Protokoll der Sitzung vom 02.09.2005

Rund 96 % der gesamten Energie in Deutschland kommen nach wie vor aus den endlichen Ressourcen Erdöl, Steinkohle, Braunkohle, Erdgas und Uran. 60 % des deutschen Energieverbrauchs werden durch den Import der notwendigen Rohstoffe zur Herstellung der Energie gedeckt.

Ich erwähnte bereits, dass die Kernenergie und die Braunkohle jeweils einen Anteil von knapp 28 % an der gesamten Stromversorgung in Deutschland haben. Dieser Anteil von 28 %, der auf die Kernenergie entfällt, stimmt in etwa auch für unser Bundesland. Ein solcher Anteil lässt sich nicht einfach durch andere Energieträger ersetzen. Man muss schon aufzeigen, wie dieser Anteil von 28 % ersetzt werden soll. Illusionen bezüglich des möglichen Ersatzes von bedeutenden Energieträgern für die Stromerzeugung durch regenerative Energieträger wären deshalb unverantwortlich. Zumindest in den nächsten 50 Jahren - so lauten die Prognosen - werden regenerative Energien zwar einen notwendigen und auch bedeutenden, aber eben doch nur kleinen Anteil an der gesamten Energiebilanz haben. Das wird sich erst dann ändern, wenn die Wasserstoffenergie marktfähig ist. Damit rechnet man erst in etwa 50 Jahren.

Wir sind somit bei der gesamten Energiebereitstellung, aber auch bei der Stromerzeugung nicht nur von der Menge und dem Mix an Rohstoffen stark abhängig. Wir sind auch von der Preisentwicklung im Bereich Energie stark abhängig. Das gilt für die Preisentwicklung auf den internationalen Märkten für Rohstoffe, aber auch - dies sage ich ebenfalls mit Blick auf Schleswig-Holstein - für die Preisentwick

lung auf dem nationalen Markt in Abhängigkeit von einer modernen, durchaus klassischen Kraftwerksstruktur und den Techniken zur Erzeugung von regenerativen Energien.

Ich möchte hier ein anderes Szenario kurz erwähnen, das auch von Bedeutung ist, weil Energiepolitik auch Klimapolitik ist. In der Zeit von 1990 bis heute sind die Treibhausgasemissionen weltweit um 20 % gestiegen, und zwar trotz des Kyoto-Protokolls. Die Kyoto-Vereinbarung darf aber keine Einladung zum Tanz sein, sondern sie ist auch für unser Land eine Herausforderung. Wir werden unseren Beitrag durch eine zukunftsfähige Energiepolitik leisten, die auch regenerative Energien stärker einbezieht.

Diese kurze Einführung verdeutlicht die Herausforderungen an eine zukunftsorientierte Energiepolitik. Die zentrale Frage ist, wie sichergestellt werden kann, dass es in Zukunft in Deutschland eine sichere, umweltfreundliche und bezahlbare Energieversorgung gibt. Dabei muss sich die Energiepolitik an dem Leitbild der Nachhaltigkeit messen lassen. Das heißt, eine zukunftsorientierte Energiepolitik muss ökonomischen, ökologischen und sozialen Interessen gerecht werden.

Die zentralen Herausforderungen für eine zukunftsorientierte Energiepolitik für unser Land lassen sich in vier Punkten beschreiben: Modernisierung des Kraftwerkparks einschließlich der Erweiterung um moderne Anlagen, weitere Entwicklung und Einsatz von erneuerbaren Energien, Einsatz energiesparender Techniken und Förderung von Forschung und Entwicklung von neuen effektiveren, aber vornehmlich auch effizienteren, also wirtschaftlicheren Techniken jeder Art.

Neben der Effizienzoptimierung durch Wirkungsgraderhöhung bei Dampfkraftwerken können und sollten auch Technologien erforscht werden, die CO2freie Kraftwerke auf Basis fossiler Brennstoffe ermöglichen. Die so genannte CO2-Sequestration in Kohlekraftwerken ist aber technisch noch nicht das Optimum. Daran muss weiter gearbeitet werden. Ich denke, wir haben auch Möglichkeiten, hier bei uns die entsprechenden Forschungen durchzuführen.

Die Weiterentwicklung von regenerativen Energien bedeutet auch für uns einen revolutionären Umbruch. Der Gefahr einer Ökologisierung dieses Prozesses muss allerdings entgegengetreten werden. Es macht keinen Sinn, mit der staatlichen Förderung der erneuerbaren Energien langfristig ökologischer Musterschüler zu sein, dabei aber die Wirtschaftlichkeit zu vergessen. Auch die erneuerbaren Energien müssen sich am Markt im Wettbewerb bewähren, zumindest nach einer als angemessen festgelegten Zeit.

(Manfred Ritzek)

Wir haben in unserem Land im Bereich der regenerativen Energien bereits einiges auf den Weg gebracht. Alle Möglichkeiten müssen weiterentwickelt und genutzt werden. Wir haben bereits ein Kompetenzzentrum für Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie an der Fachhochschule Lübeck. Wir können uns auf den Weg machen, ein BiogasKompetenzzentrum an der Fachhochschule Flensburg auf- und auszubauen, und zwar mit dem Ziel, Pilotanlagen oder sogar Produktionsanlagen zur Erzeugung von Biogas in unserem Lande anzusiedeln.

Vielleicht ist ja auch ein Kompetenzzentrum an einer unserer Universitäten interessant, das sich mit der Energiegewinnung aus Gezeiten- und Strömungskraftwerken befasst, wie es die Franzosen bereits vor St. Malo praktizieren. Wir müssen auch Kompetenzen in den Bereichen Solar- und Photovoltaik, bei der Stromproduktion aus Erdwärme und bei der Technik der Kraft-Wärme-Kopplung unter besonderer Berücksichtigung von Effizienz und Effektivitätswirkung weiterentwickeln.

Wir sind gefordert, über entsprechende Forschung mit modernsten Techniken in Pilotprojekten und vielleicht auch bei großen Anwendungen mit der Ansiedlung innovativer Produktionsfirmen in SchleswigHolstein unseren Beitrag zur Erhöhung des Anteils regenerativer Energien am Energiemix als Herausforderung zu sehen und entsprechend zu handeln.

Ich bin gespannt auf den Bericht der Landesregierung im November. Ich bitte darum, diesen Antrag federführend an den Wirtschaftsausschuss und mitberatend an den Umweltausschuss zu überweisen.

(Beifall bei CDU und SPD)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Manfred Ritzek und erteile für die SPD-Fraktion Herrn Abgeordneten Konrad Nabel das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ähnlich wie es im Frühjahr die FDP mit ihrem Antrag zum Naturschutzgesetz versuchte, versuchen nun auch die Grünen mit dem Antrag Drucksache 16/191, einen Keil zwischen die Koalitionspartner der großen Koalition in Schleswig-Holstein zu treiben,

(Klaus Müller [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Zu Recht!)

ist doch der Dissens beider Parteien in Fragen der Atomenergie nicht nur bekannt, sondern auch im

Koalitionsvertrag festgeschrieben. Es heißt dort - ich zitiere -:

„In der Frage der weiteren Nutzung der Kernenergie sind wir uns bewusst, dass die jetzt im Atomgesetz normierten Restlaufzeiten gelten und zurzeit nicht zu verändern sind.“

(Zuruf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

- Hört erst einmal zu! -

„Es besteht Einigkeit, dass die Landesregierung nicht initiativ wird, den Energiekonsens aufzukündigen. Wir werden uns im Bundesrat enthalten, wenn widerstreitende Auffassungen wie zum Beispiel bei der Kernenergie vorliegen.“

Dementsprechend könnte es auch zum Antrag der Grünen heute kein einheitliches Votum der Koalitionsfraktionen geben. Das Thema der Zukunft der Energiepolitik ist jedoch zu wichtig, als dass wir uns hier lediglich mit einem Antrag der Grünen beschäftigen sollten. Deswegen haben wir einen eigenen Antrag zur zukunftsfähigen Energiepolitik in Schleswig-Holstein vorgelegt.

(Klaus Müller [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Zur Atomkraft wird aber nichts ge- sagt!)

Wir fordern die Landesregierung in diesem Antrag zur Vorlage eines schriftlichen Berichts auf, den wir in der November-Tagung diskutieren wollen.

(Anne Lütkes [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wechseln wir einfach das Thema!)

Meine Damen und Herren, die SPD in SchleswigHolstein hat sich seit Ende der 70er-Jahre, und zwar noch bevor sich die Grünen als Partei gegründet hatten, massiv und bundesweit für den Ausstieg aus der Atomenergie eingesetzt.

(Beifall bei der SPD)

Wir waren damit erfolgreich und fühlen uns zu Recht als Vordenker und Vorkämpfer für den seit einigen Jahren geltenden Atomkonsens zwischen Politik und Energiewirtschaft, der mit klaren Restlaufzeiten für die einzelnen AKWs den mittelfristigen Ausstieg aus dieser Technologie festschreibt und auch dem Atommülltourismus in andere Länder ein Ende bereitet hat.

Der beschlossene Konsens greift. Drei AKWs wurden bereits stillgelegt. Seit dem 1. Juli gibt es keine Transporte bestrahlter Kernbrennstoffe mehr aus Deutschland in Richtung Sellafield oder La Hague. Die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land sind

(Konrad Nabel)

uns mit überwältigender Mehrheit auf diesem Weg des Ausstiegs gefolgt, weil auch sie sehen, dass die Gefahren, die von der Nutzung der Kernenergie ausgehen, den Nutzen dieser Energieform bei weitem übersteigen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Rund 70 % der Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland sind gegen einen weiteren Betrieb von AKWs, übrigens auch - Frau Kollegin Todsen-Reese, da können Sie gern zuhören - etwa 53 % derer, die sich der CDU zugeneigt fühlen.

Aus dem Wissen, dass die Sicherheitsprobleme von AKWs langfristig nicht beherrschbar sind und dass Zwischenfälle wie in Three Mile Island, Sellafield oder Tschernobyl sich jeden Tag wiederholen können, aus der Erkenntnis, dass es bis heute kein Konzept für eine sichere Endlagerung des über Tausende von Jahren weiterstrahlenden Atommülls gibt und aufgrund der Tatsache, dass die Atomenergie keinen nachhaltigen Beitrag zur Senkung der Kohlendioxidbelastung leistet, haben wir uns für den Ausstieg aus der Atomenergie und für die gleichzeitige Entwicklung und den Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energien eingesetzt. Das war und ist der richtige Weg.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In unserer Regierungszeit in Schleswig-Holstein seit 1988 haben wir uns überaus erfolgreich für eine nachhaltige Energieversorgung im Dreiklang zwischen Energiesparen, höherer Energieeffizienz und dem Ausbau der regenerativen Energieformen eingesetzt. Das EEG hat seine Wurzeln in diesem Land. Auch zur weiteren Nutzung der nachhaltigen Energieversorgung in Schleswig-Holstein gibt es lesenswerte Passagen im Koalitionsvertrag, in dem es unter anderem heißt:

„Wir werden die Windenergienutzung mit Augenmaß weiter ausdehnen. Bei der Errichtung von Off-shore-Anlagen müssen Schiffssicherheit, Tourismus und Umwelt berücksichtigt werden. Repowering-Maßnahmen werden wir unterstützen.“

Weiter bekennen wir uns gemeinsam zur weiteren Entwicklung der Brennstoffzelle, der Nutzung von Wasserstoff, der modernen Technologien von Kohlenutzung. Wir wollen das Biomassepotenzial ebenso nutzen wie Kraft-Wärme-Kopplung, Geothermie und Solarenergien. Das gesamte Feld der erneuerbaren Energien ist in Schleswig-Holstein also weiterhin im

Fokus der Energiepolitik. Ich freue mich über diese Übereinstimmung in der großen Koalition.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD - Lars Harms [SSW]: Riesenbeifall bei der CDU!)

Schleswig-Holstein ist ein hervorragender Standort für alle Formen der regenerativen Energien, deren Ausbau nach meiner Überzeugung auf Dauer die Atomkraft überflüssig macht.

(Beifall bei SPD und CDU)

Über all diese Dinge wird in der November-Tagung sicherlich intensiv zu beraten sein. Ich will mich heute auf die Frage des Atomkonsenses konzentrieren, der ja auch im Mittelpunkt einiger hitziger Debatten im Rahmen des Bundestagswahlkampfes steht; denn während wir, SPD, weiter zum Atomkonsens stehen, wollen CDU/CSU und FDP den Atomkonsens aufkündigen. Was haben wir da nicht schon alles gehört? Zuletzt hatte Frau Merkel ja vorgeschlagen, die Laufzeiten der AKWs zu verlängern, wenn die Energiekonzerne die Strompreise senken. Die haben natürlich abgewinkt. Der Markt soll es richten, haben sie gesagt. Das ist eine komfortable Position für die seit vielen Jahrzehnten mit Milliarden geförderte Atomwirtschaft.

(Beifall des Abgeordneten Klaus Müller [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Irgendwie war Frau Merkel da schlecht beraten. Es ist ja inzwischen bekannt, dass die Kanzlerkandidatin der CDU sich überall außerhalb ihrer Partei Berater sucht, von deren Vorstellungen sich dann viele in der CDU schnell distanzieren. Der Vorletzte in dieser Reihe war Herr Professor Kirchhof, dessen unsoziales Steuermodell selbst vielen in der CDU nicht gefiel

(Zurufe: Oh, oh!)

und der nebenbei noch - Herr Garg, passen Sie genau auf - durch ein Familien- und Frauenbild aus dem frühen 19. Jahrhundert brillierte.