Protokoll der Sitzung vom 13.09.2007

Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich bitte, Platz zu nehmen, damit wir die Tagung fortführen können. Ich eröffne die heutige Sitzung und begrüße Sie alle ganz herzlich. Erkrankt sind weiterhin die Abgeordneten Monika Schwalm, Ulrike Rodust und Thomas Stritzl und ich wünsche den Kolleginnen und Kollegen von dieser Stelle aus nochmals gute Besserung.

(Beifall)

Landtagspräsident Kayenburg und Abgeordneter Hay sind für den heutigen Tag beurlaubt. Ministerpräsident Carstensen sowie die Landesminister Dr. von Boetticher und Döring sind ebenfalls für den heutigen Tag beurlaubt.

Lassen Sie mich, bevor wir in die vorgesehene Tagesordnung eintreten, etwas vorziehen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf:

Erhalt des „Berufsbildungsinstituts Arbeit und Technik“ an der Universität Flensburg

Antrag der Abgeordneten des SSW Drucksache 16/1584

Die Fraktionen haben sich darauf verständigt haben, diesen Tagesordnungspunkt ohne Aussprache zu behandeln, aber an den Fachausschuss zu überweisen. Ich schlage vor, den Antrag Drucksache 16/1584 dem Bildungsausschuss zu überweisen. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? Dann ist das so passiert.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:

Pflege muss sich am Menschen orientieren Möglichkeiten auf der Landesebene ausgestalten

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/1499

Antrag der Fraktionen von CDU und SPD Drucksache 16/1600

Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/1601

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.

Da mit dem Antrag Drucksache 16/1600 ein mündlicher Bericht in dieser Tagung erbeten wird, lasse

ich darüber zunächst abstimmen. Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist das so geschehen.

Bevor ich der Ministerin das Wort erteile, möchte ich auf der Besuchertribüne sehr herzlich Schülerinnen und Schüler der Realschule an den Auenwiesen in Bad Malente-Gremsmühlen mit ihren Lehrkräften begrüßen. - Seien Sie uns herzlich willkommen!

(Beifall)

Ich erteile nun für die Landesregierung der Ministerin für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren, Frau Dr. Gitta Trauernicht, das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Referentenentwurf zur Pflegereform enthält für mich eine Überraschung, die bei mir zugleich große Zustimmung und Freude auslöst. Der Entwurf enthält mit den Pflegestützpunkten ein völlig neues Angebot zur örtlichen Vernetzung von Beratung, pflegerischen Angeboten und ergänzenden Hilfen. Für je 20.000 Einwohner soll es einen solchen örtlichen Pflegestützpunkt geben. Hochgerechnet für Schleswig-Holstein würde dies bedeuten, dass wir über 140 dieser regionalen Anlaufstellen verfügen würden. Dieses wunderbare Angebot müssen wir aufgreifen, mit unserem bisherigen, schon ganz gut entwickelten Beratungsangebot verkoppeln und am Ende für ganz Schleswig-Holstein passend machen. Das ist ein wirklich wichtiges Angebot, weil viel zu viele Menschen in der Situation an der Schwelle zur Pflege allein gelassen sind. Mit diesem Reformschritt werden wir ein großes Stück vorankommen.

Ein zweiter positiver Punkt ist der gesetzliche individuelle Anspruch auf professionelle Pflegebegleitung. Hierfür ist vorgesehen, dass auf 100 Pflegebedürftige eine Pflegebegleitkraft kommen soll. Bei rund 75.000 ambulant und stationär Betreuten in Schleswig-Holstein bedeutet dies immerhin mehrere Hundert Fachkräfte für die Pflegebegleitung in diesen 140 Pflegestützpunkten. Das wird die Landschaft der Pflege und die Betreuung der Menschen deutlich verbessern. Fast zu schön, um wahr zu sein, möchte man sagen. Aber hier werden wir den Bundesgesetzgeber gern beim Wort nehmen.

Positiv - zum Dritten - sind viele hilfreiche Innovationen, so zum Beispiel die Möglichkeit mehrerer Pflegebedürftiger, sich gemeinsam Leistungen einzukaufen, die sogenannte Pool-Lösung. Dieses

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neue Angebot zielt insbesondere auf neue Wohnformen und die darin lebenden Menschen. Das wiederum unterstützt hervorragend unser Angebot eines entsprechenden Beratungsbüros der KIWA, das wir kürzlich auf den Weg gebracht haben und das dafür sorgen soll, dass auch in Schleswig-Holstein verstärkt neue Wohnformen entstehen.

(Starker Beifall der Abgeordneten Jutta Schümann [SPD])

Viertens. Positiv ist die Einführung der Pflegezeit, ein Segen zur Stärkung häuslicher und familiärer Pflege und angesichts der demografischen Entwicklung ein unbedingtes Muss.

(Beifall des Abgeordneten Torsten Geerdts [CDU])

Kritikern dieses Ansatzes sage ich: Pflegezeit wird Krankenkassen und Pflegekassen entlasten, vor allem ist es aber ein Segen für die Betroffenen und ihre Angehörigen. Deshalb ist mir dieses Instrument persönlich sehr wichtig.

Positiv sind auch die Ansätze zur verbesserten Förderung niederschwelliger Angebote und für mehr bürgerschaftliches Engagement in der Pflege. Für verbesserte Prävention und Rehabilitation haben wir bereits im Gesundheitsmodernisierungsgesetz gesorgt. Das wird jetzt aber ergänzt und mit neuen Ansätzen integrierter Versorgung vollendet. Auch das ist für die Menschen von großer Bedeutung.

Ohne Zweifel ist auch der Einstieg in die Umsteuerung vom stationären in den ambulanten Bereich positiv, wenngleich ich hier einschränkend sagen muss, dass mir die Schritte zu klein sind angesichts der klaren Botschaft: ambulant vor stationär. Aber Sie alle wissen, dass es die finanziellen Restriktionen sind, die hier bremsen. Hier macht es sich bemerkbar, dass es eben leider nicht gelungen ist, mehr Solidarität für die und in der Pflege durch eine stärkere Risikoverteilung zwischen der gesetzlichen und der privaten Pflegeversicherung zu erzeugen. Dabei ist auch der Einstieg in den angesichts des demografischen Wandels nötigen Aufbau eines Kapitalstocks - über die Art und Weise wird ja heftig gestritten - für die Pflege auf der Strecke geblieben. Das ist bedauerlich.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, seit Langem besteht Konsens zur Notwendigkeit der Neudefinition des Begriffs der Pflegebedürftigkeit. Diese Neudefinition - das zeigt der Referentenentwurf - muss jetzt leider ebenfalls noch nachgeholt werden, nämlich in einem weiteren, einem zweiten Reformschritt. Das bedauere ich. Allerdings begrüße ich, dass schon jetzt endlich auch Demenzkranke

ohne Pflegestufe von der Reform profitieren sollen. Das stößt zu Recht ganz allgemein auf eine breite öffentliche positive Resonanz.

Es liegt ein Referentenentwurf seit vorgestern vor; dies hier ist meine erste Sichtung. Angesichts der Kürze der Zeit ist sie nur sehr kursorisch. Wir werden den Entwurf natürlich im Einzelnen sehr sorgfältig durchsehen und uns in die bundesweite Debatte einmischen. Dies tun wir auch im Interesse unseres landespolitisch wichtigen Vorhabens, nämlich des Selbstbestimmungsstärkungsgesetzes, das als Landesgesetz das ehemalige Heimgesetz des Bundes für Schleswig-Holstein ablöst.

Beim Thema Transparenz - auch in diesem Zusammenhang sehr wichtig - registriere ich beim Rentenentwurf zur Pflegeversicherung bereits heftige Diskussionen. Gerade zur Förderung von Pflegequalität und Transparenz müssen wir ganz eindeutig mehr für die Verbraucher tun. Deshalb sollen die Berichte der Heimaufsicht, für die wir hier in Schleswig-Holstein als Landesregierung verantwortlich zeichnen, in Zukunft veröffentlicht werden. Das werden wir im Gesetz regeln.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Wir werden auch noch weitere Punkte regeln, die in den Berichtsanträgen angesprochen sind. Wir werden den Heimbegriff neu definieren und neue Wohnformen ermöglichen, dabei aber nicht die Menschen ohne den nötigen Schutz lassen. Wir werden Mitwirkung und Mitbestimmung in Einrichtungen verbessern, indem wir die Regelungen dafür vereinfachen und neue ehrenamtliche Formen hierfür erleichtern.

Wir wollen erreichen, dass die Prüfinstanzen für die stationären Einrichtungen besser und enger zusammenarbeiten, durchaus mit dem Ziel, dass Prüfdienste und Aufsichten zu einer Art Pflege-TÜV zusammenwachsen. Das Thema der überbordenden Dokumentation ist im Übrigen auch lange noch nicht erledigt und gehört deswegen auf die Agenda.

Auch viele andere Auswirkungen der Reform der Pflegeversicherung auf unser Gesetzesvorhaben werden wir sorgfältig prüfen und erörtern. Im Übrigen bleiben wir bei unserem Ziel, unter enger Beteiligung aller Akteure - und wir diskutieren zurzeit unseren Entwurf auf der Basis von Eckpunkten mit den Akteuren im Land - Ende des Jahres einen ersten Entwurf des Selbstbestimmungsstärkungsgesetzes als Referentenentwurf vorzulegen.

Angesichts der aktuellen Debatte über die Pflegequalität ein klares Wort von mir: In allen Einrichtungen in Schleswig-Holstein muss die Pflege gut

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(Ministerin Dr. Gitta Trauernicht)

sein. Jeder einzelne Fall von Pflegeschaden ist ein Fall zu viel. Ohne Wenn und Aber gilt, interne und externe Kontrollen sind auch in Zukunft unverzichtbar. Vieles besteht und vieles ist auf dem richtigen Weg. Dazu gehören Kontrollen des Medizinischen Dienstes und der Heimaufsicht, die gesellschaftliche Kontrolle durch Öffnung für mehr Ehrenamtlichkeit, der Pflegenotfallplan für SchleswigHolstein, niedrigschwellige Angebote wie das Pflegenottelefon und viele professionelle und ehrenamtliche Beschwerdestellen. All dies gibt es. Es muss hier aber mehr Vernetzung geben. Deshalb werde ich mit dem Landespflegeausschuss noch in diesem Monat intensiv darüber beraten, was noch besser und noch wirksamer sein kann, damit wir unsere Ziele noch besser erreichen.

Wir haben in Schleswig-Holstein jetzt erreicht, dass die Heimaufsichten der Städte und Kreise so gut wie flächendeckend einmal pro Jahr in jede Einrichtung gehen. Wir haben insgesamt ein Drittel mehr anlassbezogene Kontrollen und drei Viertel der Kontrollen finden ohne Anmeldung statt. Dennoch könnte es mehr Kontrollen geben. Kann es wirklich reichen, dass im Referentenentwurf des Bundes vorgesehen ist, dass der Medizinische Dienst der Kassen zukünftig nur alle drei Jahre vor Ort ist? Ich sage dazu: Nein, das reicht mir nicht!

(Beifall bei der SPD und des Abgeordneten Lars Harms [SSW] sowie vereinzelt bei der CDU)

Ich will weiter mit den Akteuren und mit dem Landespflegeausschuss dafür sorgen, dass die Situation in den Heimen besser wird. Insbesondere will ich, dass wir den von Heimaufsicht und Medizinischem Dienst aktuell erkannten Mängeln konsequent entgegenwirken. Insoweit haben wir den Bericht des Medizinischen Dienstes - aber auch den Bericht der Heimaufsichten - ausgewertet. Wir werden im Landespflegeausschuss darüber diskutieren. Ich glaube, dass wir hier im Land mit zwei gemeinsam verantworteten Qualitätsoffensiven gute Erfahrungen haben. Ich werde dem Landespflegeausschuss das Angebot machen, dass wir erneut draufsatteln, und zwar mit einer Qualitätsoffensive, deren neue Schwerpunkte die aktuell erkannten Probleme ebenso aufgreifen wie neue Chancen.

Dazu will ich drei Punkte nennen: Erstens. Die aktuell erkannten Mängel sind in Stichworten Ernährung, Dekubitus, Demenz und Inkontinenz. Hier gibt es für mich folgenden neuen Ansatz: Wir brauchen handhabbare Qualitätsleitlinien, und zwar sowohl für den Umgang mit dem Thema Ernährung und Flüssigkeitszufuhr als auch in der Dementenbetreuung. Natürlich reichen Qualitätsleitlinien nicht

aus. Sie müssen in die Praxis kommen. Darum wollen wir in diesem Bereich einen Fortbildungsschwerpunkt implementieren und zusätzlich fördern.

Zweitens. Wir wollen das Ziel, das gesellschaftliche Engagement noch stärker zu stützen, weiter verfolgen. Wir haben im ambulanten Bereich gute Erfahrungen mit der Ausbildung von Seniorenbegleitern gemacht. Wir wollen jetzt in den Pflegeeinrichtungen selbst einen Schwerpunkt setzen, indem wir Pflegeehrenamtskoordinatoren ausbilden, die in den Einrichtungen sicherstellen, dass mehr Öffnung und mehr Nachbarschaft stattfinden und Ehrenamtliche von außen es ganz leicht haben, sich begleitend, beratend und fördernd in Heimen zu engagieren.

Drittens werde ich im Landespflegeausschuss ein Angebot zu Vorleistungen machen, damit - losgelöst von jeder gesetzlichen Verantwortung, die bei den Pflegestützpunkten, bei den Pflegebegleitern und bei den Kassen liegt - rechtzeitig genügend Pflegebegleiterinnen und Pflegebegleiter für die örtlichen Pflegestützpunkte zur Verfügung stehen. Dafür muss man sorgen, damit all dies dann, wenn das Gesetz in Kraft tritt, möglichst schnell Realität werden kann.

Ein letzter Punkt: Die permanente Umsetzung von qualitätssichernden Maßnahmen in den Einrichtungen ist das A und O. Auch Leitlinien und Fortbildungsergebnisse müssen mit hoher Konsequenz laufend in die Arbeit der Pflege einfließen. Dort, wo das geschieht, gibt es auch gute Heime und gute Arbeit. Die Qualität muss sich im Alltag der Heime durchsetzen. Wie können wir das noch besser schaffen? Dies gelingt zum Beispiel auch durch eine besondere Instanz in den Einrichtungen. Dies werde ich mit dem Landespflegeausschuss besprechen. Insgesamt bedeutet das natürlich die Konzentration der knappen Mittel auf das Wesentliche. Die Pflege und ihre Qualitätssicherung haben jedoch erste Priorität.

Gerade hat dieses Hohe Haus die Landesverfassung zugunsten von mehr Schutz und besserer Pflege ergänzt. Lassen wir dem jetzt in Sachen Pflegequalität gemeinsam Taten folgen. Pflege ist eine komplexe Dienstleistung, die neben Professionalität auch Humanität und Sorgfalt voraussetzt. Das wird immer so bleiben. Das ist eine stetige Aufgabe. Um gute Pflege für alle zu ermöglichen, bitte ich auch um Ihre Unterstützung.