Protokoll der Sitzung vom 01.09.2005

Wir müssen diesen Spagat, den ich zugegebenermaßen im Moment nicht hinbekomme, gehen, um am Ende der Legislaturperiode aufgrund der Maßnahmen, die wir dann eingeleitet haben, einen konsolidierten Haushalt zu bekommen und dann wichtige Politikfelder wieder stärker hineinzubekommen. Insofern bin ich gespannt auf die Vorschläge des Oppositionsführers, auf die unseres ehemaligen Koalitionspartners. Dann ist die Schonfrist vorbei. Ich freue mich natürlich auch auf die Vorschläge, denn ich weiß selbst auch: Auch wenn wir die Regierung stellen, wir sind nicht fehlerfrei. Insofern freue mich auf diese Beratung und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Ich werde jetzt das Rednerpult möglichst schnell wieder verlassen.

(Anhaltender Beifall bei SPD und CDU)

Ich danke dem Vorsitzenden der SPD-Fraktion, dem Kollegen Lothar Hay, und begrüße auf der Tribüne Senioren des Bahn-Sozialwerkes Bad Oldesloe und Mitglieder der Frauen-Union des Kreises Plön. - Seien Sie uns herzlich willkommen!

(Beifall)

Ich erteile nunmehr das Wort der Vorsitzenden der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Frau Abgeordnete Anne Lütkes.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war heute schon vielfach Thema: Die einseitige Verursachung, Grundursache allen Übels sind wir, sind die Grünen.

(Lachen und vereinzelter Beifall bei der CDU)

- Danke. Fast hätte man den Eindruck haben können - wenn nicht Lothar Hay gerade einiges klargestellt hätte -, wir hätten neun Jahre einer Alleinregierung hinter uns.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Das hat insbesondere in seiner unnachahmlichen Direktheit unser Herr Ministerpräsident einmal mehr erkannt und mit freundlichem Lächeln - für das Sie ja berühmt sind - doch sehr deutlich gesagt: Die Lumpen, die Grünen, haben dafür gesorgt, dass unsere Haushalte kaputtgegangen sind.

(Ursula Sassen [CDU]: Das hatten wir heute schon!)

- Das hatten wir heute schon, aber wissen Sie, ich finde es schon ganz gut, das mit dem Ministerpräsidenten persönlich besprechen zu dürfen. Das war mir heute Morgen verwehrt. Deshalb gestatten Sie, dass ich jetzt noch einmal darauf zurückkomme. Die Ratten und die Schmeißfliegen, die kennen wir als politische Kategorie von Strauß und die dummen Kälber kennen wir von Stoiber. Die deftige Wahlkampfauseinandersetzung ist auch etwas, was man ertragen kann, soll und mitunter auch mit einem Schmunzeln tut. Das macht Spaß, das macht Ihnen, Herr Ministerpräsident, Spaß, das macht auch uns Spaß. Das will ich nicht verhehlen.

(Zurufe)

Darüber hinaus haben wir festgestellt - das finde ich auch sehr positiv -, dass Sie sich bemühen, ein versöhnlicher, freundlicher Landesvater für dieses Land, für ganz Schleswig-Holstein zu sein. Sie bemühen sich, für die Alltagssorgen der Menschen - so wie wir - da zu sein und sich darum zu kümmern. Das ist gut. Aber es gibt Grenzen. Es gibt Grenzen, Grenzen des Mottos „jeder nach seiner Facon“ in der Kommunikation. Sie haben mit Ihrer Formulierung suggeriert, die Haushalte der vergangenen neun Jahre seien von einem Haushaltsgesetzgeber mehrheitlich beschlossen worden, der sich bewusst außerhalb der Norm stellte, der bewusst das Gesetz missachtete und selber schließlich keine Achtung verdiente. Das ist etwas - ich erlaube mir noch einmal, das zu betonen -, was Grenzen überschreitet.

Insofern bin ich froh, Lothar Hay, trotz aller anderen Anmerkungen, auf die ich zum Teil noch zurückkomme, dass es doch eine Rede war, die nicht verleugnet, dass es eine rot-grüne Zusammenarbeit gegeben hat, die sich auch von Verfassungs wegen bemüht hat, einen Haushalt ordentlich, sauber und ehrlich zu gestalten. Sie haben eine andere Meinung, Sie können jetzt grölen - das kann man schon einmal zu Protokoll geben -, aber ich bin Ihnen sehr dankbar, Herr Hay, dass Sie hier sehr deutlich zu unserer ge

(Anne Lütkes)

meinsamen Vergangenheit gestanden und klar inhaltlich Position bezogen haben.

(Lachen bei der CDU)

Denn - wir erinnern uns gemeinsam - vor nicht allzu langer Zeit hat die CDU-Fraktion gegen ein Haushaltsgesetz geklagt. Die CDU-Fraktion hatte zu Recht aus ihrer Sicht darauf hingewiesen, der von Rot-Grün beschlossene Haushalt sei verfassungswidrig. Vor ganz kurzer Zeit haben sie diese Klage zurückgenommen. Warum? Hat sich die Rechtslage geändert? - Nein, die Machtverhältnisse haben sich geändert. Wir haben es heute schon sehr deutlich gehört. Und im Tausch gegen die Regierungsübernahme verzichtet man auf diese Meinung, die Verfassung prüfen und achten zu wollen.

(Dr. Johann Wadephul [CDU]: Nein!)

- Oder wie ist es sonst zu interpretieren, Herr Kollege Wadephul?

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Fest steht, die Nettoneuverschuldung beläuft sich 2006 auf über 1,5 Milliarden €. Fest steht auch - das ist heute Morgen hier sehr deutlich und heute Nachmittag in den unterschiedlichen Feststellungen dargelegt worden -, Artikel 53 Satz 1 der Landesverfassung ist nicht erfüllt.

Man kann ihn übrigens nicht zum Ruhen bringen. Das mag eine spannende Debatte bei Ihnen in der Fraktion sein. Das ist aber höchst merkwürdig. Eine Verfassung zum Ruhen zu bringen, ist aus meiner Sicht genauso abwegig, wie zu sagen - wie es hier heute getan worden ist -, wir achten die Verfassung, indem wir sie brechen. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen.

Sie können das tun, weil der Artikel 44 Landesverfassung Sie davor schützt, dass jemand aus diesem hohen Haus klagt. Denn ich unterstelle einmal, dass unsere Verabredung, Minderheitsrechte gemeinsam parlamentarisch zu wahren, für die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht nicht gilt. Ich meine auch - ich sage das ganz offen -, sie kann da nicht gelten. Die Klagebefugnis kann man nicht im Wege des Beleihens übertragen. Insofern können Sie sicher sein, dass es eine Klage nicht geben wird. Sie können damit ebenso sicher sein, dass der Darlegungszwang der Verfassung und der Landeshaushaltsordnung für Sie beliebig wird. Denn: Wo kein Kläger, da kein Richter. Die anderen waren die Lumpen und über uns der blaue Himmel von Nordstrand! Die Urteile des Bundesverfassungsgerichts brauchen wir insofern gar nicht mehr darzulegen.

Meine Damen und Herren, ist das Arroganz der Macht? Ist das Unwissenheit? Oder ist das sogar die Sicherheit, die vorweggenommene Sicherheit, auf die große Allianz nach dem 18. September 2005 bauen zu können? - Sie haben in Ihrer schriftlichen Begründung zum vorgelegten Entwurf des Haushaltsstrukturgesetzes deutlich gemacht, dass Sie so, wie wir auch in der Vergangenheit, wesentliche Erfolge bei der Haushaltskonsolidierung nur aus der Bundespolitik erwarten. Insofern ist natürlich erneut ein Blick in die Vergangenheit notwendig. Klaus Müller hat heute Morgen schon ganz entscheidende Punkte in die Erinnerung gerufen. Ich möchte noch einmal betonen, dass bei der Analyse der Haushaltssituation nicht hinwegzudenken ist und bleibt, wie intensiv die Blockade der CDU-geführten Länder bei den wichtigen rot-grünen Reformprojekten im Bundesrat war. Dass der Bundesvorstand sich mittlerweile gegenseitig auf den Füßen steht, das wissen wir ja, aber aus parteipolitischem Kalkül waren Union und FDP im Bundesrat stetig bereit, die Politik insgesamt zu einer Handlungsunfähigkeit zu bringen, sie zu lähmen - und das, ich möchte schon fast sagen, mit gnadenloser Konsequenz. CDU, CSU und FDP haben bis heute Blockaden bei Bildungs- und Forschungsinvestitionen errichtet, die wir - und das sage ich noch einmal -, Rot-Grün, durch Streichung beispielsweise der Eigenheimzulage mobilisieren wollten. CDU, CSU und FDP haben Belastungen gerade dort im Bundesrat durchgesetzt, wo es um das soziale Gleichgewicht der notwendigen Reformen geht.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine besondere Schieflage ist Hartz IV, verursacht durch Koch und andere.

Meine Damen und Herren von der großen Koalition, Sie haben zur Begründung der Zulässigkeit der Überschreitung der Kreditgrenze stetig auf das bundespolitische Reformwerk der Zukunft, insbesondere auf das Steuerrecht rekurriert. Es ist natürlich spannend, man könnte fast sagen, es könnte sogar erheiternd sein, wenn das nicht so dramatisch wäre. Es könnte sehr lustig sein zu prüfen, auf welches Steuerrecht der Zukunft Sie sich denn da beziehen. Lothar Hay hat natürlich darauf hingewiesen.

Das hat aber nicht die Frage beantwortet, auf welche Form der sozialen Sicherungssysteme Sie sich beziehen wollen. Worauf wollen Sie gemeinsam Einfluss nehmen, meine Damen und Herren von CDU und SPD - Kopfpauschale und Bürgerversicherung? Das geht nach dem, so wie ich es bis jetzt verstanden habe, einfach nicht zusammen. Ihre erfrischende Rede, Herr Hay, ist da ganz schön, wir haben auch gern zugehört, nur löst es dieses Dilemma nicht. Wir fra

(Anne Lütkes)

gen uns nach wie vor: Ist diese Erklärung, bundesratspolitisch vorzugehen, nun aufgrund der vorliegenden Widersprüche - um es einmal juristisch zu sagen - eine Scherzerklärung oder vielleicht nichtig oder was oder wer hat da bei Ihnen schon verloren? Wie sind denn eigentlich die internen Absprachen beispielsweise zum Steuerrecht? Die SPD-Seite des Hauses muss es ja noch wissen. Wir - auch das wieder RotGrün - haben seit der Regierungsübernahme 1998 im Bund gemeinsam die Steuerbelastung der Bürgerinnen und Bürger deutlich gesenkt, wir haben den Grundfreibetrag erheblich erhöht. Das macht einen Anstieg von 21 %. Allein durch die deutliche Anhebung des Grundfreibetrages brauchen zirka 1 Million Steuerpflichtige keine Lohn- und Einkommensteuer mehr zu zahlen. Schon allein das ist eine faktische Steuervereinfachung und das ist spürbarer Bürokratieabbau.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben die Steuersätze gleichmäßig über den gesamten Tarifverlauf abgesenkt und den Eingangssatz erheblich auf in diesem Jahr 15 % gebracht. Zu Kohls Zeiten war der Spitzensteuersatz 52 %, jetzt beträgt er 42 %.

Hartz IV! Die Ansprüche sind nun einheitlich und gerecht verteilt. Die Zwei-Klassen-Systematik bei den Langzeitarbeitslosen ist aufgehoben, es hat sich deutlich etwas verändert, aber nicht genug. Festzustellen ist auch, die Wege zu gerechteren Steuern und die Wege zu gerechteren Sozialversicherungssystemen sind von Rot-Grün in Berlin und mit Unterstützung von Rot-Grün in Schleswig-Holstein beschritten und begonnen worden. Nun wollen Sie, Schwarz-Rot, im Bundesrat Einfluss auf Reformen nehmen, diese vorantreiben. Bei der Vorstellung, was dies für Schleswig-Holstein bedeuten mag, hilft schon ein Blick auf das Kompetenzteam der CDU/CSU, der Kanzlerkandidatin. Meine Damen und Herren, dort erblicken wir voller Vorahnung Frau von der Leyen und Herrn Professor Kirchhof.

(Zuruf von der CDU: Wen haben Sie da ei- gentlich?)

Ich nenne nur die zwei Namen, die im aktuellen Zusammenhang von besonderem Interesse sein müssen, stehen doch beide für die Zukunftsvisionen der Kandidatin. Im Hinblick auf die bundespolitischen Erwartungen, die Sie landespolitisch heranziehen, um Ihren verfassungswidrigen Haushalt zu rechtfertigen, muss man diese 16 Tage vor der Wahl schon genau hinschauen und einige Aufschlüsse kann man schon gewinnen.

Was brächte denn ein Theoretiker vom Schlage Kirchhofs für die - das möchte ich doch heute noch feststellen - im Ansatz noch sozialdemokratisch geprägte Landespolitik von Schleswig-Holstein? Er ist persönlich dankenswert offen, er ist ähnlich offen wie unser Ministerpräsident. Allerdings finden wir im Sprachgebrauch gewisse Unterschiede. Vor der Lumpendiffamierung können wir - wie ich denke - bei Professor Kirchhof sicher sein, aber sein Steuerkonzept, das auf klaren gesellschaftspolitischen Grundlagen ruht, lässt so manches unsicher werden. Er will mindestens 418 Steuervergünstigungen abschaffen und ein ungerechtes Steuerkonzept von 25 % Einheitssteuer finanzieren; er will alle Steuergesetze abschaffen und die Subventionen herunterfahren.

Nach vorläufigen Berechnungen bedeutet das Kirchhof-Konzept für die Haushalte von Bund und Ländern Risiken von über 42 Milliarden € im ersten Jahr und es geht immer weiter in die rasante Beeinträchtigung insbesondere der Haushalte der Länder. Das Steuerkonzept von Kirchhof entlastet vor allem Besserverdienende. Der Kirchhof-Vorschlag beinhaltet für Bezieher hoher Einkommen besonders umfangreiche tarifliche Entlastungen. Er ist nichts anderes als letztlich eine Umverteilung von unten nach oben und er geht hin, schafft die Subventionen ab, steckt sie in den Haushalt und möchte sie gerade nicht für Kinderbetreuung, Bildung und Ähnliches verwenden.

Besonders interessant ist, er möchte alle Subventionen und Ausnahmetatbestände streichen, aber ausgerechnet das antiquierte Ehegattensplitting, das die steuerliche Absicherung der Alleinverdienerehe mit der Hausfrauenehe kombiniert, will er behalten. Kirchhofs Steuerpläne sind Ausdruck von sozialer Kälte und Ungerechtigkeit.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Er nennt die gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft eine Pervertierung des Verfassungsauftrags. Er meint, Familienglück sei das Entscheidende für Frauen, das er so definiert: Die Frau macht in ihrer Familie Karriere, die Macht, die nicht Macht, sondern Freundschaft verheißt, nicht Geld, sondern Glück. Er fordert die Familienmanagerin und die privilegierte Familienmanagerin von der Leyen lächelt dazu. Unser Herr Ministerpräsident sagt, Arbeitsplätze für unsere Männer und Söhne müssen wir sichern. Da verrät die Sprache endgültig - -

(Zuruf von Ministerpräsident Peter Harry Carstensen)

- Das kann ich Ihnen zeigen. Ich habe es gelesen. Wenn es nicht stimmt und wenn Sie auch die Arbeitsplätze unserer Töchter sichern wollen, sind wir

(Anne Lütkes)

schon einen Schritt weiter. Aber mich erinnert dieses reaktionäre Programm letztlich an Schillers Glocke. Lesen Sie es mal nach „im häuslichen Kreise“. Schiller reimt es, die CDU reimt es nicht. Festzustellen ist, die Geschlechtergerechtigkeit bleibt auf der Strecke. Unsere Freundinnen und Freunde von der SPD schweigen zu wichtigsten Dingen.

Meine Damen und Herren, Klaus Müller und ich haben uns - wie schon heute Morgen - die Redezeit aufgeteilt. Deshalb möchte ich nur noch auf zwei Punkte hinweisen, die ich als wesentliche Angriffe auf die Zivilgesellschaft, für die wir, Rot-Grün, einmal standen, sehe, die auch von der SPD getragen wird. Das eine ist der eingeleitete Angriff auf das Demokratiegebot für den gesamten staatlichen Bereich. Die für die Verwaltungsstrukturreform beabsichtigten Dienstleistungszentren wären eine Verwaltungsebene, für die die demokratische Legitimationskette nicht gewährleistet ist. Das kann die SPD eigentlich nicht mitmachen.

Und erlauben Sie mir das zum Abschluss meiner ersten Hälfte zur Amtsgerichtsstrukturreform: Was vorgeschlagen wird, ist ein phantasieloses Schließen und negiert die Tatsache,

(Lachen bei der CDU)

dass die schleswig-holsteinische Justiz modern und modernisiert ist. Unsere Richter und Richterinnen, aber auch die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in die Zeit des Dorfrichters Adam zurückzuversetzen, das ist - ich will es einmal gelinde sagen - betriebsblind. Die Menschlichkeit eines Dorfrichters bei modernsten Arbeitsmitteln zu behalten und die Justizgewährungspflicht wirtschaftlich, aber immer noch für die Menschen auszuüben, das sollte auch für diese Landesregierung verpflichtend sein. Plattes Schließen ist eigentlich das Letzte, was ich der SPD vorher zugetraut hätte.

Meine Damen und Herren, lieber Lothar Hay, ich will jetzt nicht in die Geschichte der rot-grünen Koalition einsteigen, aber dazu, dass Sie mir sagen, dass wir es fünf Jahre lang nicht wollten, sage ich: Das, was ich vorgeschlagen habe, war mutig und ging sehr weit. Manche hatten Angst davor.