Protokoll der Sitzung vom 12.09.2007

Die enge wirtschaftliche Sicht des Seitz-Gutachtens wird sehr schnell in ihre Grenzen verwiesen, wenn man das Rechtsgutachten von Professor Ewer und das Thesenpapier von Professor Kirchhof liest. Es geht eben nicht nur um Geld. Kreise lassen sich nun einmal nicht wie Unternehmen ausschließlich nach finanziellen Aspekten einrichten, denn dann könnten sie nicht mehr den Anforderungen der bürgernahen Verwaltung und der bürgernahen Demokratie gerecht werden. Das haben wir - der Landesregierung sei Dank - anhand des Greifswalder Urteils jetzt auch schwarz auf weiß durchdekliniert.

Eines ist nach der Lektüre der Gesamtheit der Gutachten also vollkommen klar: Der Innenminister ist mit seinen Plänen gescheitert. Sein bisher geplantes Modell mit vier Megakreisen in Schleswig-Holstein ist vom Tisch, denn es hat mit bürgernaher Demokratie und bürgernaher Verwaltung nichts zu tun und ist zudem auch unrealistisch. Kreise sind nun einmal keine Unternehmen - ich sage dies noch einmal -, die sich rein betriebswirtschaftlich kalkulieren und fusionieren lassen.

Realistische und pragmatische Lösungen, wie die von Professor Hesse vorgeschlagenen, haben durchaus eine weitere Diskussion verdient. Neben den vielen interessanten Stufen von der Kooperation bis hin zur Fusion sollte gerade die Frage der Kreisfreiheit von Flensburg und Neumünster ohne Aufregung besprochen werden, auch wenn im Norden schon nach ein paar Tagen eine emotionale Debatte um den Kreissitz begonnen hat.

Wenn der Innenminister jetzt sagt, dass er von den Gutachtern in seinen Erwartungen übertroffen wurde, dann muss ich feststellen: Das, was er erwartet hat, war offensichtlich nicht das, was er der übrigen Welt erzählt hat. Also ist entweder der Minister damals nicht ehrlich gewesen oder er ist jetzt enttäuscht und nicht ehrlich oder er liest die Gutachten sehr selektiv. Für Letzteres spricht, dass der Minister nun die Gutachter als Kronzeugen für seine Kreisreform heranzieht, nachdem er selbst noch vor zwei Jahren die Befragung externer Experten infrage stellte. Als der SSW im Mai 2005 die Einsetzung einer Expertenkommission beantragte, gab der Innenminister zum Besten:

„An manchen Experten kann man, wenn sie sich äußern, ganz genau sehen, wer das gerade bezahlt hat.“

(Zuruf: So ist es auch! - Beifall beim SSW)

Ich überlasse die Bewertung der vorliegenden Gutachten denjenigen, die sie gelesen haben. Aber es ist auch klar, dass, wer Gutachten bestellt und nur das finanzielle Ziel vor Augen hat, auch ein Gut

(Anke Spoorendonk)

achten bekommt, das engstirnig nur auf die Finanzen sieht. Ähnliches gilt natürlich auch für Rechtsgutachten.

Der SSW hat in diesem Haus beantragt, das Verfahren auf Dritte zu übertragen, die gemeinsam mehrere Lösungsvorschläge vorlegen. Ich sage das, weil ich denke, dass das vorliegende Verfahren an den vielen einzelnen Expertisen krankt. Wir haben jetzt „SPD-Gutachten“, die alles für möglich halten und nur aufs Geld schauen, und wir haben „CDU-Gutachten“, die behutsamer vorgehen. Die beiden Rechtsgutachten gehen weit auseinander

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

und die Aufgabenstellungen und Sichtweisen der beiden wirtschafts- und verwaltungswissenschaftlichen Gutachten sind so unterschiedlich, dass sich die Ergebnisse kaum verschränken lassen. Es wäre sinnvoller gewesen, es einer Gruppe von Fachleuten zu überlassen, mehrere konsistente Modelle vorzulegen, wie es zum Beispiel - ich sage das jetzt auch noch einmal - im Rahmen der dänischen Strukturreform geschah. Aber vielleicht lernen wir daraus für die nächste Verwaltungsreform. Angesichts der Ergebnisse in dieser Wahlperiode muss diese auf jeden Fall früher kommen, als wir sie uns wünschen.

Eines sollten wir aber unbedingt schon jetzt von unseren nördlichen Nachbarn lernen. Denn dort war das Gutachten der Ausgangspunkt der öffentlichen Debatte und nicht deren Endpunkt. Das hat der SSW schon früher gefordert. Dies wird vor allem im Gutachten von Professor Hesse ausgeführt und auch der Ministerpräsident und der Innenminister haben jetzt einen Diskussionsverlauf skizziert. Denn es kann nicht darum gehen, dass sich die Große Koalition jetzt möglichst schnell festlegt, ob wir das Modell eins, zwei oder vier umsetzen, sondern darum, sich damit auseinanderzusetzen und die Gutachten mit der Realität zu konfrontieren.

Dabei wird vieles davon abhängen, wie die Landesregierung solche Veränderungen kommuniziert. Wenn der Innenminister - ich sage einmal provozierend - weiterhin nach Gutsherrenart die besten Lösungen verkündet, ist ein solches Vorhaben zum Scheitern verurteilt.

(Beifall bei SSW und FDP)

Eine Kreisreform kann und darf allenfalls in kleineren Schritten und mit Zustimmung der Kreise durchgeführt werden.

(Jürgen Weber [SPD]: Möglichst gar nicht!)

Das heißt, dass der Landtag dem Antrag der Volksinitiative folgen sollte, den wir im folgenden Tagesordnungspunkt beraten. Wir brauchen aber nicht nur eine Diskussion mit den Kommunalverbänden, Landräten und Oberbürgermeistern, sondern auch mit der Bevölkerung. Nur ein breit angelegtes, transparentes öffentliches Verfahren kann die Akzeptanz herstellen, die eine entscheidende Voraussetzung für das Gelingen der Reform ist.

Letztlich stellt sich aber die Frage, ob die größte Verwaltungsstrukturreform seit über 30 Jahren überhaupt noch zu retten ist. Die Große Koalition hat nicht mehr die Zeit, die Frage einer Kreisgebietsreform mit der Frage einer neuen Aufgabenund Kompetenzverteilung zwischen dem Land und den kommunalen Ebenen zu verbinden. Es ist nur noch Flickschusterei möglich. Unser Fazit lautet deshalb: Diese Landesregierung sollte die Finger davon lassen, damit der Schaden nicht noch größer wird.

(Beifall beim SSW und des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Am Ende dieser Wahlperiode wird die Große Koalition keine wesentlich optimierte Struktur der kommunalen Ebene hinterlassen. Es wird sicherlich kleinere Änderungen vom Reißbrett geben. Mehr ist aber nicht mehr drin. Vieles wird unberührt bleiben. Damit hat die Große Koalition dem Land einen Bärendienst erwiesen, denn wir brauchen eine neue Struktur und Aufgabenverteilung auf allen Ebenen in Schleswig-Holstein. Nach der ganzen Aufregung in der 16. Wahlperiode wird eine nachfolgende Regierung aber kaum große Lust verspüren, die Verwaltungsstrukturreform wieder anzupacken. Daher kurz: Mit ihrer unsystematischen, chaotischen und teilweise auch überheblichen Vorgehensweise hat die Große Koalition eine wirklich nachhaltige Reform vergeigt.

(Beifall beim SSW)

Ich erteile Herrn Innenminister Dr. Ralf Stegner das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde, es gebietet die Höflichkeit, jedenfalls kurz auf die Opposition einzugehen. Einen Punkt, den Herr Hentschel und Frau Spoorendonk angesprochen haben, will ich nachdrücklich zurückweisen. Die Vorstellung, dass wir die Entscheidung von den Gemeindevertretern und

(Anke Spoorendonk)

Stadtvertretungen wegnehmen und sie den Ämtern geben, ist genau das umgekehrte dessen, was wir wollen. Wir wollen, dass Politik entscheidet und sich einer starken Verwaltung bedient. Das ist auch mit den Volksparteien nicht zu machen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Es wird nicht passieren. Das ist nämlich nicht mehr Demokratisierung, sondern das Gegenteil.

Das Zweite. Liebe Frau Kollegin Spoorendonk, ich muss ehrlich sagen, dass ich von Ihrem Beitrag ein bisschen enttäuscht war und davon, dass Sie sich so hartnäckig an Ihren Vorurteilen festhalten. Sie sagen, da werde nach Gutsherrenart entschieden, und beklagen, dass wir das tun, was Sie gefordert haben - nämlich den Gutachtern konkrete Fragen stellen -, und halten es uns dann vor, wenn die Antworten nicht so ausfallen, wie Sie sich das vorgestellt haben. Das finde ich schon ein bisschen merkwürdig.

Wir machen einen ergebnisoffenen Prozess und wir wägen die Dinge ab. Wo liegt denn die Gutsherrenart, wenn wir sagen, dass wir eine offene Diskussion haben und sich jeder beteiligen kann und überall die Möglichkeit besteht, Vorschläge zu machen? Wir verändern das Verfassungsrecht. Verehrte Frau Kollegin, was mich besonders enttäuscht, ist, wenn Sie dann sagen, Sie hätten die Gutachten und das Urteil gelesen und die Konsequenz sei, dass das nicht der Landtag zu entscheiden habe, sondern die Kreise. Sie haben offensichtlich das Gegenteil dessen gelesen, was ich gelesen habe. Man muss sich eigentlich nur an den Text halten, der in allen Gutachten steht.

Ein Letztes, weil es auch der Oppositionsführer, der sich nur mit dem kleinsten Gutachten beschäftigt hat, wie ich wahrgenommen habe, gesagt hat. Ich habe am Ende der Präsentation dieser Gutachten zusammengefasst, was aus meiner Sicht die Gemeinsamkeit der fünf Gutachter war, und habe sie gefragt, ob einer von ihnen mir widersprechen würde. Ich habe ausdrücklich darum gebeten. Das haben sie nicht getan.

Alle sehen Reformbedarf in den Strukturen und alle sind der Meinung, dass der Landtag zu entscheiden hat. Alle sind der Meinung, dass wir ein vernünftiges Beteiligungsverfahren brauchen und alle sind der Meinung, dass Wirtschaftlichkeitsfragen eine wichtige Rolle zu spielen haben, weil wir nämlich das Geld für Inhalte brauchen. Wir streiten lediglich um die Frage, welche Modelle es sein werden, und das machen wir dann aber ergebnisoffen. Das, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Frau Spoorendonk, werden wir auch in dieser Legislaturperiode auch noch schaffen. Darauf können Sie sich verlassen.

(Beifall bei der SPD)

Ich danke dem Herrn Innenminister. - Das Wort für einen Kurzbeitrag hat Herr Abgeordneter Günther Hildebrand.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist müßig, irgendwelche Aussagen aus Wahlkampfzeiten oder aus der Zwischenzeit zu zitieren. Sie haben sowieso nur geringste Halbwertzeiten. Ein Zitat aus einer Presseerklärung der CDU Schleswig-Holstein vom 10. März 2005 durch die Herren Carstensen und Schlie möchte ich doch bringen:

„Leider, so Carstensen und Schlie, hat die SPD die Menschen im Land auch in diesem Punkt vor der Wahl glatt belogen. Auf die Frage des Landkreistages, ob die SPD eine Kreisgebietsreform für nötig halte, hieß die Antwort: Nein.“

Wenn sich diese Landesregierung und die Große Koalition zu einer Kreisgebietsreform durchringen, weiß ich wenigstens, wie Sie Ihr Verhalten selbst einschätzen, Herr Ministerpräsident.

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Sie haben erklärt, dass die Große Koalition die Verwaltung modernisieren will. Das ist richtig. Es ist meines Erachtens eine ständige Aufgabe von politisch Handelnden zu überlegen, in welchen Bereichen Verwaltung reformiert werden muss und effektiver werden kann.

Einen großen Erfolg dieser Koalition haben wir bereits erlebt. Es gibt das Erste Verwaltungsmodernisierungsgesetz. Als Ergebnis ist herausgekommen, dass die Verwaltung im Land um 0,4 Stellen reduziert werden kann. Das sind die Schritte, die uns richtig nach vorn bringen.

Wenn wir jetzt über Modernisierung sprechen, habe ich immer das Gefühl, dass sich alles um eine Kreisgebietsreform dreht. Zu einer modernen Verwaltung gehören aber auch viele andere Dinge. Das darf sich nicht allein auf eine Gebietsreform reduzieren.

Herr Ministerpräsident, ich habe Ihrer Rede sehr genau zugehört.

(Zuruf)

(Minister Dr. Ralf Stegner)

- Gegebenenfalls lese ich sie mir auch noch einmal durch. Ich glaube aber nicht, dass ich zu einem anderen Ergebnis kommen werde. - Sie haben gesagt Herr Kollege Hentschel ging vorhin bereits darauf ein -, Sie wollten keine Großkreise, Sie wollten Modernisierung und so weiter. Nur, eine klare Aussage, was Sie wirklich wollen, haben Sie nicht gemacht, ob Sie eine Kreisgebietsreform wollen, haben Sie völlig offen gelassen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf von der CDU: Da haben Sie nicht zu- gehört!)

Das ist für eine solche Diskussion mit einer so groß angekündigten Regierungserklärung ein schwaches Bild.

Sie haben gesagt, Sie wollten keine Großkreise. Da stellt sich die Frage: Was sind Großkreise? Wo fangen Großkreise an? Auch darüber könnte man einmal diskutieren. Ist man, wenn man gegen Großkreise ist, zwangsläufig für Kleinkreise? Da könnte man sich auch die Frage stellen: Was sind Kleinkreise?

Zur Freiwilligkeitsphase! Das ist ein ganz toller Begriff. Sie sagen, bevor es zu einer endgültigen Entscheidung komme, werde es eine Freiwilligkeitsphase geben. Was steht denn am Ende einer Freiwilligkeitsphase? Da steht par ordre du mufti, es wird beschlossen, egal, wie sich die Kreis bis dahin verhalten haben. Dann stellt sich die Frage, was die Kreise überhaupt freiwillig entscheiden können, selbst wenn die Freiwilligkeitsphase angenommen wird? Oder gibt es dann die vom Innenminister vorhin zitierten Leitlinien, die ganz eindeutig festlegen, was freiwillig überhaupt noch bestimmt werden kann? Welche Kreise mit welchen fusionieren können, unterliegt dann mit Sicherheit nicht mehr der Freiwilligkeit. Das ist, glaube ich, vorgeschoben, soll der Beruhigung dienen, wird uns letztlich aber nicht weiterhelfen.

Herr Fraktionsvorsitzender Wadephul, Sie haben dann gesagt, in Dithmarschen sei es deshalb etwas schwierig, weil es einen Überhang an SGB-II-Fällen gebe. Das mag sein. Ich weiß allerdings nicht, ob durch eine Kreisfusion die Anzahl der SGB-IIFälle geringer wird.

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Der Durchschnitt würde im neuen Kreis sinken!)

Das mag zwar relativ stimmen, absolut wird sich das aber nicht ändern.

Der Ministerpräsident hat gesagt, er will durch eine Kreisgebietsreform die demografische Entwicklung auffangen. Ich glaube, durch eine Kreisgebietsre