Protokoll der Sitzung vom 28.02.2008

(Beifall bei SPD, CDU und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Rolf Fischer und erteile für die FDP-Fraktion dem Herrn Abgeordneten Dr. Heiner Garg das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Europäische Kommission hat im Oktober 2007 ein sogenanntes Weißbuch zur künftigen Gesundheitsstrategie der EU vorgelegt. Die dort festgeschriebenen Prinzipien und Ziele sind allerdings in der Formulierung von der Kommission relativ unpräzise und auch ziemlich vage gehalten. Dennoch darf man sich, wie ich glaube, nicht zurücklehnen und abwarten, bis die Kommission die im Weißbuch beschriebenen Prinzipien und Ziele weiter konkretisiert, denn der vorgestellte strategische Ansatz der Kommission ist mehr als nur eine Diskussionsgrundlage. Darüber kann auch nicht hinwegtäuschen, dass die Kommission in ihrem Weißbuch gleich zu Beginn feststellt, dass die Hauptzuständigkeit für die Gesundheitspolitik und die Gesundheitsversorgung der EU-Bürger bei den Mitgliedstaaten liegt. Das ist selbstverständlich. Die Kompetenzen sind im EU-Vertrag eindeutig und unmissverständlich geregelt.

Was als Konsultationsinstrument der Kommission gedacht ist, kann aber sehr schnell zu konkreten Leitlinien führen. Genau diese Leitlinien können dann sehr wohl in die Kompetenzen der Mitgliedstaaten eingreifen.

(Rolf Fischer)

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

In der Vergangenheit konnte man immer wieder feststellen, dass europäische Institutionen nicht immer als Sachwalter des Subsidiaritätsprinzips aufgetreten sind. Es war deshalb richtig, dass Schleswig-Holstein im Rahmen der Subsidiaritätsprüfung des Ausschusses der Regionen eine kritische Stellungnahme zum Weißbuch abgegeben hat.

Warum müssen die im Weißbuch vorgestellten Prinzipien und Ziele sehr kritisch überprüft werden? Der Grund lässt sich anhand des vierten Prinzips mit dem Titel „Mehr Mitsprache der EU in der globalen Gesundheitspolitik“ ablesen. Vordergründig geht es der Kommission darum, auf internationaler Ebene eine koordinierende Funktion im Gesundheitswesen zu übernehmen. Dabei steht außer Frage, dass die Kommission europäische Interessen auf globaler Ebene wirkungsvoll vertreten kann und auch vertreten soll. Gerade bei länderübergreifenden Gesundheitsgefahren wie etwa bei Pandemien ist es sinnvoll, wenn die Kommission koordinierend tätig wird. Dafür brauchte man allerdings kein Weißbuch, denn die Zusammenarbeit im Gesundheitswesen wird in Artikel 152 des EU-Vertrages konkret und ausreichend geregelt. Darauf zielt die Kommission aber gar nicht ab. Sie versucht, sich durch die Hintertür in die Kompetenzen der Mitgliedstaaten einzumischen und Vorgaben zu machen.

Wenn im Weißbuch festgestellt wird, dass - ich zitiere - „durch nachhaltige kollektive Führung“ bessere Ergebnisse erzielt werden könnten, da „in unserer globalisierten Welt sich einzelstaatliche oder EU-weite Aktionen schwer von der globalen Politik trennen lassen, da globale Gesundheitsfragen Einfluss auf die interne gemeinschaftliche Gesundheitspolitik haben und umgekehrt“, wird das eigentliche Ziel der Kommission ganz besonders deutlich. Aus der globalen Vertretung wird eine lokale Einmischung in die Kompetenzen der einzelnen Mitgliedstaaten.

Das beste Beispiel dafür ist die bereits heute praktizierte Einmischung der EU bei Präventionsmaßnahmen. Bereits heute wird von der EU steuernd in nationale Präventionsstrategien eingegriffen, zum Beispiel bei der Tabakwerbung oder bei der Ernährung. Es bleibt abzuwarten, ob uns die Kommission irgendwann einmal vorschreiben wird, wie fetthaltig beispielsweise Speisen sein dürfen.

Der Antrag von CDU und SPD begrüßt die Vorlage des Weißbuches als einen Beitrag der Kommission

zum Schutz und zur Verbesserung der Gesundheit der EU-Bürger. Gleichzeitig werden strategische Ziele der Kommission als Anregungen aufgenommen, die in Schleswig-Holstein umgesetzt werden können. Angesichts der im Weißbuch sehr wolkig formulierten Ziele ist es auch nicht weiter schädlich, wenn die weitere Umsetzung dieser Ziele durch die Kommission von den Mitgliedstaaten im Auge behalten wird.

Die Aufgabe, in der medizinischen Versorgung Standards zu setzen, ist nach wie vor Sache der nationalen Regierungen. Ich meine, das sollte sie auch bleiben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer das ändern will, sollte dies konkret in Angriff nehmen, nicht aber den Versuch machen, durch die Hintertür eine Änderung zu erreichen.

(Beifall bei der FDP)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Dr. Heiner Garg und erteile das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Frau Abgeordneten Angelika Birk.

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Oktober 2007 wurde hier schon häufiger genannt: die Geburtsstunde des Weißbuches für eine gemeinsame strategische Gesundheitspolitik. Jetzt läuft der berühmte Konsultationsprozess der einzelnen EU-Staaten. Dazu gehört auch unsere Debatte am heutigen Nachmittag und die Debatte im Sozialausschuss beziehungsweise in mehreren Ausschüssen gemeinsam.

Ich möchte an dieser Stelle eine Anmerkung zum Verfahren machen und das richte ich besonders auch an unsere engagierten Europapolitikerinnen und -politiker. Es ist schon ein Fortschritt, dass in diesem Fall tatsächlich eine ordentlich anberaumte Sitzung mit einer ausreichend langen Ladungsfrist und entsprechendem Vorlauf auch an Stellungnahmen von Fachleuten stattgefunden hat. Das war in der Vergangenheit, als wir mal einen entsprechenden Konsultationsprozess im Bildungsbereich hatten, überhaupt nicht der Fall. Damals bekamen wir etwas nach der Devise „Vogel friss oder stirb“ vorgelegt und hatten nicht einmal Zeit, die Papiere zu lesen. Trotzdem sage ich bei diesem Prozess: Wir machen uns etwas vor, wenn wir meinen, wir wären jetzt hiermit gründlich beteiligt. Wir bekommen eine sehr extrahierte und abstrakte Sprache vorgelegt, hinter der sich ein ganz langer Verhandlungspro

(Dr. Heiner Garg)

zess auf EU-Ebene befindet. Den Code, mit dem diese europäischen Stichworte geschrieben werden, begreift man erst, wenn man sich tiefer in die Materie hineinbegibt und insbesondere bei den eigenen Fraktionen auf nationaler und auf EU-Ebene anruft, die an diesem Verhandlungsprozess beteiligt waren. Deswegen kann ich, nachdem ich zunächst einmal diesen Antrag mit einer gewissen Sympathie gelesen habe, den die Koalition formuliert hat, nur sagen: Vorsicht an der Bahnsteigkante!

(Beifall des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Ich kann Ihnen jetzt nicht im Detail zu allen Fragen sagen: „Das ist gut“, oder: „Das ist schlecht“. Ich meine, wir können mit solchen Lippenbekenntnissen einen solchen Prozess einfach nicht nur abnicken und wundern uns dann in zwei Jahren, was uns vorgelegt wird, wozu dann auch noch gesagt wird: „Wieso? Auch der Schleswig-Holsteinische Landtag hat das für gut befunden.“

(Beifall des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Deshalb kündige ich an dieser Stelle für meine Fraktion Stimmenthaltung an.

Ich konnte - das ist der zweite Punkt zum Verfahren - an dieser Ausschusssitzung nicht teilnehmen. Ich sage dazu: Wenn wir es ernst meinen mit der Europapolitik, dann können wir solche Sondersitzungen nicht einfach immer wieder dazwischenschieben. Dann muss bei der Ausschussplanung der Fachausschüsse in Zusammenarbeit mit den Europafachleuten gesagt werden: Das und das kommt auf uns zu, plant das in euer Zeitbudget ein, macht euch schlau. Ohne jetzt den Kollegen, die da waren, zu nahe treten zu wollen - ich jedenfalls kriege so etwas nicht eben mal in mein Zeitbudget eingeschoben. Auch meine jetzige Recherche ist nicht von der Gründlichkeit geprägt, die ich sonst eigentlich bei Themen sachwalten lasse. Das muss ich an dieser Stelle auch dem Prozess vorwerfen und nicht nur meinem Zeitbudget.

Ich möchte an dieser Stelle zum Beispiel kritisch anmerken, dass das EU-Gesundheitsprogramm im vergangenen Jahr um zwei Drittel gekürzt worden ist, übrigens gegen grünen Protest an den entsprechenden Stellen. Sollten wir uns nicht vielleicht dazu positionieren? Dazu finden wir im vorliegenden Antrag nichts.

Es ist auch deutlich geworden, dass es in diesem Weißbuch noch einmal um die EU-Dienstleistungsrichtlinie und um den Zusammenhang geht, den es

insoweit mit der Gesundheitspolitik gibt. Sie wissen, dass sowohl mit den Gewerkschaften als auch mit den kommunalen Gebietskörperschaften und vielen anderen kritische Auseinandersetzungen stattgefunden haben, inwieweit diese EU-Dienstleistungsrichtlinie hilfreich oder etwa eine Gefahr für lange gewachsene Strukturen ist.

(Zuruf von der SPD)

- Das ist hier Thema, weil es auch Gegenstand der Stellungnahmen ist, die wir freundlicherweise in einem Überblick zusammengefasst bekommen haben. Da wird auch angemerkt, dass eine solche Auseinandersetzung stattgefunden hat. Ich nicke hier nicht einfach etwas ab, hinter dem sich ganze Verhandlungsprozesse zu einem höchst komplexen Thema verbergen. Dafür müssen Sie doch Verständnis haben.

Es wird in den Stellungnahmen auch an mehreren Stellen deutlich gemacht, dass die Formulierung der zu ergreifenden Maßnahmen unpräzise ist und dass deshalb eine Bewertung des Weißbuches sehr schwierig ist.

Um allen Missverständnissen, die jetzt vielleicht nach dem Motto, wir wollten uns mit Europa nicht befassen, deutlich entgegenzutreten: Gerade weil wir als Grüne uns damit befassen, und zwar sehr intensiv - unsere Europa-Grünen sind nicht nur irgendwelche Leute, die da fern sitzen und irgend etwas machen, das sind für uns sehr wichtige Vorkämpferinnen und Vorkämpfer in ökologischen und sozialen Standards, wozu ja auch die Gesundheitspolitik gehört -

(Unruhe)

Ich bitte um etwas mehr Aufmerksamkeit für die Rednerin!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Gerade weil wir uns damit intensiv befassen und uns zum Beispiel für die EU-Spielzeugrichtlinie, gegen Pestizide in Spielzeugen, für die Kosmetikrichtlinie, gegen Pestizide dort, für das Verbot von krebserregenden Stoffen, für die sehr wichtige Bewertung von neuen Therapien bei Krebs und dergleichen, sehr stark gemacht haben, gerade weil das so ist, können wir nicht einfach sagen, wir begrüßen alles, was aus Europa kommt. Wir würden uns

(Angelika Birk)

gern näher damit befassen. Dazu muss eine seriösere Behandlung und dann auch ein präziseres Votum möglich sein als das, was uns hier vorliegt. Insofern bitte ich um Verständnis für unsere Stimmenthaltung.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Bevor es zu einer weiteren Worterteilung kommt, begrüßen Sie bitte mit mir auf der Tribüne Besucherinnen und Besucher. Es sind Mitglieder der Abendvolkshochschule aus Leck im Kreis Nordfriesland. - Herzlich willkommen!

(Beifall)

Das Wort für den SSW im Landtag hat die Frau Abgeordnete Anke Spoorendonk.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Europaausschuss, liebe Kollegin Birk, hat sich mit dem EU-Weißbuch unter der Überschrift „Subsidiaritätskontrolle“ befasst. Dabei wurde deutlich, dass es weiterhin wichtig ist, uns mit dieser Sache zu befassen. Aber nicht das Weißbuch ist das Problem. Nein, das Weißbuch ist erst einmal eine Vision.

Die EU legt aber jetzt einen Maßnahmenkatalog auf. Dazu gilt es zu sagen: Hier muss die Subsidiarität greifen. Das ist ja auch das Anliegen des Antrages. Von daher verstehe ich nicht, welche Schwierigkeiten es bei diesem Antrag gibt. Ich sehe schon, dass es Schwierigkeiten gibt, weil sich die EU-Kommission über diesen Maßnahmenkatalog anmaßt, etwas zu beschließen, was eigentlich in der Zuständigkeit der nationalen Souveränität liegt. Da müssen wir weiter aktiv sein. Das hat etwas mit unserer Kompetenz als Legislative zu tun und das hat auch etwas damit zu tun, dass wir in dieser Sache eine viel bessere Zusammenarbeit mit der Bundesebene haben müssen. Da gibt es noch Hausaufgaben zu lösen.

(Beifall bei der SPD)

Es gibt hier also noch etwas, was gemacht werden muss.

Ich will ein Thema aufgreifen, das auch aus dem Antrag hervorgeht, und zwar die Möglichkeit, bilaterale Kooperationen über Staatsgrenzen hinweg zu initiieren. Damit haben wir in Schleswig-Holstein schon einige Erfahrungen gemacht. Was aber im

Grenzland immer noch fehlt, ist ein deutsch-dänisches Rahmenabkommen für eine gemeinsame Gesundheitspolitik. Gemeint sind diese grenzüberschreitenden Gesundheitsleistungen. Ich möchte ausdrücklich das Wort „gemeinsam“ statt „grenzüberschreitend“ hervorheben. Das haben wir ja auch, wenn es um die Etablierung eines gemeinsamen Arbeitsmarktes geht. Da geht es nicht nur um die Abstimmung zweier nationaler Strategien, sondern um die Entwicklung einer gemeinsamen Strategie. Nur auf diese Weise vermeidet man teure Doppelstrukturen zum Schaden von Patienten und den Anbietern von Gesundheitsleistungen.

Zwischen Deutschland und Frankreich schloss Bundesgesundheitsministerin Schmidt bereits 2005 ein entsprechendes Rahmenabkommen. Seitdem können deutsche und französische Rettungskräfte auch auf dem fremdem Hoheitsgebiet tätig werden. Ich nenne das, weil es ein plastisches Beispiel ist. Es kommt ganz unbürokratisch derjenige zur Unfallstelle, der am nächsten ist. Dadurch konnte die Unfallversorgung für Bürgerinnen und Bürger beiderseits der deutsch-französischen Grenze deutlich verbessert werden. Außerdem können Kranke auf beiden Seiten der Grenze medizinische Angebote nutzen.

Wie belastbar dieses Abkommen ist, zeigte sich im letzten Sommer, als auf mehreren Rhein-Schiffen der Norovirus festgestellt wurde. Kurze Wege und unbürokratische Kontakte ermöglichten eine effektive Seuchenabwehr. Das ist ja etwas, was gut ankommt, weil das wirklich bei den Bürgerinnen und Bürger zu einem vertieften Verständnis von dieser Kooperation führt.

Diesseits und jenseits des Rheins benötigt man die neue EU-Gesundheitsstrategie also erst einmal nicht; denn auch ohne sie klappt die Zusammenarbeit. Die Anbieter in der deutsch-französischen Region arbeiten an weiteren Maßnahmen, die ihnen eine kostengünstige Arbeitsteilung im Gesundheitswesen erlauben, ohne dass sich für die Patienten die Versorgung verschlechtert.

Trotz gemeinsamer Nutzung des Rettungshubschraubers, grenzüberschreitender Geburtshilfe und Krebstherapie - jetzt bin ich wieder im deutsch-dänischen Grenzland - haben wir hier noch kein Rahmenabkommen. Ohne Rahmenabkommen und entsprechende Finanzierungsgrundlagen bleiben viele Vorhaben auf dem Status eines Projekts stehen. So ist die gemeinsame Krankenpflegeausbildung - ein Projekt der Diakonieanstalt in Flensburg mit der Schule in Sonderburg - bereits lange ausgelaufen.