Protokoll der Sitzung vom 11.09.2008

Was auf den ersten Blick nach Anarchie auf den Straßen klingt, hat seinen Hintergrund in einem EU-Forschungsprojekt. In sieben europäischen Orten wurde bis Mitte 2008 ein niveaugleicher Ausbau von Straßen, Knotenpunkten und Plätzen in einem stark begrenzten innerörtlichen Verkehrsraum hergestellt. In Bohmte war es übrigens der Marktplatz.

Belastbare Ergebnisse dieser Pilotprojekte liegen darauf hat der Kollege Schröder zutreffend hingewiesen - allerdings noch nicht vor, sodass es aus Sicht meiner Fraktion etwas verfrüht ist, jetzt auf die sofortige Umsetzung in den Kommunen zu drängen.

Hinzu kommen die nicht unerheblichen Kosten dieser Maßnahmen. Sinn machen diese Maßnahmen überhaupt nur dann, wenn eine städtebauliche Aufwertung sensibler Straßenräume und Platzbereiche das Hauptziel der Planung ist. Im Rahmen von ohnehin durchzuführenden Neubau- und Aufwertungsmaßnahmen kann Shared Space - man kann sagen: gemeinsamer Raum oder auch geteilter Raum - sicherlich sinnvoll sein. Dann sollte den Kommunen selbstverständlich die Möglichkeit eröffnet werden, diese Maßnahmen umzusetzen.

Herr Kollege Matthiessen, Sie haben es doch selbst gesagt: In der Gemeinde, in der Sie zu Hause sind, ist das doch bereits geschehen.

(Zuruf des Abgeordneten Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Deshalb wundert es mich, dass Sie platziert Aufforderungen aussprechen.

Mit großem Kostenaufwand allerdings Bürgersteige und Ampelanlagen wieder abzubauen, nur um Shared-Space-Konzepte umzusetzen, kann nicht sinnvoll sein.

Problematisch - das zeigen die ersten Befragungen nach der Realisierung der Projekte in den Niederlanden - ist auch, dass sich Fußgänger und hier insbesondere Kinder, ältere Menschen und Mobilitätseingeschränkte bei diesem Konzept der Verkehrsführung unsicher fühlen. Gerade ältere Menschen brauchen in komplexen Verkehrssituationen mehr Zeit zum Verarbeiten und Reagieren. Für die

(Wolfgang Kubicki)

se Personengruppe erhöht die Komplexität generell das Sicherheitsrisiko.

Die Geh- und Sehbehinderten nannten erhebliche Mängel. Für Personen, die sich mit Unterstützung eines Langstocks fortbewegen, fehlen geeignete Leit- und Warnelemente. Die Kinder bemängelten insbesondere fehlende Schutzräume und gefährliche Situationen. Als Allheilmittel zur Vermeidung von Unfällen und Konflikten darf Shared Space daher nicht gesehen werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dennoch sollten wir die Diskussion in den entsprechenden Ausschüssen ergebnisoffen führen. Dabei sollten zunächst die Ergebnisse der sieben Pilotprojekte des EU-Forschungsprogramms systematisch ausgewertet werden. Wenn die Untersuchungen zu einem positiven Ergebnis kommen, dann sollte den Kommunen die Genehmigung von Shared-Space-Konzepten nicht verwehrt werden. Allerdings sollten sich diese Maßnahmen grundsätzlich nur auf einen kleinen Verkehrsraum beschränken, da diese Abschnitte keine hohe Verkehrsbelastung aufweisen und es sich nicht um Stellen mit hohem Durchgangs- und Schwerlastverkehr handelt. Zudem sollten bei der Planung die Interessen der schwachen Verkehrsteilnehmer besonders berücksichtigt werden.

Für die übrigen von den Grünen in ihrem Antrag erhobenen Forderungen, verkehrsberuhigende und die Verkehrssicherheit erhöhende Maßnahmen umzusetzen, haben die Kommunen bereits heute alle Möglichkeiten. Den Schilderwald zu lichten, dazu sind sie nach der Straßenverkehrsordnung sogar verpflichtet, sie müssen es nur machen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, eines bedarf es sicherlich nicht, eines Aufrufes des Landtages, die Landesregierung möge doch bitte den Kommunen erzählen, wie toll das Abbauen Ihrer Bürgersteige ist.

(Peter Eichstädt [SPD]: Konnexität!)

Warum wir die Landesregierung auffordern sollen, sie solle den Kommunen etwas sagen, erschließt sich mir nicht. Die sind im Zweifel schlauer als wir.

(Beifall bei FDP und CDU)

Das Wort für den SSW im Landtag hat nun Herr Abgeordneter Lars Harms.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir heute über gemeinsam genutzte Verkehrsräume sprechen, müssen wir erst einmal festhalten, dass es nicht Ziel solcher Initiativen ist, ganze Städte als gemeinsamen Verkehrsraum umzugestalten. Vielmehr geht es darum, dass kleine Teile eines Verkehrsraumes entsprechend ausgewiesen werden und nur dort alle Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt sind. Wir reden heute also über Straßenzüge oder auch über abgegrenzte Innenstadtbereiche. Wir können das Ganze mit verkehrsberuhigten Zonen oder Spielstraßen vergleichen, die man seit den 70er-Jahren ausgewiesen hat.

Ziel ist es, ein verträgliches und ruhiges Miteinander aller Verkehrsteilnehmer zu erreichen und dadurch beispielsweise die Unfallzahl zu senken.

Für ein solches Projekt sind nicht nur ein paar Schilder notwendig, die man irgendwo aufhängt oder auch abschraubt, sondern es müssen umfangreiche Umbaumaßnahmen erfolgen: Ampeln, Verkehrsinseln und vieles andere müssen abgebaut werden, und die Straßen- und Gehweggestaltung hin zu einem gemeinsamen Verkehrsraum muss geändert werden. Das kostet sehr viel Geld. Daher ist es natürlich berechtigt zu fragen, wo eventuelle Fördermittel zur Verfügung stehen. Die EU stellt hierfür im Rahmen des INTERREG-III-B-Nordsee-Programms Fördermittel zur Verfügung. Wir können also feststellen, dass dies wieder einmal ein Baustein einer intensivierten Nordsee-Zusammenarbeit sein könnte, wie auch wir sie immer gefordert haben.

Rund um die Nordsee nehmen mehrere Orte und auch große Städte an diesem Projekt teil, und man tauscht sich international über gemeinsame Verkehrsräume aus. Sogar eine ganze Region ist Teil dieser Zusammenarbeit: Die niederländische Provinz Friesland ist als Provinz diesem Projekt beigetreten und fördert nun die Entwicklung von gemeinsamen Verkehrsräumen in der gesamten Provinz. Das wäre vergleichbar mit einem Beitritt des ganzen Landes Schleswig-Holstein zu dieser INTERREG-Zusammenarbeit. Dies hätte meines Erachtens sogar einen nicht geringen Charme, wenn man bedenkt, dass man so auch eine sehr gute Zusammenarbeit mit der Provinz Friesland in den Niederlanden etablieren könnte.

Aber so weit gehen die Grünen gar nicht. Uns liegt heute ein Antrag vor, der erst einmal davon ausgeht, dass die Umsetzung solcher Projekte in

(Wolfgang Kubicki)

Schleswig-Holstein an der Genehmigungspraxis von Landesbehörden scheitert. Ich kann derzeit nicht beurteilen, ob dies so ist.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Ist nicht so!)

Ich glaube eher, dass im Einzelfall unterschiedlich bewertet werden könnte, ob eine Maßnahme verkehrsberuhigend oder die Verkehrssicherheit erhöhend ist oder nicht. Aufgrund dieser unterschiedlichen Sichtweisen mag es dann auch zu Auseinandersetzungen kommen. Diesem Problem kann man eigentlich nur dann beikommen, wenn sich die Landesregierung und auch die kommunalen Träger der INTERREG-Zusammenarbeit einig sind, dass solche Projekte sinnvoll und förderungsfähig sind. Ob das im Einzelfall so ist, wage ich derzeit zu bezweifeln.

Deshalb ist der zweite Schritt, den die Grünen im Antrag anführen, ein wichtiger Schritt. Die interessierten Kommunen müssen über solche Konzeptionen informiert werden, und die entsprechenden Planungsmöglichkeiten müssen aufgezeigt werden. Ich gehe sogar einen Schritt weiter: Gemeinsam mit den regionalen INTERREG-Begleitausschüssen muss die Landesregierung über die vorhandenen Fördermöglichkeiten informieren und aktiv für ein Pilotprojekt werben. Denn wenn eine Kommune etwas umbauen will, wenn eine Kommune etwas entwickeln will, kann man diese Idee mit einbauen, und dann kann man die entsprechenden Fördermittel mit einwerben. Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, dass wir nicht nur einzelne Kommunen in diesen Vorhaben unterstützen, sondern dass sich auch ein Landkreis als Region mit gemeinsamen Verkehrsräumen profilieren könnte.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hier könnten kreisangehörige Gemeinden mit entsprechenden Ideen gemeinsam unter dem Dach des Kreises ihre Projekte vorantreiben. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund notwendig, dass bei uns die Gemeindestrukturen immer noch so klein sind, dass die Gemeinden allein hier Schwierigkeiten bekommen könnten, eine gute Planung auf die Beine zu stellen.

Folgt man dem Beispiel der Provinz Friesland in den Niederlanden, die zugegebenermaßen schon jetzt größere Gemeinden hat, so könnten wir hier Modelle umsetzen, die möglicherweise auch den Tourismus fördern könnten. Die Botschaft, dass sich ein Landkreis übergemeindlich für verkehrsberuhigende Maßnahmen einsetzt, wäre sicherlich eine Botschaft, die bei potenziellen Gästen gut ankäme.

Deshalb ist es richtig, dass das Land hier eine koordinierende Funktion einnimmt und zumindest mit den Landkreisen sowie den Städten und Gemeinden spricht, um auch die für solche Maßnahmen zur Verfügung stehenden INTERREG-Mittel in unser Land zu holen. Denn um die geht es. Wenn schon etwas gemacht werden soll, wenn man diese Idee mit einbauen kann, dann sollte man das Geld nicht anderen Ländern überlassen, sondern dann sollten wir die INTERREG-Mittel in unser Land holen.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zurufe von CDU und FDP)

Ich danke Herrn Abgeordneten Lars Harms. - Das Wort für einen Kurzbeitrag hat nun Herr Abgeordneter Karl-Martin Hentschel.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Anlass des Antrages ist die Diskussion, dass Bad Segeberg als erste Kommune in Schleswig-Holstein ein solches Projekt durchführen soll und dass die Verkehrsaufsicht des Kreises davon abgeraten hat, weil die entsprechenden Planungsvoraussetzungen in Schleswig-Holstein dem entgegenstünden. Das ist der Anlass.

Es geht uns nicht darum, wie der Kollege Kubicki meinte, dass etwas passieren soll. Das ist völliger Blödsinn, das steht im Antrag nicht drin, sondern es soll die Möglichkeit geschaffen werden.

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Solche Diskussionen über neue Ideen sind mir nicht fremd. Ich erinnere mich noch daran, wie wir vor acht oder zehn Jahren gesagt hatten: Wir wollen in Schleswig-Holstein verstärkt Kreisel einführen. Damals wurden hier im Landtag völlig irre Debatten geführt. Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass die Einführung von Kreiseln an den entsprechenden Kreuzungen dazu geführt hat, dass die Zahl der Verkehrsunfälle nach einer Untersuchung des Wirtschaftsministeriums um 80 % zurückgegangen ist. Außerdem spart es erhebliche Kosten für den Betrieb von Ampeln.

Natürlich kostet auch der Umbau etwas. Wenn eine Innenstadt sowieso neu gestaltet wird, dann ist es mittelfristig enorm kostensparend, Verkehrsschilder und Ampeln einzusparen. Das heißt, die Frage der

(Lars Harms)

Kosten ist mittelfristig - auch bei diesen SharedSpace-Konzepten - durchaus positiv zu bewerten.

Ich warne davor, hier Dinge an die Wand zu malen, die nicht existieren. Den Beitrag von Herrn Jasper kann ich nur so interpretieren: Wenn etwas neu kommt, schürt das erst einmal Ängste und führt zu Verunsicherung. Da muss man mit Humor reagieren. Das finde ich ganz nett. Das ist besser, als mit Aggressionen zu reagieren. Das ist in Ordnung, aber ich empfehle für die Zukunft, wenn es sich um EU-Programme handelt, sich zunächst mit dem Programm auseinanderzusetzen, bevor man hier Witze erzählt und damit dokumentiert, dass man von der Sache keine Ahnung hat, Herr Jasper.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Abschließend möchte ich sagen: Bezüglich des Hinweises von Herrn Kubicki, rechts habe Vorfahrt vor links, meine ich, man sollte die Frage der Verkehrsregelungen nicht so sehr parteipolitisch sehen. Andernfalls müssten wir Grünen natürlich an der Ampel festhalten, denn die Ampel signalisiert ja: Grün bedeutet Vorfahrt, Gelb deutet auf Langeweile hin, da man warten muss, Rot steht für Halt, und Schwarz kommt überhaupt nicht vor.

(Günther Hildebrand [FDP]: Und Grün steht für alle möglichen Richtungen!)

Ich sehe das nicht parteipolitisch, sondern rein verkehrspolitisch.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort für die Landesregierung hat nun Herr Verkehrsminister Dr. Werner Marnette.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nachdem wir uns jetzt darüber verständigt haben, was „Shared Space“ eigentlich bedeutet, brauche ich mich hierüber nicht mehr näher auszulassen. Wir haben eine gültige Straßenverkehrsordnung.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: So ist es!)

Aus diesem Grund - das ist jedenfalls meine Überzeugung - müssen wir das Rad nicht immer wieder neu erfinden. Im ländlichen Raum ist ein geteilter Verkehrsraum im Übrigen schon längst keine Seltenheit mehr.