„Anstatt einen Beruf zu erlernen, werden Lernscheine gesammelt, Bausteine nach Gusto und Geldbeutel zusammengestellt. Diese Form der Häppchenbildung hat für den Einzelnen und die Gesellschaft fatale Folgen. Sie ist das Ende einer Beruflichkeit, die Identität und Engagement erzeugt.“
Zwischen der Häppchenbildung auf der einen Seite und beruflicher Bildung im Sinn eines Status von industrieller oder handwerklicher Facharbeit auf der andern Seite liegen tatsächlich Welten, und zwar in bildungspolitischer wie gesellschaftspolitischer Hinsicht. Das eine Leitbild, nämlich die Zerlegung der beruflichen Bildung in Teilqualifikationen, führt am Ende zum Jobber, der jeweils ein Zertifikat für die von ihm bei einem speziellen Arbeitsplatz und Betrieb übernommenen Tätigkeiten erwerben muss. Logischerweise bewirkt dies einen sehr engen, auf die jeweiligen ökonomischen Verwertungsmöglichkeiten beschränkten beruflichen Spielraum und somit auch Abhängigkeit und Fremdbestimmung.
Das Gegenbild, von dem wir überzeugt sind, beruht auf einem anderen Leitbild. Wir orientieren uns an dem in Deutschland bewährten und erfolgreichen Status von handwerklicher und gewerblich-industrieller Facharbeit. Diese Orientierung ermöglicht neben der Übernahme vielfältiger beruflicher Aufgaben aus unserer Sicht auch das Erreichen wesentlicher gesellschaftspolitisch wichtiger Ziele, zum Beispiel Unabhängigkeit, nicht zuletzt durch eine viel stärkere Position im Arbeitsmarkt. Außerdem wird die Chance zur Gestaltung der eigenen Lebensperspektiven bis hin zur Option auf den Übergang zur Selbstständigkeit eröffnet. Damit treffen sich, von ganz unterschiedlichen Positionen ausgehend, bei den grundlegenden Ideen zur beruflichen Bildung meines Erachtens die Ideen der Liberalen und die Ideen von euch, lieber Jürgen Weber.
Ich möchte noch einmal auf die Aussagen von Frau Görner zurückkommen, denn sie lassen sich im Sinne von Kritik auch auf andere Punkte des Antra
„Das duale Berufsbildungssystem hat sich wegen seines Praxisbezuges und seiner auf Anschaulichkeit und Ernstfall angelegten Lernsituationen als überlegene Qualifikationsform gerade für Menschen erwiesen, die sich mit dem Lernen in theoretischen Zusammenhängen schwertun. Darauf wird es in Zukunft mehr denn je ankommen.“
In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf die Ergebnisse der Anhörung verweisen, die der Bildungsausschuss erst vor kurzer Zeit zu der Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der FDP-Fraktion zu Perspektiven der beruflichen Bildung in Schleswig-Holstein durchgeführt hat. In einer Stellungnahme der schleswig-holsteinischen Handwerkskammern - sie datiert vom 20. November 2007, ist also wirklich noch nicht alt - liest man zu den von den Grünen angepriesenen verschulten Berufsausbildungen - sie werden in Berufsschulen oder Produktionsschulen angeboten - Folgendes ich zitiere -:
„Wo schulische Ausbildungsgänge mit solchen des dualen Systems konkurrieren, finden die schulischen Abschlüsse keine ausreichende Anerkennung bei den Betrieben.“
„Diese Ausbildungsgänge sollten sich daher auf Bereiche beschränken, in denen keine direkte Konkurrenz durch das duale System besteht.“
Mit dieser Empfehlung der Handwerkskammern stimmen wir wiederum vollinhaltlich überein. Deshalb sollte man sich bei der Überlegung, wo man Angebote im Bereich des sogenannten Schulberufssystems weiterentwickeln kann, in der Tat auf jene Sektoren beschränken, in denen man nicht eine Konkurrenz zum dualen System aufbaut.
Beispiele dafür sind Berufsfelder aus dem Gesundheitsbereich und aus dem sozialen Bereich. Hier eröffnen sich übrigens auch für die Weiterentwicklung des Berufsschulangebots in Schleswig-Holstein in den einzelnen regionalen Berufsbildungszentren vielfältige Perspektiven.
Wir sind gern bereit, über den einen oder anderen Punkt des Antrages der Grünen im Ausschuss noch vertiefend zu diskutieren. Ich möchte darauf hin
weisen, dass wir eine ganze Reihe von Punkten im Zusammenhang mit der Behandlung der Antwort auf unsere Große Anfrage erst kürzlich im Ausschuss angesprochen haben. Insoweit sehe ich eine gewisse Redundanz, die sich aus dem bunten Strauß von Punkten, die in dem Antrag der Grünen zusammengetragen worden sind, ergibt.
Ich danke dem Herrn Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug. - Für die Gruppe des SSW im Landtag hat deren Vorsitzende, Frau Abgeordnete Anke Spoorendonk, das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Rechtzeitig zum Jahr der beruflichen Bildung bringt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einen Antrag zur Weiterentwicklung der beruflichen Bildung in Schleswig-Holstein ein. Das findet unsere Unterstützung, weil der Landtag dadurch gezwungen wird, zu diesem Zukunftsthema Stellung zu beziehen und dies nicht allein der Landesregierung zu überlassen.
Grundsätzlich gilt, dass damit auch ein zentrales Thema unserer Arbeitsmarktpolitik aufgegriffen wird, denn ein ausgesprochen rohstoffarmes Land wie Schleswig-Holstein kann dauerhaft nur durch das Know-how der Menschen, die hier arbeiten, international wettbewerbsfähig bleiben. Investitionen in Ausbildung und Weiterbildung dienen also auch dazu, Schleswig-Holstein zukunftsfähig zu machen.
Der Landtag hat sich bereits mehrfach mit der beruflichen Bildung in Schleswig-Holstein beschäftigt, zuletzt im Rahmen der Großen Anfrage der FDP. Wir haben in unterschiedlichen Konstellationen auch immer wieder Änderungen eingefordert.
Die nach wie vor enorme Nachfrage nach deutschen Fachleuten zum Beispiel in Dänemark und Norwegen zeigt zwar indirekt das immer noch gute Niveau der deutschen Berufsausbildung. Aber das bedeutet nicht, dass wir uns auf unseren Lorbeeren ausruhen dürfen.
Der SSW begrüßt den Ansatz des vorliegenden Antrages, dass es nämlich darauf ankommen muss, „ein in sich geschlossenes, einfaches und transparentes Ausbildungssystem zu konzipieren mit dem Ziel, dass alle Jugendlichen einen Bildungs- und Berufsabschluss erreichen“. Ich hebe dies ausdrücklich hervor, weil es im Einzelnen schon Punkte im Antrag der Grünen gibt, die der SSW anders sieht. Und in Klammern möchte ich dann auch noch mit einem Stoßseufzer anmerken, dass bei der Begründung des Antrages weniger wirklich mehr gewesen wäre.
In einer Pressemitteilung anlässlich des Jahres der beruflichen Bildung führt die Bildungsministerin an, dass heute 32 % der Abiturienten den Umweg über das Berufliche Gymnasium machen, um die allgemeine Hochschulreife zu erlangen. 89 % beträgt der Anteil der Fachhochschulreife, die über die Fachoberschulen und Berufsfachschulen erlangt wird. Aus Sicht des SSW sollten die Beruflichen Schulen aber in erster Linie für die berufliche Ausbildung zuständig sein und in diesem Bereich gibt es wirklich genug zu tun. Hinzu kommt, dass die Umwandlung der Berufsschulen in Regionale Berufsbildungszentren gerade dazu dienen sollte, dass die Schulen flexibler und schneller auf die Anforderungen des Arbeitsmarktes reagieren können.
Da kann sich der gesamte schulische Vollzeitbetrieb, wie er sich seit einigen Jahren zu entwickeln scheint, leicht als Hemmschuh herausstellen. Ich habe in anderen Zusammenhängen mehrfach darauf hingewiesen, dass es kein Beispiel für ein durchlässiges Bildungssystem ist, dass sozusagen der Bär an den Beruflichen Schulen brummt, dass an den Gymnasien aber eher weniger geschieht. Das ist nicht transparent, das ist nicht durchlässig. Darum ist es schon ein Problem, dass die Entwicklung in den Beruflichen Schulen so läuft, wie sie läuft.
Gespräche mit Schülerinnen und Schülern haben mir bewusst gemacht, dass man mit dem Begriff „Warteschleife“ sorgsam umgehen muss. Jugendliche Hartz-IV-Empfänger ohne Qualifizierungschance und Ausbildungsplatz befinden sich aber tatsächlich in einer Warteschleife, einer Schleife, die ohne Beschäftigung oder Qualifikation zu einer Abwärtsschraube wird, aus der sich die jungen Menschen nicht aus eigener Kraft befreien können.
Es gibt positive Beispiele in unserem Land, die gerade dieses Klientel unterstützen wollen. Wir sehen, dass ihnen dies auch gelingt. Ein Schulabgänger, der mit Glück eine Lehrstelle ergattert, wird aber
spätestens nach dem ersten Halbjahreszeugnis der Berufsschule erkennen, dass er die Ausbildung ohne Hilfe nicht abschließen wird. Auch da ist es also wichtig, dass die gute Vorbereitung und Beratung immer noch zentral im dualen System ihren Platz hat. Es ist ein Irrglaube, dass das duale System alle Probleme bewältigen kann. Die hohe Zahl der Ausbildungsabbrecher zeigt doch, dass die betrieblichen Ausbilder nicht alle aufkommenden Probleme bewältigen können.
Der Abbruch einer Ausbildung hängt mit falschen Erwartungen beider Seiten zusammen, mit Unzufriedenheit über Ausbildungsinhalte und auch mit Problemen in der Berufsschule. Die Ausbildungsberater der Handwerkskammern können Problemlagen entschärfen, aber lösen können sie sie nicht. Nicht alle Jugendlichen, die sich qualifizieren wollen, schaffen das im traditionellen dualen System.
Hinzu kommt, dass Schleswig-Holstein im bundesweiten Vergleich mit seinen Schulabbrecherzahlen wirklich nicht gut dasteht. Die Anzahl der Schulabbrecher ist nach wie vor zu hoch; das wissen wir. Wir sehen das hier alle gemeinsam als ein Problem an, das es zu lösen gilt. Diese jungen Männer und Frauen sind in der Regel bei einer qualifizierten Unterstützung durchaus in der Lage, einen Schulabschluss zu machen. Viele werfen aber vorzeitig die Flinte ins Korn, weil sie davon überzeugt sind, dass es auf dem Ausbildungsmarkt keinen Unterschied macht, ob man sich ohne Schulabschluss oder mit einem schlechten Schulabschluss bewirbt. Beide Male steht man ohne Job da. Dieser Personenkreis profitiert gar nicht vom dualen System, weil die Schwelle zur betrieblichen Ausbildung viel zu hoch ist.
Viele Handwerksbetriebe laden Hauptschüler gar nicht mehr zum Vorstellungsgespräch ein, denn die Realschüler verdrängen diese Bewerber fast vollständig. Es ist eine Tatsache, dass das duale System vielen Hauptschülern verschlossen bleibt. Dass die Grünen mit ihrem Antrag auch dort den Hebel ansetzen, begrüßt der SSW.
In der Praxis haben sich abseits des dualen Systems daher gangbare Alternativen etabliert. Ich möchte hier auch auf die Produktionsschulen eingehen, die nach skandinavischem Vorbild junge Menschen schulisch und handwerklich auf eine Ausbildung vorbereiten. Die guten Beispiele im Land, ob nun die Produktionsschule in Ostholstein oder die „NachSchule“ in Schleswig, sind aber zurzeit eher
einsame Leuchttürme, die der Nachfrage nicht gerecht werden können. Ich befürchte darüber hinaus, dass die Produktionsschule vielen Berufsberatern der Arbeitsagenturen immer noch völlig unbekannt ist. Unsere Forderung lautet daher: Der Besuch der Produktionsschule muss so normal werden, wie es die duale Ausbildung ist.
Wir müssen mit anderen Worten endlich beginnen, die schulischen Vollzeitausbildungen, die Produktionsschulen und andere Alternativen als vollwertig einzustufen und vollwertig, dauerhaft und nachhaltig zu finanzieren.
Berufliche Bildung geschieht in insgesamt 39 Schulen in Schleswig-Holstein. Die vielen anderen Initiativen sind aber nicht miteinander vernetzt, weder untereinander noch mit den Beruflichen Schulen. Konkret bedeutet dies, dass die Projektträger immer wieder zu neuen Projekten genötigt werden, weil es keinen institutionellen Rahmen gibt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist kontraproduktiv und kostet die Gesellschaft letztlich auch Geld, viel zu viel Geld, noch mehr, wenn man bedenkt, was mit jungen Leuten geschieht, die immer wieder als Verlierer dastehen.
Der SSW fordert ein klar gestuftes System mit Ausbildungsmodulen. In diesem Punkt stimmt der SSW dem Antrag zu. Ausbildungsmodule heißt ja nicht, dass alles auseinanderdriftet. Ausbildungsmodule heißt, dass junge Leute auch in Etappen zu einem Abschluss kommen und dass sie in jedem Fall etwas haben, womit sie sich weiterqualifizieren können.
Wir stimmen dem Antrag auch dahin gehend zu, dass es angebracht ist, die Anwendung des Berufsbildungsgesetzes auszuweiten. Es gab bekanntlich vor nicht allzu langer Zeit schon einmal einen Antrag der Grünen hier im Landtag, dem wir auch zugestimmt hatten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mein Fazit lautet: Die berufliche Bildung muss systematisiert werden. Dieses System muss allerdings allen offenstehen: dem motivierten Abiturienten, wenn er oder sie denn eine Ausbildung machen möchte, genauso wie dem Schulabbrecher. Wir brauchen in der beruflichen Bildung auch wirklich viel mehr Weiterbildungsmöglichkeiten. Wir haben mehrfach die Notwendigkeit von Fachhochschulabschlüssen in bestimmten Bereichen angesprochen. Wir brauchen aber auch die Abstufung nach unten. Nur so werden wir Jugendarbeitslosigkeit nachhaltig reduzieren können.
Die Kollegin Eisenberg sprach vorhin davon, dass man kein staatliches System wolle, und sie verwies dabei auf das dänische Beispiel. Das dänische Berufsbildungssystem ist ein staatliches System, es ist aber auch ein duales System.