Protokoll der Sitzung vom 28.02.2008

„Wer die menschliche Gesellschaft will, muss die männliche überwinden“, heißt es im Grundsatzprogramm der SPD. Ich will nicht verhehlen, dass ein solches Zitat für einen männlichen Redner Haken

und Ösen hat. Männer sind ja in fremder und Frauen bekanntlich in eigener Sache die besseren Diplomaten. Ich sage Ihnen aber auch: Wie dem auch sei, die Sozialdemokratie hat vor 90 Jahren das Frauenwahlrecht erkämpft. Wir bleiben am Ball. Verlassen Sie sich darauf!

(Beifall bei der SPD)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Dr. Ralf Stegner. - Das Wort für die CDU-Fraktion hat nun die Frau Abgeordnete Frauke Tengler.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Stegner, ich habe Verständnis dafür, dass Sie die SPD als Erfinder von Frauenpolitik darstellen möchten. Ich möchte Ihnen allerdings, trotz guter Recherchen, in Erinnerung rufen, dass Mitte der 80er-Jahre bereits Gräfin Brockdorff hier Sozialministerin war und dass in den 70er-Jahren Frau Annemarie Schuster parlamentarische Staatssekretärin war. Das sind nur einige Beispiele. Beides übrigens Frauen aus der CDU.

(Beifall bei der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mein Dank gilt zunächst der Landesregierung für eine detaillierte, umfangreiche Antwort auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion. Das Material liefert eine gute Datengrundlage mit zahlreichen Statistiken und anschaulichen Einzelprojekten. Wobei ich es bedauere, dass zum Beispiel für den Bereich der Wohlfahrtsverbände keine Zahlen und Statistiken zur Verfügung stehen. In diesem Bereich ist der Frauenanteil erheblich höher als der Männeranteil.

Mir ist es im Zusammenhang „Ehrenamt“ wichtig zu erwähnen, dass es im Kreis Schleswig-Flensburg seit Januar 2008 die erste Wehrführerin in der Feuerwehr gibt, einstimmig gewählt, und zwar nicht in der Jugendfeuerwehr.

(Beifall bei der CDU)

Von der heutigen Debatte und anschließend stattfindenden Ausschussberatungen erwarte ich, dass wir auf der Grundlage der uns zur Verfügung gestellten Informationen politische Schlussfolgerungen ziehen, was wir gemeinsam in der Frauenpolitik in Schleswig-Holstein erreichen wollen. Eine Frage: Setzt Frauenpolitik eigentlich Männerpolitik voraus?

(Dr. Ralf Stegner)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben es dann geschafft, wenn tatsächlich erreicht ist, was in Wahlkämpfen immer wieder gebetsmühlenartig wiederholt wird: Wir machen Politik für die Menschen. Also Menschenpolitik.

(Beifall bei der CDU)

Frauenpolitik ist mehr als eine statistische Bestandsaufnahme, genauso wie Frauen keine soziologische Gruppe sind, sondern die andere Hälfte. Frauenpolitik ist Teil einer sich stets wandelnden Gesellschaft: Als vor 18 Jahren Frau Professorin Ursula Lehr, ehemalige Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, sagte, „auch Zweijährige können nach entwicklungspsychologischen Erkenntnissen in außerhäusliche Betreuung“, hieß es landauf, landab: ,,Lehr macht die Familie kaputt.“ Heute ist diese Forderung selbstverständlich und weitergehend.

(Zuruf von Ministerin Ute Erdsiek-Rave [SPD])

- Frau Ministerin, aber man darf doch lernen! Darüber bin ich so froh.

(Beifall des Abgeordneten Jürgen Feddersen [CDU])

Frauenpolitik heißt primär, eine Wertedebatte zu führen, Verhaltensmuster zu ändern, traditionelle Rollenvorstellungen zu hinterfragen und eigene Lebensentwürfe zu entwickeln. Der Staat ist sekundär gefordert, die Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu schaffen. Da ist Schleswig-Holstein auf einem guten Weg. Ich komme noch darauf zurück.

Dreh- und Angelpunkt ist und bleibt für die CDUFraktion das Individuum, die Frau, die ihr Leben eigenverantwortlich in die Hand nimmt und die damit verbundenen Chancen auch als solche ergreift und begreift.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Frauen müssen Verantwortung wollen und Männer müssen wollen, dass Frauen Verantwortung übernehmen.

(Beifall der Abgeordneten Susanne Herold [CDU], Ursula Sassen [CDU] und Herlich Marie Todsen-Reese [CDU])

Herr Dr. Stegner, da stellt sich mir schon die Frage, warum Sie bei dem für die SPD auch so wichtigen Thema den Frauen in Ihrer Fraktion die Verantwortung für diese Rede heute nicht überlassen haben.

(Beifall bei der CDU)

Das Übernehmen von Verantwortung hat sich für mich häufig so dargestellt. Habe ich eine Frau gefragt: „Willst du nicht für den Kreistag kandidieren?“ ist sehr häufig die Antwort gekommen: „Glaubst du, dass ich das kann?“ Bei der gleichen Frage an einen Mann ist die entsprechende Antwort: „Wieso hast du mich nicht schon lange gefragt?“.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Wo stehen wir heute? - Ich will einige Passagen aus der Antwort der Landesregierung hervorheben, um deutlich zu machen, wo wir heute stehen. Ich beginne zunächst mit dem eigenen Umfeld und gehe dann zu allgemeingültigeren Aussagen über. Ein Drittel aller Abgeordneten im Schleswig-Holsteinischen Landtag sind Frauen. Von acht Ausschüssen haben lediglich drei Ausschüsse eine Frau zur Vorsitzenden. Dabei handelt es sich um die Ausschüsse für Bildung, Soziales und Europa. Auch für den Bereich der Abgeordneten gilt, dass die Frauen den Job als Abgeordnete auch wollen müssen.

(Jutta Schümann [SPD]: Leider gibt es bei der CDU auch nur Männer im Vorstand!)

In der Landesregierung sind Frauen auf der Führungsebene stark unterrepräsentiert. Von den abhängig beschäftigten Frauen in Schleswig-Holstein arbeitet ein Viertel in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen. Der Anteil von Frauen ist bis zur Verdienstgrenze - das ist bedenkenswert - von 1.300 € netto deutlich überrepräsentiert, oberhalb dieser Verdienstgrenze deutlich unterrepräsentiert. Mädchen erzielen im Durchschnitt bessere Schulnoten als Jungen, sie konnten ihre Fähigkeiten bisher aber nicht entsprechend in berufliche Erfolge und höhere Verdienste umsetzen.

Wo wollen wir hin? Die Situation ist trotz aller Maßnahmen der Frauenpolitik immer noch unzureichend. Die Weichen dafür, dass Frauen in Zukunft wirtschaftlich und damit auch gesellschaftspolitisch besser dastehen als heute, sind jedoch gestellt.

Jahrzehntelange erfolgreiche Bemühungen haben dazu beigetragen, dass die Mädchen heute die Gewinnerinnen im Bildungssystem sind. Die Frauen haben ihre Bildungsdefizite nicht nur verringert, sondern die Männer in weiten Bereichen der allgemeinen wie beruflichen Bildung bereits überholt.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Wer sagt das?)

Frauen machen heute 56 % der deutschen Abiturienten aus. Dennoch erlernen die meisten Frauen bisher nach wie vor klassische Berufe. Allerdings beginnen Demografie und neue Lebensentwürfe

(Frauke Tengler)

von Frauen zu wirken. Bei dem Umfang der Beantwortung der Großen Anfrage möchte ich mich auf den Bereich der gleichen Chancen konzentrieren.

56 % der deutschen Abiturienten sind Mädchen. Dieses Potenzial gilt es zu heben. Zum Teil hebt es sich von selbst. Ein Beispiel findet sich in einem Hinweis aus der Einstellungspraxis des dem Kreises Schleswig-Flensburg: Frauenförderpläne werden durch das Faktische außer Kraft gesetzt. Es werden momentan mehr Frauen als Männer eingestellt. Der Grund ist eine wesentlich besser Qualifikation.

Es geht um gleiche Chancen von Frauen und Männern mit und ohne Kinder in allen Altersstufen und Lebensphasen ebenso wie in besonderen Lebenssituationen. In Deutschland müssen die klassischen Rollenmodelle weiter überwunden werden. Ich weise auf Seite 66 ff. der Antwort hin. Skandinavien und Frankreich sind uns da zum Beispiel um Längen voraus.

(Beifall bei der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Es fragte mich eine skandinavische Physiotherapeutin, die in Deutschland Teilzeit arbeitet: „Was ist das eigentlich? In Dänemark bin ich teilzeitbeschäftigt ‚eine faule Sau’ in Deutschland eine ‚Rabenmutter’“.

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Etwas deutlicher artikulieren!)

- Ich hoffe, Sie können mich besser verstehen, Herr Dr. Klug!

Auch dafür braucht unsere Gesellschaft die Vorbildfunktion der Mütter: Familie, Kinder und eine aktive berufliche Karriere sind lebbar. Dafür müssen sich Bildung und Leistung für Frauen lohnen. Sie sehen es an den Ergebnissen: Gut ausgebildete und bezahlte Frauen nehmen in der Regel nur eine kurze Elternzeit. So eine spricht im Moment zu Ihnen. Ende der 70er- und Anfang der 80er-Jahre war eine durchgehende Berufstätigkeit noch wesentlich unüblicher als heute. Elternzeit gab es nicht. Aber meine durchgehende Berufstätigkeit hat funktioniert, weil ich es wollte, eine Kinderbetreuung in der Nachbarschaft privat organisieren konnte und mein Mann mich bei diesem Vorhaben unterstützte. Die Voraussetzung für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf müssen weiter unterstützt werden.

Der Staat muss die Rahmendaten für die Kinderbetreuung schaffen. Bisher gibt es in Schleswig-Holstein 8 % Plätze für Kinder unter 3 Jahren, im KitaBereich sind wir gut, hier gilt es, die Unterbringungszeiten zu verlängern.

Die Verlässlichen Grundschulen - inzwischen flächendeckend, auch das ist ein Erfolg - erlauben Teilzeitbeschäftigung. Ich bin froh, dass in Schleswig-Holstein inzwischen 30 % Ganztagsschulangebote machen kann, ausreichend ist das noch nicht.

(Beifall des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Frauen nehmen bisher anders am Erwerbsleben teil als ihre männlichen Kollegen. Sie unterbrechen ihre Erwerbstätigkeit häufig für Jahre. Die Folge ist, das automatisch vermutet wird: Frau leistet aufgrund fehlender Erfahrung weniger, sie gilt als weniger produktiv. Nur Berufstätigkeit in Form einer kontinuierlichen Vollerwerbstätigkeit wird bisher in Deutschland belohnt. Mit Hilfe des Projektes „CheFsache Familie“ - Seite 69 der Antwort - wird deutlich, dass die Landesregierung das erkannt hat und gegensteuert. Es wäre wünschenswert, wenn dieses Projekt, an dem Betriebe hautnah mit großem Erkenntnisgewinn beteiligt waren, landesweit durchgeführt werden könnte. Die Betriebe haben erkannt, was es bedeutet, familienfreundlich zu sein und Bedingungen zu schaffen. Sie erhalten leistungsbereite, flexible Multitasking-Mitarbeiterinnen. Vor dem Hintergrund sich veränderter gesellschaftlicher Strukturen - hohe Scheidungsraten, viele Alleinerziehende, viele Singlehaushalte, zunehmende Altersarmut bei Frauen - werden und müssen sich Frauen eine eigene wirtschaftliche Existenz aufbauen. Dieses ist zunächst eine private Entscheidung. Der Staat kann - wie beschrieben flankierend wirken.

Liebe Frau Kollegin, die Zeit!

Ich komme zum Schluss. - Außerdem kann eine eigene Existenzsicherung dazu beitragen, das Risiko häuslicher Gewalt zu mindern - Seite 74 ff. Dennoch sollte überprüft werden, inwieweit die „Helpline“ gegen häusliche Gewalt zeitlich und fachlich ausgeweitet werden kann.

(Beifall bei der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Zum Schluss möchte ich den Fraktionen einen Vorschlag für den 24. April 2008 machen: Jeder Abgeordnete sollte an diesem Tag ein Mädchen zum „Girls Day“ ins Parlament einladen. Das wäre doch ein Zeichen. Organisatorisch dürfte dem nichts ent

(Frauke Tengler)