Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Für die antragstellende Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich dem Herrn Abgeordneten Klaus Müller das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Wir Grünen sind stolz darauf, was im Land und im Bund mit dem Atomausstieg und den erneuerbaren Energien an Energiewende geschafft worden ist.
Dafür sind die Grünen gewählt worden und dafür haben wir mit Erfolg gekämpft. Wir wussten immer fast alle Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten an unserer Seite. Immer mehr Länder übernehmen den Rahmen des deutschen Erneuerbare-EnergienGesetzes. Es sind jetzt 14 europäische Länder wie
Von den Erweiterungsländern der EU sind es Zypern und Tschechien, die Vergütungssysteme - angelehnt an unser EEG - anwenden. Wir haben in der Begründung zu unserem Antrag die aus Sicht der Grünen zentralen Argumente genannt, die gerade auch im Interesse des Landes Schleswig-Holstein und seiner mittelständisch geprägten Wirtschaft die Notwendigkeit einer konsequenten Energiewende begründen. Es gibt aus grüner Sicht keinen Grund, die energiepolitische Positionierung des Landes, die in den letzten 15 Jahren vom Landtag mehrheitlich unterstützt wurde, zu ändern. Dies gilt sowohl für die ordentliche Abarbeitung des Atomkonsenses als auch für die konsequente Umsetzung der drei Schwerpunkte Energieeinsparung, Effizienzsteigerung und Mobilisierung der Potenziale aller erneuerbaren Energien.
Der nach langer Diskussion gefundene Atomkonsens hat nicht nur auf der politischen Ebene den Mehrheitswillen demokratisch umgesetzt, sondern vor allem auch langfristige Planungssicherheit geschaffen. Dies gilt sowohl für die AKW-Betreiber als auch für alle anderen Akteure, die die Energiewende mitgestalten.
Die von der CDU initiierte Debatte um mögliche Laufzeitverlängerungen der AKWs knüpft das alles wieder auf. Sie hat bisher nur eines deutlich gemacht: Es verbergen sich offenbar gewaltige Extraprofite dahinter, die der privilegierten Sonderstellung der Atomindustrie zulasten aller anderen entspringen und nun um ein Jahrzehnt verlängert werden sollen. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Paziorek spricht von 20 Milliarden €. Das Ökoinstitut in Freiburg spricht gar von 32 Milliarden €. Selbst die Verbundunternehmen reagieren skeptisch. Laufzeitverlängerungen werden uns in Zeiten zurückführen, die wir überwunden geglaubt haben. Der aktuelle Skandal in Sellafield ist nur ein Beispiel dafür.
Noch wichtiger aber sind die strukturellen Verwerfungen, die der Vorschlag der CDU und der FDP, die ich einbeziehen will, nach sich zieht. Bekanntlich basiert die Stromerzeugung in Deutschland auch heute noch - trotz aller Erfolge bei den erneuerbaren Energien - zu gut 90 % auf dem Einsatz fossiler und nuklearer Brennstoffe. Die Fortschreibung der privilegierten Großkraftwerkstrukturen behindert - zum
Beispiel durch den Ausbau der Kraft-WärmeKopplung und vor allem durch die Nutzung der erneuerbaren Energien - nicht nur die Energieeinsparung, sondern auch die Effizienzsteigerung.
Es gibt nun einen üblen Trick der CDU. Den Bürgerinnen und Bürgern soll der Wiedereinstieg in die Atomkraft mit in Aussicht gestellten Strompreissenkungen schmackhaft gemacht werden. Das ist nur eines der vielen Märchen der CDU/CSU-Umwelt- und Energiepolitik.
Zum ersten Märchen: Längere Laufzeiten der AKWs führen zu Strompreissenkungen. In Wirklichkeit werden die Laufzeitverlängerungen nicht zu sinkenden Strompreisen führen. Das haben die Stromkonzerne in der letzten Woche als Kronzeugen selbst deutlich gemacht. Es ist völlig offensichtlich, dass längere Laufzeiten auch mit höheren Kosten, zum Beispiel für Nachrüstungen, verbunden sind, um ein Mindestmaß an Sicherheit zu gewähren. Wenn dann noch Geld übrig ist, dann wird es ganz bestimmt nicht durch sinkende Strompreise den Verbraucherinnen und Verbrauchern zugute kommen.
Zweites Märchen: Atomenergie ist die billigste Energie. Das ist falsch. Die Subventionen für die deutsche Atomkraft schätzen Experten auf mittlerweile über 100 Milliarden €. Bis heute genießen die Betreiber zu üppige Steuerfreiheit für Entsorgungsrückstellungen und Rabatte bei der Versicherung möglicher Schäden.
Drittes Märchen: Klimaschutz sei nur mit Atomenergie möglich. Pustekuchen; auch AKWs produzieren über die gesamte Produktions- und Entsorgungskette CO2-Mengen. Selbst wenn ab sofort weltweit alle verfügbaren Mittel in den Ausbau der Atomenergie gelenkt würden, wäre der Effekt auf den globalen Treibhausgasausstoß gerade einmal marginal.
Das vierte Märchen: Die erneuerbaren Energien reichen nicht aus, um die Atomkraft zu ersetzen. Mit dem EEG haben wir es geschafft, den Anteil erneuerbarer Energien im ersten Halbjahr 2005 auf etwa 11 % der Stromerzeugung zu steigern. In SchleswigHolstein liegt der Anteil des Verbrauchs bei fast einem Drittel. Wenn etwa im Jahre 2020 das letzte AKW vom Netz gehen wird, dann haben wir mit einem Anteil von ungefähr einem Viertel Strom aus erneuerbaren Energien den wegfallenden Atomstrom ersetzen können.
Durch Wind, Wasserkraft, Biomasse, Erdwärme und Solarenergie kann der Atomstrom lückenlos abgelöst werden, ohne dass die Lichter in Deutschland ausge
hen, wie vormals der Ministerpräsident der CDU aus Baden-Württemberg, Herr Filbinger, die Bürger verängstigen wollte. Den verbleibenden Energiebedarf wollen wir durch Einsparungen von Energie und modernste Effizienztechnologien wie Gas- und Dampfturbinenprozesskraftwerke, KWK und Brennstoffzellen bereitstellen. Das zum Vorurteil gegen die Grünen, was Technikfeindlichkeit angeht.
Wir Grünen setzen uns dafür ein, mit diesen Investitionen in Milliardenhöhe tatsächlich beginnen zu können und sie nicht durch eine Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke zu verhindern. Das, was die CDU hier vorhat, ist nichts anderes als das größte Investitionsverhinderungsprogramm für die Bundesrepublik Deutschland. Das wollen wir nicht!
Es gibt in der CDU eine Reihe von klugen Leuten. Der Präsident des Umweltbundesamtes, Dr. Andreas Troge, CDU, hat die von Frau Merkel geplante Laufzeitverlängerung von AKWs kritisiert, weil so die Modernisierung der Kraftwerke verzögert wird. Der Chef der UN-Umweltbehörde, Klaus Töpfer, CDU, gab zusammen mit Umweltminister Jürgen Trittin den Startschuss zur Klima-Informationsoffensive „Deutschland hat unendlich viel Energie“. Im Zeichen des ausgehenden Ölzeitalters soll gezielt für die erneuerbaren Energien geworben werden.
In der Presse können wir von immer neuen Höchstständen des Weltmarktpreises für Rohöl lesen. Der Preis liegt zurzeit bei über 70 $ pro Barrel. Das hat auch etwas mit den schrecklichen Ereignissen in den USA zu tun. Die grüne Zielmarke, weg vom Öl zu kommen, ist für den Standort Deutschland, für einheimische Arbeitsplätze und für unseren Wohlstand von entscheidender Bedeutung. Wir brauchen mehr Wertschöpfung bei der Primärenergiebereitstellung hier bei uns in Deutschland. Das schafft Arbeit und Innovation vor Ort. Wir brauchen dann andersherum weniger für den Import von fossilen Energieträgern auszugeben. Diese Mittel für den Ankauf von Öl und Gas gehen aus unserer Verfügungsgewalt erst einmal verloren. Allein die Ölimporte kosten Deutschland mit steigender Tendenz jährlich 30 Milliarden €. Wenn man guckt, wie hoch der Preis in Kiel zurzeit für leichtes Heizöl ist, dann wird deutlich: Bei solchen Preisen rentieren sich Solarthermieanlagen für Warmwasserbereitung und Heizungsunterstützung sofort.
Die Landesregierung hat dem Thema sowohl in der Koalitionsvereinbarung vom April als auch in der Regierungserklärung Ende Mai ausgesprochen wenig Bedeutung beigemessen. Inhaltlich ist zwar die Rede
vom Motor bei den erneuerbaren Energien, dies ist aber nahezu inhaltsleer und wird zudem sofort eingeschränkt durch die Floskel „mit Augenmaß“. Politisch erinnern die Aussagen nicht an klare Zielvorgaben, für die Rot-Grün einmal angetreten ist, sondern an nichtssagende Kompromisse, die die dahinter stehende Uneinigkeit in entscheidenden Fragen lediglich verkleistern.
So langsam aber werden die Widersprüche deutlich: Während Minister Austermann die drei Atomkraftwerke in Schleswig-Holstein länger am Netz lassen will, der Nebenwirtschaftsminister Professor Driftmann sogar neue Atomkraftwerke fordert, hält die Sozialministerin Trauernicht am Atomkonsens fest.
Brunsbüttel würde nicht 2008, sondern 2036, Krümmel würde 2043 und Brokdorf 2046 vom Netz gehen. So lange würde es strahlenden Müll geben. Eine sichere Lagerung ist bis heute nicht geklärt. Frau Merkel und Herr von Pierer machen sich zum Totengräber des energiepolitischen Friedens, den wir in Deutschland erreicht haben.
(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Günter Neugebauer [SPD] und Lars Harms [SSW])
Die Frage, wie es mit dem Atomausstieg weitergeht, beschäftigt die Menschen in Schleswig-Holstein. Der Norden war bisher ein Vorreiter in der Energiepolitik. Heute hat die große Koalition im Landtag die Chance, Farbe zu bekennen, welchen Kurs wir in SchleswigHolstein weiter verfolgen wollen und wie wir tatsächlich erneuerbare Energien voranbringen wollen oder ob man sich davor drückt und alles in die Ausschüsse verschiebt. Wir Grünen wollen Energieeinsparung, verbesserte Energieeffizienz und den Ausbau erneuerbarer Energien. Dadurch eröffnet sich ein Riesenpotenzial für Arbeitskräfte in Schleswig-Holstein. Dieses Potenzial wird aber nur ausgeschöpft werden können, wenn wir am Atomausstieg festhalten. Dafür werden wir auch weiterhin streiten.
(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Günter Neugebauer [SPD] und Lars Harms [SSW])
Ich danke dem Herrn Abgeordneten Müller. - Für die CDU-Fraktion hat der Herr Abgeordnete Manfred Ritzek das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Müller, das war eben mit Sicherheit ein wahlkampforientierter Beitrag. Das kann man Ihnen aber nicht
verdenken. Sie begannen Ihren Beitrag mit halb wahren oder halb richtigen Aussagen. Sie sagten, die Energiewende sei geschafft. Was ist denn geschafft? Wenn die Energiewende geschafft wäre, müssten ja Ersatzenergien bereitgestellt werden können, um die Kernenergie zu ersetzen. Davon sind Sie weit entfernt. Das Einzige, was Sie geschafft haben, ist, dass Sie ein Gesetz geschaffen haben, das den Ausstieg aus der Kernenergie regelt. Angesichts dessen kann man aber noch nicht von einer Wende sprechen.
Ich glaube des Weiteren, dass der Begriff „Wende“ in Bezug auf die Kernenergie etwas weit hergeholt ist. Sie wissen, dass die Kernenergie in der Gesamtenergiebilanz in Deutschland nur einen Anteil von 12 % hat. Ihr Anteil bei der Stromversorgung beträgt knapp 28 %. Es gibt sicherlich andere Energieträger, die weit bedeutender sind.
Sie sagten weiter, immer mehr Länder in der Europäischen Union beteiligten sich an dem ErneuerbareEnergien-Gesetz, das die Einspeisung von Energie aus erneuerbaren Energien regelt. Sie verschweigen dabei aber, dass kein Land in der Europäischen Union von der Kernenergie Abschied nimmt. Ganz im Gegenteil, Finnland baut ein neues Kernkraftwerk und Schweden hat das Moratorium aufgelöst. Mit den zehn neuen EU-Ländern sind fast 15 neue Kernkraftwerke in die EU hineingekommen. Auch wenn wir die Kernkraftwerke abschalten, bringen die anderen wieder Kernkraftwerke herein. Das hat mit Wende also nichts zu tun.
Die CDU und die SPD haben einen anderen Antrag gestellt, um wirklich etwas über zukunftsfähige Energiepolitik auszusagen. Ich glaube, dieses Thema ist im Augenblick von hoher Brisanz. Jeder versteht die Notwendigkeit, die Landesregierung zu bitten, in der November-Tagung dazu etwas zu sagen und in der Zwischenzeit dieses Thema auch im Wirtschafts- beziehungsweise im Umweltausschuss zu behandeln.
Nicht nur der enorme Anstieg der Nachfrage nach Energie in China oder in Indien, sondern auch die Hurrikan-Katastrophe in Amerika machen uns deutlich, wie stark wir von der internationalen Entwicklung auf dem Energiemarkt abhängig sind. Wir alle spüren das in unserem Portemonnaie, zumindest dann, wenn wir heute an einer Tankstelle tanken oder wenn wir Heizöl einbunkern. Auch unsere Energiepolitik in Schleswig-Holstein ist immer in nationale, in internationale Energiepolitik, ja in Weltpolitik eingebunden. Das stellt unser Land vor große Herausforderungen bezüglich der eigenen Gestaltung der Energiepolitik. Es erfordert aber auch verantwortliches Handeln bei der Bewertung der ökonomischen und
ökologischen Sinnhaftigkeit von Maßnahmen und deren Einfluss auf die gesamte Energiebilanz in unserem Land.
Meine Damen und Herren, ich möchte Sie mit einigen Zahlen vertraut machen, die verdeutlichen sollen, welche Bedeutung Energiepolitik, bezogen auf weltpolitische Energieprognosen, hat. Der World Energy Council hat einen Anstieg des Weltenergiebedarfs bis zum Jahr 2020 um 30 bis 50 % prognostiziert. Shell prognostiziert in den nächsten 50 Jahren einen Anstieg des Energieverbrauchs etwa um das Vierfache, wobei der größte Teil, nämlich 80 %, von den Entwicklungsländern benötigt wird. Exxon prognostiziert, dass im Jahr 2020 immer noch 80 % des Weltenergiebedarfs durch Öl, Erdgas und Kohle gedeckt werden. Es mag sein, dass diese Prognosen nicht 100prozentig eintreffen; vielleicht wird die Lage sogar noch schlimmer, vielleicht wird sie aber auch nicht so schlimm. Die Prognosen kennzeichnen aber in jedem Falle die Herausforderungen, denen auch wir uns bei unserer Energiepolitik stellen müssen.