Protokoll der Sitzung vom 28.02.2008

Die Erfahrungen aus Dänemark, auf die Sie immer zurückgreifen, helfen uns da auch nicht weiter. Denn die skandinavischen Länder kennen die duale Ausbildung nicht. Wir müssen also auf die staatliche Ausbildung zurückgreifen.

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: So ist es! - Karl- Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Dänemark macht es auch dual!)

Ein Projekt wie die „Produktionsschule“ - soeben beim CJD in Malente mit Unterstützung des Arbeitsministeriums und der ARGE Ostholstein gestartet - kann neben den Berufseingangsklassen und dem ausbildungsvorbereitenden Jahr nur ein zusätzliches Instrument zum Auffangen derjenigen sein, die mehrfach keine Lehrstelle bekommen haben. Schon deshalb, meine Damen und Herren, eignet es sich nicht für die von Ihnen in der Pressemitteilung vorgeschlagene dritte Säule des Berufsbildungssystems.

Was bleibt also von Ihrem Antrag übrig? Die sogenannte polyvalente vierjährige Ausbildung, die sowohl eine duale Berufsausbildung - Berufsschule und Betrieb - als auch eine Ausbildung zum Abitur umfassen soll. Diese Forderung ist auf den ersten Blick bestechend. Allerdings blinken bei mir bei dem Ausdruck „polyvalent“ schon wieder die Warnleuchten. Die Bildungspolitiker unter Ihnen denken sicherlich ebenfalls mit Grausen an das Hin und Her im Bereich der Lehrerausbildung unter dem Stichwort der polyvalenten Ausbildung.

(Zuruf des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wie dem auch sei, eine duale Berufsausbildung, das heißt eine Ausbildung in Schule und Betrieb, in Verbindung mit einem auf Bildungsstandards ausgerichteten qualitätvollen Abitur ist meines Erachtens in vier Jahren nicht möglich, Herr Hentschel. Falls Sie aber - deshalb bitte ich an dieser Stelle noch einmal zu überlegen - eine vierjährige vollzeitschulische Ausbildung in Verbindung mit einem Abi-Abschluss gemeint haben sollten, so kann ein solcher Berufsbildungsgang nur in den Berufen angeboten werden, die keine Lehrlingsausbildung haben, also für die sogenannten Assistenzberufe. Sonst entziehen wir dem Lehrstellenmarkt die besten Azubis und das darf nicht sein.

(Beifall bei der CDU - Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, das in Schleswig-Holstein, in Heide, in Schleswig und in Kiel-Gaarden, erprobte triale Modell, das Sie offensichtlich nicht

kennen, ist eine sinnvolle Antwort auf die Verkürzung von Berufsausbildung und Studienzeit. Dieses sollten wir ausweiten.

Bleibt das von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geforderte verpflichtende 10. Schuljahr für alle. Das betrifft die Hauptschüler und ist laut Schulgesetz vor genau einem Jahr abgeschafft worden. Hauptschüler, die eine Ausbildungsstelle bekommen - das sind in der Regel die Besseren; das gestehe ich Ihnen zu -, nehmen diese mit Kusshand an, weil sie in der Regel von der Schule erst einmal die Nase voll haben, aber wohl wissend, dass sie weitere Berechtigungen im Rahmen der Berufsschule erwerben können, wenn sie es denn wollen. Für diese ist das 10. Hauptschuljahr sinnlos.

Frau Kollegin, die Zeit!

Ja, ich komme zum Ende. - Für schwächere Hauptund Realschüler gibt es nach dem neuen Schulgesetz die Flex-Klassen, in denen ab der 8. Klasse bis in die Berufseingangsklassen hinein das Handlungskonzept Schule und Arbeitswelt greift. Über Coacher und mit individueller Förderung wird auf die beruflichen Möglichkeiten und auf die Ausbildungsreife hingearbeitet. Das ist ein passgenaues Angebot, wie wir es immer haben wollten.

Meine Damen und Herren, Sie denken wieder einmal nur in bestimmten Strukturen und vergessen dabei, dass wir hier im Land bereits passgenaue Angebote haben und dass wir diese passgenauen Angebote brauchen, gerade angesichts der unterschiedlichen regionalen Strukturen, die hier in Schleswig-Holstein vorhanden sind.

Die Zeit, Frau Kollegin! Sie erhalten im Ausschuss ja auch noch Gelegenheit zu reden.

Wir wollen grundsätzlich und präferieren - das sage ich noch einmal deutlich - die berufliche Ausbildung. Wir wollen keine staatliche Ausbildung.

(Beifall bei der CDU)

(Sylvia Eisenberg)

Ich danke der Frau Abgeordneten Sylvia Eisenberg. - Für die SPD-Fraktion hat nun die Frau Abgeordnete Jutta Schümann das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN legen uns heute schon wieder einen umfassenden Katalog von Forderungen und Maßnahmen zum Schul- und Ausbildungssystem in Schleswig-Holstein vor. Ich glaube, es ist ein Bärendienst an den Pädagoginnen und Pädagogen und an den Schülerinnen und Schülern, wenn in jeder Sitzung des Landtags ein neues Design zu unserem Schulsystem zur Diskussion gestellt wird.

Wir begrüßen es, dass BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Leistungen des dualen Systems in der Berufsbildung würdigen. Das haben wir mehrfach in Sitzungen auch getan und das tun wir natürlich auch heute. Wir sind zutiefst davon überzeugt, dass das duale Ausbildungssystem ein wichtiges und notwendiges bei uns im Land ist.

Es ist natürlich eine richtige Zustandsbeschreibung, dass die angebotenen Arbeitsplätze in Quantität und Qualität bei uns im Land nicht ausreichen, wobei unser Land traditionell zu jenen mit einer relativ guten Ausbildungsbilanz gehört. Natürlich: Eine gute Ausbildungsbilanz ist keine perfekte. Leider fallen junge Leute auch immer wieder durch die Maschen. Herr Kollege Hentschel, da haben Sie völlig Recht. Diesen jungen Menschen gilt natürlich auch unsere Sorge. Aber wir greifen zu anderen Instrumenten als zu denen, die Sie möglicherweise heute hier durchsetzen wollen.

Wir sollten zur Kenntnis nehmen, dass die Landesregierung bereits jetzt umfassende Maßnahmen in die Wege geleitet hat, um die häufig beklagte Ausbildungsunfähigkeit junger Leute zu beheben und dafür Sorge zu tragen, dass möglichst kein junger Mensch ohne einen Schulabschluss auf den Arbeitsmarkt gehen muss.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Ralf Stegner [SPD])

Die Arbeitslosenquote unter jungen Menschen bis 25 Jahren ist zwischen Januar 2006 und 2008 in Schleswig-Holstein von 12,1 % auf 8,9 % zurückgegangen. Diese Entwicklung ist erfreulich, die Zahl natürlich nicht. Denn dahinter verbergen sich nicht nur Menschen, die betriebsbedingt oder wegen der Jahreszeit kurzfristig ohne Beschäftigung

sind, sondern insbesondere jene, die mangels Schulabschluss keinen Ausbildungsplatz, geschweige denn eine feste Beschäftigung gefunden haben.

Als gemeinsames Konzept des Arbeits- und Bildungsministeriums wird mit einem finanziellen Einsatz von insgesamt 58 Millionen € an 100 Standorten im Land das Handlungskonzept Schule und Arbeitswelt umgesetzt. Dieses Programm wendet sich nicht nur, aber ganz besonders an junge Menschen, auch an junge Menschen mit Migrationshintergrund. Es wird durch Trainingsmaßnahmen für benachteiligte Jugendliche und junge Erwachsene ergänzt, die aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds und mit Landesmitteln finanziert werden, durch Maßnahmen zur Integration benachteiligter Jugendlicher in Ausbildung und Arbeit, die mit Mitteln aus dem Schleswig-HolsteinFonds unterstützt werden, durch transnationale Projekte zur Förderung der interkulturellen Kompetenz von Jugendlichen und es wird durch den alten Klassiker in der Jugendförderung ergänzt, nämlich durch das Jugendaufbauwerk Schleswig-Holstein, das im Doppelhaushalt 2007/2008 mit 3,6 Millionen € vom Land gefördert wird, das aber - das ist ausgesprochen wichtig - den größten Teil seiner Einnahmen aus seiner eigenen Wirtschaftlichkeit erzielt, und wird ebenfalls durch Integrationsmaßnahmen im Rahmen des SGB II, durch verschiedene Formen von Netzwerken sowie durch berufsvorbereitende und qualifizierende Maßnahmen für junge Strafgefangene ergänzt. Es gibt also eine Fülle von Maßnahmen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser neues Schulgesetz zielt darauf ab, jedem Jugendlichen zumindest eine zweite Chance zum Erreichen eines Schulabschlusses zu sichern.

(Beifall des Abgeordneten Günter Neugebau- er [SPD])

Dazu gibt es die Flex-Phase, dazu gibt es die Möglichkeiten, im berufsbildenden Schulwesen einen versäumten Hauptschulabschluss nachzuholen. Die Frau Kollegin hat auf weitere Details hingewiesen.

Lieber Herr Kollege Kubicki, Sie brauchen das Schulgesetz nur einmal richtig durchzulesen und zu versuchen, es dann auch zu verstehen. Dann können Sie vielleicht auch die Kollegin Eisenberg verstehen. Sie hat nichts weiter getan, als das Schulgesetz zu zitieren und in der Umsetzung zu beschreiben.

(Beifall des Abgeordneten Holger Astrup [SPD])

Wir werden immer wieder neue Basteleien an den Strukturen nicht mittragen. Denn eines der Ziele des neuen Schulgesetzes, das wir vor gut einem Jahr verabschiedet haben, ist es, einfachere und vor allem durchlässigere Strukturen für die Schülerinnen und Schüler in Schleswig-Holstein zu schaffen.

(Beifall des Abgeordneten Holger Astrup [SPD])

Wenn ich mich recht entsinne, ist das in der Vergangenheit auch immer eine von den Grünen erhobene Forderung gewesen.

Der Antrag der Grünen legt es nun aber offensichtlich darauf an, die Ausbildungswege nach der Sekundarstufe I immer weiter zu komplizieren.

(Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Nein, zu vereinfachen! - Zuruf des Abgeordneten Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Da wird mit Versatzstücken aus anderen Bildungssystemen, zum Beispiel aus Dänemark, hantiert, deren Inhalte bei uns durchaus vertreten sind, allerdings zum Teil unter anderer Bezeichnung. Nach diesem Unklarmachen wird dann die Forderung erhoben, die Landesregierung möge ein - ich zitiere „in sich geschlossenes, einfaches und transparentes Ausbildungssystem“ konzipieren. Ich sehe nicht, wie das zusammengehen soll.

Der eigentliche Pferdefuß kommt bei Ihnen in Nummer 5, nämlich die Pflicht, zehn Jahre lang im allgemeinbildenden Schulwesen zu verbleiben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben das ohnehin nur noch sporadisch auftauchende zehnjährige Hauptschuljahr im neuen Schuljahr durch die Flex-Phase ersetzt, um für jeden Jugendlichen Bildungswege zu eröffnen, die an seine persönlichen Potenziale am besten anknüpfen. Auch in der Vergangenheit ist das 10. Hauptschuljahr niemals zu einem obligatorischen Modell gemacht worden. Es jetzt wieder flächendeckend einzuführen würde zumindest Hunderte von Lehrstellen kosten und hätte natürlich auch erhebliche Auswirkungen auf die berufsbildenden Schulen. Manche Vorschläge für den vorliegenden Antrag wären nicht allein vom Land und den Ausbildern umzusetzen, sondern greifen auch massiv in das Berufsbildungsgesetz ein. Ich bin mir jedenfalls nicht sicher, ob die von Ihnen geforderte Vollmodularisierung durch die Vorschrift des § 5 Abs. 2 des Berufsbildungsgesetzes überhaupt abgedeckt ist.

(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gibt es in bestimmten Beru- fen bereits! - Weitere Zurufe von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Einen Moment, Frau Kollegin! - Es liegen bereits zwei Wortmeldungen zu Kurzbeiträgen vor. Bitte warten Sie so lange.

Zusammenfassend möchte ich sagen, dass wir das von Ihnen heute vorgelegte Modell, von dem Sie ja selber sagen, es sei nicht schlüssig, nicht ausgereift und nicht zu Ende gedacht, nicht für einen geeigneten Weg halten, um die Ausbildungskrise zu bewältigen. Wir werden Ihren Antrag deshalb zusammen mit der CDU-Fraktion ablehnen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich danke der Frau Abgeordneten Jutta Schümann. - Bevor ich weiter das Wort erteile, begrüße ich auf der Tribüne Schülerinnen und Schüler und ihre begleitenden Lehrkräfte vom Gymnasium Wentorf bei Hamburg und von der Humboldt-Schule in Kiel. Seien Sie uns herzlich willkommen!

(Beifall)

Für die FDP-Fraktion hat nun der Herr Abgeordnete Dr. Ekkehard Klug das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der von den Grünen vorgelegte Antrag betreffend neue Perspektiven der beruflichen Bildung ist leider insgesamt doch recht dürftig, in Teilen, wie ich finde, sogar ausgesprochen schädlich. Das trifft insbesondere für Nummer 6 des Antrages zu, wo es heißt - ich zitiere -:

„Alle Berufsausbildungsgänge werden in Module gegliedert, die zu zertifizierten Teilqualifikationen führen...“

Zu solchen Vorschlägen - die im Übrigen ja weder neu noch besonders originell sind - hat das IG-Metall-Vorstandsmitglied Regina Görner in einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Rundschau“ eine vernichtende und dabei, wie ich finde, in jeder Hinsicht zutreffende Kritik formuliert. Als liberaler Bildungspolitiker muss ich sagen: Frau Görner trifft den Nagel auf den Kopf, wenn sie diesen Weg in eine Häppchenbildung kritisiert, bei der die Berufe

(Jutta Schümann)

in immer kleinere Teile zerlegt werden. Sie schreibt - ich zitiere -:

„Anstatt einen Beruf zu erlernen, werden Lernscheine gesammelt, Bausteine nach Gusto und Geldbeutel zusammengestellt. Diese Form der Häppchenbildung hat für den Einzelnen und die Gesellschaft fatale Folgen. Sie ist das Ende einer Beruflichkeit, die Identität und Engagement erzeugt.“