 10 % dieser Klagen erfolgreich bestreiten, dann haben sie bereits ihre Lebensfähigkeit garantiert. Ich kenne das von den Wettbewerbsvereinen. Dem

treten wir auch in entsprechender Weise gegenüber, weil wir festgestellt haben, wie viel Missbrauch damit getrieben worden ist. Diesem Missbrauch müssen wir entgegenwirken.

Viel wesentlicher für mich ist noch das Folgende: Nachdem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei der Anhörung schlau geworden sind, haben sie erklärt, bei der Vermietung soll in bestimmten Wohnbereichen eine Diskriminierung zugelassen werden, und zwar ganz systematisch und konsequent. Wenn es der Durchmischung der Wohnbevölkerung dient, so steht es in dem Entwurf, soll eine Diskriminierung zugelassen werden. Das finde ich in der Tat eine ganz gravierende Untermauerung dieses Gesetzesvorhabens.

Anke Spoorendonk, das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Der Gesetzentwurf ist gut gemeint, aber er ist schlecht. Er ist deshalb schlecht, weil er sämtliche Diskriminierungstatbestände zusammenfassen will und auf alle Regelungsbereiche - auch auf das Zivilrecht - überstülpen will. Das kann nur schief gehen. Ich warne daher dringend davor, mehr zu tun, als das, was die Europäische Union auf den Weg gebracht hat.

(Beifall bei der FDP)

Für die Landesregierung erteile ich nunmehr Herrn Minister Uwe Döring das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich nicht gedrängelt, diesen Redebeitrag zu halten. Da ich ihn aber halten muss, halte ich ihn so, wie ich ihn für richtig halte.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das ist ein guter Grundsatz!)

- Ja, Herr Kubicki, das ist richtig. Ich werde mir damit nicht nur Freunde machen, daher fange ich gleich damit an. Gut gedacht, falsch gemacht. Unter diesem Titel könnte das stehen, was sich im Zuge der Umsetzung der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinie abgespielt hat. Zur Historie kann ich mich kurz fassen, weil viele der Vorredner diese schon dargestellt haben. Es ist so, dass insgesamt vier EU-Richtlinien bestehen, die in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Die vier Richtlinien - es wurde schon gesagt - betreffen überwiegend die Bereiche Arbeits- und Ausbildungsrecht und allgemeines Zivil- und Vertragsrecht. Welche Bereiche sie genau umfassen, muss von mir nicht wiederholt werden, da dies bereits gesagt wurde.

(Minister Uwe Döring)

So weit, so gut. Hätte Deutschland diese Richtlinien so umgesetzt, wie sie in Brüssel verabschiedet worden sind, hätte das ein Musterbeispiel dafür sein können, dass es in Europa auch einmal einfach sein kann. Stattdessen wurden - wie hier dargestellt - im Bundestag entsprechende Entwürfe konzipiert, die alle Bereiche jedweder Benachteiligung aufgreifen und damit im Kern weit über die EU-Vorgaben hinausgehen.

Das Gefährlich an einer Debatte ist immer, dass man schnell in eine falsche Ecke gestellt wird. Im Ziel sind wir uns alle einig. Es gibt auch in Deutschland nicht hinnehmbare Formen von Ungleichbehandlung und Diskriminierung. Wir sind uns auch alle einig darin, dass die deutliche Mehrheit der Bevölkerung solche Diskriminierung nicht will. Der gemeinsame Wille ist also da und wir haben auch viele Gesetze dafür. Trotzdem hapert es an der einen oder anderen Stelle immer wieder. Ich weiß nicht, ob mehr Gesetze viel mehr Sicherheit bringen.

(Beifall bei der FDP)

Ich kann nur unterstreichen, was gesagt worden ist. Eine neue vorgesehene Paragraphensammlung darüber hinaus wird - jedenfalls nach meiner Überzeugung - eine ganze Reihe an unbeabsichtigten Nebenwirkungen enthalten und damit mehr Probleme schaffen als lösen. Durch den Antidiskriminierungsgesetzentwurf wird weitgehend der Eingriff in die Privatautonomie zugunsten bestimmter Gruppen vorgenommen, der nach EU-Recht nicht erforderlich ist und im Übrigen auch nach Artikel 3 Grundgesetz nicht erforderlich ist.

Mir sei gestattet, hier die Bemerkung zu machen: Wir haben in einfachen Gesetzen allein 86 verschiedene Regelungen zur Gleichbehandlung von Behinderten. Zum Schutz der Behinderten gibt es schon eine ganze Menge. Ich will nicht sagen, dass dies deswegen nicht notwendig ist.

Hier wird eine weitgehende folgenschwere Einschränkung grundgesetzlich garantierter Vertragsfreiheiten in Kauf genommen. Sie haben es eben gesagt, was Private künftig verlangen und nachweisen müssen. Das wesentlich Neue an dieser ganzen Angelegenheit ist - hier teile ich ausdrücklich das, was Herr Kubicki gesagt hat - die Beweisumkehr. Das ist etwas, was wir in wenigen Rechtsgebieten haben. Hier kann es in der Tat dazu führen, dass wir zu einer Vielzahl von Prozessen kommen. „Der Spiegel“ titelte: Weckruf für Prozesshansel.

Wir können dies in Amerika sehen, wenn wir betrachten, was dort mit dem entsprechenden Civil Rights Act aus den 60-er Jahren passiert ist. Es hat sich dort in diesem Bereich eine Prozessindustrie entwickelt,

die im Wesentlichen nicht darauf hinaus will, dass Diskriminierung abgeschafft wird. Vielmehr will man entsprechende Entschädigungen erlangen.

Verbunden damit ist ein erheblicher Aufwand in der bürokratischen Umsetzung. Möglicherweise soll eine entsprechende Bürokratie aufgebaut werden, die dies zu überwachen hat. Verwaltung ist nicht immer von Übel. Angesichts der umfassenden Regelungen, die hier getroffen werden müssten, wäre das eine Sache, die sicherlich einen erheblichen Umfang hätte. Es ist von mindestens 30 Planstellen die Rede, die möglicherweise entstehen könnten.

Deutschland ist das letzte Land, das sich an die Umsetzung macht. Wir sollten diese Richtlinien umsetzen. Alle anderen Mitgliedstaaten haben das bereits getan. Hätten wir uns den politischen Hickhack erspart und die Richtlinien eins zu eins umgesetzt, stünde das Antidiskriminierungsgesetz längst im Bundesgesetzblatt.

(Beifall bei CDU, FDP und des Abgeordne- ten Holger Astrup [SPD])

Für mich als Minister für Justiz, Arbeit und Europa gibt es bei der Angelegenheit zwei Konsequenzen, wobei ich mich darin von meiner Vorgängerin unterscheide. Schleswig-Holstein wird gegenüber den anderen Ländern und dem Bund dafür plädieren, einer Erweiterung der Bürokratie durch das Antidiskriminierungsgesetz in größtmöglichem Maß entgegenzuwirken. Ich werde der Landesregierung empfehlen, den Vermittlungsausschuss anzurufen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Den zweiten Maßstab entleihe ich den Worten meiner Kollegin auf Bundesebene. Frau Ministerin Zypries sagte: „Ein umfassendes zivilrechtliches amtliches Diskriminierungsgesetz, das mehr Probleme schafft als löst, ist der falsche Weg.“ - Sie hat Recht!

(Beifall bei CDU, FDP und vereinzelt bei der SPD)

Ich danke Ihnen, Herr Minister Döring. - Zu einem Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich der Vorsitzenden der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Frau Abgeordneter Anne Lütkes, das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident! Gestatten Sie mir nur zwei kurze Feststellungen. Herr Minister, ich stelle fest, dass in Ihrer Rede zwei unterschiedliche Positionen vertreten worden sind. Die erste heißt im Klar