- Nein, nicht organisiert. Täterschaft und Teilnahme reichen aus. Es reicht bereits aus, wenn Sie eine gemeinschaftliche Beleidigung planen.
Es geht hier nicht darum, dass etwas schon begangen worden ist, es geht darum, dass es eine Vermutung gibt. Wenn man das genau untersucht - ich habe das prüfen lassen, lieber Herr Wadephul -, dann heißt das, was in diesem Gesetz drinsteht: Wenn jemand gemeinschaftlich mit seinem Freund die Beleidigung eines anderen plant, ist die Polizei bereits berechtigt, Grundrechtseingriffe vorzunehmen, und das auch noch vorbeugend. Das ist eine so unpräzise, ungenaue Formulierung, dass man sich das überhaupt nicht vorstellen kann. Ich frage mich, wieso Sie überhaupt noch den Namen „Verfassungsminister“ tragen dürfen.
Noch gravierender ist aber die Einschränkung des Schutzes der Kommunikation zwischen Anwälten, Ärzten und Journalisten und ihren Klienten. Auf der Pressekonferenz ist deutlich gemacht worden, dass es nicht darum geht, Anwälte, Ärzte und Journalisten zu schützen, sondern dass es darum geht, die Menschen zu schützen, die ihnen im Vertrauen etwas mitteilen. Denn die entscheiden darüber, ob es eine Schweigepflicht gibt oder nicht; nicht die Ärzte und Anwälte entscheiden darüber, sondern die Menschen, die betroffen sind. Dass dieses ganz persönliche Verhältnis von Menschen gegenüber Anwälten, Ärzten und Journalisten eingeschränkt wird, dass Ärzte, Anwälte und Journalisten bereits zu Aussagen verpflichtet werden können, nicht weil
eine Straftat begangen worden ist, sondern weil man vermutet, es könnte eine Straftat begangen werden, finde ich ungeheuerlich, Herr Minister.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen Parlamentarier, wir haben es oft genug erlebt, dass einmal beschlossene Eingriffsbefugnisse aller Erfahrung nach nicht wieder zurückgenommen werden, selbst wenn sie sich nicht bewährt haben. Ich erinnere nur an die Rasterfahndung. Rot-Grün hat damals eine Probezeit beschlossen, nach deren Ablauf das Ganze überprüft wird. Was hat die Große Koalition gemacht? - Sie hat die Befristung anschließend aufgehoben, ohne dass überhaupt eine Überprüfung stattgefunden hat.
Meine Damen und Herren, ich unterstelle nicht unlautere Absichten, aber wir sollten streng auf die Verhältnismäßigkeit der gewährten Kompetenzen der Polizei achten. Das ist kein Misstrauen gegenüber der Polizei, sondern das ist die ureigenste Aufgabe des Parlamentes. Das ist Demokratie. In einem totalitären Staat bräuchten Sie über solche Paragrafen gar nicht zu diskutieren.
Warum haben wir eine Demokratie? - Weil wir als Parlament die Aufgabe haben, auf die Verhältnismäßigkeit der Mittel zu achten. Natürlich kann die Freiheit von Bürgerinnen und Bürgern eingeschränkt werden, Herr Minister - das wird doch niemand bestreiten -, wenn es sachlich begründet ist. Aber das Verhältnismäßigkeitsprinzip in unserer demokratischen Ordnung muss dafür sorgen, dass diese Freiheitseinschränkungen in geringst nötigem Umfang stattfinden. Dieses Prinzip muss auch in Zeiten einer internationalen Terrorismusbedrohung gelten.
Meine Damen und Herren, ich frage mich, welche sachlichen Gründe dieses Gesetz überhaupt erforderlich machen. Gibt es sachliche Gründe? Sind irgendwo sachliche Gründe genannt worden? - Nein. Nur Globalanalysen, es gebe eine internationale Bedrohung.
Wenn Sie 16 Grundrechtseingriffe verschärfen, müssen Sie doch eine sachliche Begründung für jeden einzelnen vorlegen, warum das in dem Fall notwendig ist. Nichts davon ist erfolgt.
Dieses Gesetz wird - da kommen wir zum Kern nur deshalb verabschiedet, weil es im Koalitionsvertrag steht. Die CDU und insbesondere der jetzige Staatssekretär Schlie, der damals noch glaubte, er könne Innenminister werden, und für die CDU verhandelt hat, brauchten unbedingt einen Punkt, in dem sie sich in den Koalitionsverhandlungen durchsetzen konnten. Der sozialdemokratische Innenminister Stegner exekutiert nun knallharte CDU-Politik und kriegt dann noch die entsprechende Kritik von seinem Justizminister um die Ohren geknallt. Es ist schon ein Treppenwitz der Geschichte, wenn jetzt ausgerechnet der CDU-Fraktionsvorsitzende Wadephul erklärt, das Gesetz von Stegner sei zu weitgehend gewesen, die CDU habe auf Rechtsstaatlichkeit achten müssen. Ich lache mich tot, Herr Wadephul!
Nach den Beratungen bleibt festzuhalten: In der schleswig-holsteinischen Koalition ersetzt Koalitionsräson eine sorgfältige und bürgerfreundliche Gesetzgebungsarbeit.
Ich danke Herrn Abgeordneten Hentschel. - Das Wort für die Gruppe des SSW im Landtag hat deren Vorsitzende Anke Spoorendonk.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Richtig ist, dass der vorliegende Gesetzentwurf besser ist als der Ursprungsentwurf des Innenministeriums, zumindest im gesetzestechnischen Sinne. Richtig ist möglicherweise auch, dass es in anderen Bundesländern Polizeigesetze gibt, die noch restriktiver sind als der schleswig-holsteinische Gesetzentwurf. Aber im Gegensatz zu Schleswig-Holstein haben diese Bundesländer damit auch kein Renommee zu verlieren. Und das ist das richtig Traurige an der heutigen Debatte, liebe Kolleginnen und Kollegen. Denn trotz anderslautender Beteuerung hat der Innenminister nicht belegen können, warum es so dringlich ist, das schleswig-holsteinische Polizeigesetz zu ändern. Der gebetsmühlenartige Verweis auf die technologische Entwicklung reicht dabei nicht aus.
Noch etwas muss aus Sicht des SSW als Demagogie entlarvt werden, nämlich das Argument, dass es bei der Novellierung des Polizeigesetzes darum geht, mehr für die Opfer von Verbrechen zu tun. Der beste Opferschutz ist ein transparentes und rechtlich einwandfreies Gesetz und genau daran hapert es bei dem neuen Polizeirecht.
Der SSW hat die liberale Innen- und Rechtspolitik des Landes der vielen letzten Jahre immer mitgetragen. In ganz vielen Landtagsdebatten haben wir uns gegen Verschärfungen im Strafrecht ausgesprochen, weil uns Fachleute davon überzeugen konnten, dass wir durch das schlichte Wegschließen von Straftätern nichts bewirken, dass Prävention und Straffälligenhilfe immer noch die bessere Kriminalitätspolitik darstellen. Ich erinnere mich an jene Debatten, die allesamt unter der Überschrift geführt wurden, dass mehr Überwachung nicht zu mehr Sicherheit führt.
Dagegen könnte man nunmehr einwenden, dass sich mit dem 11. September alles verändert habe. Um es mit Heribert Prantl von der „Süddeutschen Zeitung“ zu formulieren:
„Es gehört zu den Kennzeichen der Politik der inneren Sicherheit, dass sie den Mund besonders voll nimmt. Stets ist es just das Gesetz, an dem man gerade arbeitet, von dem angeblich die Zukunft der inneren Sicherheit abhängt.“
Das soll heißen: Mehr noch als die Entwicklung in den Bereichen Telekommunikation, Internet und Computertechnik, mehr noch als die grenzüberschreitenden Verkehrsströme und die gewachsene Mobilität in der Bevölkerung ist das neue Sicherheitsdenken der Regierungen, das von den Parlamenten abgenickt wurde, der Grund für die Novellierung vieler Polizeigesetze. Während SchleswigHolstein in Sachen Sicherheitsaktionismus in der ersten Gesetzesrunde nach 2001 noch eine rühmliche Ausnahme war, befinden wir uns mit dem vorliegenden Gesetzentwurf im Mainstream der bundesdeutschen Entwicklung. Das ist schlimm genug!
„An die Stelle des klassischen Straf- und Polizeirechts tritt Gesetz für Gesetz ein allgemeines Gefahrenrecht, das die Grenzen zwischen Strafverfolgung, Polizei, Geheimdienst und Militär auflöst oder aufzulösen trachtet. Die neuen Gesetze wollen dem kriminellen und terroristischen Übel überhaupt und gene
rell zuvorkommen … Präventive Logik ist expansiv: Wer vorbeugen will, weiß nie genug! Und so verwandelt sich der Rechtsstaat Gesetz für Gesetz in einen Präventionsstaat.“
Daher bleibt der SSW bei seiner Meinung: Das neue Polizeirecht ist ein schlechtes Gesetz. Die Anhörung im Innen- und Rechtsausschuss machte deutlich, dass dies nicht nur inhaltliche, sondern auch handwerkliche Gründe hat. Mir ist zumindest kein anderes Gesetz bekannt, das im Rahmen einer Anhörung dermaßen auseinandergenommen worden ist wie dieses. Dabei geht es vor allem in Privatwohnungen und bei der Telekommunikation um Datenerhebungen und um die Zulassung von geheimen Ermittlungsmethoden sowie um neue Kontrollbefugnisse, also um Rasterfahndung, Schleierfahndung, Videoüberwachung und das Screening von Kfz-Kennzeichen. Ganz übergeordnet betrachtet geht es eben um die Begriffe Verhältnismäßigkeit und Verfassungsmäßigkeit.
Auch wenn der heute zur Abstimmung vorliegende Gesetzentwurf gegenüber dem Ursprungsentwurf Verbesserungen aufweist, bleiben aus Sicht des SSW weiterhin verfassungsrechtliche Bedenken. Der Wissenschaftliche Dienst des Landtages sagt zum Beispiel, dass die Auskunftspflicht von Bürgerinnen und Bürgern der Polizei und den Ordnungsbehörden gegenüber verfassungsrechtlich bedenklich ist. Das Innenministerium vertritt - wen wundert es - die Position, dass alles bestens geregelt ist. Da es dabei aber nicht um das Spiel von zwei Juristen und drei Meinungen geht, sondern um das hohe Gut der Verfassungsmäßigkeit, stehen wir vor der interessanten Frage, wem wir glauben können. Der SSW glaubt dem Wissenschaftlichen Dienst, was letztlich dazu führen kann, dass wir das Bundesverfassungsgericht einschalten müssten.
Die Neue Richtervereinigung hat in einer Presseerklärung deutlich gemacht, dass das Bundesverfassungsgericht an polizeiliche Maßnahmen im Gefahrenvorfeld - wie zum Beispiel polizeiliche Überwachungen - hohe Anforderungen stellt. Die Bürger müssen erkennen können, unter welchen Umständen ihr Verhalten mit dem Risiko der Überwachung verbunden ist. Gibt der Bürger keinen Anlass dazu, muss auch die Möglichkeit bestehen, unbehelligt zu bleiben. Ansonsten bekommen wir das, was von vielen Experten als eine Jedermannüberwachung umschrieben worden ist.
dass die Befugnisse der Polizei ausgedehnt werden, während die richterlichen Kontrollfunktionen deutlich eingeschränkt werden. Der SSW teilt diese Einschätzung.
Ein weiteres Beispiel sei genannt, um zu verdeutlichen, wohin die Reise aus unserer Sicht geht. Gemeint ist das im Gesetz vorgesehene Kfz-Screening. Hier sind wir an einem Punkt angelangt, bei dem mir die Worte zumindest dann fehlen, wenn es sachliche Worte sein sollen. Für den SSW steht fest, dass dieses Screening ein Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht darstellt. Das sieht das Innenministerium übrigens auch so und führt dazu aus, dass der vorliegende Gesetzentwurf in dieser Hinsicht sogar die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Kriterien übererfüllt. Das soll heißen: Laut Ministerium ist das Kfz-Screening verfassungsrechtlich unbedenklich. Das beantwortet aber nicht die Frage, ob dieses Screening - als Gefahrenabwehr betrachtet - auch das Gebot der Verhältnismäßigkeit erfüllt. Nach Meinung des SSW gehören solche Eingriffe eindeutig in den Bereich der Strafprozessordnung und damit in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes.
Darum teilen wir auch die Auffassung des Landesdatenschutzbeauftragten, der über Grundrechtsbindung von Überwachungseingriffen anmerkt: Das Bundesverfassungsgericht hat nur eine Verwerfungskompetenz. Unter der Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen gibt beziehungsweise gäbe es große Gestaltungsspielräume für die Politik. Nicht alles, was zulässig ist, ist auch wirklich nötig.
Darum möchte ich noch einen weiteren Punkt ansprechen, nämlich das Verhältnis von Datenschutz und Gefahrenabwehr. In den §§ 185 und 197 wird die Vorschrift gestrichen, durch die die zugelassenen technischen Mittel zum Abhören oder zur Aufzeichnung von Bildaufnahmen erfasst werden. Seitens des Innenministeriums wird angeführt, dass diese Verwaltungsvorschrift aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung gestrichen wurde. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen! In der Beantwortung des Fragenkatalogs der FDPFraktion steht zum Beispiel, man wolle einen angemessenen Datenschutz. Das kann eigentlich nur so interpretiert werden, dass sich der Datenschutz gefälligst aus der Gefahrenabwehr herauszuhalten habe. Datenschutz stört, finden viele Innenminister in dieser Republik. Dabei vergessen sie, dass ein Übermaß an überwachter Sicherheit die Demokratie in unserer Gesellschaft beschädigt, denn Sicherheit und Freiheit lassen sich eben nicht gegeneinander ausspielen. Ich weiß, es ist schon oft gesagt worden, aber das sind zwei Seiten derselben Medaille.
(Beifall beim SSW und der Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP] und Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Das neue Polizeigesetz ist ein schlechtes Gesetz. Ich sagte das eingangs bereits. Dazu habe ich beispielhaft eine Reihe von Gründen genannt. Es wäre aus Sicht des SSW schon ein Stück weniger schlecht, wenn es zumindest festgeschrieben hätte, dass alle Überwachungsmaßnahmen zeitbegrenzt sind und sich einer unabhängigen Evaluation unterziehen sollen. Das brauchen wir ganz einfach, denn das seit Jahren anstehende Absenken der rechtsstaatlichen Standards nach Art der bekannten Salamitaktik ist ganz einfach nicht hinnehmbar.
Ich möchte unseren ehemaligen Landesdatenschutzbeauftragten Helmut Bäumler noch einmal ins Spiel bringen. In einem bedenkenswerten Aufsatz zum Thema 20 Jahre Polizeirechtsgesetzgebung sagte er im Jahr 2004: Was bei uns verloren gegangen ist, das ist wirklich eine - ich nenne das bewusst so - Kultur der Wertschätzung für Behinderungen der staatlichen Exekutive. Wir brauchen also eine Kultur der Wertschätzung für Behinderungen der staatlichen Exekutive. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Wir werden das Gesetz ablehnen.
Ich danke Frau Abgeordneter Spoorendonk. - Für die Landesregierung hat nun Herr Innenminister Dr. Ralf Stegner das Wort.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Urteilen zum niedersächsischen Polizeirecht und zum Luftsicherheitsgesetz vor allem eins gefordert: Klare rechtliche Regelungen dahin gehend, was erlaubt ist und was nicht. Was will der Gesetzgeber und was will er nicht? Angesichts des Nebels, der teilweise verbreitet worden ist, und vor dem Hintergrund einer außerordentlich schrill vorgetragenen Kritik möchte ich für etwas Klarheit sorgen. Was will das Parlament den Polizistinnen und Polizisten zur Gefahrenabwehr erlauben? Wir passen das Polizei- und Ordnungsrecht unseres Landes an den technischen Fortschritt und an die veränderten Bedrohungslagen an.