Protokoll der Sitzung vom 25.01.2007

Arbeitslosigkeit macht krank - psychisch wie physisch - und Arbeitslosigkeit macht arm, nicht nur während der Arbeitslosigkeit selbst, sondern auch im Alter, wenn die erworbenen Ansprüche an die Rentenversicherung nicht ausreichen. Nicht nur die Arbeitslosen sind arm, sondern auch der Staat, denn Arbeitslosigkeit ist sehr teuer und die Kosten trägt die gesamte Gesellschaft.

Die Situation auf dem Arbeitsmarkt wird auch aber nicht nur - bestimmt von der wirtschaftlichen Entwicklung in Schleswig-Holstein. Und die sieht, wie Ministerpräsident Carstensen dargestellt hat, gut aus. Sie entwickelt sich ebenso wie die deutsche und die gesamte europäische Wirtschaft positiv.

Die Sondertagung des Europäischen Rates in Lissabon im Frühjahr 2000 hat das Ziel formuliert, der Gemeinschaftspolitik neue Dynamik zu verleihen und die Europäische Union zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt auszubauen, die sogenannte Lissabon-Strategie. Dabei wurde dem Bürokratieabbau eine zentrale Rolle zuerkannt. Bürokratieabbau ist wichtig, ohne Zweifel, er soll, das darf dabei nicht in Vergessenheit geraten, den Menschen dienen.

(Beifall der Abgeordneten Anke Spooren- donk [SSW])

Das bedeutet, dass wir weiterhin Regulationsmechanismen brauchen, die sich an unseren gesellschaftspolitischen Zielen orientieren, nicht nur am Interesse der Wirtschaft.

(Lars Harms [SSW]: Sehr gut!)

Denn das wirtschaftliche Interesse ist nicht automatisch eines, das allen Menschen dient.

(Beifall bei SPD und SSW)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, trotz steigender Gewinne in einigen Branchen werden dort noch Arbeitsplätze abgebaut. Wir können das jeden Tag in den Zeitungen lesen. Trotz starker Lohnzurückhaltung der Gewerkschaften und der Ausweitung des Niedriglohnbereichs werden immer noch Produktionsstandorte ins Ausland verlagert. Ein Beispiel: Das verarbeitende Gewerbe, das mit 6 % einen im Bundesvergleich hohen Umsatzzuwachs hatte, baute ebenfalls im Bundesvergleich mit -2,2 % die meisten Stellen ab. Hier müssen wir die Diskussion darüber führen, dass dies nicht die richtige Wirtschaftspolitik ist und eine falsche Entscheidung von Unternehmen, ob sie nun Siemens, BenQ oder wie andere bedeutende deutsche Unternehmen heißen. Sie haben auch eine Verpflichtung, in Deutschland nach wie vor in Arbeitsplätze zu investieren.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Die Wirtschaftsstruktur in Schleswig-Holstein unterscheidet sich von der in anderen westdeutschen Ländern: Öffentliche und private Dienstleistungen sowie Handel, Gastgewerbe und Verkehr sind stärker vertreten, während Unternehmensdienstleistungen und das produzierende Gewerbe eine geringere Rolle einnehmen. In Schleswig-Holsteins Wirtschaft überwiegen weiterhin die kleinen und mittleren Betriebe. Von den 72.500 Betrieben in Schleswig-Holstein haben lediglich 328 über 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das sind gerade einmal 0,5 % der schleswig-holsteinischen Betriebe. Das macht uns auch etwas weniger krisenanfällig, da unsere Struktur eine etwas andere ist.

Der Weg, den wir in Schleswig-Holstein mit dem Zukunftsprogramm gehen wollen, ist richtig. Wir stärken die wirtschaftlichen Schwerpunkte, die wir haben. Unsere Kompetenzfelder sind die Life Sciences, die maritime Wirtschaft, der Energiesektor, Informations- und Kommunikationstechnologien, Mikro- und Nanotechnologie, Tourismus, Ernährung, Chemie und Mineralölverarbeitung sowie Luftfahrt - und Verkehrstechnik. Das sind die Clusterbereiche, die Bernd Rohwer in der vergangenen

(Lothar Hay)

Legislaturperiode immer wieder für die Weiterentwicklung des Landes positiv hervorgehoben hat.

(Beifall bei der SPD)

Das Exzellenzcluster „Ozean der Zukunft“ zeigt, dass wir auch bundesweit sehr gut aufgestellt sind. Allein die maritime Wirtschaft umfasst 1.400 Unternehmen mit 45.000 Beschäftigten. Das ist ein Kompetenz- und Zukunftsfeld, das wir in den nächsten Jahren weiter intensiv ausbauen sollten.

(Beifall bei der SPD)

Hierzu werden wir im Landtag sicherlich noch das eine oder andere zu sagen haben.

In diesen Zusammenhang - der Kollege Wadephul hat es angesprochen - gehört auch der Ausbau der beiden bedeutendsten Ostseehäfen in SchleswigHolstein, in Kiel und Lübeck. Ich glaube, dass man - was Kiel betrifft - auch darüber nachdenken müsste, dass hier eine Privatisierung geplant ist. Das ist aus meiner Sicht der falsche Weg.

(Beifall bei der SPD - Rolf Fischer [SPD]: Sehr richtig!)

Wir stehen in einer Konkurrenzsituation auch zu Rostock. Wenn ich sehe, was in Rostock mithilfe des Landes Mecklenburg-Vorpommern, aber auch mithilfe der Bundesregierung gemacht wird, dann müssen wir auch in diesem Punkt in Berlin tätig werden und darauf hinweisen: Es gibt nicht nur einen deutschen Ostseehafen, sondern es gibt zumindest zwei weitere, die bedeutender sind als Rostock.

(Beifall bei der SPD)

Der Tourismus prägt im Sommer weite Teile Schleswig-Holsteins. Dennoch ist es zurzeit so, dass andere Urlaubsgebiete noch vor uns liegen. Das neue Tourismuskonzept setzt auf landesweit abgestimmtes Handeln. Es konzentriert sich besonders auf Familien und auf ältere Menschen und es wird zusätzlich gezielt Angebote im hochwertigen Sektor schaffen. Die brauchen wir auch, weil wir auch die Urlauber, die mehr Geld haben, nach Schleswig-Holstein holen wollen. Wir haben bereits 2006 dafür die Weichen gestellt und verstärkt investiert. Ich bin zuversichtlich, dass es uns gelingt, uns mit einem zielgruppenspezifischen, attraktiven Angebot stärker zu profilieren.

Außer Meer und Wellness hat Schleswig-Holstein schöne Städte zu bieten. Dabei denke ich natürlich von Flensburg bis Lübeck gerade an Städte an der Ostseeküste, will aber auch Friedrichstadt und Heiligenhafen nicht verschweigen. Eigentlich könnte man alle Städte Schleswig-Holsteins nennen.

(Zuruf von der SPD: Husum!)

- Husum natürlich.

Der Städtetourismus muss allerdings noch stärker verankert werden. Das betrifft sowohl das Freizeitangebot als auch den Kongresstourismus. Wir können mit unserer attraktiven Lage und mit den vorhandenen Kapazitäten hier weitere Ressourcen erschließen. Dies hat der Kollege Neugebauer in der Vergangenheit schon mehrfach in Haushaltsreden gesagt.

(Beifall bei der SPD)

Wir sollten uns stärker auf eine sektorübergreifende Förderung konzentrieren. In der nun begonnenen EU-Förderperiode sind die Regional- und die Arbeitsmarktförderung bei gleichzeitiger Eigenständigkeit der Programmteile zum Zukunftsprogramm Schleswig-Holstein zusammengeführt worden. Schleswig-Holstein erhält unter dem Strich mehr Geld als in der vergangenen Förderperiode aus den Fördertöpfen. Ich darf daran erinnern, dass wir vor noch gar nicht allzu langer Zeit hier im Landtag immer wieder die Sorge diskutiert haben, dass wir erheblich weniger bekommen würden. An dieser Stelle einen Dank an diejenigen, die in Brüssel verhandelt und zu einem solch guten Ergebnis für Schleswig-Holstein beigetragen haben.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich freue mich, dass es nach schwierigen Verhandlungen im letzten Jahr gelungen ist, die europäischen Mittel der neuen ELER-Verordnung zusammen mit den Bundes- und Landesmitteln für die neue sechsjährige Förderperiode ab diesem Jahr auf einem hohen Niveau zu halten. Für uns heißt Förderung des ländlichen Raumes nicht nur Förderung der Landwirtschaft. Wir sehen es etwas anders. Es geht darum, die Infrastruktur im ländlichen Raum zu fördern und zu stärken und die Entwicklung in den unterschiedlichen ländlichen Räumen voranzubringen. Das gilt für Wirtschaft, Tourismus, Verkehr, Verwaltungsreform bis hin zur Schule. Um die Ausrichtung dieser Förderung werden wir uns gern weiter aktiv einbringen und, wenn notwendig, auch mit unserem Koalitionspartner streiten, weil es hier um die Förderung des ländlichen Raumes insgesamt geht, damit hier Chancen für die Menschen geschaffen werden, die dort wohnen. Das bezieht die Landwirtschaft mit ein.

(Beifall bei der SPD)

Einen bereichsübergreifenden Ansatz beim Zukunftsprogramm Schleswig-Holstein, der von zentraler Bedeutung ist, habe ich gerade genannt. Wir haben aber wenig davon, wenn das Wachstum

(Lothar Hay)

der Wirtschaft ohne Beschäftigungswachstum erfolgt, und wir haben noch weniger davon, wenn die Schaffung von Arbeitsplätzen auf Kosten einer Belastung und einer Zerstörung der Umwelt geht. Deshalb setzen wir auf einen Ansatz, der unsere gesellschaftlichen Ziele insgesamt und nachhaltig berücksichtigt.

Der Ministerpräsident hat vorhin, was die Erschließung von Gewerbegebieten betrifft, darauf hingewiesen, dass wir uns vor allen Dingen um die Konversionsflächen bemühen müssen, und in diesem Zusammenhang ausdrücklich Eggebek genannt. Nun mag man mir nachsehen, dass dies ein Wahlkreis ist, den ich genauso wie Frau Spoorendonk und Frau Vizepräsidentin Tengler selbst vertrete. Was dort zurzeit abläuft, wenn es darum geht, diese Flächen zu erschließen, ist für mich ein Beispiel für eine nicht lobenswerte Bürokratie. Deshalb müssen wir noch einmal auf Bundesebene deutlich machen: Wir haben ein Interesse daran, dass diese Flächen möglichst schnell in Zusammenarbeit mit den örtlichen Planungsbehörden einer wirtschaftlichen Nutzung geführt werden, damit dort zusätzliche Arbeitsplätze entstehen.

(Beifall bei SPD, CDU, FDP und SSW)

Aber ich bin guter Hoffnung, da der oberste Dienstherr der BImA, der Bundesfinanzminister Steinbrück, zumindest Eggebek aus seiner Tätigkeit als Landeswirtschaftsminister kennen müsste.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, gemeinsam ist es der Koalition wichtig, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern. Dies gehört aus meiner Sicht und aus Sicht der SPD-Fraktion zu einem Zukunftsprogramm Schleswig-Holstein.

(Beifall bei der SPD)

Darüber hinaus gehört die intensive Weiterentwicklung der Gleichstellung zu unseren gesamtgesellschaftlichen Zielen. Frauen und Männer sollen gleichermaßen am Fortschritt teilhaben. Das liegt auch im Interesse der Wirtschaft. Betriebe können es sich zukünftig nicht mehr leisten, nicht nur wegen des demografischen Wandels, auf die Hälfte des möglichen Fachkräftepotenzials zu verzichten. Die Maßnahmen zur Vereinbarung von Familie und Beruf, die Männer und Frauen gleichermaßen betreffen, sind gut und richtig. Die Gesellschaft investiert in die Ausbildung von Frauen ebenso viele Ressourcen wie in die von Männern. Von den enormen Kompetenzen, die hieraus erwachsen, sollten Betriebe, Bildungsstätten, Forschungseinrichtungen und öffentliche Verwaltungen profitieren.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Damit bin ich bei dem Thema des Ausbaus von bedarfsgerechter qualifizierter Kinderbetreuung und der Verbesserung von Ganztagsangeboten in Schulen, die gerade dann wichtig sind, wenn wir mehr qualifizierte Arbeitskräfte in Schleswig-Holstein in die Betriebe bringen wollen.

Die staatliche Wirtschaftsförderung basiert auf einer Potenzialanalyse. Sie zielt darauf ab, Innovation zu stärken, die bestehenden Einrichtungen zu koordinieren, Wissenschaft und Wirtschaft stärker zu verzahnen und Schleswig-Holstein national wie international besser aufzustellen. Aber dies darf nicht nur für die Wirtschaft gelten, es muss auch auf alle anderen Politikbereiche angewandt werden. Für die SPD-Landtagsfraktion ist, wenn es um das Zukunftsprogramm Schleswig-Holstein geht, dieses Thema untrennbar mit dem Thema Bildung verbunden. Wir haben gestern mit dem novellierten Schulgesetz eine wichtige Entscheidung getroffen. Bei der Bildung geht die Koalition mit den Ganztagsangeboten, mit den Gemeinschaftsschulen, mit den Regionalschulen einen richtigen und zukunftsweisenden Weg. Die Unterstützung individueller Stärken ist ebenso wichtig wie gezielte Förderung dort, wo Nachholbedarf ist. Bislang schöpfen wir die Begabungsreserven nicht aus, weil eine strikte Aufteilung nach nur vier Grundschuljahren dazu geführt hat, dass die soziale Herkunft, nicht aber die Begabung entscheidend für den zukünftigen Bildungsweg und damit für die künftigen sozialen und beruflichen Chancen eines Kindes ist. Das können wir uns nicht länger leisten. Hier verschenken wir Potenzial, das wir für die Weiterentwicklung und die Zukunftsfähigkeit unseres Landes dringend brauchen.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Das Gleiche, was ich gerade eben bei der Weiterentwicklung des allgemein bildenden Schulwesens sagte, gilt für die Weiterentwicklung von Berufsschulen zu Regionalen Berufsbildungszentren. Sie werden in noch höherem Maße in der Lage sein, mit der Wirtschaft vor Ort konstruktiv zusammenzuarbeiten, und das nicht nur während der Zeit der dualen Ausbildung, sondern im gesamten Prozess lebenslangen Lernens. Die Fähigkeit, sich ständig neuen Anforderungen zu stellen, sie zu bewältigen, wird für die Zukunft unseres Landes entscheidend sein. Der betrieblichen und der außerbetrieblichen Weiterbildung kommt dabei eine Schlüsselfunktion für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes zu. Des

(Lothar Hay)

halb müssen wir auch in diesem Bereich mehr tun als bisher.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Angesichts grüner Berghänge auch im Winter, auch wenn sie inzwischen zumindest im südlichen Teil des Landes und etwas weiter im Süden von Schnee überzuckert worden sind, ist der Klimawandel ein Thema in den Medien. Meine Sorge ist aber, dass dieses Thema wie so viele Themen, die die Medien in den letzten Jahren aufgegriffen haben, sehr schnell wieder hinten herunterfallen wird und nur für kurze Zeit ein Highlight bleibt. Die bedrohlichen Szenarien des britischen Ökonomen Sir Nicolas Stern haben die Wahrnehmung für die heraufziehende Klimaveränderung auch bei den Menschen geschärft, die dieses Thema bisher erfolgreich verdrängt haben. Warten, bis andere ihr Verhalten ändern, ist falsch. Deshalb müssen wir, die wir als Schleswig-Holsteinerinnen und SchleswigHolsteiner zwischen den Meeren leben, mehr als bisher und mehr als andere tun. Wir brauchen nicht erst Sturmfluten, um dies zu begreifen. Wir müssen nicht erst den „Schwarm“ lesen, um die Bedrohung der weltweiten Fischerei durch Überfischung zu begreifen.

(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mensch, hast du den gelesen?)