Protokoll der Sitzung vom 28.02.2008

(Beifall bei SPD, CDU und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Die Antwort auf die Große Anfrage macht insgesamt deutlich, dass unsere Gesellschaft der Frauenpolitik nicht nur ein Mehr an Gerechtigkeit, sondern auch einen erheblichen Qualitäts- und Modernisierungsschub verdankt. Eine ausgeglichene Gesellschaft ist ja wie ein ausgeglichener Mensch: stabil, offen und flexibel. Das brauchen wir, um den Herausforderungen unserer Zeit angemessen begegnen zu können. Wir können der Antwort auf die Große Anfrage auch dies entnehmen: Wo man sich weiterhin an die traditionelle Sicht klammert, dass sich Frauen unterordnen müssen, werden Konflikte eben leider oft mit Gewalt gelöst. Jede vierte Frau hat das am eigenen Leib erfahren. Der Schutz vor Gewalt ist und bleibt einer der zentralen Bereiche der Frauenpolitik. Mit dem Aktionsplan „Häusliche Gewalt“ haben wir im vergangenen Jahr ein Gesamtkonzept vorgelegt, das - das sage ich ohne Schulterklopfen, aber doch sehr selbstbewusst - eine bundesweit vorbildliche, sehr wirkungsvolle Vernetzung der Helfer - Polizei, Justiz, Frauenhäuser, Beratungseinrichtungen und Jugendhilfe - vorsieht und gezielt Handlungsangebote für die Opfer macht.

Insgesamt - ich muss leider zum Schluss kommen zeigen die Befunde der Großen Anfrage in Bezug auf Frauenpolitik in Schleswig-Holstein, dass wir uns trotz aller Erfolge weiter anstrengen müssen. Sie machen Mut, dabei den Weg einer modernen Antidiskriminierungspolitik weiter zu beschreiten, und zwar letztlich zum Wohle von Männern und Frauen.

(Beifall bei SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich danke Frau Ministerin Ute Erdsiek-Rave. - Sie hat etwas mehr Zeit in Anspruch genommen. Folglich stehen auch den Fraktionen nunmehr elf Minuten Redezeit zur Verfügung.

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

Ich eröffne die Aussprache. Für die SPD-Fraktion, die die Große Anfrage eingebracht hat, hat zunächst deren Vorsitzender, Herr Abgeordneter Dr. Ralf Stegner, das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor knapp 20 Jahren, am 31. Mai 1988, wurde Gisela Böhrk, die hier auf der Tribüne sitzt, Frauenministerin im Kabinett der Regierung Engholm und trat damit an die Spitze des ersten richtigen Frauenministeriums. Die neu gewählte SPD-Regierung startete mit vier Ministerinnen - ein guter Start nach über 20 Jahren vollkommen frauenfreier Regierungen in Schleswig-Holstein.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Heide Simonis wurde erste Ministerpräsidentin eines Landes. Noch heute, nach 20 Jahren frauenfreier Regierung -

(Widerspruch und Zurufe von der CDU)

- Ich kann Ihnen gern sagen, wann es die letzte Frau davor in einer Regierung gegeben hat. Das war mehr als 20 Jahre vorher. Insofern war meine Aussage schon korrekt. Wir recherchieren solche Sachen ja sehr genau.

(Erneuter Widerspruch bei der CDU)

- Dann präzisiere ich und sage: weitgehend frauenfreier Regierungen. Entschuldigung!

Heide Simonis wurde als Erste Ministerpräsidentin eines Landes. Noch heute offenbart ein Blick auf die Regierungsbank wie auch auf die Reihen der Abgeordneten die unterschiedlichen Anteile von Männern und Frauen.

Die Große Anfrage der SPD-Fraktion zur Frauenpolitik in Schleswig-Holstein war also mehr als sachgerecht und nötig. Ich bedanke mich bei all denjenigen, die an der Beantwortung mitgewirkt haben. Die heutige Debatte ist meiner Fraktion sehr wichtig, wie Sie den folgenden Ausführungen hoffentlich auch entnehmen werden.

Wer zeigen will, dass Gleichstellungspolitik ernst gemeint ist, muss daran mitwirken, dass Frauen auch höchste Positionen erreichen können. Die Repräsentanz von Frauen in politischen Führungsämtern sagt viel über den Willen aus, Frauen auf jeder Ebene gleichberechtigt an der Macht zu beteiligen. Wer jungen Frauen vermitteln will, dass sie die gleichen Chancen haben wie Männer, muss auch zeigen, was sie erreichen können. Wir brauchen

diese erfolgreichen Rollenmodelle und wir brauchen die Kompetenzen von Frauen auf allen Entscheidungsebenen. Wir nutzen sie allerdings bisher leider nur sehr begrenzt. Es gilt immer noch: Frauen sind eine Mehrheit, die wie eine Minderheit behandelt wird. Dies meine ich nicht in der progressiven Weise, in der seit 20 Jahren Minderheitenpolitik in diesem Land betrieben wird, sondern ich meine es in der Art und Weise, wie der Umgang von Mehrheiten mit Minderheiten häufig verstanden wird.

Seit 1990 hat die Förderung der rechtlichen und tatsächlichen Gleichstellung in Schleswig-Holstein immerhin Verfassungsrang. Die entsprechende Änderung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland erfolgte übrigens erst 1994. Das heißt, Schleswig-Holstein war auch hier Vorreiter für entsprechende Veränderungen anderswo. Zugleich wurde in Artikel 6 die Zielsetzung einer geschlechterparitätischen Besetzung von öffentlich-rechtlichen Beschlussorganen verfassungsrechtlich verankert.

2007 hat der Anteil der Frauen, die in Gremien entsandt werden, 20 % erreicht. Das reicht nicht aus.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es reicht nicht nur deshalb nicht aus, weil es ungerecht ist. Es reicht vor allem deshalb nicht aus, weil Männer und Frauen in ihren Vorerfahrungen, in ihren Sichtweisen, in ihren Prioritäten verschieden sind und weil sie durch ihre Verschiedenheit unterschiedliche Kompetenzen einbringen. Vielfalt ist das gilt nicht nur auf diesem Feld - ein wirtschaftlicher und ein gesellschaftlicher Erfolgsfaktor. Vielfalt ist der Gegensatz zu Einfalt.

Umso erstaunlicher ist es, dass dies bei der Wirtschaft erst sehr langsam ankommt. Als ich letzte Woche gemeinsam mit weiteren Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten an einem im Übrigen sehr konstruktiven Gespräch mit der Vereinigung der Unternehmensverbände in Hamburg und Schleswig-Holstein teilnahm, saßen wir einer vollständigen Männerriege gegenüber. Es ist nach wie vor so, dass die Themen von 1988 und 1989 im Wesentlichen die gleichen geblieben sind.

Die inhaltliche Ausgestaltung hat sich ein wenig weiterentwickelt, was zwei Dinge deutlich macht: Erstens. Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben schon damals genau die richtigen Arbeitsschwerpunkte gesetzt. Zweitens. Gleichstellung ist ein langfristiger Prozess, der umso besser funktioniert, je breiter die gesellschaftliche Basis dafür ist.

(Vizepräsidentin Ingrid Franzen)

(Beifall bei der SPD)

Wir haben nach der Regierungsübernahme 1988 zügig die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen, die in den darauffolgenden Jahren mit Leben gefüllt wurden, teils gegen erbitterten Widerstand der anderen großen Volkspartei. Innerhalb weniger Jahre verabschiedeten wir das Gleichstellungsgesetz für den öffentlichen Dienst, sicherten die Frauenhäuser und Frauenberatungsstellen, verankerten die kommunalen Gleichstellungsbeauftragten in der Kommunalverfassung und etablierten das „GenderMainstreaming-Prinzip“ in der Landesverwaltung.

1989 haben wir die Beratungsstellen „Frau & Beruf“ ins Leben gerufen, die sich zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt entwickelt haben. Die Berufswahl ist - das zeigt die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage mehr als deutlich - neben gleichberechtigten Aufstiegsmöglichkeiten immer noch einer der Gründe für die wirtschaftlich schlechtere Situation von Frauen. Veränderungen beginnen oft in den Köpfen. Sie können aber erst wirken, wenn sie in den Herzen und damit in der täglichen Entscheidungspraxis ankommen und wenn wir über die Frage der Gleichstellungsbeauftragten zum Beispiel nicht unter dem Stichwort Entbürokratisierung diskutieren, meine sehr verehrten Damen und Herren, sondern wenn wir kapiert haben, dass es etwas anderes ist, um das es da geht.

(Beifall bei der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, zu den bekümmernden Fakten gehört auch - auch dies geht aus der Antwort hervor -, dass Gewalt besonders häufig in Familien vorkommt, die ein traditionelles Rollenmodell leben. Das ist durchaus ein Grund zum Nachdenken, wie ich finde. Ein Drittel der Frauen, die sich dafür entscheiden, in einer gewalttätigen Beziehung zu bleiben, geben dafür wirtschaftliche Gründe an. Sie sind überzeugt, ihren Lebensunterhalt nicht eigenständig sichern zu können. Das ist eine deprimierende Statistik und das ist die Aufforderung, etwas an solchen Zuständen zu ändern.

(Beifall bei der SPD)

Wenn, wie die Landesregierung belegt, die monatlichen Nettoeinkommen von Frauen nach wie vor weit unter denen von Männern liegen - mit allen Konsequenzen für ihre Unabhängigkeit, für ihre Partizipation am wirtschaftlichen Aufschwung und für ihre spätere Absicherung im Alter - und wenn Rentnerinnen in Schleswig-Holstein durchschnitt

lich 672 € Rente beziehen, ist dies weit entfernt vom Ideal einer eigenständigen Existenzsicherung.

Ich sage Ihnen aber: Die eigenständige Existenzsicherung ist und bleibt für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ein zentraler Schlüssel zur Gleichstellung in dieser Gesellschaft.

(Beifall bei der SPD)

Das beginnt mit der Berufswahl von Mädchen, es setzt sich beim Angebot an qualifizierter Kinderbetreuung und bei der Schaffung familiengerechter Arbeitszeiten ebenso fort wie bei der gleichberechtigten Berücksichtigung der Kompetenzen von Frauen bei Beförderungen in Leitungspositionen, auch in der Landesverwaltung.

Und wir müssen auch das Steuerrecht so umgestalten - da geht es um harte Fakten und nicht nur um schöne Reden -, dass es für Frauen keine Hürde darstellt, erwerbstätig zu werden, und ihrer beruflichen Emanzipation nicht im Wege steht, wie das beim Ehegattensplitting in seiner jetzigen Ausgestaltung der Fall ist.

Akzeptanz von jeder freiwillig gewählten Lebensform ja, aber staatliche Privilegierung tradierter Zusammenlebensformen zulasten der Chancen von Frauen, dazu sagen Sozialdemokraten Nein.

(Beifall bei der SPD)

Nur eine eigenständige Existenzsicherung ermöglicht Frauen - ebenso wie Männern -, tatsächlich freie Entscheidungen über ihr Leben zu treffen. Die vermeintlich freie Entscheidung, die Konservative proklamieren, beispielsweise darüber, ob Frauen kleine Kinder zu Hause betreuen oder berufstätig sind, ist nicht wirklich eine. Solange qualifizierte Kinderbetreuung nicht flächendeckend sichergestellt ist, solange Frauen in Berufen arbeiten, in denen der Verdienst nicht ausreicht, solange Frauen davon ausgehen müssen, bei Beförderungen weniger berücksichtigt zu werden als ihre männlichen Kollegen, solange die finanziellen Weichenstellungen eine Berufstätigkeit von verheirateten Frauen unattraktiv machen, solange kann von wirklicher Wahlfreiheit nicht gesprochen werden und solange bleibt die politische Auseinandersetzung darüber notwendig, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Dabei wissen wir, dass die Armut von Kindern was ein Skandal in unserem reichen Land ist - oft von der Armut ihrer Mütter abhängt.

(Dr. Ralf Stegner)

Immerhin, Herr Kollege Kalinka, auch die Union bewegt sich, aber leider manchmal in die falsche Richtung. Wer Betreuungsgeld für Kindererziehung zu Hause fordert - ich verzichte auf den polemischen Begriff -, dem geht es nicht darum, was wir eigentlich brauchen, nämlich das an die erste Stelle zu setzen, was notwendig ist. Wer sich heute gegen Mindestlöhne ausspricht, der riskiert oder der will, dass besonders die Frauen weiterhin ökonomisch benachteiligt sind.

(Widerspruch bei der CDU)

Das ist etwas, was man zur Kenntnis nehmen muss, auch wenn es Ihnen nicht gefällt. Ich glaube - lassen Sie mich das ganz freundlich sagen -, dass das Familienbild manch Konservativer ihnen selbst im Weg ist.

Wenn jede fünfte Frau mit Kindern in SchleswigHolstein alleinerziehend ist, ist die Einelternfamilie einer von mehreren Normalfällen. Ich appelliere daran, in der Realität anzusetzen. Das sollten wir übrigens in allen Politikbereichen tun. Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie tun sich nicht einmal einen Gefallen, wenn Ihre Sprecherin für frühkindliche Bildung eine Werbung für Toleranz für lesbische Familien so behandelt, als ginge es um die Werbung für Autos oder Alkopops, wie im Dezember geschehen, oder wenn Bürgereister Dornquast diese Werbung für Toleranz nicht zulässt. Das ist nicht tolerant, das ist nicht zeitgemäß, das hat kein Niveau. Ich sage dieses, weil man, wenn man über solche Punkte redet, auch das ansprechen sollte.

Wir müssen von den alten Rollenmodellen wegkommen. Wir müssen davon wegkommen, über solche Dinge nur zu sprechen. Wir müssen die Ökonomie verändern und wir brauchen eine eigenständige Existenzsicherung von Frauen.

Die SPD steht auch für die Vielfalt der Lebensmodelle. Sie steht für die faktische Gleichstellung von Männern und Frauen, damit Rollen - wenn wir sie noch brauchen - jedenfalls selbstbestimmt sind.

Frauen können Arbeiterinnen, Angestellte, Beamtinnen, Mütter, ehrenamtliche Helferinnen, Abgeordnete, Managerinnen sein. Frauen können in Beziehung mit einem Mann, mit Kindern oder allein oder in einer lesbischen Beziehung leben. Frauen sollen alles sein können, was sie wollen.

„Wer die menschliche Gesellschaft will, muss die männliche überwinden“, heißt es im Grundsatzprogramm der SPD. Ich will nicht verhehlen, dass ein solches Zitat für einen männlichen Redner Haken