Lassen Sie mich an dieser Stelle aus Respekt vor der wichtigen Funktion des Oppositionsführers im Schleswig-Holsteinischen Landtag Ihnen zwei Dinge sagen, Herr Kollege Kubicki: Sie sprachen von der Identität, die man als Bewohner eines Kreises hat. Ich möchte das ganz persönlich an meiner Person darstellen. Ich gelte als gebürtiger Nordfriese. Aber als ich geboren wurde, gab es den Kreis noch gar nicht, es gab den Kreis Husum. Als der Kreis Nordfriesland geschaffen wurde, 1970, wohnte ich schon in Flensburg. Daran können Sie ermessen, dass die Identität, ob ich Nordfriese bin oder nicht, nichts mit Verwaltungsstrukturen auf Kreisebene zu tun hat. Ich werde mein Leben lang gebürtiger Nordfriese bleiben, wie immer dieser Kreis auch in Zukunft heißen mag.
Wer die Gutachten gelesen und die Gutachter gehört hat, kann schwerlich zu einem Ergebnis kommen, das da heißen könnte: Die Kreise in Schleswig-Holstein sind nahezu optimal strukturiert. Für eine optimale Struktur wollen wir durch nötige Veränderungen mit Ihnen gemeinsam sorgen. Ich freue mich auf interessante zukünftige Debatten hier im Landtag und nach vorn weisende Vorschläge der Landkreise.
Meine Damen und Herren, auf der Tribüne begrüßen wir nunmehr Schülerinnen und Schüler des Thor-Heyerdahl-Gymnasiums aus Kiel mit ihren Lehrkräften. - Seien Sie uns alle sehr herzlich willkommen!
Nun hat der Fraktionsvorsitzende von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der Herr Abgeordnete KarlMartin Hentschel, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wer wirklich geglaubt hat, dass nach zwei Jahren Chaos dieser Regierung endlich klar wird, was sie will, der wird heute Morgen wieder einmal eines Besseren belehrt. Angekündigt wurde eine Regierungserklärung, in der steht, was jetzt kommt. Das habe ich erwartet. Tatsächlich bekam ich gestern Abend um 18 Uhr - mit sechs Stunden Verspätung - ein Couvert überreicht, das zu meiner großen Überraschung zwei Regierungserklärungen
Heute Morgen lese ich dann: „Wadephul droht der SPD: Das seh ich mir nicht lange an.“ Das Chaos regiert also weiter.
Bevor ich das würdige, zunächst ein kleiner Rückblick. Wir haben im Jahr 2003 auf einem GrünenParteitag in Pinneberg auf meinen Vorschlag hin beschlossen, dass wir eine Verwaltungsstrukturreform unter Einbeziehung der Kommunen prüfen wollen. Mich erklärten damals viele für verrückt und warnten, wir würden in der Öffentlichkeit zerrissen werden. Trotzdem wurde dieser Prüfauftrag mit drei Stimmen Mehrheit gegen heftigen Widerstand verabschiedet. Damit begann die Diskussion in Schleswig-Holstein über die Verwaltungsreform.
Für uns und für mich gab es damals vier Gründe das ist wichtig im Zusammenhang mit dem Urteil aus Mecklenburg-Vorpommern -, warum ich glaubte, dass eine Verwaltungsreform nötig und die Diskussion darüber erforderlich ist:
Erstens: Seit Jahren höre ich die Klagen von Kommunalpolitikern in den kleinen Gemeinden und in den Kreistagen, dass sie kaum noch etwas zu entscheiden haben. In zwei Drittel der Gemeinden in Schleswig-Holstein kandidiert keine Partei, es kandidieren nur noch Einheitslisten - von demokratischer Wahl kann da nicht die Rede sein. Und in den Kreisen machen die Selbstverwaltungsaufgaben nach Aussagen des Kreistages kaum mehr als 10 % der Tätigkeiten aus. Die wirklichen Entscheidungen fallen nicht in den demokratisch gewählten Gremien, die wirklichen Entscheidungen fallen nicht in den Gemeinderäten und Kreistagen, sie fallen in den Ämtern, den Zweckverbänden und den Verwaltungen. Dieser Zustand muss dringend geändert werden, wenn uns die kommunale Demokratie etwas wert ist.
Zweitens: Der ländliche Raum ist nicht handlungsfähig. Wenn heute ein Investor im ländlichen Raum investieren will, dann macht ihn der zuständige Amtsdirektor erst einmal mit 20 bis 30 ehrenamtlichen Gemeinderäten und Bürgermeistern bekannt, bei denen er sich durchfragen kann. Das wurde mir gerade gestern von einem Vertreter des Unterneh
merverbandes erzählt. Selbst entscheiden darf der Direktor nichts. Diese Situation hat sich durch die Zusammenlegung von Ämtern und Zentralorten, ohne dass die Amtsordnung entsprechend angepasst worden ist, dramatisch verschlechtert. Das ist das Problem, Herr Ministerpräsident. Wir haben jetzt eine Situation, dass die Bürgermeister der Zentralorte, die bisher die Träger von wirtschaftspolitischen Aktivitäten waren, die die Betriebe herangeholt haben, die sich um die Betriebe gekümmert haben und so weiter, nicht mehr existieren. Sie sind jetzt ehrenamtlich tätig. Stattdessen gibt es Amtsdirektoren, die nichts dergleichen tun dürfen, die nur noch Schreibstube ihrer Gemeinden sind. So wird es hier immer propagiert. Das Problem ist, der ländliche Raum ist handlungsunfähig geworden. Das muss dringend korrigiert werden.
Drittens: Bürgerfreundlichkeit. Kein normaler Bürger, der aus einem anderen Bundesland hier nach Schleswig-Holstein in den ländlichen Raum zieht, blickt durch, wer für was zuständig ist. Wir haben die Gemeinden, wir haben die Ämter, wir haben den Kreis, wir haben unzählige Schul- und Zweckverbände und so weiter und so fort. Diese Vielfalt ist undurchsichtig und nicht bürgerfreundlich. Deshalb propagieren wir das „Rathaus der Zukunft“. Wir wollen eine Amtsgemeinde mit einem gewählten Gemeinderat, mit einem gewählten Bürgermeister, mit einem Rathaus. In diesem Rathaus soll der Bürger alles erledigen können. Er braucht dann nicht mehr zum Kreis.
Alle Aufgaben, die den Bürger interessieren, wird er in seinem Rathaus erledigen können. Das ist klar. Das ist effizient. Das ist bürgerfreundlich. So wird die Zukunft aussehen; da bin ich mir absolut sicher.
Dann können wir auch Aufgaben der Kreise nach unten verlagern. Wenn wir starke und aufnahmefähige Gemeinden haben, dann können wir die wesentlichen Aufgaben, die den Bürger interessieren, von den Kreisen auf die Gemeinden verlagern und dann können wir auch über eine Kreisstrukturreform nachdenken. Nur so wird ein Schuh draus.
Viertens: Klar ist, dass eine Verwaltungsreform auch notwendig ist, weil Schleswig-Holstein pleite ist.
Dies ist zwar nicht der einzige Grund, aber es ist ein wesentlicher Grund. Es ist schließlich nicht einzusehen, dass sich ausgerechnet Schleswig-Hol
stein, das hinsichtlich der Finanzlage fast die rote Laterne in Deutschland trägt, die teuersten Kommunalverwaltungen der Republik leistet. Das muss geändert werden.
Die Einsparungen durch die Ämterreform, Herr Ministerpräsident, waren absolut suboptimal. Nach unseren Berechnungen hätte man 30 bis 40 Millionen € einsparen können. Herausgekommen sind bisher 15 Millionen €. Das liegt daran, dass viele Kreise - einige wie Nordfriesland waren mutig - nur das absolut Notwendigste gemacht und sich nicht bewegt haben. Das reicht nicht aus.
Es gibt also gute Gründe für die Reform und diese Gründe gelten heute genauso wie vor vier Jahren. Es geht keineswegs nur um Geld, sondern auch um Demokratie, Handlungsfähigkeit und Wirtschaftsentwicklung. Es geht um Bürgerfreundlichkeit. Es geht aber auch ums liebe Geld.
Wenn es durch eine Verwaltungsreform gelingt, wie es Herr Professor Seitz in seinem Gutachten gesagt hat, deutlich über 100 Millionen € locker zu machen und diese für Bildung und Kindergärten umzuschichten, dann ist unser Land einen großen Schritt weitergekommen.
Die Gutachten und die heutige Debatte belegen, dass sich etwas bewegt hat. Die CDU hatte noch 2005 in ihrem Landtagswahlprogramm beschlossen: Eine von oben diktierte Gebietsreform wird es mit der CDU nicht geben. - Und bei der SPD hieß es: Wir setzen in den Verhandlungen mit den Städten, Gemeinden und Kreisen auf Freiwilligkeit. Die finanzielle Situation der Gemeinden muss deshalb gestärkt werden. - Beide Aussagen sind bei Ihnen heute nicht mehr so ganz State of the Art.
Unterstützung bekamen wir damals einzig und allein von der Wirtschaft. Umso erstaunlicher war es für alle, dass es uns gelang, die Reform im rot-grünen Koalitionsvertrag festzuschreiben. Ich möchte daraus zitieren, weil ziemlich genau beschrieben wird, vor welchen Aufgaben wir stehen.
„Es werden anstelle der jetzt bestehenden elf Kreise und vier kreisfreien Städte neue leistungsfähige und ökonomische Strukturen … gebildet. Dies ermöglicht, weitere Aufgaben … auf die gemeindliche Ebene zu übertragen und dort so weit wie möglich als Selbstverwaltungsangelegenheiten auszubilden.“
„Die Zahl der kommunalen Verwaltungseinheiten ist von derzeit 220 Verwaltungen auf eine Größenordnung von circa 60 zu reduzieren ….“
- Ich glaube, zurzeit sind es 150 Verwaltungen. Insofern sind Sie noch nicht am Ziel angelangt, Herr Ministerpräsident.
„Dies … bedarf … einer deutlich besseren demokratischen Legitimation der zukünftigen Ämter, zum Beispiel durch direkte Wahl der Mitglieder der Amtsvertretung... Die Leitung der Ämter wird kommunalen Wahlbeamten übertragen … Die Landesregierung wird … ihre Zielvorstellungen veröffentlichen und dies mit der Aufgabe an die Kommunen verbinden, durch freiwillige Maßnahmen dieses Ziel zu erreichen. … Das Gesetzgebungsverfahren soll so abgeschlossen sein, dass das Gesetz zur Neuordnung der Verwaltungen … am 01.04.2007 in Kraft treten kann.“
Das war vor einem halben Jahr. So stand es im rotgrünen Koalitionsvertrag. Ich wette, die gesamte CDU wäre dagegen Sturm gelaufen.
Dementsprechend war dann auch der schwarz-rote Koalitionsvertrag ein herber Rückschlag - ich zitiere:
„Um diese Ziele zusammen mit den kommunalen Entscheidungsträgern erreichen zu können, gelten für uns folgende Prinzipien: Verzicht auf eine gesetzlich verordnete kommunale Gebietsreform …“
Der Ministerpräsident hat heute gesagt, dass es so sein wird. Dann wären wir in der Tat einen Schritt weiter.
(Dr. Johann Wadephul [CDU]: Können Sie noch was zur Zukunft sagen? - Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Nostalgie!)
Bezüglich einer Verwaltungsreform ist nichts passiert und auch der Kollege Schlie ist bei der Reform der Landesverwaltung nicht weitergekommen. Die realen Probleme des Landes blieben.