Protokoll der Sitzung vom 22.03.2007

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, Platz zu nehmen, damit wir anfangen können. Ich eröffne die heutige Sitzung und begrüße Sie alle sehr herzlich.

Erkrankt sind die Abgeordneten Susanne Herold und Ulrike Rodust. Ich wünsche den Kolleginnen von dieser Stelle aus gute Besserung.

Beurlaubt sind die Abgeordneten Axel Bernstein, Wolfgang Kubicki und Günther Hildebrand.

Wegen auswärtiger Verpflichtungen sind Ministerpräsident Carstensen, Minister Döring, Minister Dr. von Boetticher und Minister Wiegard beurlaubt.

Die Besucher kommen erst noch. Ich werde sie später begrüßen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:

Ausbau der Betreuung unter Dreijähriger

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/1296

Antrag der Fraktionen von CDU und SPD Drucksache 16/1315

Wird das Wort zur Begründung gewünscht?

(Unruhe)

Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat nun ausschließlich die Frau Abgeordnete Monika Heinold.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eines muss man Bundesfamilienministerin von der Leyen lassen: Sie hat es geschafft, das Thema Kinderbetreuung zum politischen Topthema zu machen. Bei der CDU-Landtagsfraktion - das zeigen auf jeden Fall die leeren Stühle in den ersten Reihen heute Morgen - scheint das nicht ganz so weit zu sein. Die lautstarke Debatte über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf hat dazu geführt, dass die CDU ihr bisheriges Familienbild zumindest auf Bundesebene gründlich entstauben musste. Das, meine Damen und Herren, wurde auch höchste Zeit.

Die Zahlen der Bundesfamilienministerin machen deutlich, wie rückständig Deutschland bei der Krippenbetreuung ist. In unseren europäischen Nachbarländern ist es normal, dass Familie und Beruf miteinander vereinbar sind. In Deutschland hin

gegen wird noch immer darüber diskutiert, ob Kinder nicht bis zum Schuleintritt am besten auf Mutters Schoß groß werden sollen. In Europa ist es normal, dass Geld für die Familienförderung investiert wird, um gute Bildungschancen für alle Kinder im vorschulischen Bereich sicherzustellen. In Deutschland hingegen wird nach wie vor überwiegend die Ehe gefördert, nicht das Leben mit Kindern und viel zu wenig eine gute vorschulische Bildung.

Machen wir uns also auf den Weg nach Europa. Nehmen wir die von der Bundesregierung vorgelegten Zahlen zur Grundlage, um das Kinderbetreuungsangebot in Deutschland und in Schleswig-Holstein endlich dem Bedarf anzupassen. Die Bundesfamilienministerin fordert den europäischen Durchschnittswert, einen Versorgungsgrad von 30 % für alle Kinder unter drei Jahren. Das würde heißen, dass zu den vorhandenen 250.000 Plätzen in Deutschland noch einmal 500.000 Plätze in Krippen oder Tagespflegestellen hinzukommen.

Was heißt das für Schleswig-Holstein? Laut Statistischem Landesamt gibt es bei uns circa 5.500 Plätze für Kinder unter drei Jahren in Krippen oder Tagespflegestellen. Das entspricht einem Versorgungsgrad von knapp 8 %. Eine Umsetzung der Forderung der Bundesfamilienministerin heißt also, uns fehlen in Schleswig-Holstein circa 15.000 Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren.

Mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz hat die rot-grüne Bundesregierung vor zwei Jahren zum ersten Mal überhaupt eine verbindliche Ausbauplanung beschlossen. Bis 2010 sollte ein Versorgungsgrad von 20 % erreicht sein. Ziel des Tagesbetreuungsausbaugesetzes ist es, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen, indem der tatsächliche Bedarf abgedeckt wird. Das Gesetz sieht vor, dass bis 2010 für jedes Kind zwischen einem Jahr und drei Jahren, dessen Eltern beide erwerbstätig sind, ein Betreuungsplatz zur Verfügung gestellt wird. Alleinerziehende sollen den gleichen Versorgungsanspruch haben.

Um dieses Ziel zu erreichen, sieht das Tagesbetreuungsausbaugesetz auch vor, dass die Kommunen jährlich eine verbindliche Ausbauplanung vorlegen. Damit soll nachgewiesen werden, wie das Ausbauziel vor Ort erreicht werden kann.

Mit Inkrafttreten des Gesetzes 2005 gab es Forderungen, den bundesgesetzlichen Auftrag in Schleswig-Holstein durch ein Landesausführungsgesetz zu untermauern. Schleswig-Holstein hat sich dagegen entschieden in der Hoffnung, dass das Gesetz auch so umgesetzt wird. Heute müssen wir leider feststellen, dass das nicht der Fall ist. Der von uns

angeforderte Bericht zur Situation der Kinderbetreuung in Schleswig-Holstein hat im letzten Jahr ein ernüchterndes Ergebnis gebracht. Der Sachstand im Juni 2006 sah so aus: Nordfriesland, Pinneberg, Plön und Schleswig-Flensburg melden schlicht keinen Ausbaubedarf. Andere Kreise haben keine Angaben gemacht oder können den Ausbaubedarf nicht beziffern. Konkrete Angaben konnten nur fünf Kreise machen, darunter die kreisfreien Städte Kiel, Lübeck und Neumünster. Meine Damen und Herren, dieser Umgang mit einer vom Gesetzgeber verbindlich vorgeschriebenen Ausbauplanung ist schlicht ignorant!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Deshalb fordert meine Fraktion nun, die Zahlen der Bundesfamilienministerin zur Grundlage zu nehmen und statt Schwangere zu zählen und Bedarfe zu ermitteln, zügig mit der konkreten Schaffung von Krippenplätzen zu beginnen. Eine Bedarfsermittlung, die nur dazu führt, dass meist männliche Entscheidungsträger vor Ort schlicht keinen Bedarf feststellen, ist keine Lösung, meine Damen und Herren!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer die Berichterstattung in den „Kieler Nachrichten“ unter dem Titel „Kinderbetreuung - Familienlust, Familienfrust“ verfolgt, der bekommt einen Eindruck davon, wie Familien bei uns alleingelassen werden, wenn sie versuchen, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren. Wer sich auf den Weg macht, eine Familie zu gründen, muss auch die Sicherheit haben, dass er dabei von der Gesellschaft unterstützt wird, auch hier in Schleswig-Holstein. Soll das Familienleben in entspannter Atmosphäre stattfinden, muss Familie auch Spaß bringen und darf nicht in einem täglichen Organisationskampf münden.

Wie finde ich einen Krippenplatz? Kann ich ihn mir leisten? Was machen wir bei Früh- oder Spätschicht, was bei Krankheit, was an Wochenenden? Das sind die Sorgen einer ganz normalen Familie auch hier in Schleswig-Holstein, die versucht, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren.

Frau Heinold, die Zeit!

Frau Präsidentin, ich habe zehn Minuten.

(Monika Heinold)

Entschuldigung, dann haben wir falsch gedrückt. Wir korrigieren.

Es ist immer wieder ernüchternd, Berichte von Frauen aus dem europäischen Ausland zu lesen. Frauen, die mit ihren Familien beispielsweise von Frankreich nach Deutschland kommen, können es gar nicht fassen, wie rückständig bei uns die Kinderbetreuung organisiert ist. Die Bundesfamilienministerin hat dieses Defizit erkannt und die Messlatte dementsprechend hoch gelegt. Dies ist der richtige Weg. Wer etwas für Familien tun will, muss sich den Bedürfnissen der Familien im 21. Jahrhundert stellen. Eltern wollen Familie und Beruf miteinander vereinbaren. Familien kommen oft mit einem Einkommen nicht mehr aus. Alleinerziehende wollen die Möglichkeit haben, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen und nicht vom Staat abhängig zu sein. Für viele Kinder ist es eine Bereicherung - auch dies muss man deutlich sagen -, schon im Kleinkindalter in der Krippe soziale Kontakte und Bildungschancen von Anfang an zu haben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Fraktion fordert CDU und SPD auf, nach der theoretischen Debatte in Berlin konkrete Schritte im Land umzusetzen. Wie kann der Ausbau der Betreuungsangebote für unter Dreijährige in Schleswig-Holstein organisiert werden? Wie kann er finanziert werden? Kneifen Sie nicht, meine Damen und Herren, lassen Sie uns um Antworten ringen.

Die Landesregierung muss dafür Sorge tragen, dass das Tagesbetreuungsausbaugesetz umgesetzt wird. Wir fordern, dass dem Landtag noch vor der Sommerpause eine Ausbauplanung für Schleswig-Holstein vorgelegt wird. Der nachgereichte Antrag von CDU und SPD, der uns heute auf dem Tisch liegt, unterscheidet sich von unserem darin, dass es keinen verbindlichen Zeitpunkt für eine Bestandsaufnahme und für eine Umsetzungsplanung geben soll. Die Regierung kann also liefern, wann sie möchte. Und wir haben es beim letzten Bericht gesehen: Der war schlecht und unzureichend.

Unser Antrag unterscheidet sich auch dadurch, dass wir den Bund nicht aus der Finanzverantwortung entlassen wollen. Da Sie, meine Damen und Herren, diesen Passus unseres Antrages wahrscheinlich nicht mit aufnehmen werden, frage ich Sie: Gehen Sie davon aus, dass wir in Schleswig-Holstein den Ausbau der Krippen und Kindertagesstätten ohne Bundesgelder schaffen werden? Warum haben Sie

diesen Passus gestrichen und nicht ersetzt, obwohl Sie doch eine eigene Formulierung möchten?

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir fordern die Landesregierung auf, sich in Berlin für ein schlüssiges Finanzierungskonzept einzusetzen, an dem sich auch der Bund beteiligt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch Bundesfamilienministerin von der Leyen steht in der Pflicht, ihre heren Forderungen mit konkreten Vorschlägen - auch mit Finanzierungsvorschlägen - zu untermauern. Wer in Talkshows einen Ausbau der Kinderbetreuung fordert, streut den Eltern Sand in die Augen, wenn er nicht gleichzeitig eine Antwort für die Finanzierung liefert.

Meine Damen und Herren, die versprochenen Einsparungen der Kommunen aus Hartz IV, die für den Ausbau der Krippen vorgesehen waren, sind so nicht eingetreten. Also muss es ein neues Finanzierungskonzept geben. Unser Vorschlag, das Ehegattensplitting zu kappen, liegt nach wie vor auf dem Tisch. Eine Kappung um 8 Milliarden €, also um circa ein Drittel, würde allein Schleswig-Holstein 100 Millionen € bringen. Das ist viel Geld, um Krippen auszubauen oder um Kindertagesstätten zu stärken. Das wäre eine große finanzielle Unterstützung für den vorschulischen Bereich.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mir ist deshalb unverständlich, dass CDU und SPD den von uns hierzu eingebrachten Antrag noch in dieser Landtagssitzung ablehnen wollen; so wollen sie ebenfalls im Finanzausschuss und Sozialausschuss verfahren.

Was nun, meine Damen und Herren? Wie stellen Sie sich denn die Finanzierung des notwendigen Ausbaus der Kinderbetreuung vor? - Ich warte auf eine Antwort. Oder wollen Sie den Ausbau gar nicht?

Gut gemeinte Statements helfen den jungen Eltern nicht weiter. Meine Fraktion fordert, Nägel mit Köpfen zu machen. Der Antrag von SPD und CDU ist uns zu schwammig. Deshalb bitten wir darum, dass es eine alternative Abstimmung über beide Anträge gibt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Ich danke der Frau Abgeordneten Monika Heinold.

Ich begrüße jetzt auf der Besuchertribüne Schülerinnen und Schüler sowie ihre begleitenden Lehr

kräfte der Städtischen Realschule in Plön. - Seien Sie uns herzlich willkommen!

(Beifall)

Das Wort hat nun Frau Abgeordnete Heike Franzen für die CDU-Fraktion.