Protokoll der Sitzung vom 06.06.2007

Umsetzung der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen in SchleswigHolstein - Sprachenchartabericht 2007

Bericht der Landesregierung Drucksache 16/1400

Ich erteile dem Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen das Wort.

Leve Fru Präsidentin, ik glööv, dat kann je woll ni angahn, wenn wi över dissen Tagesordnungspunkt snacken, dat dat denn nich ok ’n beten in Plattdüütsch geiht. Dat is jo ok ne ornliche Traditschoon. - Jo, dor bruukst gor nich to klatschen. Man ik kann dat veel beter in Plattdüütsch as in Hochdüütsch, un wenn dat na mi güng, könt wi dat jeden Dag so moken. Aber dat is ok hier Traditschoon, dat wi de Minderheiten noch Gelegenheit geben to de Debatten över den Bericht, de se sülbst angeiht,

un dat wi de Vertreder vun’e europäische Spraakencharta op’ e Besökertribüne begröten doon.

Un ok hüüt hett Caroline Schwarz, mien Kulturbeopdragte un Minderheitenbeopdragte, dorför sorgt, dat dor ornliche Lüüd baben op’e Tribüne sitten. Leve Caroline, ik much mi an disse Steed nochmol ganz hartli för diene Arbeit bedanken. Dat is’ n Herkulesarbeit, de du leisten deist, und wi hebbt ’n groten Respekt dorför, wi du dien Arbeit dor maken deist. Un jetzt geiht dat op Hochdüütsch wieder.

Meine Damen und Herren, seit dem 1. Januar 1999 ist die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen in Deutschland als Bundesgesetz in Kraft. Deutschland gehört damit zu den leider lediglich 21 von 46 Staaten des Europarates, die die Sprachencharta bis heute ratifiziert haben. Schleswig-Holstein hat sich dabei stets mit Nachdruck für den Schutz seiner Minderheiten- und Regionalsprachen Dänisch, Nordfriesisch, Romanes und Niederdeutsch eingesetzt.

(Beifall)

Ich will heute nicht über die Grundlagen des Berichts reden, sondern über den Inhalt des Berichts. Der Bericht berücksichtigt zwei vollständig durchgeführte Monitoringzyklen des Europarates, bestehend aus dem deutschen Staatenbericht, den VorOrt-Besuchen des Sachverständigenausschusses, dem Bericht des Sachverständigenausschusses und der Stellungnahme der Bundesregierung dazu und den Empfehlungen des Ministerkomitees. Dies lässt eine fundierte Bestandsaufnahme, Auswertung und Entwicklungsbetrachtung zu.

Der Bericht gliedert sich in sechs Abschnitte. Den Schwerpunkt bildet Abschnitt 5. Hier werden die Umsetzung der vom Land übernommenen Einzelverpflichtungen sprachbezogen beschrieben und die Bewertung des Sachverständigenausschusses dargelegt.

In Schleswig-Holstein werden die Minderheitensprachen Dänisch und Nordfriesisch sowie die Regionalsprache Niederdeutsch nach Teil III der Charta geschützt. Das heißt, aus einem Katalog diverser Einzelverpflichtungen aus den Bereichen Bildung, Justiz, Verwaltung, Medien, Kultur und grenzüberschreitender Austausch musste das Land jeweils mindestens 35 Verpflichtungen pro Sprache übernehmen. Die Auswahl der Verpflichtungen orientierte sich seinerzeit vor allem am Kriterium der Kostenneutralität. Heute wissen wir, dass dieses Kriterium beim Sachverständigenausschuss kaum vermittelbar ist.

Auch das Bestreben nach Bürokratieabbau und Deregulierung steht der Umsetzung einzelner Verpflichtungen entgegen. Ich erwähne hier ausdrücklich Artikel 8 Abs. 1 Buchst, i. Der Sachverständigenausschuss hält diese Verpflichtung für nicht erfüllt und legt uns die Einsetzung von weiteren Aufsichtsorganen zur Überwachung der Entwicklung des Unterrichts und das Abfassen jährlicher Fortschrittsberichte nahe. Wir sind dagegen der Meinung, dass unsere Schul- und Fachaufsicht sowie das vorhandene Berichtswesen - wie dieser Chartabericht - ausreichen. Wir haben genügend Aufsichtsorgane, wir brauchen nicht noch extra welche dazu.

(Vereinzelter Beifall)

Erfreulich ist, dass der Ausschuss von den insgesamt 106 übernommenen Einzelverpflichtungen für Dänisch, Nordfriesisch und Niederdeutsch derzeit 74 als erfüllt, 19 als teilweise oder förmlich erfüllt und 13 als nicht erfüllt betrachtet.

(Günter Neugebauer [SPD]: Sehr gut!)

Damit hat sich der Umsetzungsstand bei uns im Land in den letzten Jahren gegenüber dem ersten Monitoring deutlich verbessert. Wir wissen, dass wir uns hier noch weiter verbessern können, und wir werden die wertvolle Arbeit des Sachverständigenausschusses weiterhin konstruktiv begleiten.

Nach dem Inkrafttreten des Friesischgesetzes ist vom SSW im Landtag das Anliegen an die Landesregierung herangetragen worden, weitere Verpflichtungen für Friesisch und auch für Dänisch aus Artikel 10 der Charta zu übernehmen. Dabei handelt es sich um die Verwendung der Sprachen in den Behörden im jeweiligen Sprachgebiet. Wir sind im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern zu dem Ergebnis gekommen, derzeit keine weiteren Verpflichtungen zu übernehmen. Denn zum einen würde eine Erhöhung des bisherigen Quorums zu keiner qualitativen Verbesserung führen. Mehr als ein Schutz nach Teil III geht nicht. Zum anderen wissen wir, dass der Sachverständigenausschuss die Umsetzung von Verpflichtungen sehr weitgehend prüft. Das Risiko ist daher hoch, dass gerade in diesem Bereich Verpflichtungen vom Ausschuss als nicht oder bestenfalls als teilweise erfüllt bewertet werden.

Hinzu kommt: Einmal übernommene Verpflichtungen bestehen auch dann weiter, wenn später streitig wird, ob sie erfüllt oder auch nur mit vertretbarem Aufwand erfüllbar sind. Eine Rücknahme oder ein Austausch von Verpflichtungen ist in der Charta nicht vorgesehen.

Hier sollten wir deshalb nicht vorschnell handeln. Im Übrigen schließt auch die Nichtübernahme nicht aus, sich um Verbesserungen in der Praxis zu bemühen. Das ist der richtige Weg.

(Beifall bei CDU und SPD)

Die Landesregierung hat den Sprachgruppen in einem eigenen Teil des Berichts erneut Gelegenheit gegeben, ihre Sicht der Dinge darzulegen, Erreichtes zu schildern und künftige Erwartungen zu formulieren. Alle Sprachgruppen haben davon Gebrauch gemacht. Zusammen mit einigen vom Sachverständigenausschuss festgestellten Umsetzungsdefiziten ergeben sich dadurch die vorrangigen Diskussionsfelder.

So fordert die friesische Volksgruppe einen Erlass für Friesisch in der Schule. Die Niederdeutschen wünschen Standards für die Lehrerausbildung und für Niederdeutsch in der Schule. Im Hochschulbereich besteht mit der Umstellung der Lehramtsstudiengänge auf Bachelor/Master vereinzelt die Sorge, dass dies negative Auswirkungen auf Friesisch und Niederdeutsch haben könnte. Im Medienbereich gibt es nach wie vor die Forderung nach mehr Medienpräsenz und die Sorge um die künftige Empfangbarkeit dänischer Programme.

Von den Niederdeutschen kommt vermehrt der Wunsch nach zweisprachigen Ortstafeln, wie es sie in vielen Gemeinden Nordfrieslands bereits für Friesisch gibt.

Ich bin froh, dass der Verkehrsminister und das Verkehrsministerium einen Erlass vorbereiten, mit dem generell Regional- oder Minderheitensprachen auf den Ortstafeln möglich werden.

(Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie schreibt man denn Kiel auf Niederdeutsch?)

- Dor schriffst du enfach Kiel, mien Lever. So enfach is dat. Wenn du dat villicht mol sühst, wenn du Broder schrieben deist, denn is dat meist datsülbige, as wenn du Brother in englisch schrieben deist. Dat gifft also in Hochdüütsche un Nedderdüütsche Wöör, de densülben Stamm hebben. Aber dat kriegen wi di, ut Rendsborg, ok noch bibröcht.

(Beifall und Heiterkeit)

Es wird also ein Erlass vorbereitet, mit dem generell Regional- oder Minderheitensprachen auf den Ortstafeln möglich werden. Die Entscheidung darüber soll in den Kommunen gefällt werden. Ich meine, dies ist ein schöner Beitrag zur Präsenz unserer Sprachenvielfalt im Alltag.

(Ministerpräsident Peter Harry Carstensen)

Meine Damen und Herren, die Landesregierung ist gesprächsbereit. Einige bereits im Sprachenchartabericht 2003 formulierte Einschätzungen haben auch für die von mir geführte Landesregierung Bestand. So zeigen die bisherigen Erfahrungen mit der Charta, dass ihr Wert vor allem in dem gemeinsamen Willen aller Beteiligten liegt, die geschützten Sprachen auch für künftige Generationen zu bewahren und fortzuentwickeln.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und SPD)

Die Landesregierung misst dem Schutz und der Förderung der nationalen Minderheiten sowie der Regionalund Minderheitensprachen weiterhin einen großen Stellenwert bei. Ich sage aber auch ganz offen und ehrlich: Wir können hier noch mehr Unterstützung von privater Seite gut gebrauchen. Wenn der Staat bei dieser Aufgabe allein bleibt, wird er dabei scheitern. Das Engagement der vielen ehrenamtlichen Vereine, privaten Stiftungen und Krinks, Amateurtheater, Laienspielgruppen und Chöre ist im wahrsten Sinne des Wortes unbezahlbar.

Aber das Wichtigste von allem ist, meine sehr geehrten Damen und Herren, dass unsere Regionalsprachen in den Familien gesprochen und weitergegeben werden.

(Beifall bei CDU, SPD und vereinzelt bei der FDP)

Nur wenn Eltern und Großeltern mit ihren Kindern und Enkeln Plattdeutsch sprechen, wenn sie Friesisch sprechen, Dänisch und Romanes, werden diese Sprachen weiterleben und damit nicht das traurige Schicksal des Versiegens teilen, das vielen der weltweit auf rund 6.700 geschätzten Sprachen bis zum Ende unseres Jahrhunderts prognostiziert wird.

Ich darf Ihnen sagen, meine Damen und Herren: Ich habe auf andere Art und Weise Plattdeutsch gelernt. Aber die Zeiten haben sich geändert. Bei uns zu Hause wurde im Haus drinnen hochdeutsch gesprochen. Sobald wir jedoch im Stall standen, wurr Plattdütsch snackt. Un genau dat is dat, wat wi hüüt nich mehr hebben, dat man dor disse Spraak, de en richtig ut’n Harten rutkummt, de nich so offiziell is, dat man de op’n anner Aart un Wies lehrn deit, as wi dat fröher bi uns maakt hebben. Un deswegen is dat notwendig, dat in de Familien dat Plattdüütsch, dat Dänisch, dat Romanisch, dat Friesisch wieder snackt ward. Anners kriegen wi dat nich hin. Bloots mit staatliche Maatnahmen ward wi scheitern in disse Aart un Wies.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Deswegen ist es notwendig, dat in de Familien Plattdütsch gesnackt ward.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Ich meine, gerade den Medien kommt hier eine besondere Verantwortung zu. Sie berichten tagtäglich über das, was wissenswert ist. Warum nicht einmal ein plattdeutscher Bericht auf der Wirtschaftsseite statt immer nur unter der Rubrik „Land und Leute“? Un all de, de mol so’ n ganz komplizeerten Bericht op Plattdüüsch opschreven hebben, oder dat Vertelln op Plattdüütsch, de könt dat ok bewiesen, dat se dat begrepen hebben. Wer dat nich op Plattdüütsch vertelln kann, de hett de Geschicht ok noch nich begrepen, un denn kann en manches ok veel beter begriepen.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD - Zuruf von der CDU: Sehr gut!)

Die Sprachenvielfalt, meine Damen und Herren, ist integraler Bestandteil der Kultur unseres Landes. Deshalb sollte diese Vielfalt auch integraler Bestandteil der Berichterstattung in unserer Medienlandschaft sein.

Ich persönlich jedenfalls möchte meine Regionalsprache, meine Heimatsprache Plattdeutsch nicht missen und werde mich weiterhin auch bei offiziellen Anlässen der Sprache meiner Heimat und meiner Eltern selbstbewusst bedienen.

(Beifall bei CDU und SPD sowie vereinzelt bei der FDP)

Wi bedankt uns bi de Ministerpräsident un begröten op’ e Tribüne den Bundestagsafordneten Jürgen Koppelin. Wi freut uns, dat he sik so för de Minderheitenspraken interesseert.

(Beifall)

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Frau Abgeordnete Susanne Herold.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, dass heute Vertreter und Vertreterinnen der Sprachgruppen, der Minderheiten und Volksgruppen nach Kiel gereist sind, um unsere Debatte zu verfolgen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sprache ist nicht nur der Schlüssel zum Verstehen, sondern trägt

(Ministerpräsident Peter Harry Carstensen)