Protokoll der Sitzung vom 12.09.2007

Von den Regierungsparteien kam zunächst außer lautem Kriegsgeschrei von der kommunalen Basis

gar nichts. Herr Wadephul, ich habe erfahren, dass in Ihrer Partei ganz andere Diskussionen geführt worden sind. Ja, das habe ich erfahren. Ich wurde in den letzten Jahren erstaunlicherweise - das hat mich sehr überrascht - von zahllosen schwarzen Landräten, Bürgermeistern, Gemeinderäten und auch der Jungen Union eingeladen, um dort referieren zu dürfen. So etwas ist mir noch nie passiert. Mir haben viele zugehört und es haben auch sehr viele zustimmend genickt. Unter der Oberfläche gab es also ganz andere Diskussionen als in den Zeitungen.

Dies gilt übrigens auch für die FDP. Denn auch Teile der FDP - Herr Kubicki spielte ja heute wieder den Retter der Kreise - waren schon einmal weiter: So haben Sie, Herr Kubicki, letztes Jahr auf einem Parteitag das Gegenteil gefordert und vorgeschlagen, große Kommunen zu bilden und die Kreise gleich alle abzuschaffen. Für einen Juristen, der die verfassungsmäßige Garantie der Kreise kennt, ist dies ein erstaunlicher Vorschlag.

(Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört, hört!)

Und der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Lübecker FDP, Herr Scharlies, kritisiert in den „Lübecker Nachrichten“ - ich zitiere:

„Der Verzicht auf eine Zusammenlegung Lübecks mit dem Kreis Ostholstein ist ein ängstliches ‚Einknicken’ der Landesregierung und schädlich für Lübeck.“

Und er forderte Bürgermeister Saxe auf, in Kiel darauf zu dringen, dass Lübeck die Kreisfreiheit aufgibt.

(Wolfgang Baasch [SPD]: Das unterschrei- ben deine Grünen in Lübeck nicht! - Heiter- keit)

Angesichts dieser klugen Ansätze in Ihrer Partei, Herr Kubicki, ist es wirklich schade, dass die FDPLandtagsfraktion heute erneut puren Populismus zelebriert, um der Union ein paar enttäuschte Wählerinnen und Wähler in Dithmarschen abzujagen.

Einige Kommunalpolitiker haben das Urteil des Verfassungsgerichts in Greifswald so verstanden, dass eine Kreisreform nicht möglich ist. Aber wie so oft ist es klüger, ein Urteil zu lesen, bevor man es kommentiert. Dies gilt auch für erfahrene Juristen wie Sie, Herr Kubicki.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Hauptsache, Sie haben es verstanden, Herr Hentschel!)

Das Urteil sagt nämlich, dass ein Parlament natürlich eine Verwaltungsreform und Kreisreform beschließen kann. Das Urteil sagt allerdings nichts zur

(Karl-Martin Hentschel)

Größe der Kreise. Was das Gericht kritisiert, ist, wie die Reform zustande gekommen ist. Das Gericht sagt, dass eine Verwaltungsreform Leitziele haben muss - auf diese warten wir noch - und dass die Reform von unten, also von den Gemeinden her entwickelt werden muss. Das Urteil sagt auch, dass die kommunale Selbstverwaltung ein wichtiges Gut ist und dass die Demokratie in der Kommune die Keimzelle der gesamten Demokratie ist.

Das alles kann von meiner Fraktion aus nur begrüßt werden. Ich denke, alle hier im Haus tun gut daran, bei den kommenden Diskussionen diese Grundsätze zu berücksichtigen.

Nun liegen uns seit der letzten Woche sechs Gutachten vor, sofern man das von Schliesky mitzählt. Die Gutachten haben mich positiv überrascht. Unsere Vorschläge und Berechnungen wurden in fast allen Punkten bestätigt. Auch bei den zu erwartenden Einsparungen kamen die Gutachter fast zu den gleichen Zahlen; einige äußern sogar höhere Einschätzungen als wir. Ich stelle fest: Einige im Land, die bisher lauthals Zeter und Mordio geschrien haben, sind jetzt sehr kleinlaut geworden.

Gestern dachte ich noch, wir seien einen Schritt weiter. Heute bin ich mir nicht mehr so sicher. Der Ministerpräsident blieb in seiner Regierungserklärung ziemlich blumig. Es war nicht so richtig zu erkennen, was denn nun kommen soll. Sicher ist für ihn allerdings Folgendes: Es soll einen ergebnisoffenen Prozess geben. Was meint er nun damit? Bei aller Offenheit ist für den Ministerpräsidenten doch schon jetzt klar, dass es keine Großkreise geben wird und dass nur die Varianten des HesseGutachtens infrage kommen. Warum sollen nur diese infrage kommen? Warum kommen nicht auch die aus dem Seitz-Gutachten infrage? Richtig konkret wird nur angekündigt, dass es eine Klausurtagung geben soll. Das ist toll.

Der Innenminister dagegen legt bereits einen konkreten Zeitplan vor. Ich kann mir vorstellen, wie es gestern gewesen ist, als die beiden Reden in sechs Stunden aufeinander abgeglichen worden sind, wobei die Kinken ausgebessert werden mussten, damit diese Reden heute vorgetragen werden durften. Ich hätte gern gewusst, was in den ursprünglichen Entwürfen gestanden hat. Dann hätten wir gewusst, worum die Diskussion geht; das ist hier ja verschwiegen worden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Einig sind die beiden Redner der Regierung nur in einem: dass vor der Kommunalwahl nichts Konkretes beschlossen wird. Ein Schelm, wer Böses dabei

denkt! Man könnte auch von einer Veräppelung der Wähler sprechen.

Die Gutachten machen sehr deutlich: Es geht nicht mehr vorrangig um die Frage, ob wir eine Reform brauchen. Es geht auch noch nicht einmal um die Frage, wie die Kreisreform konkret aussehen soll. Es geht vielmehr darum: Wie kann ich die Menschen im Land, vor allem die Kommunalpolitiker der beiden großen Parteien, für eine solche Reform gewinnen? Wie kann ich vermeiden, dass noch mehr Flurschaden angerichtet wird, wie es in Dithmarschen schon passiert ist? Denn das Schauspiel, das diese Große Koalition bisher geboten hat, ist eine Katastrophe. Wie will man Menschen von einer Reform überzeugen, wenn sich Mitglieder der Regierung ununterbrochen gegenseitig beschimpfen?

Ich erwarte von der Landesregierung, dass sie endlich deutlich macht, für welche Ziele sie eintritt. Wir brauchen für die gesamte Kommunal- und Landesverwaltung klare Ziele und ein in sich stimmiges Konzept. Das Urteil aus Greifswald hat das sehr deutlich gemacht. Es muss dargestellt werden, für welche Aufgaben die Gemeinden, die Kreise und das Land in Zukunft zuständig sein sollen. Wenn man das nicht klarmacht, kann man auch nicht sagen, wie in der Zukunft eine Verwaltungsstrukturreform aussehen soll.

Nicht die Kreisreform ist das vorrangige Thema. Die primäre Frage ist: Wie können große, handlungsfähige Kommunen vor Ort entstehen? Wie sieht das Rathaus der Zukunft aus, das den Bürgern den Service bietet, den sie haben wollen? Welche Aufgaben können und sollen die so gestärkten Amtskommunen in Zukunft übernehmen? Welche Aufgaben können wir zu Selbstverwaltungsaufgaben machen, damit die gewählten Gemeinderäte auch wirklich etwas zu entscheiden haben?

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn ich dann tatsächlich anstelle von tausend Kommunen in Schleswig-Holstein - wir haben immer noch über tausend Kommunen - und über 200 Verwaltungen nur noch 60 starke, handlungsfähige Kommunen mit gewählten Bürgermeistern und modernen Rathäusern habe, dann kann man darüber reden, wie die zukünftigen Kreisstrukturen aussehen sollen. Dann kann man darüber reden, welche Aufgaben vom Land auf die Kreise übergehen sollen.

Ich hatte erwartet, dass heute ein Ministerpräsident kommt und sagt, was sein Kabinett beschlossen hat. Stattdessen haben wir wieder mal Pat und Patachon erlebt. Wenn Sie sich weiter so aufführen, dann verstreicht auch die zweite Hälfte Ihrer Regierungs

(Karl-Martin Hentschel)

zeit, ohne dass wirklich etwas passiert. Wie Sie sich in den vergangenen zwei Jahren hier aufgeführt haben - kleinlaut, ängstlich, zerstritten und ohne jedes erkennbare Konzept, ohne jede Vision -, konnte es nur schiefgehen. Wenn Sie eine Vision, ein Bild von den zukünftigen Kommunen haben, das die Demokratie stärkt und mehr Service für den Bürger bringt, dann werden Sie - davon bin ich überzeugt die Bürger für eine Reform begeistern können.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Gruppe des SSW erteile ich der Vorsitzenden, der Frau Abgeordneten Anke Spoorendonk, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss sagen: Das hat die Landesregierung richtig gut gemacht! Da werden uns und der Öffentlichkeit vier unterschiedlichste Gutachten, ein juristisches Thesenpapier und ein E-Gouvernement-Bericht zur Kreisgebietsreform vorgelegt und die Landesregierung verkauft es so, als wären fünf Gutachter der Meinung, dass eine Kreisreform jetzt unbedingt erforderlich sei.

Dabei befassen sich die beiden Rechtsgutachten und das Thesenpapier gar nicht mit der Frage des Ob, sondern mit der des Wie einer möglichen Kreisfusion. Auch das verwaltungswissenschaftliche Gutachten von Professor Hesse steht für eine durchaus differenziertere Sicht der Dinge. Also, liebe Kolleginnen und Kollegen, Hut ab vor dem Spin doctoring der Landesregierung!

Dass diese Gutachten jenseits der guten PR-Arbeit kein großer Erfolg der Großen Koalition sind, kann jeder nachsehen, der des Lesens mächtig ist. Das geht allein schon aus der für die Landesregierung peinlichen Mahnung von Professor Kirchhof hervor, dass - ich zitiere - „der notwendige konzeptionelle Zusammenhang zwischen den beiden Zielen der Organisationsänderung und der Aufgabenverlagerung und den dafür geplanten Maßnahmen bisher noch ungeklärt“ ist. Damit trifft er den Nagel auf den Kopf. Denn auch nach mehr als zwei Jahren Diskussion und mehreren Anläufen ist es der Landesregierung nicht gelungen, eines ihrer größten Projekte vom Kopf auf die Füße zu stellen.

Es bleibt die Achillesferse der ganzen Reformdiskussion, dass weder die CDU noch die SPD klare Vorstellungen davon hat, welche Ebene zukünftig welche Aufgaben erledigen soll.

(Beifall bei der FDP)

Staatssekretär Schlie hat uns zwar mit telefonbuchdicken Listen über öffentliche Aufgaben und jetzt auch mit einem IT-Bericht beglückt, aber niemand kann klar sagen, wie die Zuständigkeiten zukünftig verteilt sein sollen. An dieser Aufgabe ist die Große Koalition gescheitert.

(Beifall bei der FDP)

Dabei kann eigentlich jeder Verwaltungslaie verstehen, dass man die Strukturen nach den Aufgaben stricken sollte. Die Strukturen müssen der Funktion folgen. Alles andere wäre nicht funktional.

Unsere Landesregierung bastelt aber erst eine Struktur und stopft dann die Aufgaben hinein. Es ist ja auch viel einfacher, sich am Reißbrett neue Strukturen vorzustellen als die künftige Wahrnehmung der Aufgaben.

Diese fehlenden Visionen der Landesregierung für eine neue Aufgabenverteilung zwischen Land, Kreisen und Gemeinden schwächt übrigens auch die wirtschaftlichen Berechnungen der Gutachter enorm. Denn sie mussten Einspareffekte anhand äußerer Strukturänderungen berechnen, ohne zu wissen, wer zukünftig welche Aufgaben erledigen soll. Dabei sind wir uns sicher, dass der Strukturfaktor Größe letztlich einen wesentlich geringeren Effekt haben wird als eine strukturelle Änderung der Entscheidungsprozesse. Eine sinnvolle Aufgabenteilung zwischen allen drei Ebenen in Schleswig-Holstein mit klaren Zuständigkeiten und Entscheidungskompetenzen würde sich finanziell viel mehr auszahlen als eine reine Kreisgebietsreform.

(Beifall bei SSW und FDP)

Dies gilt umso mehr, als die Kreise die Ebene in Schleswig-Holstein sind, die noch am besten aufgestellt ist. Der Verwaltungsexperte unter den Gutachtern, Professor Hesse, bescheinigt den elf Kreisen und vier kreisfreien Städten, im Vergleich zu anderen Regionen in Deutschland und Europa zukunftsfähig und stabil zu sein. Allein durch eine bessere Arbeitsteilung der Kreise ließe sich diese Struktur so verbessern, dass weitere Einsparungen möglich sind. Ein dringendes Bedürfnis für eine Gebietsreform sieht er nur mittel- und langfristig.

Deshalb ist es besonders absurd, dass sich alle Reformbestrebungen der Großen Koalition auf die Kreisebene konzentrieren, denn das Land und die Gemeinden haben es viel mehr nötig. Es gibt also allen Grund, sich mit dem gesamten Gefüge von Land, Kreisen und Gemeinden zu beschäftigen. Nur der vorurteilslose Blick auf alle Ebenen ermöglicht eine Lösung aus einem Guss.

(Karl-Martin Hentschel)

Solange wir in Schleswig-Holstein über 1.100 Gemeinden haben, bringen uns ein paar Kreise weniger nicht entscheidend voran. Denn eine Struktur mit großen Kreisen und winzigen Gemeinden hängt schlichtweg nicht zusammen. Daran ändert auch die halbherzige Ämterreform der Großen Koalition nichts, durch die Verwaltung und Politik zudem weiter auseinanderklaffen. Eine solide Reform der kommunalen Ebene wird es erst geben können, wenn sich die vielen Kleinstgemeinden zusammenschließen und endlich geklärt wird, welche Aufgaben die Gemeinden, die Kreise und das Land zukünftig für die Bürger wahrnehmen sollen. Solange die Landesregierung keine konkreten Vorschläge zur künftigen Aufgabenverteilung machen kann, bleibt die Gebietsreform ein Spiel für schwarze, rote und grüne Sandkastenstrategen.

An den Anfang ihrer Überlegungen haben die CDU und vor allem die SPD aber eben nicht die Frage gestellt, wie man die Aufgaben von Land, Kreisen und Gemeinden so aufteilt, dass sie am effektivsten und effizientesten erledigt werden können. Es ging von Anfang an darum, möglichst viel Saft aus der Zitrone zu pressen.

Wie das geht, zeigt uns das von der SPD und den Grünen hochgehaltene Seitz-Gutachten. Dabei ist es eigentlich logisch: Wenn es nur um das Geld ginge, wäre ein einziger Kreis in Schleswig-Holstein - ich muss es noch einmal sagen - die billigste Lösung. Aber es geht eben nicht nur um die Finanzen. Bei einer Kreisreform geht es auch um lokale Selbstverwaltung, um demokratische Mitsprache und um einen guten, dezentralen Service für Bürger und Unternehmen. Deshalb muss ein Kompromiss zwischen den verschiedenen Belangen gefunden werden. Es ist eigentlich bedauerlich - das sage ich jetzt wieder in Richtung SPD und Grüne -, dass man dies gerade jenen Parteien erklären muss, die glauben, die bürgernahe und direkte Demokratie gepachtet zu haben, und sich in erster Linie mit dem Seitz-Gutachten beschäftigt haben.

Aber auch wenn unsere Argumente nicht gehört werden, sollten die Befürworter einer rein ökonomisch ausgerichteten Kreisreform zumindest die Rechtsprechung des Landesverfassungsgerichts von Mecklenburg-Vorpommern ernst nehmen. Dies hat - ich sage es auch noch einmal - im Juli eine entsprechende Reform in unserem Nachbarland abgelehnt, wo die Regierung auch aus einem rein ökonomischen Kalkül heraus Großkreise basteln wollten.

(Zuruf des Abgeordneten Werner Kalinka [CDU])

Die enge wirtschaftliche Sicht des Seitz-Gutachtens wird sehr schnell in ihre Grenzen verwiesen, wenn man das Rechtsgutachten von Professor Ewer und das Thesenpapier von Professor Kirchhof liest. Es geht eben nicht nur um Geld. Kreise lassen sich nun einmal nicht wie Unternehmen ausschließlich nach finanziellen Aspekten einrichten, denn dann könnten sie nicht mehr den Anforderungen der bürgernahen Verwaltung und der bürgernahen Demokratie gerecht werden. Das haben wir - der Landesregierung sei Dank - anhand des Greifswalder Urteils jetzt auch schwarz auf weiß durchdekliniert.