Dies gilt insbesondere dann, wenn es darum geht, alle Eltern in der Entscheidungsfreiheit einzuschränken, um eine kleine Zahl von Kindern vor Erziehungsohnmacht, Gewalt und Verwahrlosung zu schützen. Darüber hinaus besteht für Ärztinnen und Ärzte aus den angrenzenden Bundesländern keine Meldepflicht, wenn sie für Kinder aus Schleswig-Holstein eine Früherkennungsuntersuchung durchführen.
Frau Ministerin, ich hatte bereits hinsichtlich der Eckpunkte Ihres Gesetzentwurfs angemerkt, dass man insoweit nacharbeiten muss, zumindest solange es keine bundeseinheitlichen Regelungen gibt.
Eltern, die beispielsweise ihr Kind einer Ärztin oder einem Arzt aus Hamburg zur Früherkennungsuntersuchung vorstellen, müssen also theoretisch jedes Mal damit rechnen, dass Sie sich mit der Zentralen Stelle auseinandersetzen müssen.
Gleichzeitig ist die im Entwurf vorgesehene Meldepflicht der Ärztinnen und Ärzte aus unserer Sicht mit der Niedrigschwelligkeit des Arztbesuches zur Vorsorge wenig vereinbar. Die jetzt im Entwurf verankerte Meldepflicht der Ärztinnen und Ärzte trägt dem Selbstverständnis der Kinder- und Jugendmediziner nur wenig Rechnung, den Eltern als sozialer Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen, wenn sie künftig mit einer staatlichen Meldestelle in Verbindung gebracht werden.
Kinder- und Jugendärzte sollten weiterhin als Vertrauenspersonen und nicht als Vollzugsbeamte des Staates agieren können, die womöglich auch noch gesellschaftliche Fehler ausbügeln müssen. Insoweit möchte ich, Frau Ministerin, dass wir im Ausschuss zumindest noch einmal darüber diskutieren können, ob eine Regelung, die das Arzt-PatientenVerhältnis nicht tangiert, möglich wäre.
sächlich praktikabel zu machen. Dabei erhoffe ich mir Antworten von den Experten, wie schnell und unkompliziert zum Wohl der Kinder gehandelt werden kann. Denn allein der Datenabgleich in einer zentralen Behörde, die wiederum die dezentral organisierten Gesundheitsämter und Jugendämter informieren muss, führt zu zeitlichen Verzögerungen, die es genau in diesem Fall, den wir alle nicht wollen, nicht geben darf.
Ich danke dem Herrn Abgeordneten Heiner Garg. Das Wort für den SSW im Landtag hat nun der Herr Abgeordnete Lars Harms.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Spektakuläre Schlagzeilen, nüchterne Daten und alltägliche Erfahrungen erinnern uns immer wieder daran: Manche Eltern schaffen es nicht allein, ihren Kindern Geborgenheit zu geben und die Sprösslinge zu fördern. Im schlimmsten Fall führt dieses zu schwerer Misshandlung und in noch viel mehr Fällen werden die Kleinsten vernachlässigt, weil die Eltern der Aufgabe einfach nicht gewachsen sind. Viel zu viele Kinder leiden stumm und fühlen sich von der Erwachsenwelt alleingelassen.
Gerade weil nicht alle Eltern in der Lage oder willens sind, ihrem Kind das zu geben, was sie brauchen, hat auch die Gesellschaft eine Verantwortung für ihre Kinder. Wenn die Eltern nicht klarkommen, muss die Gesellschaft für sie handeln. Die Tatsachen sprechen aber dafür, dass die bisherigen Hilfen und Eingriffsmöglichkeiten nicht ausreichen. Deshalb begrüßen wir, dass uns jetzt endlich der Entwurf für ein Kinderschutzgesetz vorliegt, den die Sozialministerin bereits im März angekündigt hatte.
Wer große Erwartungen gehegt hat, sieht sich allerdings enttäuscht. Vieles im neuen Kinderschutzgesetz der Ministerin ist einfach eine Aneinanderreihung von Bestehendem und von Selbstverständlichkeiten. Daraus spricht die erklärte Absicht der Ministerin, bestehende Hilfen und Angebote auch in Zeiten der Haushaltskonsolidierung zu erhalten. Aber das ist natürlich zu wenig, gemessen an den Erwartungen, die bestehen und auch seitens der Ministerin geweckt wurden.
und Verbänden soll aber eine effektive und zusammenhängendere Politik zum Schutz der Kinder erreicht werden. Dagegen kann niemand etwas einwenden.
Der erste Ansatz ist und bleibt die Vorbeugung. Eltern sollen darin unterstützt werden, ihre Sache richtig gut zu machen. Die Information für Eltern wird gestärkt und die Bedeutung der Familienbildung und Familienberatung wird unterstrichen. Auch das ist gut so. Neben der Überforderung sind Unwissenheit und Informationsmangel nämlich immer noch ein wesentlicher Grund dafür, dass Kinder nicht gerecht behandelt werden. Allerdings glaube ich auch, dass diese Informationen mit Blick auf Problemfamilien besser durch mündliche Überlieferung im täglichen Leben - zum Beispiel durch Familienhebammen - statt durch Broschüren erfolgt. Denn von diesen Broschüren werden vor allem diejenigen Eltern erreicht, die ohnehin ein Interesse daran haben, sich über Kinderpflege und Kindererziehung zu informieren.
Was aber machen, wenn das Kind schon buchstäblich am Rande des Brunnens steht, weil die Eltern nicht aufpassen? Zentrales Element der neuen Kinderschutzpolitik in allen Bundesländern ist die Etablierung eines Frühwarnsystems, das Problemfamilien rechtzeitig in den Fokus der Behörden bringt. Denn es gibt viele, denen die Probleme auffallen könnten: Geburtskliniken, Hebammen, Jugendhilfe, Gesundheitsämter, Kinder- und Jugendärzte, Beratungsstellen, Schulen, Polizei, Justiz und andere mehr. Diese sollen sich in formalisierten Kinderschutznetzwerken und Kooperationskreisen austauschen und zusammenarbeiten, um gefährdeten Kindern frühzeitig beistehen zu können. Weil es bisher gerade an der Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure gehapert hat, sollen künftig die Jugendämter die Verantwortung für die Koordinierung und für das Handeln bei Kindeswohlgefährdung bekommen. Dies ist ein guter Ansatz. Außerdem sollen die vielen Beteiligten fortgebildet werden, damit Probleme erkannt und gemeinsam bearbeitet werden können. Auch das ist gut so, aber auch das kostet Geld.
Kinder werden in den ersten Lebensjahren weitgehend in der Familie betreut. Deshalb sind die Probleme von außen schwer zu erkennen, wenn die Familie nicht andere Hilfen in Anspruch nimmt. Aus diesem Grund laufen die meisten Pläne für Frühwarnsysteme in Deutschland darauf hinaus, die Früherkennungsuntersuchungen beim Kinderarzt zu
nutzen. Die Erfahrungen zeigen, dass diese von gut 5 % der Kinder beziehungsweise Eltern nicht in Anspruch genommen werden, und es besteht die Vermutung, dass dies gerade jene sind, für die ein besonderes Risiko besteht.
Deshalb haben die Grünen uns bereits vor eineinhalb Jahren einen Entwurf zur Änderung des Gesundheitsdienstgesetzes vorgelegt, mit dem die Teilnahme an der U7 verbindlich gemacht werden sollte. Ich habe damals schon deutlich gemacht, dass dem SSW dieser Ansatz zu eng ist. Die Begrenzung auf Zweijährige, die komplizierte Kostenregelung und die Konzentration auf die Kontrolle durch Mediziner erschien uns zu wenig.
Mit ihrem Gesetzentwurf haben die Grünen aber die Grundlage für eine Diskussion geschaffen, an der sich alle Fraktionen intensiv beteiligt haben. Die gesundheitspolitischen Sprecher haben sich darauf verständigen können, dass verbindliche Gesundheitsuntersuchungen für alle Kinder aus gesundheitspolitischer Sicht Sinn machen. Wir waren uns schließlich darin einig, dass es erstens um alle Früherkennungsuntersuchungen gehen muss, dass diese zweitens durch die niedergelassenen Kinderärzte durchgeführt werden müssen, dass drittens die Teilnahme von den Gesundheitsämtern kontrolliert werden sollte und dass es viertens für die Eltern Konsequenzen haben muss, wenn sie dieser Pflicht nicht nachkommen.
Diese langwierige Suche nach Gemeinsamkeiten und Kompromissen ist aber hinfällig geworden, seitdem der Entwurf der Ministerin für ein Kinderschutzgesetz vorliegt. Ich finde aber nicht, dass dem Sozialministerium eine bessere Lösung gelungen ist. Die Landesregierung wählt denselben Ansatz wie das Saarland, das bereits eine entsprechende Regelung eingeführt hat. Dort melden die Kinderärzte die Teilnahme an den Früherkennungsuntersuchungen an eine zentrale Screeningstelle, die dann die Daten mit denen von Meldebehörden abgleicht und so die Kinder ausfindig macht, die nicht teilgenommen haben.
In Schleswig-Holstein werden die säumigen Eltern dann ein Schreiben von dieser weithin unbekannten zentralen Stelle bekommen, die sie zur Teilnahme an der Früherkennung auffordert. Wer sein Kind dann immer noch nicht zum Kinderarzt bringt, macht unfreiwillig Bekanntschaft mit dem örtlichen Jugendamt, ohne aber zur Gesundheitsuntersuchung verpflichtet werden zu können. Diese Lösung wirkt sehr bürokratisch und stellt den Kontrollaspekt in den Vordergrund, legt aber keine abschließende Sanktion fest. Außerdem wäre es sinnvoller gewesen, für den gesamten Verlauf die bestehenden
Strukturen vor Ort zu nutzen. Die Gesundheits-, Sozial- und Jugendämter sind den Eltern bekannt und arbeiten jetzt schon eng zusammen. Sie arbeiten oft unter einem Dach. Da liegt es eigentlich nahe, sich schon vorhandener Strukturen auf kommunaler Ebene zu bedienen. Statt dessen schafft Frau Trauernicht etwas Neues und verursacht so noch mehr Bürokratie.
Das Gesundheitsthema ist nur ein Weg, um die Tür zum Elternhaus zu öffnen. Eben diese Verkoppelung der gesundheitlichen mit der sozialen Perspektive, dieser Ansatz der Förderung und des Empowerment, liegt ja auch dem „Schutzengel-Konzept“ zugrunde, das im Rahmen des Kinder- und JugendAktionsplans Schleswig-Holstein landesweit ausgedehnt werden soll. Während dieses aber ausdrücklich auf sozial benachteiligte Familien beschränkt ist, richtet sich ein anderes bekanntes Beispiel, das ebenfalls vom dänischen Vorbild inspirierte „Dormagener Modell“, an alle Eltern. Wir meinen, dass eben dies das Ziel sein sollte, nämlich an alle Eltern heranzutreten. Denn die klassischen Mittelschichteltern bringen ihre Kinder zwar zuverlässiger zu den Früherkennungsuntersuchungen, aber das heißt noch lange nicht, dass es dort keine überforderten und hilflosen Eltern gibt.
Wenn es um den Schutz vor Misshandlung und Vernachlässigung geht, dann macht eine allgemeine aufsuchende Gesundheitsfürsorge durch Familienhebammen, Sozialarbeiter oder den öffentlichen Gesundheitsdienst immer noch am meisten Sinn.
Eine Pflicht zu ärztlichen Früherkennungsuntersuchungen macht wiederum aus gesundheitspolitischer Sicht Sinn. Die Beratung in Gesundheitsfragen kann dazu beitragen, den Aspekt der sozialen Kontrolle in den Hintergrund zu drängen und so die Bereitschaft der Eltern zu Mitarbeit und Veränderung zu erhöhen. Denn letztlich vertraut man doch eher der Familienhebamme auf dem Sofa als dem Jugendamtsmitarbeiter vor der Haustür.
Aber egal, wer sich jetzt um die Kinder kümmern soll, die bei Früherkennungsuntersuchungen fehlen oder anderweitig auffallen: Aufsuchende und nachsorgende soziale Dienste der Sozial-, Jugend- und Gesundheitsämter kosten Geld. Auch die Fortbildung der kommunalen Mitarbeiter, die Koordinierung von formalisierten Netzwerken und die sozialmedizinische Qualifikation der niedergelassenen Kinder- und Jugendärzte sind nicht zum Nulltarif zu haben. In dieser Hinsicht macht das Kinderschutzgesetz aber wenig Hoffnung. Es preist die Arbeit der bestehenden Institutionen, es macht aber
auch von vornherein klar, dass die Ausgaben nach Maßgabe des Haushaltes gestaltet werden. Das ist zwar eine Selbstverständlichkeit, macht aber auch deutlich, dass die Landesregierung keine Absicht hegt, die finanziellen Rahmenbedingungen für den Schutz der Kinder wesentlich zu verändern.
Trotzdem wird der Schleswig-Holsteinische Landtag mit dem Kinderschutzgesetz bundesweit Maßstäbe setzen, weil es anderswo ein solches noch nicht gibt.
Allerdings hoffe ich nicht, dass das Verfahren in Verbindung mit dem Gesetzentwurf Maßstäbe für den Landtag setzt. Denn es steht auch für eine schier endlose Kette von unerfreulichen Ereignissen. Die Fraktionen der Großen Koalition haben die Kolleginnen und Kollegen von den Grünen vor den Kopf gestoßen, weil eigentlich vereinbart war, dass wir ausgehend von dem Entwurf der Grünen etwas Gemeinsames erarbeiten.
Die SPD-Fraktion hat auch ihr zuständiges Fraktionsmitglied vor den Kopf gestoßen, das gemeinsam mit den anderen Fraktionen konstruktiv an einer Lösung auf Grundlage des Gesundheitsdienstgesetzes gearbeitet hat.
Die Sozialministerin und die Fraktionen von CDU und SPD haben die Kommunalverbände vor den Kopf gestoßen. In Anbetracht der Vorgeschichte dieses Gesetzentwurfs glaubt wohl niemand daran, dass es im Auftrag der Kollegen Geerdts und Baasch geschrieben wurde. Durch die Einbringung des vom Sozialministerium erarbeiteten Gesetzes durch die Landtagsfraktionen wurde aber eine Verbandsanhörung des Ministeriums und damit auch die Beteiligung der Betroffenen umgangen.
Und schließlich hat die CDU die SPD vor den Kopf gestoßen, als diese plötzlich öffentlich eine Kehrtwende bei den Kinderrechten in der Landesverfassung machte, ohne den Koalitionspartner zu informieren. Auch das gehört zu diesem Gesamtkomplex, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Das Verfahren um dieses Gesetz ist eine Sammlung von parlamentarischen Kopfverletzungen und sollte den Fraktionen der Großen Koalition zu denken geben. Ich lege es einmal so aus, dass die großen Fraktionen angesichts der Großen Koalition etwas
Ich freue mich aber trotzdem auf die Ausschussberatung - in der Hoffnung, dass es in den weiteren Beratungen wieder etwas gesitteter und vor allem auch parlamentarischer zugehen wird. Hier stellt sich nämlich auch die Frage des parlamentarischen Umgangs miteinander.
Ich danke Herrn Abgeordneten Lars Harms. - Das Wort für die Landesregierung hat nun die Familienministerin, Frau Dr. Gitta Trauernicht.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin davon überzeugt, dass der heute vorgelegte Gesetzentwurf ein weiterer Meilenstein für einen besseren Kinderschutz in Schleswig-Holstein sein wird. Ich würde mich sehr freuen, wenn nach intensiven Beratungen in der zweiten Lesung eine breite Mehrheit hier in diesem Parlament für diesen Gesetzentwurf zustande kommen könnte.
Wir reden über Kinderschicksale. In der Vergangenheit haben in der Öffentlichkeit insbesondere Einzelschicksale besonders beunruhigt, Einzelschicksale, wo Kinder auf grausame Weise zu Tode gekommen sind. Wir wissen, dass 77 % aller Todesfälle bei Kindern wegen Vernachlässigung und Gewalt bei Kindern unter zwei Jahren geschieht. Deshalb beschäftigen wir uns seit den letzten Jahren intensiv mit der Frage, wie wir insbesondere die Kleinsten schützen können. Denn hier zeigt sich, dass wir in der Jugendhilfe noch nicht alle Anstrengungen unternommen haben, die mit Blick auf diese Zielgruppe erforderlich sind.
Wenn wir an Kinderschicksale denken, müssen wir aber auch an die 50 Säuglinge und Kleinkinder denken, die Jahr für Jahr aus schleswig-holsteinischen Familien geholt werden, weil Gefahr für Leib und Leben droht. Wir müssen auch an die vielen tausend Kinder denken, für die sich der Kinderschutzbund, die Kinderschutzzentren, die freien und öffentlichen Träger engagieren, weil Vernachlässigung und Gewalt ihr Leben bestimmen.
Wir wissen inzwischen um die Risikofaktoren. Es sind Armut und soziale Isolation, es sind wiederholte Krisen und Partnerschaftsgewalt, es sind aber