Das letzte Problemfeld, das ich ansprechen möchte, ist die Einrichtung einer neuen Institution, die die Einhaltung der sogenannten U-Untersuchungen registriert. Ich halte den Aufbau einer neuen Institution beim Jugendamt nur für die zweitbeste Lösung. Wir haben uns hier bereits mehrmals mit der Frage beschäftigt, wie es der Politik gelingen kann, dass alle Kinder von den Vorsorgeuntersuchungen - am Besten freiwillig - profitieren. Eine neue Behörde, die die Nachbarabteilung im Jugendamt über die fehlende Inanspruchnahme der Untersuchungen informiert, ist sicherlich ein gangbarer Weg, aber eben nicht der beste.
Ich glaube, ein ,,Andocken" beim öffentlichen Gesundheitswesen, bei den Gesundheitsämtern, wäre zielführender gewesen. Die Lösung, wonach die Vorsorgeuntersuchung beim Kinderarzt kostenlos, die nachholende Untersuchung im Gesundheitsamt dagegen kostenpflichtig ist, erscheint mir zum Beispiel durchaus praktikabel - insbesondere dann, wenn das Gesundheitsamt die Stelle gewesen wäre, die dies überwacht. Dann hätte man die Problematik unter medizinisch-fachlichen Aspekten betrachtet und man hätte eben nicht eine neue ,,zentrale Stelle" beim Jugendamt schaffen müssen. Die Synergieeffekte auch aus gesundheitspolitischer Sicht wären so größer gewesen. Aber sei es drum; wichtig ist, dass überhaupt etwas geschieht.
Das neue Gesetz betritt im wahrsten Sinne des Wortes Neuland. Die anderen zwölf Bundesländer, die den Kinderschutz in ihre Verfassung geschrieben haben, haben es bislang noch nicht vermocht, Ähnliches auf die Beine zu stellen. Dennoch warne ich davor, nach der Verabschiedung des Gesetzes die Hände in den Schoß zu legen. So wie ich das Gesetz verstehe, beginnt jetzt erst die eigentliche Arbeit. Papier ist bekanntermaßen geduldig. Das ist beim Kinderschutz nicht anders als anderswo auch. Aber es ist gut, dass wir hier einen Schritt weiterkommen. Deshalb werden wir als SSW trotz unserer Bedenken, die ich formuliert habe, zustimmen.
Für die Landesregierung hat die Ministerin für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren, Frau Dr. Gitta Trauernicht, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Risiken früher wahrnehmen, schneller handeln und besser kooperieren, das ist die Leitorientierung des Kinder- und Jugend-Aktionsplans. Diese Ziele für einen verbesserten Jugendschutz verfolge ich seit geraumer Zeit. Ich freue mich natürlich sehr, dass dieses Motto des früher Wahrnehmens, schneller Handelns und besser Kooperierens ebenso auf den heute vorliegenden Gesetzentwurf passt, den ich deshalb von Anfang an unterstützt habe und dessen Inhalte und Qualitäten meine Vorrednerinnen und Vorredner hier überzeugend dargestellt haben.
Schleswig-Holstein setzt damit vorbildlich Schlüsselthemen des nationalen Plans für ein kindgerechtes Deutschland um. Die UN-Kinderrechtskonvention ist Richtschnur für unser Handeln. Es ist schon darauf aufmerksam gemacht worden: Diese Kinderrechtskonvention ist gestern 18 Jahre alt, also volljährig, geworden. Es ist gut, dass wir dieses Gesetz zu diesem Zeitpunkt heute beschließen.
Der Kinderschutz, und zwar insbesondere für die Schwächsten, ist mir ein ganz besonderes politisches Anliegen. Es ist allen bekannt, dass das Thema der Gewalt gegen Kinder, der Misshandlung von Kindern, des Missbrauchs von Kindern schon lange auf der politischen Agenda steht. Die Vernachlässigung von Kindern war aber ein lange Zeit auch fachlich vernachlässigtes Thema.
Dieser Gesetzentwurf hat auch gezeigt, wie gut und wie schnell alle Fraktionen zusammenarbeiten, wenn es einer so wichtigen Sache wie dem Kinderschutz dient. Ich möchte deswegen den Kolleginnen und Kollegen und allen anderen Beteiligten meinen ganz herzlichen Dank dafür aussprechen. Ich freue mich darüber, dass dieses Gesetz hier im Landtag eine so breite Mehrheit finden wird.
In der Tat, für mein Ministerium, für die Jugendämter, für die Träger der freien Jugendhilfe und die anderen Partner im Bereich des Kinderschutzes beginnt nun sofort die Phase der Vorbereitung für die Umsetzung dieses Kinderschutzgesetzes. Es gilt, die bisherige Arbeit der neuen Messlatte, die mit diesem Gesetz gelegt wird, anzupassen. Mit der
Änderung des Gesetzes über den öffentlichen Gesundheitsdienst ist - das wurde schon deutlich - ein gänzlich neues Instrument des Kinderschutzes umzusetzen, nämlich die Einführung des verbindlichen Einladungswesens. Es ist klar, dass dies auch eine organisatorische Herausforderung an uns stellt. Die im Gesetz genannte Zentrale Stelle für die Kindervorsorgeuntersuchungen, bei der die Daten für das verbindliche Einladungswesen zusammenfließen sollen - das ist hier schon deutlich geworden -, soll beim Landesamt für Soziale Dienste eingerichtet werden, denn dieses Landesamt ist eine gute Adresse. Es hat auch bei der Umsetzung des Elterngeldgesetzes mit dem Landesfamilienbüro gezeigt, wie kompetent und wie zügig es auch unter großem Zeitdruck arbeitet. Deswegen bin ich zuversichtlich, dass dies auch bei der Errichtung der Zentralen Stelle Kindervorsorge gelingen wird.
Ich bin auch zuversichtlich, dass wir die Ärztinnen und Ärzte überzeugen werden, dass das verbindliche Einladungswesen ein wichtiger Baustein im Rahmen eines aufeinander abgestimmten Gesamtkonzeptes ist.
Die Stärke des schleswig-holsteinischen Gesetzes liegt gerade darin, dass es nicht allein auf die Früherkennungsuntersuchungen setzt, sondern dass es diese mit frühen Hilfen für die Familien selbst vernetzt und verzahnt. Dies wird übrigens auch vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte gewürdigt. Diese haben in der Oktoberausgabe ihrer Zeitschrift den Gesetzentwurf von Schleswig-Holstein als geradezu vorbildlich bezeichnet. Dies gilt gerade im Vergleich mit einigen wenigen Gesetzentwürfen, die es bundesweit gibt. Kein anderes Gesetz hat diesen umfassenden Ansatz. Kein anderes Gesetz ist so weit wie dieses hier in SchleswigHolstein.
In der Tat: Wichtige Partner für einen verbesserten Kinderschutz werden neben den Kinder- und Jugendärzten natürlich auch die Gesundheitsämter sein. Zu den Partnern, bei denen wir für die Umsetzung des Kinderschutzgesetzes werben wollen, gehören auch die Gesundheitsämter. Sie sind die zentralen Ansprechpartner bei Kindeswohlgefährdungen. Sie haben die Vorgaben dieses Kinderschutzgesetzes in den Kommunen zu leben und auszufüllen. Das gilt insbesondere für die gesetzlich vorgesehenen lokalen Netzwerke. Hier kann es nicht einfach nur darum gehen, eine neue Arbeitsgruppe einzurichten. Es geht vielmehr darum, dieses Gesetz tatsächlich in seiner Philosophie und seinen ganz
Ich bin zuversichtlich, dass dies gelingt, weil ich weiß, dass vor Ort engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tätig sind, die neuen Herausforderungen sehr offen gegenüberstehen; das haben die Kreise und kreisfreien Städte bereits bei der flächendeckenden Umsetzung des Schutzengelprogramms bewiesen. Denn sie wollen die Optimierung des Kinderschutzes und ich bin mir auch sicher, dass sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten die aufsuchende Arbeit verstärken werden. Durch die Implementierung des Schutzengelprogramms ist nämlich deutlich geworden, wie wichtig es ist, dass wir die richtigen Familien erreichen, nämlich die, in denen Not herrscht und hinsichtlich derer Unterstützung erforderlich ist. Dafür muss man - das ist völlig klar - eine aufsuchende Arbeit betreiben.
Ich habe auch den Eindruck, dass die Bedeutung des Kinderschutzes in der Politik vor Ort angekommen ist. In meinen Gesprächen mit Landrätinnen und Landräten, Oberbürgermeistern und Bürgermeistern ist deutlich geworden, dass sie sensibilisiert sind und die Notwendigkeiten eines verbesserten Kinderschutzes sehen. Sie werden deshalb die Jugendämter und die Gesundheitsämter in ihrer Arbeit unterstützen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, dieses Engagement, aber auch die Notwendigkeit, den Kinderschutz noch weiter auszubauen, möchte ich noch einmal anhand einiger Daten speziell für Schleswig-Holstein untermauern. Ende August hat das Statistische Amt für Hamburg und SchleswigHolstein die Zahlen der 2006 in Schleswig-Holstein durchgeführten vorläufigen Schutzmaßnahmen dargestellt. Schutzmaßnahmen sind Inobhutnahmen, die viel zügiger und viel konsequenter durchgeführt werden als lange Vorplanungen, die dann zu Heimerziehung oder Unterbringungen in Pflegefamilien führen. Bei diesen vorläufigen Schutzmaßnahmen verzeichnen wir eine eindeutige Entwicklung: Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl der Maßnahmen um 21 % gestiegen. Insgesamt sind die Jugendämter mehr als 1.000-mal zum Schutz von Kindern und Jugendlichen in akuten Krisensituationen tätig geworden.
Noch deutlicher ist die Zunahme bei den Kleinsten; wir waren uns einig, dass wir gerade für die Kleinsten mehr machen müssen, weil sie sich nicht selber melden oder auf sich aufmerksam machen können: Im Jahre 2006 wurden für 90 unter Dreijährige vorläufige Hilfen zu deren Schutz ergriffen und das bedeutet gegenüber 2005 eine Zunahme um 114 %.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, hieraus lässt sich nicht die Schlussfolgerung ziehen, dass sich die Situation von Kindern und Jugendlichen in Schleswig-Holstein in diesem Zeitraum dramatisch verschlechtert hätte. Nein, der Anstieg der vorläufigen Schutzmaßnahmen zeigt vor allem, dass die Jugendämter häufiger über Krisensituationen informiert und damit auch in die Lage versetzt wurden, im Interesse der Kinder und Jugendlichen einzugreifen. Mehr Menschen haben intensiver hingesehen. Sie haben auf eine akute Problemlage hingewiesen und sie sind für die Kinder und Jugendlichen eingetreten. Gerade das war und ist unser Ziel und soll mit dem Kinderschutzgesetz untermauert werden: Wir brauchen eine Kultur des Hinschauens. Wir brauchen eine Kultur des Sich-Kümmerns. Insofern kann ich deutlich betonen, dass die Aktivitäten von Landtag und Landesregierung in den letzten beiden Jahren Erfolge vor Ort nach sich gezogen haben.
Ich sehe mich aufgrund dieser Entwicklung auch in meinem Ziel bestärkt, sowohl Fachkräfte als auch die Bevölkerung für einen verbesserten Kinderschutz zu sensibilisieren und über Hilfeangebote aufzuklären.
Präventive Arbeit heißt, die Eltern in ihrer Erziehungsverantwortung zu stärken, und dazu brauchen wir aufsuchende Familienbildung und -beratung. Wie wichtig dies ist, möchte ich mit einem weiteren Beleg aus der Statistik untermauern: Diese weist als ganz überwiegenden Anlass für die akuten Schutzmaßnahmen die Überforderung von Eltern aus. An zweiter Stelle folgt die Vernachlässigung als Grund für das Eingreifen und sie steht deutlich vor den Fällen, in denen es um Gewalt oder Misshandlung geht. Vernachlässigung ist ein vernachlässigtes Thema, das wir mit diesen Aktivitäten nach ganz oben auf die politische Agenda bringen.
Hier schließt sich also der Kreis zum Kinderschutzgesetz, das ganz klar auf den Vorrang der Hilfeangebote setzt, das die präventiven Angebote weiterentwickelt und unterstützt und das die Erbringung früher und rechtzeitiger Hilfen im Rahmen eines vernetzten Hilfesystems vorsieht.
Mein Fazit lautet heute deshalb: Schleswig-Holstein ist beim Kinderschutz auf einem guten Weg. Auf dieses bundesweit erste umfassende Kinderschutzgesetz kann der Landtag wirklich stolz sein.
Ich bin froh für jedes einzelne Kind, dem durch dieses Gesetz ein schlimmes Schicksal erspart bleibt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Trilogie aus Kinderrechte, Kinderschutz und Kinderarmut beinhaltet die zentralen Themen einer engagierten Sozialpolitik. Wir werden an diesen drei Themen engagiert weiterarbeiten.
Ich lasse über den Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 16/1439 in der vom Ausschuss empfohlenen Fassung abstimmen. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in der vom Ausschuss empfohlenen Fassung mit den Stimmen von CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW bei der vorhin begründeten Enthaltung der FDP angenommen worden.
Meine Damen und Herren, auf der Tribüne begrüßen wir nunmehr Schülerinnen und Schüler der Käthe-Kollwitz-Schule mit ihren Lehrkräften sowie die fünf jungen jahrgangsbesten Finanzbeamten des Jahres 2007. Seien Sie uns herzlich willkommen!
a) Zweite Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens in der Öffentlichkeit (Nichtraucher- schutzgesetz - NiRSG)
Ich erteile der Berichterstatterin des Sozialausschusses, der Frau Abgeordneten Siegrid Tenor-Alschausky, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Landtag hat den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP in Drucksache 16/1363 durch Plenarbeschluss vom 10. Mai 2007 federführend an den Sozialausschuss und zur Mitberatung an den Innen- und Rechtsausschuss, den Gesetzentwurf der Landesregierung in Drucksache 16/1435 sowie die dazu vorliegenden Änderungsanträge durch Plenarbeschluss vom 11. Juli 2007 federführend an den Sozialausschuss und zur Mitberatung an den Wirtschaftsausschuss überwiesen.
Der beteiligte Wirtschaftsausschuss hat sich im Wege des Selbstbefassungsrechts auch mit dem Gesetzentwurf der Fraktion der FDP beschäftigt und empfiehlt die Ablehnung dieses Gesetzentwurfs. Bezüglich des Gesetzentwurfs der Landesregierung hat er dem federführenden Ausschuss Anregungen zur Berücksichtigung unterbreitet.