Protokoll der Sitzung vom 22.02.2007

Schleswig-Holstein ist keine Insel der Glückseligkeit und selbstverständlich auch kein gefahrloser und bedrohungsfreier Raum. Wir als SPD-Landtagsfraktion stehen deshalb dazu, unserer Polizei für ihre verantwortungsvolle und gefährliche Arbeit auch zu ihrem eigenen Schutz alle verfügbaren rechtlichen und technischen Möglichkeiten an die Hand zu geben, ohne dass bürgerliche Freiheitsrechte dabei preisgegeben werden. Das Land und wir alle hier im Landesparlament haben eine Garantiefunktion nicht nur für die Freiheit, sondern auch für die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger.

(Beifall bei SPD und CDU)

Da gerade organisierte Kriminalität über finanzielle Mittel verfügt, die es erlauben, sich ständig modernster Technik zu bedienen, füge ich hinzu, dass verbesserte Technik nicht nur den Gegnern unseres Rechtsstaates und den Bedrohern unserer Sicherheit zur Verfügung stehen darf.

Welche gesetzlichen Möglichkeiten sind es, die wir unserer Polizei zukünftig an die Hand geben wollen? Ich nenne die vier wichtigsten. Erstens wollen wir im Grenzgebiet zur vorbeugenden Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität Anhalte- und Sichtkontrollen für Personen und Fahrzeuge ermöglichen. Dafür gibt es bisher keine Rechtsgrundlage im Landesgesetz. Die Bundespolizei darf solche Kontrollen durchführen, die Landespolizei hingegen nicht.

Zweitens wollen wir zur vorbeugenden Abwehr schwerer und schwerster Kriminalitätsgefahren zusätzlich zur jetzt schon möglichen Wohnraumüberwachung die Überwachung der Telekommunikation zulassen. Auch dafür gibt es im Landesgesetz bisher keine Rechtsgrundlage.

Drittens wollen wir die bisher ebenfalls schon mögliche Videoüberwachung allgemein zugänglicher Flächen und Räume auf polizeiliche Kriminalitäts

und Gefahrenschwerpunkte konzentrieren und dabei insbesondere zum Schutz und zur Eigensicherung der im Einsatz befindlichen Polizeibeamten generell Bild- und Tonaufzeichnungen zulassen.

Viertens geht es um einen zweijährigen Modellversuch, der nach dem Gesetz tatsächlich vorgesehen ist. Ich verweise hier auf Art. 5. Ich habe gestern in der Zeitung gelesen, die entsprechende Vorschrift sei gestrichen worden. Man muss den Gesetzentwurf also immer erst zu Ende lesen. In einem zweijährigen Modellversuch wollen wir ein automatisches Kfz-Kennzeichenlesesystem erproben. Allgemeine öffentliche Verkehrskontrollen sind straßenverkehrsrechtlich ja heute schon zulässig und werden auch weitgehend ohne Murren akzeptiert. Wir wollen bei öffentlichen Verkehrskontrollen künftig auch den Abgleich mit polizeilichen Fahndungsdaten ermöglichen.

Das alles soll und wird nach unserer Überzeugung geschehen, ohne dass wir verfassungsrechtlich gesicherte Grenzen überschreiten und ohne dass bürgerliche Freiheitsrechte, insbesondere das Recht auf Schutz der persönlichen Daten, über ein zulässiges und zumutbares Maß hinaus beeinträchtigt werden.

Wenn trotzdem immer wieder - mehr oder weniger pauschal - behauptet wird, alles, was da geplant ist, sei nicht verhältnismäßig und deshalb verfassungswidrig, kann, finde ich, nicht oft genug darauf hingewiesen werden, dass bei der erforderlichen Abwägung Folgendes ins Verhältnis gesetzt werden muss: Einerseits die Bedeutung eines relativ geringfügigen, aber natürlich unstreitigen Eingriffs in das verfassungsmäßige Recht auf informationelle Selbstbestimmung, auf den Schutz unserer persönlichen Daten vor Eingriffen des Staates und anderseits die Bedeutung ebenfalls unbestreitbar vorhandener Bedrohungen menschlichen Lebens und menschlicher Gesundheit durch internationalen Terrorismus und organisierte Kriminalität.

Meine Abwägung - und ich denke, nicht nur meine - habe ich mit dem Satz formuliert: „Wir dürfen für die Freiheit nicht den Tod von Menschen in Kauf nehmen.“ Auch auf die Gefahr hin, in bestimmten Kommentaren der Landespresse argumentativ und intellektuell noch tiefer zu sinken, wiederhole und unterstreiche ich diesen Satz.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das ist schlimm genug!)

Ich möchte zur Versachlichung der öffentlichen Kritik weitere Hinweise geben: Erstens. Wir diskutieren hier keinen Innenminister -, sondern einen Regierungsgesetzentwurf, für den alle Regierungs

(Klaus-Peter Puls)

mitglieder bis hin zum Ministerpräsidenten verantwortlich sind.

Zweitens. Gegen den Regierungsentwurf sind öffentlich, in der parlamentarischen Anhörung und durch den Wissenschaftlichen Dienst des Landtages eine Reihe insbesondere verfassungsrechtlicher Bedenken erhoben worden.

Drittens. Wir haben als SPD- und CDU-Landtagsfraktion die Ergebnisse der parlamentarischen Anhörung und das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes ausgewertet und die vorgetragenen Bedenken rechtlich bewertet.

Viertens. Wir haben den Regierungsentwurf mit einem Antrag der Regierungsfraktionen von SPD und CDU in mehr als 30 Punkten verändert. Der Innenminister selbst hat dazu nach Auswertung der geäußerten Kritikpunkte eine Fülle von Anregungen gegeben. Das Ergebnis liegt Ihnen heute vor.

Als SPD-Landtagsfraktion sind wir davon überzeugt, dass die heute zur Abstimmung stehende Beschlussempfehlung des Innen- und Rechtsausschusses in Einklang mit der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Landesverfassungsgerichte steht. Wir bitten alle unsere Kritikerinnen und Kritiker, dieser, unserer Meinung nicht apodiktisch die eigene, andere Meinung als einzig wahr und einzig gültig entgegenzusetzen. Eine einzig wahre und einzig gültige Rechtsmeinung gibt es nicht. Juristerei ist keine reine Lehre, sondern eine normative Wissenschaft, die Wertungen, Deutungen, Meinungen nicht nur zulässt, sondern geradezu erfordert, und zwar überall dort, wo ein Rechtsbegriff auslegungsbedürftig ist und wo es für die Anwendung des Rechts Beurteilungs- und Ermessensspielräume gibt. Rechtssicherheit schafft nur der richterliche Spruch, das Urteil, die gerichtliche Entscheidung. Doch selbst höchstrichterliche Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts können nicht für sich in Anspruch nehmen, richtig zu sein. Es gibt unterschiedliche Entscheidungen verschiedenster Gerichte zu nahezu identischen Sachverhalten, weil eben auch Richterinnen und Richter unterschiedliche Meinungen haben können und gelegentlich in Kammern sogar Mehrheitsbeschlüsse fassen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das ist alles rela- tiv!)

Um auf den Punkt zu kommen, Herr Kollege Kubicki: Es ist Anmaßung, von irgendeiner Vorschrift des vorliegenden Gesetzentwurfs zur Modernisierung des schleswig-holsteinischen Polizeirechts schlankweg zu behaupten, sie sei verfassungswidrig. In einer gewaltenteiligen Demokratie entschei

det weder der Innenminister einer Regierung noch der selbsternannte Häuptling einer parlamentarischen Opposition, was verfassungswidrig ist.

(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man sollte wenigstens zuhören, was Experten sagen!)

Dazu berufen ist einzig und allein die Verfassungsgerichtsbarkeit. Mag sie entscheiden, wenn sie denn angerufen wird.

(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gibt es denn jemanden, der sagt, das sei nicht verfassungswidrig?)

Es dürfte indes fraglich sein, Herr Kollege Hentschel, ob die nach den umfänglichen Änderungen des Regierungsentwurfs verbliebenen Bedenken der Opposition noch für einen Gang zum Verfassungsgericht ausreichen. Der Kollege Kubicki jedenfalls hat vor einer Woche noch im Fachausschuss die Erfolgsaussichten einer solchen Klage als eher nicht gegeben dargestellt. Die überraschende Wende in der Pressekonferenz vor zwei Tagen ist so überraschend allerdings auch wieder nicht. Flankierend von der geballten juristischen Kompetenz des Landes - so Originalton Karl-Martin Hentschel - und begleitet von einer fachlich eher kapitulierenden Restopposition, die sich sachdienlich darauf beschränkte, den Innenminister zu beschimpfen, war es natürlich für den Oppositionsführer ein Leichtes, mit der Ankündigung einer jetzt doch für möglich gehaltenen Verfassungsklage die von Teilen der Landespresse bereitwillig freigehaltenen Schlagzeilen zu füllen.

Lassen Sie mich mit einem dreifachen Dankeschön enden. Mein erstes Dankeschön geht dann doch an den Kollegen Kubicki. Die FDP hat sich in der Tat als einzige Oppositionsfraktion mit konkreten Änderungsanträgen in die parlamentarischen Fachberatungen eingebracht. Wir stimmen in großen Teilen auch mit den Grundpositionen der FDP überein, wenn wir auch nicht allen Änderungsanträgen folgen konnten.

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Wie bei Schill! - Unmut bei SPD und CDU)

Mein zweites Dankeschön geht an den Wissenschaftlichen Dienst, an Herrn Dr. Caspar, der mit wohltuender Differenziertheit die aus seiner Sicht verfassungsrechtlich bedenklichen Teile des Regierungsentwurfs aufbereitet hat. Auf nahezu alle Hinweise des Wissenschaftlichen Dienstes haben wir mit unserem Änderungsantrag reagiert.

Mein drittes Dankeschön soll an den Datenschutzbeauftragten des Landes, Herrn Dr. Weichert, ge

(Klaus-Peter Puls)

hen, und zwar insbesondere für seine Presseerklärung vom 20. Februar 2007, aus der ich zitieren möchte. Herr Dr. Weichert sagte wörtlich - das ist der Schlusssatz -:

„Ich bin mir sicher, dass sich die Abgeordneten des Landtags ihrer Verantwortung bewusst sind. Bei der Umsetzung des Polizeirechts wird es darum gehen, die Unsicherheiten des neuen Polizeirechts zu minimieren. Die schleswig-holsteinische Polizei hat sich bisher bei ihrem Handeln durch Besonnenheit und Verhältnismäßigkeit ausgezeichnet. Mit dem neuen Polizeirecht steht sie nun bei der Durchführung der Telefonüberwachung, der Schleierfahndung, dem Kfz-Kennzeichenscanning oder bei der Vorgangsdatenverarbeitung vor neuen, schwierigen Herausforderungen, nämlich ein für sich problematisches Polizeirecht verfassungsgemäß anzuwenden. Das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein ist gern bereit, die Polizei hierbei im Interesse des Schutzes von Datenschutz und Sicherheit zu beraten.“

Dieses Angebot sollten wir dankend annehmen.

(Beifall bei SPD und CDU - Unruhe)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Puls. Ich bitte das Parlament noch einmal, diese Beratung, die spannend ist, in relativer Ruhe durchzuführen und dem jeweiligen Redner Gehör zu schenken.

Das Wort erhält nun für die FDP-Fraktion deren Vorsitzender, der Oppositionsführer Wolfgang Kubicki.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Auch in einer stabilen Demokratie bedarf es treuer Wächter, die der Politik Paroli bieten, wenn diese in Zeiten der Krise versucht ist, den liberalen Rechtsstaat in seinem Kernbestand einzuengen.“ Dies ist kein Zitat von Herrn Dr. Ralf Stegner, sondern von einer herausragenden Sozialdemokratin, der ehemaligen Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts Jutta Limbach nach den Anschlägen des 11. September 2001.

Vor dem Hintergrund dieses Zitats möchte ich mich im Namen der gesamten Opposition hier im Landtag bei den diversen Fachverbänden und Praktikern bedanken, die den Gesetzentwurf des Innenministers für ein neues Polizeirecht als das entlarvt und

bezeichnet haben, was er ist: ein in Teilen verfassungswidriges Gesetz, das der Jedermannüberwachung Vorschub leistet und mit seiner Vielzahl von unbestimmten Rechtsbegriffen weder der Polizei bei der Anwendung behilflich ist noch den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes klar aufzeigt, wie sie sich zu verhalten haben, um nicht Ziel einer Kontroll- oder Überwachungsmaßnahme zu werden.

Der Innenminister hingegen ist an seinen eigenen Ansprüchen aus der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs kläglich gescheitert. Er ist nicht der liberale, an rechtsstaatlichen Grundsätzen orientierte Innenminister von Schleswig-Holstein. Er ist derjenige Innenminister, der sowohl das relativ rechtsstaatlich geprägte schleswig-holsteinische Polizeirecht als auch die bisher rechtsstaatliche Linie der SPD in Schleswig-Holstein in ihren Grundkoordinaten verändert hat.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eines ist sicher: Die SPD sorgt mit ihrer Zustimmung zu diesem Gesetz mit den neuen Überwachungsmöglichkeiten dafür, dass das Innenministerium und die nachgeordneten Behörden künftig näher am Menschen sind. Mir war bisher nicht bewusst, Herr Innenminister, dass der christsoziale Werbeslogan so gemeint war.

Der Innenminister ist bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfs mit folgendem Anspruch angetreten ich zitiere -:

„…., so hilfreich die Kritik in vielen Fällen war, so ging sie doch … an der Sache vorbei. Wir haben die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Unantastbarkeit des Kernbereichs privater Lebensgestaltung vor staatlichen Eingriffsmaßnahmen voll und ganz berücksichtigt. Wer mir erzählen will, wir hätten etwas Verfassungswidriges vorgelegt, wo wir in Teilen genau die Kommentare jüngster Urteile abschreiben, der muss mir erklären, wie er Verfassungsgemäßheit definiert.“

So Innenminister Dr. Stegner am 23. März 2006.

Seitdem hat es mehrere Anhörungen und Stellungnahmen gegeben, sei es von den Richterverbänden, den Anwaltsvereinigungen, der Polizei oder aber auch des Wissenschaftlichen Dienstes unseres Landtages, der darüber wacht, dass die Gesetzesvorhaben mit höchstrichterlicher Rechtsprechung in Übereinstimmung zu bringen sind. Sie hatten alle eines gemeinsam. Sie haben klargestellt, dass der

(Klaus-Peter Puls)

Innenminister seinem Anspruch, ein verfassungsgemäßes Gesetz vorzulegen, nicht im Ansatz gerecht geworden ist. Dabei haben die Angehörten in einer in meiner parlamentarischen Tätigkeit einmaligen Weise ein Gesetz mit ihrer Kritik geradezu in der Luft zerrissen.

Der Innenminister hat hierauf reagiert. Er hat im Dezember letzten Jahres circa 40 Änderungsvorschläge vorgelegt, um das Gesetz verfassungsgemäß zu gestalten, und in einigen Bereichen ist ihm das auch gelungen. Aber, Herr Innenminister, substanziell hat sich wenig verändert. Dies mag daran liegen, dass eine Verfassung nicht nur ihrem Wortlaut nach verstanden werden muss, sondern auch ihr Fundament, ihr innerer Zusammenhalt und vor allem ihr Geist begriffen werden müssen. Hieran mangelt es ersichtlich.

Dies gibt möglicherweise auch der Aussage des CDU-Fraktionsvorsitzenden Wadephul ihre Berechtigung, die ursprünglichen Vorstellungen von Innenminister Stegner seien so weitgehend gewesen, dass die CDU besonders auf die Rechtsstaatlichkeit habe achten müssen.