Protokoll der Sitzung vom 23.04.2008

Ich danke der Frau Ministerin. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Es ist beantragt worden, den Antrag Drucksache 16/1987 dem Sozialausschuss zu überweisen. Wer

so beschließen will, den bitte ich um sein Handzeichen. - Das ist so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 28 auf:

Schleswig-Holsteins Tariftreue EU-konform gestalten

Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/1988

Antrag der Fraktionen von CDU und SPD Drucksache 16/2030

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache und erteile für die FDP-Fraktion dem Herrn Abgeordneten Dr. Heiner Garg das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Europäische Gerichtshof hat am 3. April 2008 entschieden, dass die Tariftreueregelung des niedersächsischen Vergabegesetzes nicht mit dem europäischen Recht vereinbar ist. Im niedersächsischen Tariftreuegesetz ist, wie auch im schleswig-holsteinischen, die Verpflichtung enthalten, dass der Unternehmer, der einen öffentlichen Auftrag des Landes erhält, seinen Arbeitnehmern tarifgemäße Entgelte zahlt. Dies gilt auch für eingesetzte Nachunternehmer.

Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes verstößt die niedersächsische Regelung gegen den Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs nach Artikel 49 des EG-Vertrages. Begründung: Die Vergabe an Nachunternehmer, also private Aufträge, darf nicht einer Tarifbindung unterliegen, wenn keine für allgemein verbindlich erklärten Tarifverträge existieren. Und diese existieren nicht. Den Mitgliedstaaten der EU ist es verwehrt, Dienstleistungen von Bedingungen abhängig zu machen, die über den Mindestschutz der Entsenderichtlinie hinausgehen. Diese würden den freien Dienstleistungsverkehr unterbinden oder zumindest behindern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Urteil hatte in Niedersachsen zur Folge, dass seither die Tariftreueerklärung des Landesvergabegesetzes bei öffentlichen Aufträgen nicht mehr gefordert wird. Die Anwendung des Landesvergabegesetzes ist ausgesetzt. So schnell wie möglich wird das Wirtschaftsministerium das Vergabegesetz sowie die anhängenden Verordnungen und Ausführungsvorschriften EU

(Ministerin Dr. Gitta Trauernicht)

konform gestalten, möglicherweise sogar ganz abschaffen.

Die niedersächsischen Regelungen sind auch im schleswig-holsteinischen Tariftreuegesetz zu finden. So heißt es etwa in § 3 des Gesetzes zur tariflichen Entlohnung bei öffentlichen Aufträgen - ich zitiere -:

„Öffentliche Aufträge... dürfen nur an Unternehmen vergeben werden, die sich schriftlich verpflichten, ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bei der Ausführung der Leistung mindestens einen am Ort der Leistungserbringung für das jeweilige Gewerbe geltenden Lohn- und Gehaltstarif zu zahlen und dies auch von ihren Nachunternehmern verlangen.“

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Ralf Stegner [SPD])

- Für die Landesregierung besteht also dringender Handlungsbedarf, und zwar deswegen, lieber Herr Kollege Stegner, weil die derzeitige Regelung offensichtlich nicht EU-konform ist, unabhängig davon, ob uns das gefällt oder nicht. Wir erwarten deswegen, dass sämtliche Tariftreueregelungen in den Landesgesetzen und Landesverordnungen auf EU-Rechtskonformität überprüft werden. Ich denke, dagegen, dass Gesetze bestimmten Regelungen entsprechen, können noch nicht einmal Sie als ehemaliger Innenminister etwas haben. - Allerdings bin ich mir bei Ihnen nicht ganz sicher. - Wenn ich es mir recht überlege, bin ich es bei Ihnen eigentlich gar nicht.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Ralf Stegner [SPD])

- Das unterscheidet uns beide. Ich kann wenigstens lachen. Sie können das noch nicht einmal, wenn Sie einen Raum betreten. - Alle Regelungen in den Gesetzen und Verordnungen, die nicht mit dem Urteil des EuGH rechtlich in Einklang stehen, sind zu modifizieren. In der Konsequenz muss es für Schleswig-Holstein heißen, die Regelungen des Landesvergabegesetzes aufzuheben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit nicht genug. Denn dieses Urteil ist auch problematisch für alle laufenden Ausschreibungsverfahren. Diese müssen ebenso überprüft werden wie die geltenden Regelungen. Für alle noch nicht eröffneten Verfahren beziehungsweise für die Verfahren, bei denen die Angebote noch nicht eingereicht sind, müssen alle Bieter über die neue Rechtslage informiert werden.

Den Bietern müsste die Möglichkeit eingeräumt werden, eine modifizierte Angebotskalkulation einzureichen. Ist die Angebotsfrist bereits abgelaufen, müsste die Ausschreibung aufgehoben und eine Neuausschreibung unter Berücksichtigung der veränderten Rahmenbedingungen gestartet werden. Ansonsten, liebe Kolleginnen und Kollegen, ob es uns passt oder nicht, sind Klagen der Bieter Tür und Tor geöffnet. Also erwarten wir auch hier eine klare Positionierung.

(Beifall bei der FDP)

Lieber Kollege Stegner, das sind die juristischen Notwendigkeiten. Im Gegensatz zu Ihnen, der seine Meinung eigentlich je nach politischem Wind hinund herhängt, haben wir eine ganz klare Linie.

Abgesehen davon gibt es auch gute inhaltliche Gründe, aus denen die FDP-Fraktion der Auffassung ist, dass das schleswig-holsteinische Tariftreuegesetz auf den Prüfstand gehört. Grundsätzlich gilt: Jedes Vergabegesetz ist ein Eingriff in den Wettbewerb. Ich freue mich, dass Herr Dr. Stegner zuhört. Der Wettbewerb wird dadurch behindert, dass es zu keiner Preisbindung über den Markt kommt. Zudem werden durch das Gesetz keine Unternehmen in ihrem Bestand gesichert. Es gibt keine beschäftigungssichernden Effekte, und es gibt auch keine positiven Effekte auf die Ausbildungsbereitschaft der Unternehmen.

Ich würde Ihnen einmal einen Blick nach Nordrhein-Westfalen oder auch nach Sachsen-Anhalt empfehlen. Die Statistiken, die dort zutage gefördert wurden, belegen nämlich eindeutig, dass die Vergabegesetze dieser beiden Länder lediglich zu mehr Bürokratie und höheren Kosten geführt haben - auf Seiten des Gesetzgebers nämlich durch zusätzliche Kontrollen, die aber offensichtlich nur unzureichend oder gar nicht stattfinden, und auf Seiten der Unternehmen durch erhebliche Mehrbelastung bei der Angebotserstellung. Konsequenterweise haben diese beiden Länder ihre Vergabegesetze dann auch abgeschafft.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, nehmen Sie das EuGH-Urteil zum Anlass, die schleswig-holsteinische Tariftreueregelung zu überarbeiten, denn Gesetze, die nicht kontrolliert werden und dann auch noch negative Auswirkungen auf die Betroffenen haben, sind schlicht überflüssig.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

(Dr. Heiner Garg)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Dr. Heiner Garg. - Für die CDU-Fraktion erhält nun Herr Abgeordneter Johannes Callsen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor wenigen Monaten haben wir hier im Landtag ausführlich und intensiv über das schleswig-holsteinische Tariftreuegesetz diskutiert und neben der Verlängerung bis Ende 2010 die Aufnahme des Bus-ÖPNV in das Gesetz beschlossen.

(Beifall bei SPD und SSW)

Gerade für uns als CDU-Fraktion - warten Sie mit dem Applaus noch ein bisschen - war dies eine verantwortungsvolle Abwägung zwischen ordnungspolitischen Grundsätzen und den Interessen vieler mittelständischer Betriebe, gerade aus dem Bereich der Bauwirtschaft und der Busunternehmen.

(Beifall bei SPD und SSW)

Insofern war der Beschluss, der, lieber Kollege Dr. Garg, im Ergebnis ja auch von der FDP mitgetragen worden ist - so habe ich jedenfalls die Rede verstanden - trotz mancher Bedenken ein tragbarer Kompromiss.

Die Befristung des Tariftreuegesetzes auf Ende 2010 allerdings hing auch damals schon eng mit zahlreichen rechtlichen Bedenken zusammen, die auch bei aller Berücksichtigung der Interessen der betroffenen Wirtschaft im Raume standen. So hatte - ich habe in meiner Rede damals darauf hingewiesen - die EU-Kommission bekanntlich bereits 2004 gegenüber der rot-grünen Bundesregierung rechtliche Bedenken bezüglich Tariftreueregelungen geäußert, und auch beim Europäischen Gerichtshof war bereits ein Verfahren gegen ein deutsches Tariftreuegesetz anhängig. In vermeintlicher Sicherheit hatte uns damals das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gewogen, das Tariftreueregelungen für verfassungsgemäß bewertet hatte.

Mit der Entscheidung des EuGH hinsichtlich des niedersächsischen Vergabegesetzes herrscht jetzt zumindest europarechtlich Klarheit. Der Europäische Gerichtshof hält es für unzulässig, die Vergabe eines öffentlichen Auftrags von der Verpflichtung abhängig zu machen, das am Ausführungsort tarifvertraglich vorgesehene Entgelt zu zahlen. Dies ist nach unserer Auffassung auch Kern der Regelungen des schleswig-holsteinischen Tariftreuegesetzes. Deswegen ist doch völlig selbstverständlich,

dass sowohl der Landesgesetzgeber - also wir - wie auch die Landesregierung handeln müssen. Eines Antrages der FDP, lieber Herr Kollege Dr. Garg, hätte es für dieses aus meiner Sicht selbstverständliche Verfahren nicht bedurft.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Ja, haben Sie denn einen gestellt?)

Man muss vor dem Hintergrund dieses Urteils auch nicht gleich das Gespenst von Dumpinglöhnen herbeireden. Wir wissen alle, gerade im Baubereich besteht ein von den Tarifparteien vereinbarter Mindestlohn, der nach dem Entsendegesetz auch bei Auftragsvergaben in Schleswig-Holstein einzuhalten ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Landesregierung hat bereits eine intensive Prüfung eingeleitet, inwieweit das Urteil des EuGH auch das schleswigholsteinische Tariftreuegesetz berührt, und wird, sollte es ganz oder teilweise nicht EU-konform sein, daraus natürlich die notwendigen Konsequenzen ziehen. Es ist ebenso selbstverständlich, dass diese Prüfung zügig und sorgfältig durchgeführt wird. Was wir auf jeden Fall vermeiden müssen, ist Rechtsunsicherheit sowohl bei den Auftraggebern der öffentlichen Hand als auch bei den Auftragnehmern. Wir alle wissen: Sollte es bei Ausschreibungen vonseiten unterlegener Bieter zu Klageverfahren unter Berufung auf den EuGH kommen, stehen möglicherweise Schadensersatzforderungen im Raum. Deshalb ist eine schnelle Handlungsempfehlung notwendig.

Auch andere Bundesländer haben auf das EuGHUrteil reagiert. So hat das rot-grüne Bremen in einem Erlass vom 7. April 2008 darauf hingewiesen, dass bei der Vergabe öffentlicher Aufträge eine Tariftreueerklärung von den Bietern nicht mehr eingefordert werden darf. Es geht also an dieser Stelle nicht um Ideologie, sondern schlicht und ergreifend um Recht und Gesetz. Deshalb macht es auch wenig Sinn, gleich über das Ziel hinauszuschießen, indem man - wie die Grünen - einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn als eine Alternative fordert, ohne sich darüber Gedanken zu machen, wie sich dies in der Praxis auswirken würde. Zur Erinnerung: Wir haben im Baubereich tarifvertraglich vereinbarte Mindestlöhne in Höhe von 12,50 € pro Stunde. Käme es zu einem bundesweit einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn - beispielsweise von 7,50 €, dann frage ich mich, wie Sie den Gesellen auf dem Bau erklären wollen, dass ihr Stundenlohn damit möglicherweise um 5,00 € sinken wird. Dass auch branchenspezifische Mindestlöhne nicht unproblematisch sind, zeigt ein Blick auf die Zeitar

beit, die sich ja ebenfalls um Aufnahme in das Entsendegesetz beworben hat. Unterstellt, der Mindestlohn in der Zeitarbeit läge unter dem tarifvertraglich vereinbarten Mindestlohn im Baubereich - was machen wir dann eigentlich, wenn auf den Baustellen nicht mehr klassischerweise Handwerker beschäftigt werden, sondern Bau-Zeitarbeiter, für die ein niedrigerer Mindestlohn gilt? Sie sehen, auch hier kann es unerwünschte Verwerfungen geben, und deswegen sind wir vorsichtig, was Mindestlöhne angeht.

Aber zurück zum Tariftreuegesetz! Genau wie andere Bundesländern werden auch wir in SchleswigHolstein unsere Regelungen auf EU-Konformität prüfen und nötige Konsequenzen ziehen. Deswegen bitte ich um Zustimmung zu unsrem Antrag.

(Beifall bei CDU und SPD)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Callsen. - Für die SPD-Fraktion erhält Herr Abgeordneter Bernd Schröder das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir Sozialdemokraten stehen ohne Wenn und Aber zu den Zielen des Tariftreuegesetzes.

(Beifall bei SPD und SSW)

Wir wollen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von dem Lohn leben können, den sie mit ihrer Arbeit verdienen, und wir wollen, dass sie damit ihre Familien ernähren können.

(Beifall bei SPD und SSW - Wolfgang Ku- bicki [FDP]: Ihr habt den Ein-Euro-Job ein- geführt!)

Wir wollen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht erneut Angst vor Lohndumping haben müssen, auch in unserem Lande nicht. Deshalb haben wir uns für das Tariftreuegesetz, für die Verlängerung und für die Aufnahme der Busfahrerinnen und Busfahrer in das Gesetz stark gemacht.

(Beifall bei SPD und SSW)