Protokoll der Sitzung vom 07.06.2007

Bevor ich das Wort weitergebe, möchte ich auf der Besuchertribüne den ehemaligen Kieler Oberbürgermeister, Norbert Gansel, in Begleitung von Studenten der Politikwissenschaften begrüßen. - Seien Sie uns herzlich willkommen!

(Beifall)

Für den SSW im Landtag hat der Herr Abgeordnete Lars Harms das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bürgerbeauftragte hat in ihrem aktuellen Tätigkeitsbericht, den wir bereits in der letzten Sitzung diskutierten, einige Beispiele erschreckender Willkür im Bereich der Eingliederungshilfe aufgedeckt. So setzen einige Jugendämter die Stundenzahl für die Schulbegleitung behinderter Kinder - ich zitiere - „ohne hinreichende Begründung und gegen die fachliche Empfehlung der Schule“ zu niedrig an. Die betroffenen Eltern wehren sich mit Einsprüchen, wenden sich an Rechtsanwälte oder eben an die Bürgerbeauftragte. Dieser nervenaufreibende Aufwand wäre gar nicht nötig, würden sich die Jugendämter von vornherein an die fachlichen Vorgaben halten. In der Behindertenhilfe sollten fachliche Belange immer vor finanziellen Belangen rangieren.

Gerade bei behinderten Kindern und Jugendlichen kann eine frühzeitige und umfassende Unterstützung einer Verschlechterung vorbeugen oder zur weiteren Aktivierung beitragen. Dabei kommt es darauf an, dass möglichst alle Fachrichtungen Hand in Hand arbeiten. Statt die Eltern zu einer regelrechten Tournee der unterschiedlichen Hilfeleister zu zwingen, sollte eine koordinierte Unterstützung angeboten werden. Das, was im stationären Bereich oftmals selbstverständlich ist, nämlich personelle Kontinuität, ist im ambulanten Bereich nicht immer gegeben. Das hat teilweise die absurde Folge, dass Eltern verzweifelt zur stationären Hilfe greifen,

weil sie die Bedingungen in der ambulanten Hilfe, die sie eigentlich wollen, aufreibt.

Auch wenn dies nicht der Fall ist, führen verteilte Kompetenzen dazu, dass die Menschen mit Behinderung beziehungsweise deren Angehörige zu einem halben Studium gezwungen werden. Rechtsvorschriften sind so kompliziert und Antragswege so verschlungen, dass man nur als Sozialexperte wirklich zu seinem Recht kommt. Das ist keine Gleichbehandlung der Leistungsbezieher und Leistungsberechtigten, sondern eine eindeutige Bevorzugung derjenigen, die in der Lage sind, ihr Anliegen systemgerecht zu formulieren.

Gerade viele Eltern fühlen sich, als ob sie vor einem gigantischen Fahrkartenautomaten stünden, der zwar die richtigen und preisgünstigsten Tickets ausdruckt, aber erst nachdem der Kunde reihenweise richtige Befehle eingegeben hat.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Wenn Klienten die Leistungen teilweise selbst produzieren müssen, stehen wir vor dem Bankrott eines Systems, das die Benachteiligten eigentlich in die Lage versetzen soll, ihre Interessen gleichberechtigt umsetzen zu können. Das System soll ihre Defizite ausgleichen und nicht verstärken.

Im Sozialausschuss sind wir letzte Woche auf die Vorteile des Fallmanagements aufmerksam gemacht worden. Die entsprechenden Folien sind dem Bericht angefügt. Fallmanagement ist die Organisierung der Hilfen um die Bedürfnisse des Betroffenen herum. Ich formuliere es einmal so: Das ist die Abkehr von der Dominanz der Organisationslogik, die die Fälle so lange zurechtbiegt, bis sie der Logik und den Abläufen der Organisation entsprechen. Vereinfacht gesagt: Jetzt steht der Mensch im Mittelpunkt. Verbindliche Zusagen schaffen transparente Abläufe und erhöhen die Kontrollmöglichkeiten.

Dass das jetzt gelingt - das ist wirklich so; das kann ich aus eigener Erfahrung sagen -, ist ein riesiger Schritt vorwärts. Schließlich variiert das Erscheinungsbild einer Behinderung erheblich, je nach Alter, sozialem Umfeld und Vorgeschichte des Betroffenen. Dieser Tatsache kann jetzt Rechnung getragen werden. Das begrüße ich wirklich ausdrücklich.

Doch das ist der zweite Schritt vor dem ersten. Vor der Erstellung der Hilfeplanung müssen zunächst die Ansprüche als berechtigt anerkannt sein. Ohne Anspruch, gibt es keine Leistung; ohne Anerkennung des Anspruchs kommt man also gar nicht in

(Dr. Heiner Garg)

den Genuss der fachübergreifenden Fallkonferenz und des Casemanagements. Das ist eigentlich ganz logisch. Doch gerade mit der Anerkennung der Anspruchsgrundlage tun sich viele Jugendämter sehr schwer, weil sie wissen, welche Kosten sie damit auslösen.

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ist der Anspruch erst anerkannt, müssen die Leistungen gewährt werden. Daher zögern einige Jugendämter die Anspruchsanerkennnung heraus. Es ist ein Skandal, wenn sich Jugendämter wie Versicherungsgesellschaften gerieren, die aus Kostengründen Erstschreiben zu Schadenregulierungen prinzipiell nicht stattgeben. Hinhaltetaktik und Verschleppung mögen den Haushälter erfreuen; sie gefährden bei Menschen mit Behinderung unter Umständen die Rehabilitation. Im öffentlichen Raum ist das völlig inakzeptabel.

Genau das geschieht trotzdem jeden Tag in unserem Land. Wenn man die geschilderten Fälle der Bürgerbeauftragten hochrechnet, die überdies eine steigende Zahl von Fällen der Eingliederungshilfe verzeichnet, ist die Entwicklung besorgniserregend. Gerade Eltern behinderter Kinder fühlen sich über die an sich schon beklemmende Situation hinaus oftmals hilflos und allein gelassen. Eine finanzorientierte Bürokratie verschlimmert das Leid. Das ist besonders perfide.

Der SSW begrüßt die Initiative von Kreisen und Kommunen, die Eingliederungshilfe stärker auf den Einzelfall auszurichten und eine Vereinheitlichung des Verfahrens voranzutreiben. Es darf eben keine Rolle spielen, in welchem Kreis oder welcher Stadt ein Hilfebedürftiger wohnt.

Trotz der Konzeption ist eine einheitliche Handhabung der Anspruchsanerkennung aber noch nicht in Sicht. Eine Vereinheitlichung des Verfahrens ist nur nützlich, wenn die Anspruchsberechtigung landesweit nach einheitlichen Kriterien geprüft wird.

(Beifall bei der FDP)

Ansonsten bleibt es beim Ausschluss von Leistungen für die Betroffenen und dann nützt es einem auch nichts, wenn man ein gut durchstrukturiertes Verfahren hätte erwarten können, wenn man sich gegen das Amt durchgesetzt hätte.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: So ist es!)

Hier müssen deshalb feste Regelungen geschaffen werden, und diese müssen im Sinne der Betroffenen abgefasst sein und dürfen nicht kurzfristigen fi

nanziellen Überlegungen der zuständigen Ämter unterliegen.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei der FDP)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Harms. - Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe daher die Beratung. Es ist Überweisung an den zuständigen Ausschuss beantragt worden. Wer den Bericht Drucksache 16/1409 dem Sozialausschuss zur abschließenden Beratung überweisen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. Es ist so beschlossen worden.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf:

Logistikkonzept für Schleswig-Holstein

Bericht der Landesregierung Drucksache 16/1406

Ich erteile dem Minister für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr, Herrn Dietrich Austermann, das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die FDP-Fraktion hat am 27. Februar die Landesregierung aufgefordert, schriftlich über ihr Logistikkonzept für Schleswig-Holstein zu berichten. Offensichtlich war dies getragen von dem Gedanken, dass durch die Entwicklung der Verkehrsströme ein gestaltendes Handeln der öffentlichen Hand erforderlich ist. Diese Grundüberzeugung teilen wir. Wir stellen fest, dass sich die Verkehrsströme zurzeit gewaltig entwickeln. Ich darf nur folgende Zahlen nennen: Von 1998 bis heute hat es eine Zunahme des Straßenverkehrs von 60 % gegeben. Im Bereich der Schifffahrt über den Nord-Ostsee-Kanal hat sich die Ladungsmenge mehr als verdoppelt. Der Güterumschlag der Häfen hat um 35 % zugenommen. Es wird weiter davon gesprochen, dass sich diese Entwicklung fortsetzen soll.

Angesichts dieser Entwicklung und der Situation des Landes könnte man die folgende Überlegung anstellen: Können wir mit einem Konzept sämtliche Aufgaben lösen? Ich sage hierzu: Wir haben verschiedene Veranstaltungen durchgeführt. Beispielsweise gab es den ersten Logistikkongress in Schleswig-Holstein, in dessen Rahmen wir von den Interessenten erfragt haben: „An welcher Stelle sehr ihr

(Lars Harms)

die deutlichen Schwerpunkte? An welcher Stelle, meint ihr, muss konkret gehandelt werden?“

Das Ergebnis kann man vielleicht wie folgt zusammenfassen: Es geht hier vor allem darum, dass wir die Infrastruktur verbessern, dass wir in weiten Teilen versuchen, die Systeme, die offensichtlich gefordert werden - das ist beispielsweise die Schiene, das sind die Häfen und die Straßen - zielgerichtet so auszubauen, dass sie diese Verkehrsströme aufnehmen können.

In der Logistikbranche hat sich in letzter Zeit Erhebliches getan. Auch heute ist der Boom, den diese Branche erfährt, noch unverändert groß. Allein für den Hamburger Hafen als dem entscheidenden Logistikzentrum Norddeutschlands wird eine Umsatzsteigerung des Containerumschlags auf 18 Millionen Container prognostiziert. Das entspricht etwa einer Verdopplung der zurzeit umgeschlagenen Menge. Da rechnerisch circa ein Drittel der ankommenden Waren als für die Metropolregion selbst bestimmt eingestuft werden, wird die Logistikbranche in Schleswig-Holstein in den nächsten Jahren mit einem deutlichen Wachstum rechnen können. Den vorliegenden Prognosen zum Güterverkehr in Schleswig-Holstein zufolge wird die Menge der transportierten Güter bis zum Jahr 2015 noch einmal um weitere 35 % zunehmen.

Von besonderer Bedeutung ist für unser Bundesland natürlich der Seeverkehrsmarkt an der Ostsee. Dreh- und Angelpunkt für die Verkehrsströme sind die Ostseehäfen des Landes mit ihrem Angebot an logistischen Dienstleistungen. Damit sind sie weit mehr als reine Umschlagsstationen. Aufgrund der Prognosen ist davon auszugehen, dass im Jahr 2015 eine Steigerung um 55 % gemessen am Jahr 1998 erfolgt sein wird. Im letzten Jahr betrug die Umschlagsmenge in Lübeck 30 Millionen t. Wir gehen davon aus, dass es in absehbarer Zeit 40 Millionen und in 15 Jahren möglicherweise sogar schon 50 Millionen t sein werden. Das setzt allerdings voraus, dass man vor Ort keine Fehler macht.

Der zunehmende Wettbewerb, insbesondere bei den Ostseeverkehren, macht auch vor Staatsgrenzen nicht halt. Ganz aktuell gibt es Bemühungen, den Betrieb durch polnische Fähren in Richtung Skandinavien auszubauen und vermehrt Fährverkehre über die polnischen Häfen aufzunehmen. Zwischen dem polnischen Swinemünde und dem schwedischen Trelleborg verkehrt seit Februar ein neuer Liniendienst; weitere Fährlinien zwischen Polen und dem Baltikum sind geplant. Dafür sind von der polnischen Regierung Programme für den Ausbau der Infrastruktur und der Häfen vorgesehen.

Dies alles zeigt, dass leistungsfähige Verkehrsverbindungen - dies hatte ich eben bereits gesagt - und moderne logistische Schnittstellen unabdingbar sind, um die Transportlogistikbranche im Land wettbewerbsfähig zu halten. Langfristig wird der Ausbau der Infrastruktur über die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes entscheiden. Daher sind die Realisierung der Schlüsselprojekte im Straßenund Schienenbereich sowie Investitionen für den Ausbau der Seehäfen und Wasserstraßen als logistische Knotenpunkte außerordentlich wichtig. Ich erwähne der Kürze halber hier nur kursorisch auch den Ausbau den Bundesfernstraßennetzes A 20, A 21, A 7, A 23 und B 5. Wichtig sind jedoch auch nachhaltige und möglichst optimal gestaltete Hinterlandanbindungen, um auch künftig die Potenziale der Häfen nutzen zu können. Eine weitere Optimierung der Hinterlandanbindung des Lübecker Hafens ist insbesondere über den Ausbau des ElbeLübeck-Kanals für Großmotorschiffe zu erreichen. Die Landesregierung erhebt diese Forderung mit Nachdruck gegenüber dem Bund.

Zudem werden wir verschiedene Projekte durchführen und Strategien verfolgen, die die in den Häfen selbst praktizierten Verkehrssysteme - Telematiksysteme, kombinierter Ladungsverkehr und Ähnliches - unterstützen, und zwar über Förderprogramme und hier insbesondere über das Zukunftsprogramm Wirtschaft.

Neben regionalen Aktivitäten in Brunsbüttel, Flensburg, Padborg oder Lübeck gibt es derzeit Bestrebungen für eine landesweite Initiative unter Federführung der Güterverkehrszentren Kiel und Lübeck und unter Mitwirkung der Wirtschaftsfördereinrichtungen und der Industrie- und Handelskammern. Diese Initiative soll Kooperationsmöglichkeiten prüfen, sie soll Hemmnisse abbauen und insbesondere die positiven Effekte aus dem Wachstum des Hamburger Hafens nutzen.

Ich bin zuversichtlich, dass mit den dargestellten Aktivitäten und Maßnahmen weitere Wertschöpfungsmöglichkeiten gegeben sind und damit verbunden weitere Arbeitsplätze im Logistikbereich in Schleswig-Holstein gebunden werden können. Seien Sie versichert, dass die Landesregierung und die Logistikbranche auch in Zukunft daran festhalten wird, über den Logistikbetrieb mehr Arbeitsplätze in Schleswig-Holstein zu schaffen, und dieses weiter im Fokus behält.

(Beifall bei CDU, SPD sowie des Abgeord- neten Dr. Heiner Garg [FDP])

(Minister Dietrich Austermann)

Ich danke dem Herrn Minister. - In der Aussprache erteile ich für die antragstellende Fraktion der FDP Herrn Dr. Heiner Garg das Wort.

(Unruhe - Zuruf des Abgeordneten Hans- Jörn Arp [CDU] - Heiterkeit)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Arp, ein bisschen können Sie vielleicht noch warten. Sie werden allerdings überrascht sein von dem, was Sie gleich zu hören bekommen.

(Hans-Jörn Arp [CDU]: Ihr Lob womöglich!)

- Abwarten. - Schleswig-Holstein ist ein Transitland. Es ist die Drehscheibe des Ostseehandels, die Brücke zwischen Skandinavien und Westeuropa und dem - wenn ich das einmal so flapsig ausdrücken darf - nördlichen Hinterland des achtgrößten Hafens der Welt, des Hamburger Hafens.

Mit Logistik wird in Schleswig-Holstein viel Geld verdient. Vielleicht könnte es sogar noch mehr Geld sein und könnten durch Logistik noch mehr Arbeitsplätze entstehen. Der Bericht des Wirtschaftsministers zeigt, wie das gehen könnte. Nicht nur, dass die Landesregierung genau diese Potenziale erkannt hat, sie hat auch bereits zweckdienliche Maßnahmen ergriffen und kann hierüber kurz, präzise und verständlich berichten.