Protokoll der Sitzung vom 29.05.2008

Dementsprechend heftig waren die Konflikte. Die Stadt Lübeck kämpfte gegen die Flächenausweisungen am Hafen und am Flughafen, Brunsbüttel gegen die Ausweisung der Elbufer, die Waldbesitzer kämpften gegen die Ausweisung der Privatwälder, und die Bauern kämpften gegen die Ausweisung von Feuchtwiesen.

Am Ende entschied Rot-Grün, dass die dritte Tranche ohne die am meisten umkämpften Flächen gemeldet werden sollten und der Rest, die kritischen

Flächen, nach der Landtagswahl nachgemeldet werden sollte. Das war der Kompromiss.

Es war dann die erste bittere Pille für den neuen Umweltminister von Boetticher, als er nach der Wahl zu Kreuze kriechen und die von ihm als überflüssig bezeichneten Ausweisungen selber vornehmen musste,

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

unter anderem in Brunsbüttel und am Flughafen Lübeck.

Trotzdem bleibt festzuhalten: Nach neun Jahren rot-grüner Regierung war die gesamte naturgeschützte Fläche in Schleswig-Holstein von 3,2 auf über 11 %, also fast das Vierfache, angewachsen.

(Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört, hört!)

Von den gesamten Wasserflächen des Landes stehen seitdem 57 % bis zur Zwölf-Seemeilen-Grenze unter Naturschutz, eine Bilanz, auf die wir durchaus stolz sind.

Nun zu Eiderstedt. Eiderstedt ist eine alte Kulturlandschaft. Es geht nicht darum, den Vogelschutz gegen die Bauern durchzusetzen; im Gegenteil. Die Trauerseeschwalben und die Wiesenvögel brauchen die Viehzucht der Bauern auf den Wiesen, denn die Rinder sorgen für das kurze Gras und die offenen Gräben, in denen die Vögel ihre Nahrung finden.

Weil wir das wussten, haben wir zunächst ein Agreement mit den Bauern und mit der EU versucht. Herr von Boetticher hat uns ja schon einmal vorgeworfen, dass Herr Steenblock das auch versucht hat. Die ursprüngliche Überlegung war: Wir wollten Naturschutz vertraglich vereinbaren und eine Meldung an die EU auf die Brutflächen beschränken. Das war der ursprüngliche Plan. Das wurde in Brüssel nicht akzeptiert. Deshalb haben wir dann geprüft, ob wir lieber eine große Lösung oder eine reduzierte Lösung vornehmen. Wir haben uns dann ganz bewusst für die große Lösung mit 20.000 ha entschieden; denn bei einer großflächigen Lösung wären wir ohne große Einschränkungen für die Bauern zurechtgekommen.

(Lachen bei der CDU)

Es sollte auf dieser großen Fläche - hören Sie zu nur drei Regeln geben: Erstens kein Grünlandumbruch, zweitens keine Wasserabsenkung und drittens keine Vergrämungsmaßnahmen. Wenn man dagegen eine kleine Lösung wählt, wie das jetzt beabsichtigt ist, muss man für diese Flächen natürlich

einen besonders strengen Schutz beschließen, da es um die Existenz der Vögel geht.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Damit schaden Sie aber sowohl dem Vogelschutz als auch der Landwirtschaft.

Meine Damen und Herren, was dann aber in den letzten zwei Jahren seit Amtsübernahme dieses Ministers auf Eiderstedt passiert ist, grenzt an unterlassene Hilfeleistung.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf von der CDU: Oh!)

Während auf der UN-Artenschutzkonferenz in Bonn viel grüne Lyrik verbreitet wurde, kann man auf Eiderstedt beobachten, wie Artensterben in der Praxis funktioniert. Sie haben den Bauern vorgegaukelt, dass eine Ausweisung von Eiderstedt gar nicht nötig sei. Sie haben bewusst den Sachverstand der Experten der Verbände, der Universität und der Fachleute ihres Ministeriums ignoriert und sich nur mit ihren Parteifreunden zusammengesetzt. Sie haben dann eine Mini-Gebietskulisse ausgewiesen, von der jeder Fachmann wusste, dass sie keine Chance hatte.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben die Bauern belogen,

(Unruhe bei der CDU)

indem Sie behauptet haben, das sei eine mit der EU abgestimmte Maßnahme. Laut „Schleswig-Holstein Magazin“ vom 12. Januar 2006 haben Sie gesagt, das sei mit der EU abgestimmt, und Sie haben sich auch noch mit ihren jahrelangen Erfahrungen in Brüssel gebrüstet.

Dann passierte das, was kommen musste. Mitten in den Brutgebieten wurden Hektar um Hektar Wiesenland zu Acker umgebrochen. Damit das Ackerland früher bewirtschaftet werden kann, wurden dann durch den Deich- und Hauptsielverband die Wasserstände in den Gräben Jahr für Jahr gesenkt. Das Abpumpen wurde sogar mit 5 Millionen € von Ihrem Ministerium finanziert.

Um die Nonnengänse wegzulocken wurde dann tonnenweise Getreide auf Kosten der Steuerzahler ausgeschüttet, und zwar mitten im Brutgebiet der Wiesenvögel. Damit verdoppelte sich die Zahl der Nonnengänse. Dagegen gingen die harten Kämpfer gegen den Vogelschutz dann mit Vergrämungsmaßnahmen vor. Tag und Nacht knallten auf Eiderstedt und vor allem in Westerhever die Knallkanonen. Trotz dutzender Proteste aus der Bevölke

rung griffen weder das Ministerium noch das Amt ein. Selbst als ein Landwirt zu fünfstelliger Strafzahlung verurteilt wurde, machten die anderen weiter. Zurzeit laufen gegen das Knallen mehr als 30 Klagen vor Gericht. Das Ministerium schaut zu.

Schließlich wurde im vorigen Jahr mitten in der Brutzeit der Trauerseeschwalbe mit Traktoren die Vergrämung fortgesetzt, und es wurden sogar illegale Baggerarbeiten in der Nähe der Nester durchgeführt.

Zum Glück waren das nicht alle Bauern. Immer mehr Landwirte haben das nicht mehr mitgemacht. Schon 75 Bauern auf Eiderstedt mit über 5.000 ha Weideland haben sich in der Gemeinschaft Weideland Eiderstedt zusammengeschlossen, die sich für Vertragsnaturschutzprogramme zum Schutz der Vögel engagiert.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ohne diese Landwirte wäre längst alles tot.

In diesem Jahr liegen nun in Westerhever zum ersten Mal die Gräben völlig trocken, und das liegt nicht am Wetter, denn in den wenigen Gräben, in denen die Wehre auf dem Privatland engagierter Bauern liegen, steht das Wasser immer noch fast bis zur Oberkante. Vor zwei Wochen wurde die größte Trauerseeschwalbenkolonie auf Eiderstadt verlassen vorgefunden. Die Vögel hatten angesichts der permanenten Störungen und der leeren Gräben aufgegeben.

Nach dem zweiten Weltkrieg wurden noch 1.600 Brutpaare gezählt. Jedes Mal - das haben Sie richtig beschrieben -, wenn die Diskussion um den Vogelschutz ging, ging die Zahl der Nester herunter, weil dann wieder dagegen vorgegangen worden ist. Es wurde nicht schnell genug reagiert. Das ist richtig. In diesem Jahr ist der historische Tiefstand von 27 Brutpaaren erreicht.

Herr von Boetticher, ob die von Ihnen jetzt vorgelegte Gebietskulisse ausreicht, wird sich vor Gericht entscheiden. Wir haben große Zweifel daran. Denn 1.000 ha der von Ihnen benannten Fläche sind bereits umgebrochen. Wissen Sie das eigentlich? Wie wollen Sie das Brüssel erklären?

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Antrag, den wir heute hier vorlegen, dient dazu zu retten, was zu retten ist. Dazu müssen unverzüglich Maßnahmen zum Schutz der Tiere eingeleitet werden.

Erstens. Die Dauergrünlandverordnung, die seit Wochen bei Ihnen liegt, die wohl auch schon durch

(Karl-Martin Hentschel)

das Kabinett durch ist, muss endlich in Kraft gesetzt werden. Jeder Tag, an dem weiter umgebrochen wird, ist ein verlorener Tag.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zweitens. Das Wassermanagement muss sofort so ausgerichtet werden, dass die Gräben ganzjährig ausreichend Wasser führen.

Drittens. Die Vergrämung von Vögeln mit Knallkanonen muss sofort unterbunden werden.

Viertens. Das geplante Vogelschutzgebiet auf Eiderstedt muss schnellstmöglich, und zwar möglichst schon einmal provisorisch, in die Verordnung nach § 29 Naturschutzgesetz aufgenommen werden, damit das sichergestellt ist.

Fünftens. Nach der Meldung an die EU muss der erforderliche Schutz durch geeignete Maßnahmen für das Gebiet schnell konkret umgesetzt werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte zum Schluss aus einem Bericht des Journalisten Josef Wagner zitieren, der am 21. Mai in der „Bild“-Zeitung abgedruckt wurde. Es ist etwas ungewöhnlich, dass ein Grüner die „Bild“-Zeitung zitierte. Ich zitiere:

„Lieber Artenschutz-Gipfel,

täglich sterben 130 Arten von Leben auf unserem Planeten aus. Und niemand weint. Kein Staat flaggt halbmast für einen Schmetterling oder eine Pflanze. … Jede achte Vogelart ist bedroht, fast jede fünfte Säugetierart. … Schmetterlinge sinken ermattet zum Todesflug.

Unser Planet ist der Planet des Todes. … Es sterben Korallenriffe, es sterben Bäume, es sterben Ameisen. Niemand weint, niemand betet ein Gebet. Wir Menschen denken, dass jeden Morgen die Sonne aufgeht und wir weiterleben und weiterleben.

Irgendwann werden wir eine aussterbende Art sein. Wie der Schmetterling, um den niemand trauert.

Ihr Franz Josef Wagner“