Protokoll der Sitzung vom 29.02.2008

„Die investiven Gesamtkosten lassen sich noch nicht genau beziffern.“

Übersetzt heißt das: Nichts Genaues weiß man nicht.

Vor diesem Hintergrund ist der Landesregierung dringend zu raten, bei der Ausgestaltung ihres Programms von vornherein ein möglichst großes Maß an Flexibilität vorzusehen, sowohl was die regionale Verteilung der Mittel im Sinne einer bedarfsgerechten Versorgung als auch was die Konditionen für die Förderung von Projekten anbetrifft. Ein Höchstmaß an Flexibilität sollte in den Konzepten der Landesregierung von vornherein bei den vielen Unsicherheiten, die wir jetzt haben, zugrunde gelegt werden.

Meine Damen und Herren, die bisher geführte Debatte zum Ausbau von Krippenplätzen in Schleswig-Holstein würde allerdings völlig zu kurz greifen, wenn man sich ausschließlich auf die Kostenaspekte und die Frage der Anzahl der notwendigen Krippenplätze beschränken wollte. Mit der Bereitstellung von Plätzen allein ist es nämlich nicht ge

(Astrid Höfs)

tan. Man darf nicht die entscheidende Frage nach den qualitativen Anforderungen an die Betreuung von Krippenkindern ausblenden.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich darf darauf verweisen, dass es hierzu mittlerweile eine sehr intensive Fachdiskussion gibt. Die Bertelsmann-Stiftung hat beispielsweise in ihrem Papier „Qualität für Kinder unter DREI in Kitas“ Qualitätsstandards vorgegeben, die sich an Maßstäben orientieren, die vom Kindernetzwerk der Europäischen Union aufgestellt worden sind. Es wird auch auf amerikanische Standards verwiesen. Wenn man sich das konkret anguckt, stellt man fest, dass diese Qualitätsstandards bezogen auf den Personalschlüssel, also die Anzahl der Kinder pro Fachkraft, oder Fragen der Ausbildung zum Teil deutlich höher liegen als die bei uns üblichen Standards. Deshalb ist die Qualitätsdiskussion bei den Entscheidungen der nächsten Zeit nicht außer Acht zu lassen.

(Unruhe)

Ich darf um etwas mehr Aufmerksamkeit bitten.

Die Landesregierung muss eine klare Antwort darauf geben, nach welchen qualitativen Standards Krippenplätze in Schleswig-Holstein bereitgestellt werden. Das gilt für den Krippenbereich genauso wie für den Bereich der Kindergärten für die Dreibis Sechsjährigen.

Man darf nicht vergessen, dass Kleinkinder andere Bedürfnisse als Kinder über drei Jahren. Krippenkinder stellen hohe Anforderungen. Es geht um mehr als darum, zu füttern und zu wickeln. Krippenkinder benötigen mehr Platz, mehr Struktur, andere Materialien, andere Spielsachen. Sie brauchen eine intensivere Betreuung als die älteren Kinder im Kindergarten. Dabei darf nicht vergessen werden, dass in den ersten drei Lebensjahren wichtige Weichenstellungen für die künftige geistige und soziale Entwicklung der Kinder erfolgen. Das hat Auswirkungen auf die Gruppengrößen, auf die Anforderungen an die Ausbildung der Krippenerzieherinnen und -erzieher.

Verschiedene nationale und internationale Studien belegen dies übereinstimmend: Je kleiner die Gruppe, je günstiger der Betreuer-Kind-Schlüssel, je höher das Ausbildungsniveau der pädagogischen

Fachkräfte und je mehr Zeit die pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Vorbereitung der Angebote haben, desto positiver sind die Entwicklungsergebnisse.

Die Realität in Schleswig-Holstein bildet diese Anforderungen heute nicht überall ab. Der Unternehmensverbandspräsident Hans-Heinrich Driftmann hat es nicht ganz zu Unrecht als einen Skandal bezeichnet, dass an Schleswig-Holsteins Kindertagesstätten immer noch über 9 % des Personals ungelernte Kräfte sind.

Woher nehmen wir die gut ausgebildeten Krippenerzieherinnen und Krippenerzieher, wenn jetzt und zwar in erheblichem Umfang und in wenigen Jahren - zusätzliche Krippenplätze geschaffen werden sollen? Auch diese Frage gilt es vonseiten der Landesregierung zu beantworten.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Wie wird der Umstand berücksichtigt, dass Krippenkinder eine vertraute Person als zentrale Bezugsperson brauchen? Das bedeutet nämlich auch, dass Betreuungskräfte nicht ständig wechseln dürfen. Um die Kontinuität der Betreuung über den Tag hinweg zu sichern, kann ein solches Betreuungsangebot nicht mit ständig wechselnden Teilzeitkräften bewältigt werden.

Meine Damen und Herren, die Diskussion über die Kindertagesstättenverordnung im letzten Jahr Stichwort neue Standards, neue Regeln für altersgemischte Gruppen - hat deutlich gemacht, dass die bisher in Schleswig-Holstein praktizierte Billiglösung, freie Plätze in den bereits vorhandenen Kindergartengruppen mit Krippenkindern aufzufüllen, künftig keinen Bestand mehr haben kann. Das kann auch schon deshalb nicht funktionieren, weil wir wissen, dass die Zahl der regulären Kindergartenplätze ja zunimmt. Sie ist im letzten Jahr noch einmal um 1,3 % gestiegen, weil immer mehr Eltern für ihre Kinder einen Kindergartenplatz nachfragen. Obwohl Schleswig-Holstein in der Versorgungsquote bundesweit immer noch Schlusslicht ist, nimmt der Anteil der Kinder der jeweiligen Altersgruppe, die einen Kindergartenplatz in Anspruch nehmen, zu. Deshalb ist der ursprünglich in der Landesregierung kursierende Gedanke, man könnte frei werdende Kindergartenplätze zur Sicherung des Ausbaus der Krippenplätze nutzen, nicht schlüssig.

Diese Vorstellung geht so nicht auf. Bereits 1996 hat das Europäische Kinderbetreuungsnetzwerk eine Reihe von Qualitätszielen für Kindertageseinrichtungen formuliert. Über diese Kriterien werden

(Dr. Ekkehard Klug)

wir in den Ausschussberatungen noch eingehend zu diskutieren haben.

Gleiches gilt für die Frage, wie hoch die Elternbeiträge für die Inanspruchnahme von Krippenplätzen sein sollen. Ich darf Sie darauf hinweisen, dass in der Presseberichterstattung im „Wedel-Schulauer Tageblatt“ vom 7. Februar darüber berichtet worden ist, dass im Kreis Pinneberg im vergangenen Jahr 54 Kinder wegen zu hoher Gebühren von ihren Eltern aus Kindergärten abgemeldet worden sind.

Herr Kollege, ich darf Sie darauf hinweisen, dass die verabredete Redezeit bereits abgelaufen ist.

Ich bin gleich so weit. Ein Teil der Kinder hat vom Träger die Kündigung erhalten, weil die Beiträge nicht gezahlt wurden. Die Frage also, welche Beitragshöhen für die Krippenplätze gefordert werden, ist ein weiterer Punkt, der noch dringend einer Klärung bedarf. Alles Weitere werden wir im Ausschuss diskutieren.

(Beifall bei der FDP und der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Für den SSW im Landtag erteile ich Frau Abgeordneter Anke Spoorendonk das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema der Kinderbetreuung für die Kleinsten lässt die Bundesfamilienministerin offensichtlich nicht mehr los. Im Wochentakt ersinnt sie neue Pläne zur Optimierung der Betreuung; ob es sich nun um Elternzeiten für Großeltern handelt oder um die Unterstützung von Betriebskindergärten auch kleinerer Betriebe.

Nachdem die Politik viele Jahre hindurch unzureichende Strukturen im bundesdeutschen Betreuungssystem lediglich beklagt hat, ist dieser Politikwandel schon bemerkenswert. Die Diskussionen auf Bundesebene über die Erhöhung des Kindergeldes haben ebenso wie die Diskussionen über das Betreuungsgeld deutlich gemacht, dass manche Politiker - in erster Linie von der CDU und der CSU immer noch von einer zukunftsweisenden Familienpolitik entfernt sind.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das soll heißen: Für den SSW gibt es keine Alternative zu einem flächendeckenden Ausbau an Kinderbetreuungsplätzen. Nur so werden wir endlich den Familien mit kleinen Kindern die Hilfe bieten, die sie für die Bewältigung ihres Alltags benötigen. Hinzu kommt der nicht unwesentliche Faktor, dass dies auch ein wichtiger Impuls für mehr Wirtschaftswachstum sein wird. Ich glaube, auch dies kann man hier sagen. Wir brauchen Fachkräfte. Darum brauchen wir für Frauen auch verbesserte Chancen, sich im Berufsleben tummeln zu können. Das gehört dazu. Daran ist nichts Merkwürdiges oder Anrüchiges.

Ich könnte jetzt noch etwas aus Norwegen beisteuern. Ich könnte zum Beispiel sagen, dass die Erziehungszeit im ersten Lebensjahr von Kindern dort so gestaltet ist, dass darin ein Pflichtteil für Väter enthalten ist.

(Beifall der Abgeordneten Ingrid Franzen [SPD])

Ich könnte auch etwas zu dem flächendeckenden Ausbau von Betreuungsplätzen sagen, denn das ist natürlich das, worauf es ankommt. Diese Diskussion kann jedoch auch im Ausschuss geführt werden.

Der vorliegende Bericht der Landesregierung muss vor dem Hintergrund gesehen werden, dass es seit September 2007 eine Bund-Länder-Vereinbarung gibt. Daraus geht hervor, dass die Kindertagesbetreuung bis 2013 ausgebaut werden soll, und zwar ausgerichtet an einem bundesweit durchschnittlichen Bedarf für 35 % der unter dreijährigen Kinder. Für Schleswig-Holstein bedeutet dies, dass bis 2013 rund 17.000 Betreuungsplätze geschaffen werden müssen; 70 % in Kindertageseinrichtungen und 30 % in der Tagespflege. Das kann man im Bericht schön nachlesen.

Nachzulesen ist auch, dass der Bund für den Ausbau des Betreuungsangebots von 2008 bis 2013 insgesamt 136 Millionen € zur Verfügung stellt; 74 Millionen € für Investitionen und 62 Millionen € für Betriebskosten. Die Landesregierung sagt, alle Bundesmittel sollen ungeschmälert den Kommunen zufließen. Das Land will sich auch mit eigenen Mitteln beteiligen; mit 46 Millionen € für Investitionen und mit 60 Millionen € für Betriebskosten. Für den Ausbau der Tagespflege kommen bis 2013 weitere 5 Millionen € hinzu. Die Investitionsmittel des Bundes stehen schon 2008 zur Verfügung. Die Betriebskosten von Bund und Land beginnen erst von 2009 an zu fließen. Dafür sind im Doppelhaushalt

(Dr. Ekkehard Klug)

10 Millionen € zur Finanzierung der Betriebskosten und 2 Millionen € für den Ausbau der Tagespflege vorgesehen.

Das ist also die Faktenlage. Auch hier meldet sich ganz schnell eine Diskussion mit der Frage in der Überschrift, ob das Glas nun halb voll oder halb leer sei. Richtig ist, dass dies alles für SchleswigHolstein ein gewaltiger finanzieller Kraftakt ist. Von daher ist das Glas halb voll. Wir können nicht erwarten, dass alles auf einmal geregelt wird. Bedenklich stimmt uns aber, dass es bisher scheinbar nicht gelungen ist, für Eltern, Träger und Kommunen ein Gesamtkonzept zur Verfügung zu stellen. Laut Bericht gibt es immer noch Unklarheiten.

Zu diesem Gesamtkonzept gehören auch die Fragen nach den Qualitätsstandards und nach der Pädagogik. All dies liegt anscheinend noch nicht abschließend auf dem Tisch. Die überzeugend wirkende Darlegung der Faktenlage täuscht darüber hinweg, dass es Ende Februar anscheinend immer noch keinen konkreten Termin für den Beginn des Antragsund des Förderverfahrens gibt. Die Gespräche laufen noch, das können wir dem Bericht entnehmen. Es besteht aber zum Beispiel bei der Auslegung der Verwaltungsvereinbarung und bei der Programmabwicklung noch Klärungsbedarf.

Jetzt kann man sagen, dass dies alles Pillepalle sei und dass alles laufe.

(Zuruf der Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

- Frau Ministerin, das ist sehr gut und dafür würde ich Sie gern noch einmal loben. Tatsache ist aber, dass dies für die Kommunen und für die Träger noch nicht geklärt worden ist. Ich komme gleich noch einmal darauf zurück.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich muss hinzufügen: Angesichts der knappen finanziellen Mittel für den geplanten Krippenausbau ist es verwunderlich, dass sowohl die CDU als auch die SPD im Vorfeld der Kommunalwahl mittelfristig ein beitragfreies drittes Kindergartenjahr versprechen. Auch ich finde das sehr gut. Ich finde aber, man sollte schleunigst klären, was unter mittelfristig verstanden werden soll.

(Beifall bei der FDP - Zurufe von der CDU)

Die Eltern fragen doch zu Recht, wie dieses Versprechen mit dem Ausbau der Kinderbetreuung für unter dreijährige Kinder zusammenhängen soll. Das ist eine Frage, über die diskutiert wird. Wie die Situation vor Ort bei den Trägern der Kindertagesein

richtungen ankommt, zeigte kürzlich ein Artikel der „Flensburger Nachrichten“, in dem bemängelt wurde, dass der Ausbau der Betreuungsangebote für die Kleinsten aufgrund der ungeklärten Fragen nur schleppend vorankommt.

Dazu kommt für die Träger das grundsätzliche Problem der Betriebskosten. Das hat also nicht nur etwas mit dem Land zu tun. Vielmehr ist dies ein grundsätzliches Problem. In diesem Zeitungsartikel wurde gesagt, dass es trotz aller Förderung so aussehe, dass bei den Trägern eine jährliche Deckungslücke von rund 2.000 € pro Krippenplatz hängen bleibe. Soll das Geld von den Eltern geholt werden? Wie will man mit dieser Deckungslücke umgehen?

Aus Sicht des SSW bleibt somit die Feststellung, dass es trotz anderer Verlautbarungen der Landesregierung zum jetzigen Zeitpunkt immer noch keine Planungssicherheit für Kommunen, Träger und Eltern gibt. Es mag sein, dass im ländlichen Raum hinsichtlich des konkreten Ausbaus an Kinderbetreuungsplätzen noch keine ganz große Eile geboten ist. Dies setze ich in Anführungszeichen. In den Städten sieht die Situation anders aus. Dort gibt es lange Wartelisten und die Frustration über noch offene Fragen zum konkreten Verfahren wächst täglich.