Protokoll der Sitzung vom 16.06.2005

Auch hierzu benennt der Bericht einige Dinge, die schon geschehen sind: Beherbungsbetriebe „rolli

plus“ oder auch das Projekt „Urlaub ohne Barrieren im grünen Binnenland“.

Bei der modellhaften Erprobung des persönlichen Budgets für Menschen mit Behinderung ist Schleswig-Holstein mit den Kreisen Schleswig-Flensburg und Segeberg dabei. Wir sind sehr gespannt auf die ersten Erfahrungen, darauf, ob diese Möglichkeit die Autonomie der Menschen mit Behinderung weiter stärken wird, was ich sehr hoffe.

Im Einklang mit den Aussagen im Jahresbericht 2004 der Bürgerbeauftragten übt auch der Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung Kritik an den gemeinsamen Servicestellen nach dem SGB IX. Die Intention des Gesetzgebers, eine kompetente Anlaufstelle für alle Leistungen zu schaffen, ist nach wie vor richtig. Aber die Praxis ist verbesserungswürdig. Wir sollten uns intensiv damit beschäftigen. Es macht nicht viel Sinn, eine gut gemeinte Anlaufstelle so laufen zu lassen, dass die Hilfestellung, wie sie im Bundesgesetz vorgesehen ist, nicht stattfindet.

Unter dem Strich: Die Integration von Menschen mit Behinderung macht Fortschritte, ist aber noch lange nicht zufrieden stellend. Um Möglichkeiten zu schaffen, sich gegen die alltägliche Ausgrenzung zu wehren, brauchen wir auch ein umfassendes zivilrechtliches Antidiskriminierungsgesetz.

Darüber haben wir in der letzten Landtagstagung diskutiert. Wir mussten leider feststellen, dass die neue Landesregierung nicht mehr für dieses umfassende Antidiskriminierungsgesetz eintritt, für ein Antidiskriminierungsgesetz, das gerade Menschen mit Behinderung brauchen würden.

Diese neue Positionierung der schwarz-grünen Landesregierung kritisiert meine Fraktion aufs Schärfste.

(Günter Neugebauer [SPD]: Schwarz-Grün? Also, Entschuldigung!)

- Schwarz-Rot! Heutzutage ist alles möglich. Hier aber handelt es sich um Schwarz-Rot.

(Rolf Fischer [SPD]: Schwarz-Grün ist Kiel!)

- Ich weiß.

Diese Positionierung steht im deutlichen Gegensatz zu den Erfahrungen in den USA mit einem Antidiskriminierungsgesetz, welches auf einer Fachtagung der Landesbeauftragten im Juni 2003 eindrücklich diskutiert worden ist. Liebe Frau Kollegin Franzen, hier wäre es nötig gewesen, an einem Strang zu ziehen, weil wir hier etwas bewirkt hätten.

(Monika Heinold)

Für Deutschland darf nicht gelten, was der Sonderberichterstatter der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen feststellte:

„Die meisten Regierungen haben offenbar ein eng gefasstes Verständnis der Menschenrechte in Bezug auf Behinderte und sind der Auffassung, sie bräuchten lediglich darauf zu verzichten, Maßnahmen mit negativen Auswirkungen auf diese zu ergreifen.“

Das reicht bei weitem nicht aus, denn es geht um die Gewährleistung gleicher Rechte und gleicher Chancen für alle Menschen.

(Beifall der Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP] und Anke Spoorendonk [SSW])

In diesem Sinne wünsche ich Herrn Hase und seinem Team weiterhin viel Kraft, viel Ausdauer, insbesondere aber Erfolg für seine Arbeit, möglichst gemeinsam mit uns.

(Beifall bei SPD, FDP und SSW)

Herzlichen Dank, Frau Heinold. - Das Wort für den SSW im Landtag hat der Herr Abgeordnete Lars Harms.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zuerst möchte natürlich auch ich die Gelegenheit nutzen, Herrn Hase und seinem Team für die geleistete Arbeit zu danken. Ich habe Sie erst vor kurzem in einer Sozialausschusssitzung so richtig kennen lernen können und muss sagen, mir hat gleich gefallen, wie engagiert Sie argumentiert haben. Als ich den Bericht gelesen habe, konnte ich sehen, dass darin unglaublich Initiativen ihrerseits enthalten sind. Wir können froh sein, hier in Schleswig-Holstein einen solchen Behindertenbeauftragten zu haben.

(Beifall)

Im Bericht wird deutlich gemacht, dass die Berücksichtigung der Belange von Menschen mit Behinderung immer noch keine Selbstverständlichkeit ist. Und weil dies so ist, ist es auch logisch, dass der Behindertenbeauftragte für gleichartige Beauftragte oder Beiräte auf kommunaler Ebene wirbt. Wir haben eine Debatte zu diesem Thema gerade erst im Kreis Schleswig-Flensburg verfolgen dürfen. Dort gab es die Idee, einen ehrenamtlichen Behindertenbeauftragten einzusetzen. Das war sozusagen die billigste Lösung und wäre zumindest ein Einstieg gewesen. Aber selbst das wurde von der Mehrheit des dortigen Kreistages und von der Verwaltungsleitung abgelehnt.

Für mich ist das keine Kleinigkeit, sondern schlicht und ergreifend unwürdig,

(Beifall beim SSW)

wenn ein solch wichtiges Anliegen nicht berücksichtigt wird. Wenn die Berücksichtigung der Interessen von Menschen mit Behinderung nicht auf der kommunalen Ebene erfolgt, wo soll sie dann eigentlich erfolgen? Sonst sagen die Kommunen immer, sie könnten vor Ort alles perfekt regeln. Aber wenn dann wichtige Aufgaben in Angriff genommen werden sollen, taucht man wieder einmal weg.

Zum Glück gibt es auch einige positive Beispiele in Städten, Kreisen und Kommunen. So hat in Flensburg die Ratsversammlung auf Initiative des SSW einen Behindertenbeauftragten eingeführt. Dazu haben wir in zwei Kreisen wir einen Behindertenbeauftragten. Wir haben insgesamt 16 Behindertenbeauftragte in den über 1.100 Kommunen in Schleswig-Holstein. Das heißt, 99 % der Städte und Gemeinden in Schleswig-Holstein haben immer noch keine solche Einrichtung für Behinderte. Da hat die kommunale Selbstverwaltung bisher kläglich versagt.

(Beifall beim SSW)

Betrachtet man diese Zahl - 99 % -, dann ist klar, warum der Landesbeauftragte immer wieder feststellt, dass zum Beispiel die verpflichtenden Regelungen zum barrierefreien Bauen immer noch nicht eingehalten werden. Die Einhaltung dieser Verpflichtungen ist eher die Ausnahme als die Regel. Wenn niemand da ist, der sich der Einhaltung dieser Verpflichtungen gegenüber verantwortlich fühlt und wenn auch bei den Genehmigungsbehörden niemand darauf achtet, dann kann es nicht verwundern, dass hier noch vieles im Argen liegt. Im Bericht wird die Nichtbeachtung der Vorschriften damit erklärt, dass die gesetzlichen Regelungen oft noch nicht so bekannt sind. Das mag so sein, aber es ist nur eine Erklärung und keine Entschuldigung für diese Versäumnisse.

(Beifall beim SSW und des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Um Maßnahmen zur Barrierefreiheit durchzusetzen, muss man meines Erachtens die Beteiligten am Geldbeutel packen, damit sie hier entgegenkommender werden. Im Bericht wird gesagt, dass es bisher keine wirkungsvollen Sanktionsmechanismen gibt und somit die Nichterfüllung der Verpflichtungen zur Barrierefreiheit eigentlich schadlos ist. Ohne eine Konsequenz fürchten zu müssen, kann man das barrierefreie Bauen unterlassen. Es geht daher kein Weg daran vorbei, dass wirkungsvolle Sanktionen greifen müssen, wenn nicht barrierefrei gebaut wird. Das heißt, es muss Geldstrafen geben, wenn diese Auflagen nicht

(Lars Harms)

erfüllt werden. Aus dem Geld, das hierdurch eingenommen wird, könnte man im Übrigen Maßnahmen zugunsten der Behinderten fördern.

Aber auch ein anderer Aspekt, der im Bericht angesprochen wird, macht deutlich, dass Behindertenbeauftragte auch auf kommunaler Ebene und hier vor allem auf Kreisebene sehr wichtig sind. Aus dem Bericht geht hervor, dass immer mehr Eltern von Schülerinnen und Schülern mit einer Behinderung Beratungsangebote suchen. Diesem Personenkreis fehlt es oft an umfassender Information über die Rechte und Möglichkeiten, die für die Integration ihrer Kinder bestehen. Hier ist es dringend notwendig, dass diese Eltern eine umfassende und ortsnahe Beratung zur Seite gestellt bekommen. In vielen Kreisen werden zudem Leistungen unterschiedlich gewährt, was dazu führt, dass Leistungen in einem Kreis gewährt werden und woanders wiederum nicht. Im Interesse der Betroffenen ist hier eine weitere Vernetzung dringend notwendig, damit sie ihre Rechte vor den Behörden besser einfordern können.

In diesem Zusammenhang möchte ich darauf aufmerksam machen, dass es in den vergangenen Jahren durchaus auch Fortschritte in den rechtlichen Möglichkeiten gab, Integrationsleistungen gewährt zu bekommen. Nach § 35 a SGB VIII haben seelisch behinderte Kinder und Jugendliche und Kinder und Jugendliche, die von einer solchen Behinderung bedroht sind, Anspruch auf Eingliederungshilfe. Diese Regelung hat bei einer Anzahl von Kindern und Jugendlichen in den letzten Jahren dazu geführt, dass sie erstmalig aus Mitteln der Jugendhilfe eine adäquate Unterstützung erhalten.

Diese Regelung wird immer wieder aus Kostengründen infrage gestellt, anstatt dass begrüßt wird, dass diese Menschen endlich eine entsprechende Unterstützung bekommen. Das führt dazu, dass, je nachdem welche Kommune zuständig ist und wie durchsetzungsfähig die betroffenen Eltern sind, mal Leistungen gewährt werden und manches Mal Leistungen auch vorenthalten werden. Auch werden Leistungen zur schulischen Integration von Schülerinnen und Schülern beispielsweise von der Klassenstärke abhängig gemacht und nicht der einzelne Betroffene mit seinem Problem als Maßstab genommen.

Das führt dazu, dass gleiche Tatbestände höchst unterschiedlich behandelt werden und irgendwie immer der Versuch der Kosteneinsparung dahinter steckt. Auch in diesem konkreten Fall wird deutlich, wie wichtig es ist, dass die Betroffenen vor Ort Ansprechpartner haben, die sie beraten können, damit eine solche Ungleichbehandlung nicht mehr möglich ist. Hier sparen die Kommunen derzeit auch aufgrund

der eingeschränkten Beratungsinfrastruktur. Vielleicht ist auch das der Grund, warum man sich bei der Einsetzung von Behindertenbeauftragten so schwer tut.

Ich habe dieses Beispiel aber nicht nur gebracht, weil ich meine, dass die Beratung verbessert werden sollte, sondern auch, weil ich vom Erfolg und von der Sinnhaftigkeit einer solchen gesetzlichen Regelung überzeugt bin. Damit wären wir dann bei der bevorstehenden Bundestagswahl. Bisher gibt es nämlich das Ansinnen der Unionsparteien, genau diese Regelung des § 35 a KJHG abzuschaffen. Im entsprechenden Gesetzentwurf von CDU und CSU im Bundestag - es gibt etwas Ähnliches vom Bundesland Bayern im Bundesrat - steht zu lesen, dass es Ziel der geplanten Abschaffung ist, insbesondere bei einigen kostenträchtigen Leistungen eine weitere Kostenbelastung der Kommunen zu vermeiden oder wenigstens deutlich einzudämmen. Rein das Kostenargument.

Es wird aber nicht vorgeschlagen, die Kosten auf andere zu verteilen und weiterhin den Betroffenen zu helfen, was ja möglich gewesen wäre, sondern die Regelung abzuschaffen und die seelisch behinderten Kinder und Jugendlichen somit schlechter zu stellen.

Bisher wurde dieses Ansinnen immer mit der Mehrheit des Bundestages abgelehnt. Ich möchte eindringlich schon jetzt an dieser Stelle darauf hinweisen, dass diese Regelung, seelisch behinderten Kindern und Jugendlichen eine Eingliederungshilfe zu gewähren, dieser Gruppe von Menschen eine nicht wegzudenkende Hilfestellung ermöglicht. Diese Regelung gehört daher nicht abgeschafft, sondern sie muss noch umfangreicher im Sinne der Betroffenen umgesetzt werden.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und des Abgeordneten Wolfgang Baasch [SPD])

Sie haben gemerkt, dass es manchmal durchaus notwendig ist, etwas tiefer auf einzelne Problemstellungen einzugehen, um dann auch politische Schlüsse ziehen zu können. Aber selbst die genauesten und ausgefeiltesten Regelungen können immer noch zu Missverständnissen führen. Auf Seite 94 und 95 des Berichts wird ein solcher Fall aufgezeigt. Da werden vor Gericht die Merkzeichen B und H bei Schwerbehinderten als Indizien dafür gedeutet, dass die betreffenden Personen immer und überall unter Aufsicht stehen müssen. Man würde sonst seiner Aufsichtspflicht nicht Genüge tun, sagt hierzu ein Urteil aus Flensburg. Wenn dieses gängige Rechtssprechung werden sollte, ist es dringend notwendig, die entsprechenden Rechtsgrundlagen noch einmal zu überarbei

(Lars Harms)

ten. Die Merkzeichen im Behindertenausweis galten bisher eigentlich nur als Hinweis darauf, dass die betreffende Person berechtigt ist, Nachteilsausgleiche, die sich aus der Behinderung der Person ergeben, in Anspruch nehmen zu können. Würden die Merkzeichen nun auch so verstanden werden, dass eine ständige Beaufsichtigung dieses Personenkreises zwingend notwendig wäre, wäre die Bewegungsfreiheit dieses Personenkreises extrem und ungerechtfertigt eingeschränkt.

Dies würde im Übrigen nicht nur Personen in Wohnheimen oder Behinderteneinrichtungen treffen - wie es im Urteil beschrieben ist -, sondern natürlich auch Auswirkungen auf die Bewegungsfreiheit von außerhalb von Einrichtungen lebenden Behinderten haben. Deshalb bin ich dem Landesbeauftragten für Behinderte dankbar, dass er sich auf Bundesebene für die Klärung dieses Falles eingesetzt hat und damit die Diskussion hierzu in Gang hält. Ich glaube, wenn sich hier nichts ändert, müssen entweder wir als Land Schleswig-Holstein im Bundesrat oder die zukünftige Bundesregierung fähig werden, damit dort eindeutige und einheitliche Rechtsgrundlagen geschaffen werden.

Nach unserer Auffassung muss man in Bezug auf mögliche Aufsichtspflichten den Einzelfall betrachten und man darf auf keinen Fall pauschal die entsprechenden Merkzeichen hierfür heranziehen. Es gibt genügend Behinderte, die die Merkzeichen B und H in ihrem Behindertenausweis haben, die durchaus in der Lage sind, ihr Leben in weiten Teilen selbstständig zu gestalten. Diese Selbstständigkeit gilt es zu unterstützen und nicht zu beeinträchtigen.

Wie ich schon anfangs sagte, sind kommunale Behindertenbeauftragte oder entsprechende Gremien, die sich mit den Fragen der behinderten Menschen befassen, dringend notwendig. Der Bericht zeigt noch einmal, dass die Institution des Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung dringend notwendig war und ist. In diesem Sinne möchte ich noch einmal dem Landesbeauftragten und seinen Mitarbeitern für die Arbeit und den Bericht danken und Ihnen herzlich zu Ihrer Ernennung gratulieren.

(Beifall)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Beratung. Der Sozialausschuss empfiehlt, den Bericht Drucksache 16/43 (neu) federführend dem Sozialausschuss und mitberatend allen übrigen Ausschüssen zur abschließenden Beratung zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das