Protokoll der Sitzung vom 12.09.2007

Im Koalitionsausschuss hatten sich CDU und SPD Anfang Dezember 2006 auf den weiteren Fahrplan geeinigt. Bis Ende März dieses Jahres sollte eine Kabinettsentscheidung über allgemeine Grundsätze für eine mögliche Kreisgebietsreform getroffen werden. Vier Arbeitsgruppen sollten sich mit der

(Dr. Johann Wadephul)

Aufgabenübertragung, der Gebietskulisse, dem Personalübergang und der Benennung weiterer kommunalisierbarer Aufgaben auseinandersetzen. Für jeden Personalübergang, der bei einer Aufgabenübertragung ansteht, wünschen wir uns als SPDLandtagsfraktion - gemeinsam übrigens mit den Gewerkschaften - eine ausgehandelte tarifvertragliche Regelung.

Die bereits genannten Gutachter sollten bis Ende Juni ihre Voten vorlegen. Diese Frist ist bis Ende August verlängert worden. Im Dezember 2007 soll der Innenminister dem Kabinett unter Berücksichtigung der Vorschläge von Kreisen und kreisfreien Städten und auf der Grundlage der Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen Leitlinien vorlegen. Bis spätestens zum 8. April 2009 - das ist doch noch eine erhebliche Zeit - soll das Reformgesetz verabschiedet werden. - Soweit der bisher festgelegte zeitliche Rahmen.

Über das Ziel gab es von Anfang an Übereinstimmung. Die Verwaltung in Schleswig-Holstein soll auf allen Ebenen professioneller, bürgernäher und wirtschaftlicher werden. Dies ist insbesondere auch im Hinblick auf die steigenden Anforderungen, die sich aus materiell-rechtlichen und verfahrensrechtlichen Vorgaben der Europäischen Union ergeben, dringend notwendig.

Als weitere Vorgabe war klar - der Kollege Wadephul hat noch einmal darauf hingewiesen, dass dies nach wie vor unser oberstes Ziel ist -: Landesaufgaben, die nicht entfallen, nicht privatisiert oder durch Dritte erledigt werden können, sollen kommunalisiert werden. Dadurch sollen parallele Zuständigkeiten abgebaut und Synergien genutzt werden. Dabei war für mich in besonderer Weise klar, dass die Neuordnung der Aufgabenstrukturen nicht nur die Landes- und Kreisebene, sondern auch die kreisangehörige Verwaltung im Rahmen einer kommunalen Funktionalreform mit einbeziehen muss.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Herr Innenminister Dr. Stegner ist hierauf noch einmal ausdrücklich eingegangen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, auch für die Ämter, die jetzt in einer anderen Größenordnung aufgestellt sind.

Als Anforderungen an eine mögliche Kreisgebietsreform wurde im April festgelegt, dass neue Kreisstrukturen zu einer spürbaren Verbesserung der Wirtschaftlichkeit der Kreisverwaltungen führen müssten, dass sie raumordnerischen Kriterien genügen müssten, dass die Entwicklung gleichwertiger Lebensverhältnisse in ganz Schleswig-Holstein gesichert wird und, Frau Spoorendonk, dass eine

Zweiteilung des Landes in Nord und Süd zu vermeiden ist. Dies ist aus meiner Sicht durch die vorgelegten Fakten und Vorschläge von den Gutachtern eindeutig dargestellt worden.

Meine Aufforderung an die Kreise und vor allen Dingen an den Landkreistag kann deshalb nur lauten: Reden Sie nicht nur von ergebnisoffener Debatte, sondern machen Sie eigene Vorschläge für eine am öffentlichen Wohl orientierte Veränderung der Verwaltungsstruktur in Schleswig-Holstein! Denn wer sich nicht beteiligt, redet auch nicht mit.

(Beifall bei der SPD)

Mit Sicherheit gab es unterschiedliche Erwartungen und Hoffnungen an die Gutachten. Dass nun alle vorgelegten Gutachten in eine Richtung weisen, hat mit Sicherheit viele überrascht. Wer die Hoffnung hatte, dass auch nach Vorlage der Gutachten Ergebnisoffenheit mit Bewegungslosigkeit gleichgesetzt werden könnte, muss von diesen Gutachten enttäuscht sein.

Am prägnantesten formulieren die Gutachten von Professor Hesse und Professor Ewer die wirtschaftlichen und verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen. Doch auch die anderen Gutachten sind substanziell so gestaltet, dass sie in den weiteren offenen Dialog mit einbezogen werden müssen. Dabei spielt aus meiner Sicht der Umfang eines Gutachtens nicht die entscheidende Rolle. Entscheidend ist vielmehr, ob die Themenstellung, die das Kabinett vorgegeben hat, erfüllt worden ist, und es kommt natürlich auch auf den Inhalt an.

Professor Ewer stellt in seinem Gutachten die Frage, inwieweit eine Gebietsreform möglich ist. Er kommt, verkürzt dargestellt, zu dem Ergebnis, dass eine Gebietsreform im kommunalen Bereich grundsätzlich zulässig ist, wenn das öffentliche Wohl bei sorgfältiger Abwägung mit den durch die Verfassung geschützten Interessen der betroffenen Kommunen überwiegt und diese an dem Prozess angemessen beteiligt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass das Recht auf Selbstverwaltung der kommunalen Gebietskörperschaften keine individuelle Bestandsgarantie einer Gemeinde oder eines Kreises bedeutet. Dieses Recht ist vielmehr erst dann verletzt, wenn die Selbstverwaltung ganz abgeschafft oder weitgehend ausgehöhlt wurde. Ich zitiere beispielhaft aus der sogenannten RastedeEntscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wie dies der Kollege Kubicki ebenfalls getan hat. Der entscheidende Satz lautet:

„Das Selbstverwaltungsrecht würde jedoch faktisch dann beseitigt, wenn das Gesetz die

(Lothar Hay)

gemeindliche Selbstverwaltung innerlich aushöhlte, sie die Gelegenheit zu kraftvoller Betätigung verlöre und nur noch ein Scheindasein führen könnte.“

Nach der Interpretation von Professor Ewer, die das möchte ich ausdrücklich betonen - von Professor Bull nicht geteilt wird, ist bei Kreisen die durch das Grundgesetz und die Landesverfassung gezogene Grenze von mehr als 5.000 Quadratkilometern überschritten. Im Bereich zwischen 3.000 und 5.000 Quadratkilometern kommt es auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an. Nach seiner Einschätzung gibt es gegen Großkreise möglicherweise verfassungsrechtliche Bedenken. Dies müssen wir in der weiteren Debatte ausdrücklich mit berücksichtigen. Das Schlimmste wäre eine Entscheidung des Landtags, die anschließend von unserem dann schon arbeitenden Landesverfassungsgericht als verfassungswidrig dargestellt würde. Das sollten wir nicht riskieren.

(Beifall)

Wenn bei der Auflösung kreisfreier Städte und dem Übergang in einen benachbarten Kreis - Beispiel Flensburg - anschließend ein Drittel der Kreisbevölkerung in Flensburg und zwei Drittel im Kreis Schleswig-Flensburg wohnen, so ist dies nach Ewer die kritische Höchstgrenze, was das Verhältnis zu einer kreisangehörigen Stadt betrifft. Klar ist für ihn auch, dass einem Zusammenschluss intensive Analysen vorangehen müssen. Das haben wir gemacht und wir sind im Begriff, weitere hinzuzuziehen.

Gleichzeitig ist die Anhörung der von der Reform betroffenen Gebietskörperschaft zwingend. Genau das wird gemacht, durch die vielen Besuche des Innenministers, durch das, was noch kommen wird. Hier sind wir also auf dem richtigen Weg. Wir haben auch schon die wesentlichen Teile der Entscheidung des Verfassungsgerichts von Mecklenburg-Vorpommern mit berücksichtigt.

Was die weiteren materiellen Anforderungen an die Gebietsreform angeht, so müssen diese durch Gründe des öffentlichen Wohls gerechtfertigt sein. Diese sind die Stärkung der kommunalen Leistungs- und Verwaltungskraft - Kollege Wadephul hat darauf hingewiesen, in welcher finanziellen Situation sich Land und Kommunen nach wie vor befinden -, die Schaffung einer einheitlichen Lebensund Umweltqualität sowie der Abbau eines Leistungs- und Ausstattungsgefälles zwischen dicht und dünn besiedelten Gebieten und - auch das ist ein ganz wichtiger Punkt - die Erhöhung der Wirtschaftlichkeit. Eine geplante Gebietsänderung

muss geeignet sein, viel zur Stärkung des öffentlichen Wohls zu erreichen, und es muss nachgewiesen werden, dass kein milderes Mittel ausreicht, um das Ziel zu erreichen. Weiterhin darf die Allgemeinheit nicht unverhältnismäßig belastet werden.

Nun kommt ein ganz entscheidender Punkt, der bisher so noch nicht in die Debatte eingeführt worden ist. Allerdings mag es sein, dass ich als Bürger Flensburgs diesbezüglich auch eine besondere Empfindlichkeit habe. Bei der Abschaffung bisher kreisfreier Städte schlägt Ewer das Modell der großen kreisangehörigen Stadt als Alternative vor. Damit erfinden wir das Rad nicht neu. Das gibt es in anderen Ländern schon und es ist dort sehr erfolgreich. Die große kreisangehörige Stadt - Norderstedt ist ein solcher Fall - würde einen Großteil der Aufgaben, die sonst auf einen neu zu schaffenden Kreis übergehen würden, bei sich behalten, was im Sinne der Bürgernähe wäre. Als Einwohnergrenze, die oberhalb der großen kreisangehörigen Städte gebildet werden könnte, schlägt Ewer 40.000 vor. Schauen wir einmal, was das für das Land Schleswig-Holstein bedeutet, gerade für den Hamburger Nachbarschaftsbereich.

Ich war schon immer ein Freund von Hermann Hesse. Nun habe ich gelernt: Es gibt auch noch andere, die diesen Namen tragen und die man durchaus sympathisch finden kann. Herr Professor Hesse hat uns einen ganzen Strauß möglicher Alternativen vorgestellt. Es freut mich, dass sich seine Wirtschaftlichkeitsberechnung in der Gesamtsumme tendenziell nicht von den Wirtschaftlichkeitsschätzungen des Innenministers vom Frühjahr dieses Jahres unterscheidet. Also ist bei der ersten Schätzung bereits sehr solide Arbeit geleistet worden. Das ist auch einmal eine Feststellung wert.

(Beifall bei der SPD)

Professor Hesse stellt uns vier Modelle vor, die ihren besonderen Charme dadurch entwickeln, dass sie in verschiedenster Art und Weise miteinander verknüpft und ergänzt werden können.

Bei Modell 1 geht es um eine erheblich verstärkte Kooperation bei Beibehaltung der bisherigen Kreisstruktur.

In Modell 2 geht es um eine Fusion der Kreise Steinburg und Dithmarschen sowie Plön und Ostholstein bei Einbeziehung der kreisfreien Stadt Flensburg in den Kreis Schleswig-Flensburg und der kreisfreien Stadt Neumünster in den Kreis Rendsburg-Eckernförde.

Sein Modell 3 bezieht unter der Überschrift „Gebietsreform mittlerer Reichweite“ zusätzlich die Fu

(Lothar Hay)

sion der Kreise Segeberg mit Pinneberg, Stormarn mit Lauenburg und Nordfriesland mit SchleswigFlensburg ein.

Modell 4 würde schließlich die Bildung von nur noch vier Großkreisen in Schleswig-Holstein bedeuten.

Sein eigenes Votum fasst Hesse wie folgt zusammen:

„Der Gutachter plädiert im Ergebnis für ein einvernehmliches Votum zu Modell 2,“

- nun kommt es:

„verbunden mit der Empfehlung, mittelfristig und auf freiwilliger Basis zu Modell 3 überzugehen, wenn mangelnde Effizienzrenditen und eine weitere Verschlechterung der Rahmenbedingungen dies nahelegen … Auf der Basis eines gemeinsam erarbeiteten Organisations- und Verfahrenskonzepts sowie verbindlicher Konsolidierungsziele sollte bis Ende 2008 die Umsetzung des Modells 2 erfolgen. Den betroffenen Kommunen wäre auch hierbei eine (kleine) Freiwilligkeitsphase einzuräumen, erforderlichenfalls ist mit gesetzlichen Maßnahmen nachzusteuern. Bis Ende 2010 sollten dann maximale Kooperationslösungen greifen, die das Land strukturiert und finanziell fördert. Ob weitere gesetzliche Strukturreformen sich als notwendig erweisen, soll nach einer Evaluation bis spätestens 2012 entschieden werden.“

Das gibt zumindest aus meiner Sicht eine gewisse Richtung des Diskussionsprozesses, aber auch des Abarbeitungsprozesses vor. Im Übrigen schlägt er eine wissenschaftliche Begleitung vor, um bei Konflikten auch moderieren zu können.

Nach diesen - aus meiner Sicht - sehr konstruktiven Vorschlägen von Professor Hesse kann ich eine gewisse wortreiche Sprachlosigkeit des SchleswigHolsteinischen Landkreistages nachvollziehen. Ich fordere den Landkreistag aber auf, gemeinsam mit uns nach Lösungen deutlich jenseits einer von ihm erhofften Nulllösung zu suchen.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Wir wissen natürlich auch um die Zwänge unseres Koalitionspartners, gerade aufgrund des Widerstands von Teilen der eigenen Basis. Der Kollege Wadephul hat schon darauf hingewiesen. Wir als Vertreter der Großen Koalition sollten gemeinsam in allen Kreisen um Verständnis für eine Lösung werben, die zu anderen Strukturen führt.

Ein Wort noch zur Volksinitiative in Dithmarschen. Die von dort erhobene Forderung, eine Neuordnung nur mit Zustimmung der Kreise durchzuführen, widerspricht dem Grunde nach den Ausführungen von Professor Ewer und Professor Bull. Beide haben in ihren Gutachten darauf hingewiesen, dass es bei einer möglichen Kreisgebietsreform um eine Abwägungsentscheidung zwischen den widerstreitenden Interessen gehen muss, an deren Sorgfalt hohe Anforderungen zu stellen sind. Nur überwiegende Gründe des öffentlichen Wohls können einen Eingriff in die kommunale Gebietshoheit rechtfertigen. Da die Kreistage natürlich die Interessen ihrer Kreise vertreten, kann es in keinem Fall so sein, dass der Landesgesetzgeber seine Entscheidungskompetenz zugunsten der Kreise einschränkt oder aufgibt.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Herr Kubicki, insofern wundert es mich, dass Sie dort eine andere Richtung vertreten. Ich habe Sie immer als jemanden kennengelernt, der als Parlamentarier ausdrücklich eine Stärkung des Parlamentes wollte. Dann müssen Sie auch den Mut haben, in einem solchen Fall eine unbequeme, unpopuläre Entscheidung hier im Landtag zu treffen.

(Beifall bei der SPD)

Wir sind entsprechend Artikel 11 Abs. 1 Satz 1 unserer Landesverfassung verpflichtet, die Interessen des ganzen Volkes zu vertreten. Deshalb wird die SPD-Landtagsfraktion den Gesetzentwurf der Volksinitiative ablehnen.

Die beiden Koalitionspartner werden in den nächsten Wochen gemeinsam auf dem vereinbarten Weg weitergehen. Wir werden die Übereinstimmung und das Mitwirken der Kreise suchen und hoffen auf einen konstruktiven Prozess. Wir hoffen auch unter anderem auf den ostholsteinischen Landrat Reinhard Sager, unseren ehemaligen Kollegen, der auf die Beteiligung an sinnvollen Veränderungen unter der Bedingung verweist, dass geplante Veränderungen auch tatsächlich zu einer erhöhten Wirtschaftlichkeit führen, was auch belegt werden müsse. Genau dies ist mit den Gutachten der Professoren Seitz und Hesse nachdrücklich und beeindruckend geschehen.

Wir setzen darauf, dass niemand auf die Idee kommt, im nächsten Schritt die Wissenschaftlichkeit von ihm selbst benannter Gutachter nun grundlegend in Zweifel zu ziehen.

(Beifall des Abgeordneten Günter Neugebau- er [SPD])