Protokoll der Sitzung vom 07.06.2007

(Ministerpräsident Peter Harry Carstensen)

Antwort auf die vielfältigen Herausforderungen unserer Zeit einen nachhaltigen Wandel an.

Wer mit der Erziehung und Bildung von Kindern und Jugendlichen zu tun hat, weiß, dass man sichtbare und messbare Erfolge nicht über Nacht herstellen kann. Dazu bedarf es Zeit. Zwar mache ich mir nicht den alten Spruch zu eigen, Schulen veränderten sich langsamer als Kirchen - so etwas könnten wir uns auch gar nicht leisten -, aber spürbare und messbare Veränderungen erfordern Sorgfalt und Geduld.

Meine Damen und Herren, die beantragten Berichte können zum jetzigen Zeitpunkt nicht viel anderes darstellen als Momentaufnahmen des Prozesses zum Zeitpunkt ihrer Erstellung. Ich will deswegen gern die Gelegenheit nutzen und Ihnen mündlich berichten, was sich seit der Erstellung der schriftlichen Berichte auf den angesprochenen Feldern getan hat:

Alle Schulverordnungen befinden sich derzeit in der Anhörung - beziehungsweise die entsprechenden Anhörungen sind abgeschlossen - und werden in Kürze erlassen. Das reicht von der Gymnasialverordnung über die Verordnung zur Orientierungsstufe, die Mindestgrößenverordnung bis hin zur Kontingentstundentafelverordnung. Diese Aufzählung könnte ich fortsetzen; Sie haben vielleicht aber auch so eine ungefähre Vorstellung davon, was das bedeutet - auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie für die Anzuhörenden in einem solchen Prozess. Aus einem Schulgesetz ergeben sich nun einmal eine Fülle von Konsequenzen. Die Gemeinschaftsschulordnung ist in Kraft. Die Regionalschulordnung wird noch vor der Sommerpause vom Kabinett verabschiedet werden.

Während Regionalschulen ja erst vom Schuljahr 2008/2009 an eingerichtet werden können, starten die ersten sieben Gemeinschaftsschulen bereits mit dem nächsten Schuljahr. Die Einführung und Begleitung beider Schultypen bildet einen Schwerpunkt der Fortbildungsoffensive während der Umsetzungsphase bis zum Jahr 2010.

Zum 1. August 2007 werden Gemeinschaftsschulen mit insgesamt rund 750 Schülerinnen und Schülern ihre Arbeit aufnehmen. An allen sieben Standorten hat man sich intensiv Gedanken darüber gemacht, wie das gemeinsame Lernen der Schülerinnen und Schüler realisiert werden soll. Dabei war das Ziel, jeden zu dem Schulabschluss zu führen, der ihm, der seinen Fähigkeiten und Möglichkeiten am besten entspricht.

An dieser Stelle will ich auch ein Wort zu den Schulartempfehlungen und zur Zusammensetzung

der Schülerschaft an den neuen Gemeinschaftsschulen sagen: Abgesehen davon, dass die Gesamtschulen in Schleswig-Holstein bei ihrer Gründung in genau derselben Situation waren - nämlich, dass zunächst nur wenige Schüler mit Gymnasialempfehlung geschickt wurden, weil die Eltern zunächst einmal abwarten wollten, was sich da entwickelt -, ist es - das will ich hier ganz deutlich sagen - gerade der Anspruch einer integrativen Schule, mehr Schüler zu höheren Abschlüssen zu bringen. Es ist gerade ihr Anspruch, Frau Herold - das gilt für die Regionalschule -, die Schulartempfehlung gerade nicht als Festschreibung des Bildungsschicksals eines Kindes zu begreifen.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und SSW)

Wer das nicht akzeptiert und dies nicht als eines der wichtigsten Ziele des neuen Schulgesetzes betrachtet, wer es nicht als Ziel betrachtet, dass wir mehr Schüler -

(Zuruf)

- Ja, entschuldigen Sie, dass ich Sie anspreche. Aber Sie hatten sich zu dieser Frage in einer Weise geäußert, die ich nicht ganz nachvollziehen kann. Sie haben aber ja die Möglichkeit, hierzu noch einmal Stellung zu nehmen. Die Schulartempfehlung ist eine Momentaufnahme bei einem zehnjährigen Kind.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und CDU)

Kinder entwickeln sich selbstverständlich noch über das Alter von zehn Jahren hinaus.

(Zuruf: Aber das ist dort auch so gewesen!)

- Was ist so gewesen?

(Zuruf von der FDP: Dass sie dort auch eine Empfehlung bekommen haben!)

- Ja, das ist richtig. Aber wir stehen auf diesem Standpunkt und deswegen haben wir ja beispielsweise auch die Regionalschule so konstruiert, dass sie eine gemeinsame Orientierung hat. Danach erst wird eine Empfehlung für den Bildungsgang getroffen. Auch da wird die Zuordnung nicht auf Dauer so festgeschrieben, dass es nicht auch die Möglichkeit gäbe, dass Kinder den Bildungsgang einfacher wechseln können als bisher. Das ist eines der wichtigen Ziele, die alle Schulformen in Zukunft betrifft. Es geht darum, Schulartempfehlungen nicht als Schicksal zu begreifen.

Meine Damen und Herren, die Konzepte auch der Gesamtschulen sind unterschiedlich. Denn der Weg zur Gemeinschaftsschule muss der jeweiligen Schule angemessen sein. Es geht nicht darum, ein

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

Einheitskorsett zu verordnen, in das sich alle hineinzwängen müssen.

Die Entscheidung über die Genehmigungen haben wir uns nicht leicht gemacht. Über das Konzept hinaus war vor allem zu prüfen, ob mit der Entstehung der Gemeinschaftsschule ein gleichmäßiges, wohnortnahes und alle Schulen umfassendes Angebot dauerhaft in der Region gewährleistet bleibt. Denn es ist ganz klar, dass bei der Weiterentwicklung der Schullandschaft natürlich nicht nach dem Windhundprinzip verfahren werden kann. Bei den Genehmigungen waren deshalb selbstverständlich Aspekte der Schulentwicklungsplanung zu berücksichtigen. Wir haben die Entscheidungen zudem unter der Würdigung der eingeholten Stellungnahmen der Kreise getroffen, da dort in den meisten Fällen noch gar keine Schulentwicklungsplanung vorlag.

Zur Veränderung der Schullandschaft gehört auch, dass die Leitungsaufgaben angepasst werden. Deswegen haben wir uns in der Koalition auf neue Schulleitungsstrukturen verständigt, die wir über eine Änderung des Landesbesoldungsgesetzes zu Beginn des Schuljahres 2008/2009 einführen wollen. Die Leitungen an den weiterführenden Schulen sollen insgesamt gestärkt und nach einheitlichen Kriterien aufgebaut werden. Wir wollen die Schulen dadurch in die Lage versetzen, vor allem in den Bereichen Personalführung und -beurteilung sowie Qualitätsentwicklung selbstständiger agieren zu können.

Die Schulen werden Kontingentstundentafeln erhalten, die für Regional- und Gemeinschaftsschulen ein höheres Unterrichtsvolumen enthalten als die bisherigen Real- und Hauptschulen. Diese Stundentafeln sind ebenfalls derzeit in der Anhörung. Es ist ebenso vorgesehen, in beiden neuen Schularten zusätzliche Stunden pro Klasse zur Differenzierung oder Doppelbesetzung zur Verfügung zu stellen. Dies wird durch die Konzentration der Schulstandorte möglich und aus den Stellen des Förderfonds ergänzt.

Außerdem erhalten die zusammenwachsenden Schulen ein Jahr lang zusätzlich fünf Wochenstunden, die sie für ein Vorbereitungsteam einsetzen können und sollen, um den Wechsel gut begleiten zu können, und auf Wunsch entweder externe Begleitung oder entsprechende Finanzmittel.

Über die Unterrichtsverpflichtung der Lehrkräfte an den neuen Schulformen sind wir noch in der Beratung.

Mit dem Bericht über die Schulanmeldungen, der parallel behandelt werden soll, wissen Sie, wie vie

le Schülerinnen und Schüler jeweils an den neuen Gemeinschaftsschulen angemeldet wurden. Dies konnten wir mitteilen, weil wir es einzeln bei den Schulen abgefragt haben. Im Übrigen sind wir aber auf die Auswertung der Abfrage des Statistikamtes Nord für die Schulanmeldungen angewiesen. Die liegt leider noch nicht vor. Ich kann Ihnen also zu diesem Punkt über den schriftlichen Bericht hinaus keine belastbaren Informationen bieten. Ich sage das aber für den Bildungsausschuss zu, sobald wir diese Informationen haben.

Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal auf die Vermittlung der vielfältigen Neuerungen eingehen. Ich habe zu Beginn die aktuellen Diskussionen über die Zukunft der Schulen im Land erwähnt. Wir sehen es im Moment als unsere besondere Aufgabe an, dafür zu sorgen, dass sich alle Diskussionsteilnehmer möglichst einfach und möglichst umfassend mit den erforderlichen Informationen versorgen können. Vieles von der erwähnten Unsicherheit geht auch darauf zurück, dass Gesetzesinhalte unvollständig weitergegeben werden. Wir haben deshalb nicht nur die im Bericht erwähnte Handreichung erarbeitet und verteilt, Informationen und Beratung stehen natürlich auch durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die Schulrätinnen und Schulräte zur Verfügung.

Darüber hinaus sind wir derzeit in der intensiven Vorbereitung des Fortbildungskonzepts, das die neuen Schularten, aber auch alle anderen Schulen, auf die neuen Herausforderungen vorbereiten soll. Wenn wir damit fertig sind und die entsprechenden Vorbereitungen abgeschlossen haben, will ich gern im Bildungsausschuss darüber berichten.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und ich hoffe auf weitere lebhafte Diskussionen, die übrigens nach meinem Eindruck vor Ort in großer Sachlichkeit geführt werden. Dafür bedanke ich mich.

(Beifall bei SPD, CDU und SSW)

Ich danke der Frau Ministerin. - Ich eröffne die Aussprache. Ich habe vorgesehen, zunächst den beiden Antragstellern das Wort zu erteilen und dann nach der Größe der Fraktionen zu gehen. Deshalb erteile ich zunächst für den SSW Frau Abgeordneter Anke Spoorendonk das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Ministerin, vielen Dank für den Bericht.

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

Es ist auch gut, dass Sie deutlich gemacht haben, dass die schriftlichen Berichte nur eine Momentaufnahme darstellen, und dass Sie die Berichte mündlich ergänzt haben.

Natürlich ist die Einrichtung der ersten sieben Gemeinschaftsschulen in Schleswig-Holstein ein erfreuliches Ereignis für die zukünftige Schulpolitik hier im Land. Das gemeinsame längere Lernen von Kindern bis zur 10. Klasse ist aus Sicht des SSW das Zukunftsmodell schlechthin. Das haben uns nicht zuletzt immer wieder die verschiedenen PISA-Studien vor Augen geführt. Die Einführung der Gemeinschaftsschulen ist eine vernünftige Antwort auf die fehlende Chancengleichheit in unserem Bildungssystem und ich fand daher, dass es gut war, dass die Ministerin noch einmal auf die Schulartenempfehlung eingegangen ist. Die Gemeinschaftsschule schafft die Vorraussetzung dafür, dass alle Kinder jedweder Herkunft fit fürs Leben gemacht werden.

Bei aller Freude gibt es aber auch immer noch viele Widerstände zu überwinden. Der Schulstreit ist noch nicht vorbei und die Anhänger des gegliederten Schulsystems sind nicht bereit, ihre Position zu ändern. Wenn nämlich konservative Politiker und Lehrerverbände nicht nach wie vor die Gemeinschaftsschule aus ideologischen Gründen blockierten, würden zum neuen Schuljahr noch wesentlich mehr als 750 Schulkinder gemeinsam unterrichtet werden.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Geht es in diesem Tempo weiter, dann dauert die Reform noch Jahrzehnte. Deshalb muss die Landesregierung weiterhin dafür werben, dass die Schule der Zukunft vor Ort auch wirklich gebaut wird. Vor allem die CDU-Mehrheiten in den Kreisen müssen endlich akzeptieren und respektieren, dass die Gemeinschaftsschulen von den Eltern vor Ort gewollt sind, statt sich weiterhin mit aller Macht gegen die Schulreform zu stemmen.

(Beifall beim SSW)

Es kann nicht angehen, dass einige Kreise mit den sogenannten Schulentwicklungsplänen in der Hand versuchen, die Bildung von Gemeinschaftsschulen vor Ort zu verhindern. Im Bericht der Ministerin wird deutlich, dass Schulentwicklungspläne zwar aufzustellen und regelmäßig fortzuschreiben sind, aber de facto können sie nicht als Argument dafür herhalten, dass das Ministerium die Genehmigung für die Errichtung von Gemeinschaftsschulen verweigern soll. Dies ist auch nachweislich nicht geschehen. Ich finde, dass im Bericht diese Proble

matik mit der Formulierung, dass die Landesregierung Gemeinschaftsschulen unter „der Würdigung der Stellungnahmen der jeweiligen Kreise“ genehmigt, elegant umschifft. Allerdings gab es besonders im Kreis Schleswig-Flensburg die interessante Konstellation, dass sich vernünftige CDU-Kommunalpolitiker mit Unterstützung von SSW und SPD vehement für die Einführung von Gemeinschaftsschulen - zum Beispiel in den Gemeinden Handewitt und Schafflund - eingesetzt haben, während die CDU-Kreistagspolitiker Stimmung gegen diese Schulart machten. In Flensburg hingegen gab es eine Mehrheit von SSW, SPD und Grünen für die Errichtung von Gemeinschaftsschulen gegen den - ich sage es deutlich - erbitterten Widerstand der CDU vor Ort. Der Landesteil Schleswig ist aber dennoch eine Art Vorreiter bei der Einführung von Gemeinschaftsschulen. Dies liegt sicherlich nicht zuletzt auch an der Nähe zu Dänemark.

Insgesamt macht der Bericht über die aktuelle Umsetzung des Schulgesetzes aber auch die inneren Gegensätze dieser Schulreform deutlich. Das Gesetz ist eben ein Kompromiss zwischen zwei völlig verschiedenen schulpolitischen Ansätzen. Zwar können sich beide Richtungen im Gesetz wiederfinden, aber dadurch wird der Kampf zwischen den Schularten nur auf die kommunale Ebene verlagert. Regionalschule oder Gemeinschaftsschule ist heute die zentrale Frage in den kommunalen Gremien und damit bei den Schulträgern vor Ort.

Der Streit der Großen Koalition um die Gemeinschaftsschulen darf aber nicht auf die kommunale Ebene verlagert werden. Die Leidtragenden werden in so einem Fall die Schulträger und die Eltern sein, die große Hoffnungen in die Einrichtung von Gemeinschaftsschulen setzen, weil sich so ihr ländlicher Schulstandort erhalten lässt. Darum dreht es sich häufig in den Diskussionen. So kann man nicht mit den Menschen in Schleswig-Holstein umgehen, das möchte ich noch einmal deutlich machen. Daher mein Appell an die CDU: Stehen Sie zu allen Teilen des Schulgesetzes und versuchen Sie nicht, die guten Ansätze für eine zukunftsfähige Schule zu unterlaufen!

(Beifall beim SSW)

Allerdings muss auch die Landesregierung ihre Hausaufgaben machen, damit weitere Gemeinschaftsschulen im Land entstehen können. Nicht zuletzt die GEW weist darauf hin, dass es immer noch Probleme mit der Finanzierung und den etwas unklaren Rahmenbedingungen bei der Einführung von Gemeinschaftsschulen gibt. Dies betrifft auch das Ganztagsschulangebot für diese Schulart, wo bei den offenen Ganztagsschulen gerade viele Kin

(Anke Spoorendonk)

der nicht erreicht werden, die ein solches Angebot benötigen würden. Hier sollte das Bildungsministerium nachbessern.