Protokoll der Sitzung vom 22.02.2007

Dies gibt möglicherweise auch der Aussage des CDU-Fraktionsvorsitzenden Wadephul ihre Berechtigung, die ursprünglichen Vorstellungen von Innenminister Stegner seien so weitgehend gewesen, dass die CDU besonders auf die Rechtsstaatlichkeit habe achten müssen.

(Günther Hildebrand [FDP]: Ha!)

Herr Kollege Wadephul, das ist etwas, was ich als selbstverständlich erachte und was ich nicht als verkehrte Welt bezeichnen würde.

Herr Minister, wer in einer Presseerklärung vom 20. Februar 2007 formuliert, die Kritik an den neuen Befugnissen der Polizei sei überzogen, niemand müsse befürchten, zu Unrecht ins Visier der Polizei zu geraten, denkt nicht rechtsstaatlich, sondern folgt der Denkweise des französischen Polizeiministers Foucher: Jeder, der ins Visier der Polizei gerät, ist schuldig. Nicht: Jeder ist unschuldig, bis in einem justizförmigen Verfahren seine Unschuld bewiesen ist. Nein, jeder ist schuldig, bis seine Unschuld eindeutig feststeht.

Ich empfehle Ihnen dringend die Lektüre von Franz Kafkas „Der Prozess“, um die Absurdität dieser Gedankenwelt zu begreifen.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

In der Tat gibt es für Verschärfungen durch Sie im Gesetz Anhaltspunkte. So war beispielsweise im Koalitionsvertrag vereinbart, dass das sogenannte Kfz-Screening, das nach meiner Überzeugung in die Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers fällt,

(Beifall der Abgeordneten Anke Spooren- donk [SSW])

zunächst in einem für zwei Jahre angelegten Versuch erprobt werden sollte. Angesichts der Überlegungen, die wir zur Rasterfahndung angestellt hatten, frage ich: Und dann, Herr Innenminister?

Ich will hier keine juristische Exegese betreiben. Dies würde Herrn Dr. Stegner auch überfordern. Aber ich will dem Hohen Haus eine Antwort des Innenministeriums auf eine Nachfrage zum Einsatz des Kfz-Screenings im Bereich der Gefahrenabwehr - nur darum geht es im Polizeirecht; für die Strafverfolgung ist der Bund zuständig - nicht vorenthalten. Uns wurde ernsthaft übermittelt - Herr Stegner, es ist jedes Mal der Brüller, wenn ich diesen Satz zitiere -, der Bereich der Gefahrenabwehr liege zwischen vollendetem und beendetem KfzDiebstahl. Zitat:

„Solange die Beute noch nicht endgültig verwertet ist, ist das polizeiliche Handeln primär auf Wiederherstellung der Eigentumsordnung und nicht auf Strafverfolgung gerichtet.“

Wer so etwas formuliert, entpuppt sich als vollends Unfähiger, Herr Innenminister, weil der Kfz-Diebstahl in aller Regel mit dem Eindringen ins Fahrzeug beendet und mit dem Wegfahren vom Abstellort vollendet ist. Selbstverständlich dient auch die Strafverfolgung der Wiederherstellung der Eigentumsordnung, wie §§ 73 ff. StGB nachdrücklich ausweisen. Die Strafverfolgung dient generell der Aufrechterhaltung der Rechtsordnung.

Die Schleierfahndung sollte nach dem Koalitionsvertrag anlassunabhängige Personenkontrollen ermöglichen. Sie, Herr Innenminister, ermöglichen durch Ihr Gesetz eine weitergehende Kontrolle auch der Fahrzeuge, wobei die rechtlichen Probleme von uns aufgezeigt wurden. Wenn der Fahrzeuginhaber erklärt, er sei nicht bereit, einen Gegenstand im Fahrzeug zu öffnen, und seinen Kofferraum wieder schließt, muss der Polizeibeamte einen Anfangsverdacht begründen, um einen Durchsuchungsbeschluss zu bekommen. Was für eine absurde Situation bei Kontrollen, die Sie vornehmen werden!

Der Koalitionsvertrag sieht vor, die Voraussetzungen für die Einführung der präventiven Telefonüberwachung zur Gefahrenabwehr vor dem Hintergrund der erwarteten Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts zu prüfen. Sie haben eine Regelung zur präventiven Telefonüberwachung vorgeschlagen, die Sie selbst zurücknehmen mussten, weil der Tatbestand durch die vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Maßstäbe bei Weitem nicht eingehalten wurde. Auch die nun ge

(Wolfgang Kubicki)

änderte Regelung, dass die Bandaufzeichnung eines Telefongesprächs zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr noch möglich ist, ist verfassungsrechtlich höchst bedenklich, weil eben nicht kontrolliert wird, ob privateste Gespräche abgehört werden, und weil die Anordnungsvoraussetzung der gegenwärtigen Gefahr im Widerspruch zur Bandaufzeichnung mit späterem Abhören steht. Wenn Sie später abhören, ist die gegenwärtige Gefahr hinfort. In aller Regel besteht das Problem, dass die Anordnungsvoraussetzung Ihre Maßnahme gar nicht mehr rechtfertigt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte einen weiteren Punkt herausarbeiten, der mir sehr wichtig ist. Dabei geht es um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landespolizei, die Sie, Herr Innenminister, mit diesem Gesetz auf die Reise schicken. Sie haben einmal selbst gesagt: Auch Polizeibeamte machen Fehler. Fehler bei der Handhabung eines Gesetzes sind aber geradezu prädestiniert, wenn der Beamte aus dem Gesetz nicht genau erkennen kann, wann er eine Kontrolle oder eine Überwachungsmaßnahme anordnen kann. Dieses Gesetz wimmelt nur so vor unbestimmten Rechtsbegriffen, bei denen der Beamte vor Ort selbst entscheiden muss, wie er sich zu verhalten hat, inklusive eines hohen Fehlerrisikos.

Das Polizeirecht muss von Verfassungs wegen äußert präzise formuliert sein. Es muss eindeutig regeln, was ein Polizist darf oder nicht, weil es in die Rechte von Bürgerinnen und Bürgern eingreift, obwohl noch keine Straftat vorliegt und sich die Annahme einer Gefahr und die Prognose ihrer Verwirklichung mit Wahrscheinlichkeiten begnügen muss. Dies ist der Bereich der Gefahrenabwehr. Ein unpräzises Gesetz verleitet geradezu zu Fehlern und birgt damit ein hohes Risiko für die Beamtinnen und Beamten.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben als Opposition zusammen mit den Juristenverbänden und den Praktikern bis zuletzt versucht, den Innenminister zur Vernunft zu bringen. Anstatt der inhaltlichen Botschaft, die vorgestern von unserer gemeinsamen Pressekonferenz ausging, Gehör zu schenken, begnügte sich die SPD-Landtagsfraktion in Gestalt ihres rechtspolitischen Sprechers, des Kollegen Puls, mit Beleidigungstiraden gegen die unabhängigen Verbände auf niedrigstem Niveau.

Wer wie der Kollege Puls anderen unterstellt, sie nähmen dadurch, dass sie die Grundsätze der Verfassung und damit die Grundsätze unseres gesell

schaftlichen Miteinanders und der Demokratie beachten und eine ernsthafte Auseinandersetzung hierüber anmahnen, den Tod von Menschen in Kauf, der stellt sich selbst ins Abseits. Er dokumentiert geradezu, dass er an einer inhaltlichen Debatte überhaupt kein Interesse hat.

(Beifall bei FDP und SSW)

Lieber Kollege Puls, ich hätte ein Wort der Entschuldigung gegenüber den Richterverbänden und der Opposition in diesem Hause erwartet.

Dass es auch nachdenkliche Sozialdemokraten in diesem Hause gibt, hat Justizminister Döring durch sein Interview mit dem Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag am Montag vergangener Woche bewiesen. Unter der Überschrift „Wir dürfen die Freiheit nicht zu Tode schützen“ erklärte er unter anderem auf die Frage, ob er sich einen Reim darauf machen könne, warum der Staat den Hals von neuen Kontrollbefugnissen nicht voll bekommen könne - ich zitiere -:

„Einmal ist es natürlich das Bestreben von Politik, den Eindruck zu erwecken, man garantiere Sicherheit. Das ist nichts als Aktionismus und Populismus. Hinzu kommt, dass der Staat zur Datensammelwut neigt, ganz nach dem Motto: Wenn mal was passiert, dann habe ich alles. Mit Prävention hat das in der Regel wenig zu tun. Verbrechen oder Terroranschläge lassen sich so nicht verhindern, sondern im Nachhinein allenfalls aufklären.“

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

So wie Minister Döring spricht ein Verfassungsminister. Leider hat der für die Verfassung bisher zuständige Innenminister dieses Format nicht.

Minister Döring führt weiter aus:

„Wenn wir genauer hinschauen, dann haben sich viele der neuen Instrumente als ziemlich wirkungslos erwiesen. Mir ist kein Fall etwa von präventiver Telefon- oder Videoüberwachung bekannt, durch den eine Straftat verhindert wurde.“

In seinem epochalen Werk „Theatralische Politik made in USA“ hat der damit promovierte Innenminister Dr. Stegner ausgeführt - ich zitiere -:

„Wahrscheinlich muss Politik neben der Entscheidungsfunktion auch eine Schaufunktion haben. Eine zu naiv-moralische, rigoristische Kritik an den inszenierten Aspekten von Politik geht an der Tatsache vorbei, dass Politik

(Wolfgang Kubicki)

gerade in Massengesellschaften auch die wichtige Funktion hat, Angebote auf der Symbolebene zu machen … Dennoch bleibt festzustellen, dass in einer Umgebung, in der die Informationsumwelt zum ‚trivial pursuit’ degeneriert und Politik als ‚photo opportunity’ verstanden wird, das Kant'sche Moralprinzip, wonach die Menschen als Ziel, nicht als Mittel behandelt werden sollten, unweigerlich auf der Strecke bleibt.“

Wie wahr, Herr Minister. Dieses Postulat haben Sie mit diesem Gesetzeswerk erfüllt.

Die FDP-Fraktion kann aus tiefster innerer Überzeugung ihre Zustimmung nicht erteilen.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich danke Herrn Abgeordneten Kubicki. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Fraktionsvorsitzende Karl-Martin Hentschel das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Innenminister Stegner hat im März letzten Jahres den Entwurf für ein neues Polizeirecht vorgelegt. Der Innenausschuss führte wie üblich eine Anhörung durch. - So weit war alles normal. Aber was dann bei dieser Anhörung geschah, ist geradezu einmalig in diesem Landtag. Wirklich alle Fachleute, alle Verbände, die Richterverbände, die Anwaltsvereinigungen, selbst der ADAC, der Datenschutzbeauftragte, bemerkenswerterweise auch die Gewerkschaft der Polizei, haben sich gegen dieses Gesetz ausgesprochen und die neuen Regelungen fast durchgehend abgelehnt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Einhelliger Tenor war: Dieses Gesetz ist schlecht für die Bürgerrechte. Es ist aber auch schlecht für die, die es ausführen müssen, nämlich für die Polizei; denn es schafft durch unklare Normen Probleme, die dann die Polizisten vor Ort ausbaden müssen, Herr Minister.

Auch der Wissenschaftliche Dienst des Landtages hat diesen Gesetzentwurf intensiv bewertet. Sein Ergebnis ist so einmalig, dass ich es Ihnen heute nicht vorenthalten will.

§ 179 Abs. 2, Erhebung personenbezogener Daten: Der Wissenschaftliche Dienst sagt, es bestehen

verfassungsrechtliche Bedenken. § 180 Abs. 2, Auskunftspflicht bei Befragung bei Polizeikontrollen: verfassungsrechtlich bedenklich im Gesetz formuliert. § 180 Abs. 3, Anhalte- und Kontrollrecht zur Gefahrenabwehr: Bedenken und problematisch. § 180 Abs. 3, Anhalte- und Kontrollrecht zur vorbeugenden Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität: verfassungsrechtlich nicht zulässig. § 184 Abs. 1, Datenerhebung bei öffentlichen Versammlungen: Auch hier hat der Wissenschaftliche Dienst verfassungsrechtliche Bedenken. § 184 Abs. 2, Videoüberwachung: widerspricht in mehrfacher Hinsicht Verfassungsnormen. § 184 Abs. 3, Videoaufzeichnung: mit verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht vereinbar. § 184 Abs. 5, automatisches Kennzeichenlesesystem: Verfassungsrechtliche Bedenken sind begründet. § 185 Abs. 3, präventive Wohnraumüberwachung: verfassungsrechtlich problematisch. § 185 a Abs. 1, präventive Telefonüberwachung: Auch diese Formulierung im Gesetz wird den verfassungsrechtlichen Vorraussetzungen nicht gerecht. § 186, Wohnraumüberwachung bei Gefahr im Verzuge, a) Richtergenehmigung: verfassungsrechtlich unzulässig. b) Delegation der Genehmigung: geht verfassungsrechtlich zu weit. c) Benachrichtigung von Gästen: verfassungsrechtliche Zweifel, wenn Gäste hinterher nicht informiert werden, dass sie überwacht worden sind. § 186 a, Lauschangriff, a) Schutz der Privatsphäre: Auch diese Formulierung ist verfassungsrechtlich problematisch. b) Regelung des Abbruchs der Maßnahme: verfassungsrechtlich unzulässig. § 187 Abs. 1, Ausschreibung zur gezielten Kontrolle: Es bestehen verfassungsrechtliche Zweifel. § 189 Abs. 1, Speicherung, Änderung und Nutzung personenbezogener Daten: verfassungsrechtlich zweifelhaft. § 201 Abs. 2, Aufenthaltsverbot: dürfte den verfassungsrechtlichen Anforderungen kaum gerecht werden. § 202, Durchsuchung von Personen: verfassungsrechtlich nicht unproblematisch.

In 16 Positionen hat der Wissenschaftliche Dienst mit Unterstützung der Anwaltsvereine, mit Unterstützung aller Richterverbände dieses Landes festgestellt, dass dieses Gesetz verfassungswidrig ist, dass es verfassungsrechtlich bedenklich ist und verfassungsrechtlichen Normen nicht entspricht - in 16 Positionen! Und da stellt sich der Innenminister hin und sagt, man könnte auch anderer Meinung sein und er sehe das alles nicht so. - Es ist unglaublich, was Sie hier vorgelegt haben!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Der Innenminister hat dann von sich aus Nachbesserungen vorgelegt, die die beiden Regierungsfrak

(Wolfgang Kubicki)

tionen weitgehend übernommen haben. Im Ergebnis hat das aber nicht viel geändert und das ist vorgestern auf der Pressekonferenz von den ganzen Verbänden noch einmal deutlich gemacht worden: Von den 16 verfassungsrechtlich beanstandeten Paragrafen wurden gerade zwei entsprechende Bedenken des Wissenschaftlichen Dienstes überarbeitet. Eine neue, grundrechtskonforme Gesetzesänderung ist dadurch nicht entstanden.

Meine Damen und Herren, die präventive Erhebung personenbezogener Daten nach § 179 ist in Zukunft dann erlaubt, wenn ein Vergehen mittels Täterschaft und Teilnahme begangen werden soll. Ich habe dieses Beispiel gewählt, weil es exemplarisch ist. Täterschaft und Teilnahme gelten für jede Art von Vergehen und Verbrechen.

(Klaus-Peter Puls [SPD]: Organisiertes Ver- brechen!)