Protokoll der Sitzung vom 30.01.2008

Wir sind uns mit allen anderen Fraktionen und dem SSW hier im Landtag einig, dass die von den Grünen im Gesetzentwurf angebotene Lösung erstens ein untaugliches Mittel ist, um tatsächlich eine fünfzigprozentige Geschlechterquote hier im Landtag zu erreichen, zweitens, dass es eine gesellschaftliche Aufgabe bleibt, verstärkt Frauen für Politik zu interessieren, sie drittens den Mitgliedern der Parteien die Möglichkeit nimmt, an jeder Stelle der Liste frei zu kandidieren, und viertens es selbst nach den Ergebnissen der Anhörungen zumindest ein nicht unerhebliches rechtliches Risiko darstellt, wenn wir dem Gesetzentwurf der Grünen zustimmen würden. Herr Kollege Kalinka, ich teile die Auffassung des Wissenschaftlichen Dienstes nicht. Ich halte es ähnlich wie Professor Scholz schlicht für verfassungswidrig.

Herr Kollege Hentschel, bei allen Erfolgen der Grünen bei den letzten Wahlen: Vielleicht sollten Sie einmal mit Vertretern der jüngeren Generation reden. Meine Töchter - 27 Jahre alt, beide Juristinnen - haben mir gesagt: Mit welchem Unsinn beschäftigt ihr euch eigentlich noch? Das stammt aus dem letzten Jahrhundert!

(Beifall bei der FDP)

Zum ersten Punkt: Der Gesetzentwurf der Grünen ist ein untaugliches Mittel, eine Proporzbesetzung im Landtag zu erreichen, weil nach dem Landeswahlgesetz der Großteil der Abgeordnetenmandate nicht nach der Liste einer Partei, sondern direkt gewählt wird. Liebe Kollegen und Kolleginnen von den Grünen, es sind übrigens - jedenfalls in den Wahlkreisen nach unserem Wahlrecht - auch Einzelkandidaturen möglich, die gar nicht von einer Partei aufgestellt werden. 40 der in der Regel gewählten 69 Abgeordneten des Landtages werden direkt gewählt. Dort ist eine Quotierung unmöglich der Kollege Puls hat darauf hingewiesen -, weil die Wählerinnen und Wähler über die Kandidaten entscheiden und nicht die Parteien.

Zu Punkt zwei: Es ist und bleibt eine Aufgabe der Parteien, Frauen verstärkt für Politik zu interessieren und ihnen den Anreiz zu geben, sich entsprechend parteipolitisch zu engagieren. Dafür ist es unter anderem wichtig, auch die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen, wenn es beispielsweise um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf - für Frauen und Männer gleichermaßen geht. Um mit den Worten der Kollegin Spoorendonk aus der letzten Debatte zu sprechen - ich zitiere -:

,,Eine nachhaltige Verbesserung der demokratischen Beteiligung von Frauen erreicht man nicht mit dem Diktat des Landeswahlgesetzes."

Das ist zutreffend.

(Beifall bei FDP, SSW und vereinzelt bei der SPD)

Dritter Punkt: Eine Quotierung bei der Aufstellung von Listen darüber führt dazu, dass man den Mitgliedern der entsprechenden Wahlversammlungen faktisch ein Vorschlagsrecht, die Möglichkeit zur Kandidatur und die Möglichkeit zur Auswahl nimmt. Es kann nach unserer Auffassung nicht sein, dass beispielsweise einer Frau untersagt wird, auf einem bestimmten Listenplatz zu kandidieren, weil dieser schon für einen Mann ,,reserviert“ ist, wie das beispielsweise bei der Quotierung der Fall ist. Herr Kollege Hentschel, manche mögen das nicht bedauern. Ich selbst fände es schade, wenn Sie, nachdem der Kollege Harbeck gegen Sie um den Listenplatz eins oder zwei kandidieren wird, komplett durchgereicht werden, weil kein weiterer Platz für Sie zur Verfügung steht.

Zum vierten Punkt: Für sehr wichtig halte ich die Ergebnisse der schriftlichen Anhörung hinsichtlich der rechtlichen Zulässigkeit der beabsichtigten

Wahlrechtsänderung. Es liegen uns verschiedene Stellungnahmen verschiedener Gutachterinnen und Gutachter vor. Einige hiervon halten eine entsprechende Quote im Wahlrecht für zulässig. Sie müssten in der Tat dann auch bei ungleicher Befähigung für den öffentlichen Dienst dazu kommen, dass man die Frauenquote vorantreiben kann, was rechtlich mit Sicherheit unzulässig ist. Man kann das nämlich nur bei gleicher Qualifikation.

Andere halten sie für verfassungswidrig. Stimmt man letzteren Auffassungen zu - das tue ich ausdrücklich -, dann ist eine Diskussion über Sinn und Unsinn einer entsprechenden Änderung des Wahlrechts beendet, weil sie schlicht und einfach unzulässig ist.

Bei einer Zustimmung zum Gesetzentwurf der Grünen gingen wir - das muss man wirklich sagen - also sehenden Auges ein nicht unerhebliches Risiko einer Wahlanfechtung ein. Dieses Experimentierfeld stelle ich mir gerade einmal vor. Wir haben eine neue Landtagswahl nach einem neuen Wahlrecht und anschließend wird die Landtagswahl angefochten. Ich komme aus einer Kanzlei, die das schon mehrfach erfolgreich gemacht hat.

(Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Klar, dass Sie einen Auftrag wollen!)

- Weitere Beiträge dieser Art sprechen auch für mich tatsächlich gegen eine Frauenquote.

(Beifall bei der FDP- Heiterkeit bei FDP, CDU und SPD)

Wir sind zwar kurz vor Karneval, sollten das Thema aber doch ernsthafter behandeln, als das die Frau Kollegin Birk von den Grünen macht. Es bleibt dabei - dieser Auffassung bin auch ich -, Frauen für politisches Engagement zu interessieren und bessere Rahmenbedingungen zu schaffen, ist keine Frage des Wahlrechts. Wir sollten uns an dem Wahlrecht auch nicht in dieser Form versündigen.

(Beifall bei FDP und SSW)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich der Frau Abgeordneten Angelika Birk das Wort.

(Zuruf)

- Ich schließe daraus, dass auch der SSW reden möchte.

(Anke Spoorendonk [SSW]: Ja!)

Auf dem Redezettel sind Sie nicht eingetragen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einige der Vorredner haben nur sehr ausschnittweise zitiert. Wenn sie vollständig zitierten, müssten sie zu anderen Schlüssen kommen. Einige haben das Anliegen ins Lächerliche gezogen. Wir beleiben dabei: Die Quote ist ein notwendiges Instrument der Demokratie.

Wir haben mit unserem Vorstoß von allen Frauenorganisationen, auch von den Frauenorganisationen der großen Volksparteien, Zustimmung erhalten.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte deutlich auf das Resümee des Landesfrauenrates eingehen. Ich zitiere:

„Der Gesetzentwurf fragt nicht nach den Ursachen, sondern bekämpft direkt die Symptome. Trotzdem ist sie nach Auffassung des Landesfrauenrates geeignet, kurzfristig, kostenneutral und effektiv der bestehenden fehlenden Chancengleichheit entgegenzuwirken.“

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Man sieht also genau: Die haben debattiert, die haben abgewogen; dann sind sie zu diesem Schluss gekommen. Das hat auch seinen Grund.

Es ist nun einmal so, dass sich unsere Verfassung nach der Wiedervereinigung weiterentwickelt hat. Ein aktives Agieren des Staates zur Abschaffung der Diskriminierung der Frau ist geboten. Darauf weist uns der Juristinnenbund eindrücklich hin. Er schreibt:

„Die Regelung“

- also das Gesetz, das wir vorschlagen

„steht im Einklang mit dem Grundgesetz, der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Artikel 3 Abs. 2 Satz 2 GG, den Wertungen der Europäischen Charta der Grundrechte und der Verpflichtung Deutschlands aus Artikel 4 und 7 des UN-Übereinkommens über die Beseitigung der Diskriminierung der Frau.“

Auf allen politischen Ebenen hat unser Gesetz Rückendeckung.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das zu Ihren Überlegungen, Herr Stritzl!

(Wolfgang Kubicki)

Wir müssen uns aber natürlich klarmachen, auf welche Lage wir treffen. Wir treffen auf die Lage, dass die Kreisvorsitzenden bei jeder Listenaufstellung und bei jeder Diskussion um Direktkandidaturen in den Wahlkreisen - darauf komme ich noch in argen Nöten sind. Diese Situation ist sehr treffend von der ASF, von den Sozialdemokratinnen, in ihrem Statement beschrieben worden. Die Kreiswahlleiter sind oft in Loyalitätskonflikten, weil sie einem Platzhirsch sagen müssen: Nun lass da mal jemand anders ran, wir müssen mehr Frauen haben.

Wenn aber ein gesetzlicher Druck dahintersteht, hat dieser Kreisvorstand ein ganz anderes Argumentenpolster, wenn er in der Auseinandersetzung darum wirbt, dass diesem Gesetz Genüge getan wird.

Sie können fragen: Ist das denn verhältnismäßig? Ist das denn geboten? - Genau die Frage der Verhältnismäßigkeit ist von unserem Wissenschaftlichen Dienst und vom Juristinnenbund abgeprüft worden. Die in dieser Frage als Koryphäe geltende Frau Professor Sybille Raasch aus Hamburg kommt ganz deutlich zu dem Schluss, Herr Scholz und andere, die Verfassungswidrigkeit wittern, haben diese Neuerung in unserem Grundgesetz, in unserer Verfassung nach der Wiedervereinigung schlicht verschlafen. Sie kommen mit Argumenten, die historisch nicht mehr zutreffend sind. Im Gegenteil, es ist so, dass die Maßnahme gerade bei der Abwägung der Verhältnismäßigkeit, weil es kein milderes Mittel gibt, sogar erforderlich ist.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Alle Parteiquotierung hat bisher nicht geholfen. Gucken wir uns unseren eigenen Landtag an. Wir hatten hier schon mehr Frauen sitzen. Ich selber habe das in den letzten Legislaturperioden erlebt. Das, was hier passiert, nämlich der Rückgang des Frauenanteils, ist auch im Bundestag der Fall; das ist auch in den anderen Bundesländern der Fall. Wenn wir Gesetze für überflüssig halten, landen wir demnächst vielleicht wieder bei 20 % Frauenanteil.

Das ist eine Grundfrage der Demokratie. Da widerspreche ich auch dem früheren Innenminister Stegner, der gesagt hat: Na ja, das ist irgendwie nice to have, aber was hat das mit Demokratie zu tun?

Bestätigt fühle ich mich auch durch die Aussage der kommunalen hauptamtlichen Gleichstellungsbeauftragten, die geschrieben haben: Die zunehmend beklagte allgemeine Politikverdrossenheit, die für einen demokratischen Rechtsstaat nicht hinnehmbar sein kann, betrifft überwiegend Frauen. Frauen fühlen sich durch die politischen Gremien insbesondere auf Landesebene nicht mehr vertreten.

Politik wird zunehmend als latent aggressive und ineffektive Männerdomäne wahrgenommen.

Neben der Frage der Unvereinbarkeit von Beruf und Familie, die zweifellos wichtig ist, an die wir mit anderen Gesetzen ranmüssen - da bin ich ganz nah bei Ihnen, Frau Spoorendonk, und all denjenigen, die dies anführen -, ist auch die Unlust und die Auseinandersetzung mit den harten Widerständen ein Grund dafür, dass Frauen sagen: Ich verbringe mein halbes Leben, um mich überhaupt nur durchzusetzen, dass ich im Landtag ankomme; und die zweite Hälfte verbringe ich dann womöglich in einem Gremium, in dem nur 20 % Frauen sitzen. Dann verbringe ich mein Leben sinnvoller.

Das ist eine Art von Resignation, da können wir doch nicht stehen bleiben, da müssen wir etwas tun! Sonst haben wir tatsächlich eine Demokratie, die auch in den nächsten Jahrzehnten überwiegend von Männern bestimmt wird. Das kann doch wohl nicht ernsthaft Ihr Vorschlag sein, Herr Stritzl, Herr Puls!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Unruhe bei CDU und FDP)

Die gläserne Decke kann man nur mit klaren Quotenregelungen durchbrechen. Das macht uns Spanien vor, das macht uns Frankreich vor, das macht uns eine Reihe anderer Länder vor.

Frau Kollegin, die Zeit!