Aber ich will gern auch noch einmal etwas zu den Bemerkungen des Herrn Oppositionsführers sagen. Wissen Sie, die Methode, Behauptungen, die gar nicht aufgestellt worden sind, mit dem Pathos der Empörung zurückzuweisen, mag advokatorisch üblich sein, ist aber dieses Hohen Hauses eher unwürdig. Ich habe nämlich bewusst gesagt - das können Sie nachlesen, sehr geehrter Herr Kollege Kubicki, schauen Sie hinein, es steht in meinem Manuskript, das habe ich vorgetragen -, ich stelle keine Behauptungen auf.
Ich glaube allerdings, dass es berechtigt ist, über Zweifel zu reden. Ich kann die Eltern nicht damit abspeisen, dass ich sage, wir wissen noch nicht, was zu tun ist, und dann wird das schlichtweg abgeleugnet oder gar das Gegenteil behauptet. Genau dieses geschieht in der Debatte.
Ich finde, das ist nicht in Ordnung, sehr geehrter Herr Kollege Kubicki. Aus Zweifeln Behauptungen zu machen, mag bei Ihnen üblich sein, bei mir ist das nicht üblich. Ich weiß sehr wohl zu trennen zwischen dem, was ich sage, und dem, was ich meine. Unterstellen Sie mir bitte keine Dinge, die ich nicht gesagt habe. Das ist nicht in Ordnung.
Im Übrigen finde ich es ein wenig fragwürdig, dass Sie sich regelmäßig als Zensor des Hohen Hauses aufführen. Das steht Ihnen schlecht, dazu fehlt Ihnen auch ein bisschen die Qualifikation,
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer richtig zugehört hat, dürfte vernommen haben, dass ich und die CDU sehr wohl die Vorgehensweise des Niedersächsischen Landtages und den Antrag für richtig halten. Wir denken, dass er damit aber auch schon auf den Weg gebracht ist und wir nun gemeinsam einen anderen, weiteren Schritt tun können. Ich möchte nicht, dass diese Debatte heute dazu führt, dass dieses Parlament auseinandergeht, sich in dieser Sache nicht irgendwie einigt und wir das Gefühl erwecken, mit mehreren Zungen zu reden.
Deswegen kann auch ich damit leben, dass wir jetzt sagen, dass wir beide Anträge im Ausschuss diskutieren. Das halte ich nach der hier geführten Debatte auch für richtig. Ich muss ganz ehrlich sagen: Herr Dr. Stegner, ich weiß nicht, ob es wirklich eine so gute Idee war, dass Sie dazu geredet haben,
weil das Ganze nun doch einen Zungenschlag und eine Schärfe bekommt, die wir so alle nicht wollten. Ich hätte mir gewünscht, Sie hätten sich an den Appell des Kollegen Matthiessen gehalten. Dem ist es sicherlich auch nicht ganz leicht gefallen, diese Sachen ganz sauber zu trennen.
Ich glaube, es hat auch keinen Sinn, bei diesem Thema auf die Gefühlstube zu drücken. Wir brauchen sachliche Argumente, denn nur so können wir das Problem in den Griff bekommen. Lösen werden wir es auch jetzt noch nicht. Darum finde ich, dass wir hier weiteren Worten ein Ende machen und im Ausschuss sehen sollten, dass wir dort einen fundierten, sachkundigen und vielleicht auch noch besser formulierten Antrag erstellen, wer weiß! Lassen Sie uns das nutzen.
Das Wort für die Landesregierung hat nun die Sozial- und Gesundheitsministerin, Frau Dr. Gitta Trauernicht.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! 16 Kinder sind seit 1990 in der Elbmarsch an Leukämie erkrankt, mehr als dreimal so viele, wie es statistisch zu erwarten gewesen wäre. Ich empfinde für jedes einzelne Kind und für jede einzelne Familie tiefes Mitgefühl. Mein Eindruck ist, dass alle in diesem Haus dieses Mitgefühl teilen. Wir sollten nicht außer Acht lassen, dass in ganz Schleswig-Holstein im gleichen Zeitraum, also seit 1990, rund 300 Kinder an Blutkrebs erkrankten. Ihnen und ihren Angehörigen gilt unsere Anteilnahme ebenfalls. Denn die Menschen würden es nicht verstehen, wenn wir ausschließlich über die leukämieerkrankten Kinder in der Elbmarsch reden würden, nicht aber über die vielen anderen Kinder. Denn auch wenn diese 300 Erkrankungsfälle - ich sage es in Anführungsstrichen - „statistisch zu erwarten“ waren, sind die jeweiligen Einzelschicksale dadurch nicht leichter zu ertragen.
Wir empfinden sicherlich alle gemeinsam große Betroffenheit darüber, dass die Ursachenaufklärung zu den Leukämiefällen in der Elbmarsch bis jetzt kaum vorangekommen ist. Hier im Parlament haben wir vor gut einem Jahr zu diesem Thema eine sehr qualifizierte Diskussion geführt. Auch die Anträge zeigen aus meiner Ansicht, dass es den parteiübergreifenden Wunsch gibt, vor allem den direkt Betroffenen endlich Antworten zu geben. Was hat sich getan, seit wir zuletzt im Plenum debattierten, und was muss sich in näherer Zukunft tun?
Im April 2007 veranstaltete der Sozialausschuss des Niedersächsischen Landtages eine Expertenanhörung, an der auch Parlamentarier aus unserem Haus teilnahmen. Da wiesen unter anderem niedersächsische Ärzte auf neue Methoden der Ursachenforschung im medizinischen Bereich hin. Sie empfahlen außerdem, die Ursachenforschung auch außerhalb des Themas Strahlung zu verfolgen und ergebnisoffen zu erörtern. Nach Auffassung dieser Experten ist nicht von einem monokausalen Ansatz, sondern von multikausalen Ursachen für die Leukämieerkrankungen von Kindern auszugehen.
Breiten Raum nahmen in den Expertenanhörungen die Ausführungen des Professors Mironov von der Universität Minsk ein. Mironov führte aus, er habe in Bodenproben Plutonium-, Thorium- und UranIsotope gefunden, die nicht aus Tschernobyl oder Atombomben-Fallout und auch nicht aus dem Betrieb eines Leistungsreaktors, wohl aber zum Beispiel aus einem Forschungsreaktor stammen könn
ten. Woher die Bodenproben stammten, konnte Professor Mironov nicht sagen. Sie waren ihm gesandt worden. Bekanntlich waren die Untersuchungsergebnisse Mironovs bereits in einer ZDFSendung präsentiert worden. Dort hatte es geheißen, dass die Proben aus der Elbmarsch stammten.
Schon Jahre zuvor hatte der Diplom-Ingenieur Heinz Werner Gabriel aus Weinheim behauptet, in der Elbmarsch sogenannte PAC-Kügelchen gefunden zu haben, nur - das sage ich hier ganz deutlich dass sich Gabriels Untersuchungsergebnisse nie anhand der klassischen Gütekriterien verifizieren ließen. Dies sollte sich im Falle Mironov nicht wiederholen. Das Bundesumweltministerium beauftragte auf meine Anregung hin die Strahlenschutzkommission mit einer vertieften Bewertung der Ergebnisse Mironovs. Diese Bewertung setzt natürlich voraus, dass der Strahlenschutzkommission die schriftlichen Unterlagen über die Untersuchungen Professor Mironovs vorgelegt werden, insbesondere die Original-Messspektren. Nach Kenntnis der Landesregierung sind diese Unterlagen allerdings leider bis heute aus Weißrussland nicht bei der Strahlenschutzkommission eingetroffen.
Wie ich Ihnen bereits in der letzten Debatte mitteilte, habe ich außerdem das Max-Planck-Institut in Mainz gebeten, die Methodik der bisherigen Untersuchungen - aller Untersuchungen - zu Bodenproben in der Elbmarsch noch einmal auswerten zu lassen, um Hinweise für methodische Ansätze gegebenenfalls durchzuführender weiterer Untersuchungen zu bekommen. Ich habe das Institut gebeten, die Auswertung einschließlich der MironovUntersuchungen vorzunehmen. Auch hier hat das Max-Planck-Institut bedauerlicherweise bis jetzt noch keine Unterlagen von Professor Mironov erhalten.
Für zusätzliches Aufsehen in der Öffentlichkeit sorgte im Dezember letzten Jahres die Veröffentlichung der sogenannten KiKK-Studie, die auch wir intensiv studiert haben. Diese war im Dezember 2003 vom Bundesamt für Strahlenschutz in Auftrag gegeben und vom Mainzer Kinderkrebsregister durchgeführt worden. Das ist eine erste Adresse, von der wir auch Aufklärung erwartet haben. Das Risiko für Kinder unter fünf Jahren, an Leukämie zu erkranken, nimmt laut dieser Studie zu, je näher der Wohnort der Kinder an einem Kernkraftwerksstandort liegt. Die Ursache für diesen Zusammenhang ergab sich aus der Untersuchung nicht. Auch diese Studie wird nun im Auftrag des Bundesumweltministeriums von der Strahlenschutzkommission bewertet. Wir haben noch einmal nachgefragt.
Das Bundesumweltministerium hat kürzlich mitgeteilt, dass mit Ergebnissen in sechs bis neun Monaten zu rechnen ist.
Sowohl die Mironov-Untersuchungen als auch die KiKK-Studie sorgten in großen Teilen der Bevölkerung erneut für Verunsicherung, Unruhe und vereinzelt auch Wut. Wut auf die Behörden nämlich, denen Untätigkeit vorgeworfen wurde, obwohl die Wahrheit doch jetzt auf dem Tisch liege - so hieß es vielfach. Es sei doch jetzt bewiesen, dass die Leukämiefälle in der Nähe von Atomanlagen von eben diesen Atomanlagen verursacht seien. Nach der KiKK-Studie gelte dies sogar nicht nur in der Elbmarsch, sondern im Umfeld jedes deutschen Kernkraftwerkes. Viele dieser Reaktionen sind verständlich, zum Teil beruhen sie nämlich auf wenig differenzierten Mediendarstellungen.
Wie aber - und das ist der Anlass der heutigen Debatte - reagieren der Landtag und wie die Landesregierung? Mein Ministerium hat noch nie einen monokausalen Ansatz verfolgt hat, sondern immer schon versucht, auch weitere Wege zu gehen. Das von mir angekündigte und initiierte wissenschaftliche Fachgespräch zu epidemiologischen und medizinischen Fragen zur Aufklärung von Leukämieursachen bei Kindern in der Elbmarsch und in der Stadt Geesthacht hat - wie angekündigt - am 26. März 2007 im Sozialministerium unter Leitung von Professor Schrappe stattgefunden. Hier war ein Großteil des deutschen medizinisch-wissenschaftlichen Sachverstandes für Leukämien im Kindesalter vertreten. Es war ein sehr ernsthaftes, sehr intensives Gespräch.
Thema des Gesprächs war die Hypothese, dass Leukämie auch virusinduziert sein könnte. Im Anschluss traf ich die Entscheidung, dass sich mein Ministerium an einer Studie des Hamburger Universitätsklinikums Eppendorf zum Thema „Virusinduzierte Leukämogenese im Kindesalter“ beteiligt. Von den Ergebnissen aus den geplanten Untersuchungen erwarte ich - selbst bei fehlendem Nachweis von viralen Nukleinsäuren - einen wichtigen Beitrag in der Diskussion über die Entstehungsmechanismen der Leukämien im Kindesalter, um neben der Strahlenhypothese auch andere medizinische Aspekte der Leukämieentstehung zu berücksichtigen.
Dass sich bisher ein Zusammenhang zwischen Radioaktivitätsabgaben kerntechnischer Anlagen und Leukämiefällen nicht hat nachweisen lassen, bedeutet allerdings nicht, dass das Gegenteil bewiesen wäre.
(Beifall bei SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und der Abgeordneten Her- lich Marie Todsen-Reese [CDU])
Schleswig-Holstein und Niedersachsen sind die beiden Bundesländer, deren Bevölkerungen unmittelbar von den Leukämiefällen in der Elbmarsch betroffen sind. Wir tragen insofern auch eine besondere Verantwortung.
Ich halte es für richtig, ein weiteres Expertengespräch unter Moderation des Bundesamtes für Strahlenschutz durchzuführen, weil noch viele Fragen aus der Anhörung im April 2007 offen geblieben sind. Der Abgeordnete Schulze hat diesbezügliche Irritationen insoweit klargestellt, dass auch wir diese Ergebnisse gern zur Kenntnis nehmen und bei unseren weiteren Untersuchungen und Vorgehensweisen berücksichtigen wollen. Es kann jedoch keinesfalls vorausgesetzt werden, dass die Bewertung der Mironov-Untersuchungen - auch die sind Gegenstand dieser Klärungen - überhaupt etwas dazu beitragen werden, die „Strahlenthese“ zu erhärten oder zu verwerfen.
Aus diesem Grund begrüßt die Landesregierung den Antrag, in Abstimmung mit Niedersachsen erneut Bodenproben zu nehmen und untersuchen zu lassen. An dem Vorhaben soll die Bürgerinitiative gegen Leukämie in der Elbmarsch beteiligt werden. Ich werde sie noch im Februar zu einem Gespräch einladen. Einige Mitglieder der Bürgerinitiative haben sich bereits zu Anfang dieses Jahres auf unsere Einladung hin über das Kernreaktor-FernÜberwachungssystem in meinem Ministerium informiert. Ich glaube, sie sind sehr nachdenklich rausgegangen.
Ich setze auf einen Neuanfang, ich setze auf Beteiligung, ich werde im Sozialausschuss über diesen Prozess berichten. Mein Ziel ist klar: eine hohe Übereinstimmung bei der weiteren Vorgehensweise und bei der Untersuchung weiterer Bodenproben.
Auch wenn es bereits zahlreiche Expertensitzungen, Gutachten und auch Bodenuntersuchungen gegeben hat - ich verweise auf den Landtagsbericht von vor einem Jahr -: Wir dürfen in unserem Bemühen nicht nachlassen, der Wahrheit auf den Grund zu gehen!
Dass dies in gewissem Umfang zusätzliche Haushaltsmittel, auch Landesmittel, kostet, müssen wir in Kauf nehmen; das sind wir der Bevölkerung schuldig.
Wenn ich gut zugehört habe, haben alle Fraktionen den Antrag des SSW auf Ausschussüberweisung unterstützt. Dann bitte ich darüber abzustimmen, die Drucksachen 16/1819 (neu) und 16/1830 dem Sozialausschuss zu überweisen. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Dem ist einstimmig zugestimmt worden.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Mit diesem Antrag wird ein mündlicher Bericht in dieser Tagung erbeten. Ich lasse zunächst darüber abstimmen, ob dieser Bericht erteilt werden soll. Wer das befürwortet, den bitte ich um sein Handzeichen. - Das ist einstimmig angenommen.
Dann darf ich Sie, sehr geehrter Herr Minister Austermann, als Minister für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr um den Bericht bitten.