Protokoll der Sitzung vom 23.04.2008

(Beifall)

Es hat deshalb auch ein bisschen länger gedauert; ich bitte um Nachsicht. Aber ich glaube, es war und ist bereits eine wertvolle Grundlage für die Beratung der Dinge, die wir in der Föderalismuskommission erarbeiten. Es ist für uns alle Maßstab für die Beratungen zum nächsten Doppelhaushalt und zur mittelfristigen Finanzplanung für die nächsten Jahre.

Den Blick weit in die Zukunft zu richten und dafür zu sorgen, dass wir künftig mit weniger Ausgaben gegenüber den Einnahmen Lasten aus der Vergangenheit ebenso abdecken wie Vorsorge für die Zukunft treffen, das wird der wesentliche Maßstab für die Arbeit sein.

Meine Bitte an den Landtag ist, dass wir diesen Bericht nicht „nur“ im Finanzausschuss beraten, sondern dass - weil ich glaube, dass er alle betrifft - wir eine möglichst breite Diskussion darüber bekom

men, um auch das Bewusstsein für die Gewalt des Problems zu entwickeln, das auf uns lastet.

(Beifall bei CDU, SPD und FDP)

Ich danke dem Herrn Finanzminister. - Das Wort für die Antragsteller, die FDP-Fraktion, hat nun der Vorsitzende und Oppositionsführer Wolfgang Kubicki.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 22. März 2006 hat die FDP-Fraktion in einem Antrag die Landesregierung aufgefordert, die Auswirkungen der Bevölkerungsentwicklung auf die Tragfähigkeit der Finanzen des Landes darzustellen und zu berichten, welche Maßnahmen notwendig sind, um den drohenden finanziellen Problemen entgegenzuwirken. Herr Minister, wir haben uns darauf verständigt, dass wegen der Gründlichkeit der Antwort angesichts der großen Perspektive, die wir haben, Zeit nachrangig ist. Heute liegt dieser Bericht der Landesregierung auf 55 Seiten vor. Und ich bin dem Finanzminister und den Mitarbeitern des Finanzministeriums für die Erstellung des Berichts außerordentlich dankbar. Er ist wirklich eine solide Grundlage für die Beratung.

(Beifall)

Ich empfehle allen Kolleginnen und Kollegen, diesen Bericht als Gute-Nacht-Lektüre nicht nur einmal, sondern eigentlich jeden Abend zu lesen, um festzustellen, auf welcher Basis wir unsere politischen Debatten finanziell unterfüttert in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren führen werden.

(Zuruf des Abgeordneten Günter Neugebauer [SPD])

- Herr Kollege Neugebauer, gerade der Vorsitzende des Finanzausschusses sollte gelegentlich -

(Günter Neugebauer [SPD]: Sie sollen ihn morgens lesen und nicht abends!)

- Sie als Vorsitzender des Finanzausschusses sollten ihn den ganzen Tag über lesen und Ihre Handlungen daran ausrichten.

Aber ich würde meiner Rolle als Oppositionspolitiker nicht gerecht werden, wenn ich nicht feststellen würde, dass das geschriebene Wort des Ministeriums und die Handlungen der Landesregierung nirgends so eklatant auseinanderfallen wie in dem vorliegenden Fall.

Schon in der Einleitung heißt es:

„Ziel der Politik muss es sein, über Generationen hinweg, finanzielle Lasten zu minimieren, und Verpflichtungen ausgewogen und unter Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit der gesellschaftlichen Gruppen zu verteilen.“

Doch was tut die Landesregierung? - Herr Minister, Sie wissen es: das genaue Gegenteil!

2007 wurden 515,5 Millionen € neue Schulden aufgenommen, die Zinsausgaben stiegen auf 934 Millionen €, es wurden 330 Millionen € mehr ausgegeben als eingenommen. Das zeigt, wie weit wir von Ihrem Anspruch entfernt sind, dass zumindest Einnahmen und Ausgaben in Deckung miteinander gebracht werden sollen, von einer Rückführung von Verbindlichkeiten ganz zu schweigen. Am 31. Dezember 2007 hatte statistisch gesehen jeder Schleswig-Holsteiner 7.772 € Schulden, vom Säugling bis zum Greis. Das ist im Vergleich zum Vorjahr eine Steigerung um 1,2 %. Damit liegt unser Land rund 2.000 € über der durchschnittlichen ProKopf-Verschuldung aller Bundesländer. Wir sagen es immer wieder: Schulden von heute sind die Steuererhöhungen von Morgen, zulasten der nachfolgenden Generationen. Dies alles hat mit Generationengerechtigkeit nicht das Geringste zu tun.

Das ist nur der Status quo. Die Projektionen des Finanzministeriums unter Berücksichtigung der demografischen Entwicklung sind erschreckend und machen selbst mich schwindlig, Herr Minister. Die Bevölkerung in Schleswig-Holstein wird bis 2050 dramatisch altern und abnehmen. Kamen im Jahr 2005 auf einen Rentner noch 3 Personen im Erwerbsalter, so werden es 2050 nur noch 1,8 Personen sein. Die Folge: sinkende Einnahmen und dramatisch steigende Ausgaben. Regelrecht explodieren werden die Versorgungsausgaben. Betrugen sie 2006 noch 888 Millionen €, werden es 2050 schon 2,7 Milliarden € sein. Ganz dramatisch ist die Entwicklung beim Schuldenstand. Unter Berücksichtigung der demografischen Entwicklung wird die Schuldenlast im Jahr 2050 bei 95 Milliarden € liegen. Dabei ist unterstellt, dass die Wirtschaft konstant jedes Jahr um 2,2 % wächst. Herr Minister, wir wissen, dass diese Annahme - ich will nicht sagen: euphemistisch - geradezu unrealistisch ist. Unter der realistischen Annahme eines Wirtschaftswachstums von durchschnittlich 1,5 % pro Jahr summieren sich die Schulden im Jahr 2050 bereits auf rund 127 Milliarden €, also rund 1,4 Milliarden € mehr als heute.

(Minister Rainer Wiegard)

Es besteht dringender Handlungsbedarf. Leider ist keinerlei Nachhaltigkeit in der Haushaltspolitik der Großen Koalition erkennbar. Im Gegenteil, Schleswig-Holstein entwickelt sich gegen den Trend zum finanzpolitischen Sorgenkind Deutschlands, zum Prekariat im Kreis der Bundesländer. Eine solide Finanzpolitik wird nicht betrieben, eine nach den Regeln der Landeshaushaltsordnung auch nicht. Rechtzeitig vor Beginn der Haushaltsberatung kündigen alle Ressort-Chefs an, dass gern gespart werden kann, aber bitte nicht im eigenen Ressort. Das ist nicht nur bei uns so, sondern in gleicher Weise auf Bundesebene. Der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Ralf Stegner, hat bereits klargemacht, dass mit der SPD-Fraktion in den Bereichen Justiz, Bildung und Polizei gar nicht gespart wird, bei der Finanzverwaltung vielleicht auch nicht. Damit haben wir rund 90 % des Personalkörpers festgeklopft.

Das sogenannte Personaleinsparkonzept wurde zum Personalkosteneinsparkonzept degradiert, und auch diese Bezeichnung trägt es zu Unrecht. Der Entbürokratisierungsschattenminister Klaus Schlie ist über der Verwaltungsreform eingeschlafen. Zur Kapitalerhöhung der HSH Nordbank soll ein dreistelliger Millionenbetrag mittels Verschuldung bereitgestellt werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin mir nicht sicher, ob die anderen Bundesländer im Rahmen der Föderalismusdiskussion II ihren Beitrag dazu leisten werden, an der Altschuldenregulierung auch zugunsten Schleswig-Holsteins mitzuwirken, wenn wir neue Schulden zur Finanzierung von privaten Investitionen aufhäufen.

Ich hoffe, dass wir zumindest mit einigen Mitgliedern der Regierungsfraktionen - bei einigen bin ich mir sicher, wenn ich hier beispielsweise den Kollegen Sauter sehr intensiv betrachte - in den Ausschussberatungen den einen oder anderen gemeinsamen Vorschlag erarbeiten werden, um dem Ziel, nachhaltig etwas gegen den drohenden finanziellen Kollaps zu tun, näher zu kommen.

Ich bedanke mich noch einmal ausdrücklich bei Ihnen und Ihrem Haus, Herr Minister Wiegard, und beantrage die Überweisung auf jeden Fall in den Finanzausschuss, aber sicherlich auch in den Sozialausschuss, in den Bildungsausschuss und andere „finanziell wirksame Ausschüsse“.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Kubicki. - Das Wort für die CDU-Fraktion hat nun der Herr Abgeordnete Tobias Koch.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Prognosen sind bekanntermaßen nach Mark Twain eine schwierige Sache, vor allem, wenn sie in die Zukunft gerichtet sind.

Mit dem vorgelegten Bericht zur Tragfähigkeit der Finanzen des Landes versuchen wir gleichwohl, in die Zukunft zu schauen, und das gleich bis zum Jahr 2050.

Als einer der jüngsten Abgeordneten in diesem Haus habe ich nun die realistische Chance, dieses Datum noch persönlich mitzuerleben.

(Holger Astrup [SPD]: Gleich nach Neuge- bauer! - Wolfgang Kubicki [FDP]: Aber er muss arbeiten, Neugebauer nicht mehr!)

Das wünsche ich natürlich auch allen übrigen Mitgliedern dieses Hauses.

Es stellt sich allerdings die Frage, ob es sich dabei in der Tat um einen Segen oder einen Fluch handelt - nämlich um einen Fluch, wenn man sich die Zahlen in diesem Bericht über die Entwicklung des Landeshaushalts bis zum Jahr 2050 anschaut.

Um genau diese Frage geht es, nämlich um unsere Verantwortung für die zukünftige Generationen, für unsere Kinder und Enkel. Die Tragfähigkeit eines öffentlichen Haushaltes ist nach der Definition des Sachverständigenrates dann gegeben, wenn die gegenwärtigen und zukünftigen staatlichen Einnahmen ausreichen, um sämtliche staatlichen Zahlungsverpflichtungen abzudecken. Das ist derzeit beim Haushalt des Landes Schleswig-Holstein erkennbar nicht der Fall. Wir können froh sein, dass wir im vergangenen Jahr zum ersten Mal nach 10 Jahren wieder einen im Abschluss verfassungsgemäßen Haushalt erreicht haben. Mit dem in diesem Jahr aufzustellenden Doppelhaushalt 2009/ 2010 wollen wir wieder zu einem Haushalt zurückkehren, der schon bei seiner Aufstellung den Vorgaben unserer Verfassung genügt.

All das ändert aber nichts an der Tatsache, dass nach wie vor unsere Ausgaben die Einnahmen übersteigen, wir deshalb neue Schulden machen und der Schuldenberg des Landes weiter wächst.

Im Rahmen des Tragfähigkeitskonzeptes ermittelt die Tragfähigkeitslücke 1, welche Anpassung erfor

(Wolfgang Kubicki)

derlich wäre, damit die Schuldenquote, also die Relation aus Schuldenstand und Bruttoinlandsprodukt, des Landes nicht weiter ansteigt. Diese Tragfähigkeitslücke wird im Bericht mit 1,18 % pro Jahr ermittelt. Das heißt, der für die Zukunft prognostizierte Ausgabenstrom müsste in jedem Jahr um 1,18 % abgesenkt werden, um die Schuldenquote konstant zu halten.

Für den unbedarften Leser mag das zunächst eine überschaubare Größenordnung sein, die sich aber schnell relativiert, wenn wir uns vor Augen führen, welche Ausgabensteigerungen allein in dem großen Block der Personalkosten angesichts von Tarifabschlüssen im öffentlichen Dienst von 5 % in diesem Jahr zu erwarten sind. Selbst wenn es gelingen sollte, diese Tragfähigkeitslücke zu schließen, so würde das nichts anderes bedeuten, als dass die Schuldenquote im Jahr 2050 genauso hoch wäre wie heute. Die Haushaltslage wäre genauso katastrophal. Ein politischer Gestaltungsspielraum wäre nicht gegeben.

Deshalb kommt dieser Bericht genau zum richtigen Zeitpunkt, nämlich zum Beginn der Beratungen zum Doppelhaushalt 2009/2010. Er führt uns vor Augen, dass es noch weit größerer Anstrengungen bedarf. Das Erreichen eines verfassungsgemäßen Haushalts ist dabei ein wichtiger Schritt. Das Erreichen dieses Schritts kann aber nur eine Durchgangsstation sein. Deutlich wird anhand des vorliegenden Berichts auch, dass es hierfür eines ganzen Maßnahmenbündels bedarf, und zwar sowohl auf der Ausgaben- als auch auf der Einnahmenseite. Herr Kubicki, vieles von dem, was die Große Koalition in den letzten Jahren beschlossen hat, legt sich vor diesem Hintergrund wie ein Mosaik zusammen. Insofern würde ich Ihnen widersprechen.

Auf der Ausgabenseite haben wir mit dem Bildungspakt sichergestellt, dass rund die Hälfte des Demografiegewinns zur Konsolidierung des Landeshaushalts verwendet wird. Das Beispiel des Ministeriums für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume zeigt, dass mit den bereits eingesparten 162 Mitarbeitern und mit den insgesamt angestrebten 300 Mitarbeitern sogar Werte oberhalb des von der CDU-Fraktion vorgelegten Personalmanagementkonzepts erreicht werden können.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU - Zuruf der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Auf der Einnahmenseite haben wir mit der Förderpolitik im Rahmen des Schleswig-Holstein-Fonds, mit dem Zukunftsprogramm Schleswig-Holstein,

mit dem Ausbau der Verkehrsinfrastruktur und mit der Ansiedlung von Forschungseinrichtungen wichtige Wachstumsimpulse gegeben, die in der Konsequenz zu einer Steigerung des Bruttoinlandprodukts und damit zu mehr Steuereinnahmen führen werden.

Für die Ausgabenseite gilt: Mit dem beschlossenen Ausbau der Kinderbetreuung für unter Dreijährige erleichtern wir die Erwerbstätigkeit von Frauen. Selbst die Verkürzung der gymnasialen Schulzeit fügt sich als weiterer Mosaikstein ein, denn sie ermöglicht Schülerinnen und Schülern einen früheren Einstieg in das Berufsleben, was wiederum zu längeren und damit zu höheren Zahlungen von Steuern und Sozialabgaben führt.

Spätestens mit dem Vorliegen dieses Tragfähigkeitsberichtes - eigentlich schon seit dem SeitzGutachten aus dem Jahr 2006 - kann niemand von uns mehr behaupten, er hätte nicht gewusst, was auf uns zukommt. Wir haben weiß Gott kein Erkenntnisproblem.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU und Bei- fall des Abgeordneten Günter Neugebauer [SPD])

Jetzt kommt es nur noch darauf an, diese Erkenntnisse auch bis zu den Haushaltsberatungen nach den Sommerferien präsent zu halten. Ich glaube, dann wäre schon viel gewonnen.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Ich danke Herrn Abgeordneten Tobias Koch. - Für die SPD-Fraktion hat Frau Abgeordnete Birgit Herdejürgen das Wort.