Protokoll der Sitzung vom 12.07.2007

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die heutige Sitzung und begrüße Sie alle sehr herzlich. Erkrankt ist nach wie vor die Frau Abgeordnete Monika Schwalm. Wir wünschen ihr von dieser Stelle aus nochmals gute Besserung.

(Beifall)

Beurlaubt ist für den heutigen Tag Herr Ministerpräsident Carstensen.

Auf der Besuchertribüne darf ich Schülerinnen und Schüler der Beruflichen Schule des Kreises Plön und der Beruflichen Schule aus Rendsburg und ihre Lehrkräfte sehr herzlich begrüßen. - Seien Sie uns herzlich willkommen!

(Beifall)

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19, 34 und 35 auf:

Gemeinsame Beratung

a) Erste Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Schleswig-Holsteinischen Schulgesetzes

Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/1500

b) Konsequenzen aus dem neuen Schulgesetz: Stundenzahl für Lehrerinnen und Lehrer der Sekundarstufen

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/1486 (neu) - 2. Fassung

c) Konsequenzen aus dem neuen Schulgesetz: Gebundene Ganztagsschulen

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/1487 (neu)

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Grundsatzberatung und erteile für die Antragstellerin der Frau Abgeordneten Angelika Birk das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einen schönen guten Morgen. Wir Grünen freuen uns über die landesweite produktive Unruhe, die das Schulgesetz auslöst. Auch wenn vieles widersprüchlich bleibt, sicher ist: Bald wird es in Schleswig-Holstein nicht nur die jetzt schon genehmigten sieben Gemeinschaftsschulen geben, sondern eine ganze Reihe mehr. Es gibt, glaube ich, keinen Schulstandort, an dem nicht intensiv über Schule, ihre Zukunft und ihre Qualität diskutiert wird. Und das ist gut so.

Das Schiff zum gemeinsamen Lernen hat große Fahrt aufgenommen. Selbst CDU-Gemeinderäte sind nicht selten mit an Bord oder fühlen sich sogar als Kapitän. Darüber schmunzeln wir bisweilen und tragen unsererseits mit Veranstaltungen zum gemeinsamen Lernen und individueller Förderung zu den zahlreichen Bildungsdiskussionen in den Kommunen bei.

In vielen Bereichen hängen die Anker immer noch fest. Wir Grünen werden, in welcher Rolle auch immer, weiterhin im Landtag und im Übrigen auch in der Hamburgischen Bürgerschaft den Kurs kräftig mitjustieren, damit die Schulreformbewegung in Hamburg und in Schleswig-Holstein nicht aus Gedankenlosigkeit auf Grund läuft.

Die neue Gemeinschaftsschule darf nichts Halbherziges sein. Mitglieder aller Fraktionen haben Besuche in verschiedenen skandinavischen Ländern gemacht. Uns überzeugte die Atmosphäre dort. Kinder brauchen zum Lernen vor allem Lernfreude und Lernfreunde, nämlich motivierte und gesellschaftlich respektierte Lehrerinnen und Lehrer. Lehrerinnen und Lehrer sollen viel mehr Zeit an der Schule verbringen können, ohne dabei - wie dies heute vielfach geschieht - ihre Kräfte völlig auszulaugen. Die Leistungsanforderungen an sie definieren sich anders als bisher.

Auch die Regionalschule und das Gymnasium, also nicht nur die Gemeinschaftsschule, sollen neue Formen des Lernens entwickeln. Deshalb gilt vieles von dem vorher Gesagten auch für sie. Das heißt, dass alle Lehrerinnen und Lehrer an den Schulen neue Lernformen beginnen. Aus welchem Ausbildungszweig sie kommen, ist weniger wichtig für das, was sie zukünftig gemeinsam tun. Es kann deshalb nicht sein, dass man an ein und derselben Schule große Statusunterschiede macht und den Lehrkräften unterschiedliche Arbeitszeiten und Unterrichtsverpflichtungen für die gleiche Aufgabe zumutet und unterschiedliche Gehälter bezahlt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Gehaltsstufen zu ändern, ist eine längerfristige politische Maßnahme, zu der man sicherlich auch noch einmal die Haushälter beiziehen muss und etwas mehr Zeit zum Verhandeln braucht, auch zum Verhandeln mit den Lehrerverbänden.

Zu den Pflichtstundenzahlen haben wir rechtzeitig zu dieser Tagung einen Antrag vorgelegt, der offenbar ein entscheidendes Signal gegeben hat.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [FDP] - Lachen bei der CDU)

- Sie lachen. Ich weiß, wir sind hier nicht allein. Wir wissen von wichtigen Gewerkschaftsversammlungen. Wir wissen auch von ihren internen Debatten, die sicherlich nicht einfach gewesen sind. Aber manchmal ist es doch richtig, wenn man rechtzeitig einen Antrag vorlegt, damit es zum Schwur kommen muss.

(Zurufe)

Frau Erdsiek-Rave, Sie haben weiterhin - anders, als wir es in unserem Antrag formuliert haben - die Menge der Lehrerpflichtstunden wieder an den Schularten und nicht an den Schulstufen orientiert. Trotzdem, rechnet man die reale neue Unterrichtsverpflichtung nach, wird unser Anliegen, wie wir es in unserem ursprünglichen Antrag formuliert haben, deutlich aufgegriffen. Deswegen haben wir uns in dem Antrag, den wir Ihnen heute in der zweiten Neufassung vorgelegt haben, nur noch auf das Timing konzentriert. Wir finden, wenn jetzt eine plausible neue Regelung gefunden ist, soll sie überall dort, wo jetzt schon Regionalschulen und Gemeinschaftsschulen ihre Arbeit aufnehmen, Schritt für Schritt in Kraft treten. Da die Schulen mit jedem Jahrgang langsam aufwachsen, kann dies den Haushalt nicht aus den Angeln heben.

Lassen Sie uns perspektivisch die Haushaltssituation sehen! Wenn weniger Unterrichtsverpflichtung für Lehrerinnen und Lehrer nicht einfach weniger Unterricht bedeutet - denn an vielen Schulen werden die Lehrerinnen und Lehrer jetzt real weniger Pflichtstunden haben -, dann müssten eigentlich die Stellenzahlen an diesen Schulen nach oben korrigiert werden, auch um die Unterrichtsqualität und die Aus- und Fortbildung zu verbessern. Es sei denn, es findet ein dramatischer Rückgang der Schülerzahlen statt. Das ist bis 2020 zwar zu erwarten, aber nicht überall gleichermaßen schnell und auch nicht sofort im Jahre 2010.

In nie gekanntem Ausmaß verändern sich die Zahlen ab 2020. Aber da sind wir noch nicht. Der Unterrichtsbedarf sinkt, aber selbst bei abnehmender

Schülerzahl schon allein nicht deswegen gleichermaßen dramatisch, weil allen jungen Leuten ja Schulabschlüsse geboten werden sollen und vor allem mehr junge Leute das Abitur machen sollen. Schleswig-Holstein gehört bundesweit zu den Schlusslichtern in der Abiturquote. Dies wollen wir ändern.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich denke, in diesem Ziel sind wir uns in allen Fraktionen einig.

Die Landesregierung geht davon aus, dass ab 2010 schrittweise schon auf 4.200 Lehrerstellen verzichtet werden kann, und meint deswegen, es sei das Nonplusultra, wenn hiervon 1.300 Stellen reinvestiert werden. Der Rest von 2.900 Stellen soll ersatzlos wegfallen. Diese Meldung ist kein Aufbruchsignal, Frau Erdsiek-Rave.

Wir wollen es genau wissen - das wird sicherlich ein Thema für den Bildungsausschuss -: Welche statistische Lehrer-Schüler-Relation schwebt Ihnen vor? Soll der Status quo aufrechterhalten bleiben oder erreichen wir wieder die weitaus günstigere Lehrerversorgung aus der ersten Hälfte der 90erJahre, als es ebenfalls demografiebedingt deutlich weniger Schülerinnen und Schüler gab? Sehen Sie sich die Zahlen einmal an! Die Älteren unter Ihnen werden sich noch erinnern. Es gab einfach deutlich weniger Kinder.

Bekanntermaßen hat sich diese Situation trotz des jährlichen Aufwuchses an Lehrerstellen seit 1996 verschlechtert. Dem Abfall der statistischen LehrerSchüler-Relation hätten wir, wenn wir ihm mit Lehrerstellen hätten Rechnung tragen wollen, mit ganz anderen Zuwachsraten begegnen müssen. Ich glaube, dass hätte kein Haushälter irgendeiner Fraktion mitgemacht. Immerhin will jetzt die Landesregierung mindestens etwa 1.000 Stellen mehr einsparen, als Rot-Grün in den letzten 12 Jahren geschaffen hat. Sie verstehen, dass wir uns das genau ansehen wollen. Gleichzeitig greift die Erkenntnis, dass es ohne mehr Ganztagsschulen nicht geht, dass der Lerntag in verschiedene Phasen strukturiert werden muss und insbesondere Gemeinschaftsschulen wie auch Schulen in sozialen Brennpunkten Ganztagsschulen sein sollten. Dies war das zweite Anliegen, das wir in einem Antrag formuliert haben. Es freut uns, dass auch dieses Anliegen offensichtlich in den Koalitionsfraktionen auf fruchtbaren Boden gefallen ist und jetzt tatsächlich eine ganze Reihe von neuen Gemeinschaftsschulen und Schulen in sozialen Brennpunkten die Chance haben, Ganztagsschulen zu werden, und zwar gebundene Ganztags

(Angelika Birk)

schulen mit einem Rhythmus für alle Kinder bis in den Nachmittag hinein.

Da geht es dann aber auch um das Timing. Wenn sich jetzt schon Gemeinschaftsschulen auf den Weg machen, wenn sich auch Regionalschulen auf den Weg machen, dann ist es eigentlich nicht einzusehen, dass sie erst in zwei Jahren mit dem neuen Ganztagsrhythmus rechnen können, denn sie machen jetzt ihr Schulkonzept und müssen wissen, woran sie sind.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb auch hier die Forderung: Lassen Sie diejenigen, die schon so weit sind, dass sie ein Ganztagskonzept vorliegen haben, in den Genuss der neuen Regelung kommen! Wägen Sie ab, welche Schule dies am dringendsten braucht, und lassen Sie uns die Perspektive eröffnen, wie wir mittelfristig aus allen Schulen Ganztagsschulen machen können! Hierfür brauchen wir mehr Ressourcen.

Wir brauchen auch mehr Ressourcen für eine dritte große Frage, die hier im Landtag zu Recht eine große Rolle gespielt hat, nämlich die vorschulische Bildung. Wie viel soll künftig in diesen Bereich investiert werden? In anderen Bundesländern kommt der kostenlose Kindertagesstättenbesuch auf die Tagesordnung. Wir Grünen hatten immerhin ein für die Eltern gebührenfreies Jahr auch in SchleswigHolstein schon für die Legislaturperiode durchgerechnet und eingeplant. Mehr Kinder und mehr Bildung in den Kitas, hierfür angemessene Gruppengrößen von der Krippe an sowie besser ausgebildete Kräfte, all das ist nicht zum Nulltarif zu haben. Auch deshalb zögern wir, einfach mal eben zu sagen, es sei in Ordnung, wenn 3.900 Stellen aus dem Bildungsetat gestrichen werden. Der Bildungsetat darf nicht zur Spardose der Landesregierung werden, weil Schlies Einsparkommission nichts zustande gebracht hat.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Stattdessen sollen die pädagogischen Ressourcen dort eingesetzt werden, wo sie am meisten gebraucht werden. Die Bildungsausgaben sind die entscheidenden Zukunftsinvestitionen des Landes.

Jetzt komme ich in Kürze zu dem Antrag, den wir nicht geändert haben, nämlich unsere Änderung zum Schulgesetz bezüglich der Schulleitungen. Das Schulgesetz ist offensichtlich so gestrickt, dass die Gemeinschaftsschulen keine Schulen sui generis werden, dass sie anders als die Regionalschulen - dem steht im Schulgesetz offensichtlich nichts entgegen - nicht neu gegründet werden. Diese Verwaltungskleinigkeit hat zur Folge, dass in den Ge

meinschaftsschulen keine Schulleitungen durch Schulleiterwahlausschüsse gewählt werden. Auch an vielen Regionalschulen, so hören wir, ist das nicht geplant. Dort wäre das wenigstens, so wie wir das Schulgesetz lesen, zulässig. Die Ausschaltung der Schulleiterwahlausschüsse finden wir völlig undemokratisch.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Alle Schulen sind im Umbruch und die Ministerin bestimmt nach Beamtenrecht: Wer die höhere Lehrerlaufbahn hat, der bekommt die neue Schulleitungsstelle an den neuen Schulen. Das kann so nicht sein. Das hat auch schon bei Eltern zu viel Unruhe geführt. Deshalb möchten wir das Schulgesetz so öffnen, dass zumindest die Möglichkeit besteht, dass auch in Gemeinschaftsschulen, so wie es an Regionalschulen erlaubt ist, die Schulleitung durch den Schulleiterwahlausschuss bestimmt wird.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Kollegin, die Zeit!

Ich komme zu meinem letzten Satz.

Zwei der Anträge, die wir hier frühzeitig vorgelegt haben, hatten offenbar eine gewisse Katalysatorfunktion für die Große Koalition. Aller guten Dinge sind drei: Meine Damen und Herren von der CDU und von der SPD, springen Sie auch ein drittes Mal über Ihren Schatten und beschäftigen Sie sich produktiv mit unserem Änderungsantrag zum Thema Schulleitung!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)