Protokoll der Sitzung vom 09.10.2008

Ich füge hinzu: Die Bürger sind auch keine Dorfbürger, Kreisbürger, Landesbürger, Bundesbürger oder Europabürger, sondern sie sind Bürger, die Steuern zahlen. Sie erwarten, dass der Staat ihnen für diese Steuern ein Bildungssystem gibt, das gerecht ist, das sie nicht benachteiligt und das ihren Kindern Chancen für ihre Zukunft und für die Zukunft des Landes gewährt.

(Beifall bei der SPD)

Insofern stellt sich die Frage, was mit den Kommunen ist. Wir wollen eigentlich nur, dass die Kommunen nicht an den Kindern sparen. Wir wollen, dass sie das, was sie momentan für Sozialstaffeln und für Bürokratie ausgeben, für die Kinderförderung einsetzen. Hier gibt es nämlich viel Bürokratie. Wir wollen, dass sie etwas tun. Verehrter Herr Kollege Kalinka, die Kommunen werden mit ihrer Freiwilligkeit enorm viel einsparen. Sie haben also die Chance, dieses Geld in diesem Bereich einzusetzen. Ich setze übrigens auch auf die Gemeinden. Auch das hat Frau Erdsiek-Rave zu Recht gesagt. Ich weiß gar nicht, warum Sie sich so aufregen, das ist so. Die Gemeinden wissen, dass es ein Standort

(Dr. Ralf Stegner)

vorteil ist, wenn man gute Bildung und eine vernünftige Kinderbetreuung anbieten kann. Ich bin sicher, dass wir mit ihnen partnerschaftlich darüber reden können.

(Beifall bei der SPD)

Auch der Bund wird sich beteiligen, denn ich höre, dass Frau Merkel unterwegs ist, um Kindertagesstätten zu besuchen. Das ist gut. Am Ende wird hoffentlich herauskommen, dass sich der Bund an den Kosten beteiligen wird, denn das ist vernünftig, auch wenn die Föderalismuskommission I dies leider nicht geregelt hat.

Sehr verehrter Herr Carstensen, was die Turbulenzen der letzten Tage angeht, so muss ich sagen, es ist sehr praktisch, wenn Fraktionsvorsitzende und Parteivorsitzende an einem Strick in die gleiche Richtung ziehen. Diese Erfahrung haben wir gemacht. Das ist sehr nützlich, damit hat die SPD gute Erfahrungen gemacht. In diesem Sinne könnten wir - so glaube ich - versuchen, der Opposition und anderen heute kein Spektakel zu bieten, sondern einen Teil von Handlungsfähigkeit.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Wie geht es weiter? - Es geht so weiter, dass wir im Dezember einen verfassungskonformen Haushalt beschließen werden, in dem geregelt wird -

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das gucken wir uns an! - Unruhe)

Einen Augenblick bitte! Die FDP ist nicht dran; weder einstimmig noch vierstimmig.

Wir werden dann Gespräche mit den Kommunen führen. Wir werden im Mai - wie vereinbart - das Gesetz verabschieden. Ich sage Ihnen: Nach der Landtagswahl, wenn die Bürger wieder das Wort haben, wird sich zeigen, wer in der Verantwortung sein wird, das zu regeln.

Für die SPD füge ich glasklar hinzu: Wenn wir in die Situation geraten sollten, dass die Verfassungskonformität des Haushalts an der Frage der Beitragsfreiheit für die Kindertagesstätten im zweiten oder im ersten Jahr scheitern würde, dann sage ich, dass wir diesen Betrag an anderer Stelle einsparen würden. Wir würden die Priorität bei den Kindern und den Eltern in Schleswig-Holstein setzen. Ein Beispiel wäre eine konsequente Verwaltungsre

form, die die SPD im Gegensatz zu anderen durchsetzen würde.

(Beifall bei der SPD)

Als Fazit will ich sagen: Wir mögen uns aufregen, streiten und über dieses oder jenes miteinander debattieren, aber ich sage Ihnen voraus: Im Jahr 2015 wird es in der Bundesrepublik nirgendwo mehr Gebühren für Kindertagesstätten geben. Dort, wo Sozialdemokraten mitregieren, wird es auch keine Studiengebühren geben, weil wir wissen: Wir wollen nicht mit Österreich in der Frage um die rote Laterne wetteifern, wer das schlechteste Bildungssystem hat. Wir wollen einen Aufstieg durch Bildung, wir wollen weg von den Bildungsbarrieren. Das ist unsere Zukunft, das ist unser Wohlstand, und das ist soziale Gerechtigkeit. Die SPD wird dies durchsetzen.

(Beifall bei der SPD)

Ich danke Herrn Abgeordneten Dr. Stegner. - Für die FDP-Fraktion hat nun Herr Abgeordneter Dr. Ekkehard Klug das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die FDP-Fraktion begrüßt die Einführung eines beitragsfreien Kindergartenjahres. Die damit verbundene Entlastung der Eltern ist ein großer Vorteil. Darüber hinaus bringt die Beitragsfreiheit des KitaBesuchs auch bildungs- und gesellschaftspolitisch einen hohen Nutzen. Dieser Nutzen wäre allerdings am höchsten, wenn man zunächst das erste Kindergartenjahr - also den Kita-Besuch der dreijährigen Kinder - beitragsfrei gestalten würde.

(Beifall bei der FDP)

Dann würden nämlich wesentlich mehr Kinder als bisher bereits vom dritten Lebensjahr an einen Kindergarten besuchen. Dies aber erhöht die Bildungschancen vieler Kinder weitaus stärker als eine Kostenübernahme, die zunächst nur die Eltern der Fünfjährigen erreicht.

Eigentlich wäre diese Landtagsdebatte dazu da, über solche inhaltlichen Alternativen zur bisherigen Planung der Landesregierung zu diskutieren, in aller Sachlichkeit Argumente auszutauschen und die Frage zu stellen, wie denn am besten eine möglichst höhere Qualität der Vorschulbildung erreicht werden kann. Es ist in der Tat einfach sinnvoll, den Anreiz zum Kindergartenbesuch für die fehlenden

(Dr. Ralf Stegner)

circa 35 % durch die Einführung der Beitragsfreiheit zu erhöhen, was dem Effekt bei der Einführung für das erste Kindergartenjahr entspräche, anstatt einen Anreiz für die fehlenden 5 %, die es ja beim letzten Kindergartenjahr sind, mit der Beitragsfreiheit einzuführen.

Meine Damen und Herren, wenn das Land in diesem Bereich schon zweistellige Millionenbeträge in die Hand nimmt, dann sollte das doch mit der größtmöglichen Wirkung verbunden sein.

(Beifall bei der FDP)

Solche Fragen werden aber durch den Koalitionsstreit der letzten Tage völlig in den Hintergrund gedrängt, und das ist schade.

Die Große Koalition weiß nicht, was sie will. Sie weiß nicht, worauf sie sich geeinigt hat, und sie weiß auch nicht, wie sie aus der selbst geschaffenen, ziemlich verworrenen Lage wieder herauskommen will.

Kurz gesagt: Die Politik der Großen Koalition stellt sich so solide dar wie die Offerten der Gebrüder Lehman am Tag des Insolvenzantrags. Wie wir ja wissen, gab es an diesem Tag in Deutschland sogar noch ein paar Dussel, die einen dreistelligen Millionenbetrag an die New Yorker Bank überwiesen haben.

Das landespolitische Äquivalent zu diesem Beispiel für blindes Vertrauen bieten heute unsere lieben Sozialdemokraten. Sie setzen auf eine politische Spekulationsblase. Sie sagen zu den Wählern: Investiert in den Hedge-Fonds Stegner 2011.

(Heiterkeit bei FDP und CDU)

Irgendwoher wird die SPD in der nächsten Wahlperiode das Geld für die zweite und dritte Stufe der Beitragsfreiheit schon nehmen und allfällige Fehlbeträge anderswo sparen - Originalzitat von Herrn Stegner.

(Beifall bei der FDP)

Nun sagt uns Herr Stegner leider nicht, wo. Vielleicht bei den Schulen, bei der Polizei, bei der Justiz, bei den Hochschulen?

Unser sozialdemokratischer Dagobert Duck öffnet die Tür zu seinem Geldspeicher und stellt fest: Der ist leer. Die Panzerknacker haben ihn ausgeräumt. Die Panzerknacker - das wären in diesem Falle doch jene, die unser Land in den letzten beiden Jahrzehnten in eine beispiellose Finanzmisere hineinmanövriert haben. Wer war das eigentlich?

(Beifall bei FDP und CDU)

Da setzt jemand ganz offenkundig auf die Vergesslichkeit der Bürger. Sicher: Eine volle Beitragsfreiheit für alle Kindergartenjahre ist sehr wünschenswert. Sie für kommende Jahre ohne jede finanzielle Basis zu versprechen, ist aber ein offensichtliches politisches Betrugsmanöver.

(Beifall bei der FDP)

Jeder weiß inzwischen, dass unser Land - nicht nur Schleswig-Holstein, sondern auch Deutschland insgesamt und die Europäische Union - vor schweren wirtschaftlichen Jahren steht. Der Haushaltsentwurf der Großen Koalition geht aber noch davon aus, dass die Einnahmen aus der Lohnsteuer für dieses Jahr auf 1,7 Milliarden € veranschlagt sind, im kommenden Jahr sogar auf 2 Milliarden € und 2011 dann auf 2,1 Milliarden € steigen werden. Das ist eine sensationelle Aufwärtsentwicklung, was angesichts der wirtschaftlichen Aussichten für die kommenden Jahre auch unglaublich überzeugend ist. Wohin man blickt: Die Große Koalition baut ihre Politik auf Luftschlösser. Ich frage Sie: Was unterscheidet diese Politik von den Finanzmärkten, auf denen man auch auf Luftschlösser gebaut hat?

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Gute Frage!)

Dabei bestehen nicht einmal die Berechnungen für das erste Kindergartenjahr, die die Sozialdemokraten selbst anstellen, einen Härtetest. Der Schleswig-Holsteinische Gemeindetag sagt: Ein monatlicher Betrag von 120 € pro Kind, wie ihn die Landesregierung zugrunde legt, reicht für beitragsfreie Kita-Jahre bei Weitem nicht aus. - Pressemitteilung des Gemeindetages vom 2. Oktober.

Der sozialdemokratische Bürgermeister von Lübeck, Bernd Saxe, erklärt als Vorsitzender des Städtetages - ich zitiere aus der „Dithmarscher Landeszeitung“ vom 7. Oktober -: Der Beschluss der Großen Koalition gehe zulasten der Kommunen, die durch den Griff in den kommunalen Finanzausgleich bereits erheblich geschwächt worden seien und auf die noch unabsehbare Kosten, unter anderem durch die Schulreform, zukämen. Saxe: „Wir können nicht auch noch zusätzliche Mittel für die Beitragsfreiheit der Kita-Plätze schultern.“

Fazit: Die Landesregierung hat nicht einmal für eine solide finanzielle Absicherung eines einzigen beitragsfreien Kindergartenjahres gesorgt. In der Landtagsdebatte vom 23. April 2008 - man kann das im Plenarprotokoll nachzulesen - hat die Kollegin der SPD, Frau Höfs, Folgendes erklärt - ich zitiere -:

(Dr. Ekkehard Klug)

„Wenn wir ab August 2009 für das letzte Kita-Jahr keine Beiträge erheben, würde das Land für das restliche Jahr 2009 eine Belastung von über 19 Millionen € zu tragen haben, wenn wir unterstellen, dass alle Kinder von diesem Angebot Gebrauch machen. Im Jahr 2010 würden zusätzlich 44 Millionen € benötigt.“

So weit das Zitat der Kollegin Frau Höfs im Landtagsplenum Ende April.

Blickt man in die Antworten der Landesregierung auf die Fragen meiner Fraktion zum Haushaltsentwurf, so liest man Folgendes: Die Regierung kalkuliert bei ihren Ansätzen zunächst mit einer Versorgungsquote von 94 %. Gemessen an den von Frau Höfs im April genannten Zahlen würde ein Anteil von 94 % für das Jahr 2009 die Summe von knapp 18 Millionen € und für 2010 die Summe von rund 41,5 Millionen € ausmachen. Man kann jedoch im Haushaltsentwurf der Landesregierung nachlesen, dass im Einzelplan der Bildungsministerin nur Beträge von 14,6 Millionen € für das Jahr 2009 beziehungsweise 35 Millionen € für das Jahr 2010 eingeplant sind.

Selbst die eigenen Berechnungen der Sozialdemokraten, wie sie hier von den Vertretern der SPD vorgetragen worden sind, weisen - wenn man das abgleicht mit dem, was die Landesregierung tatsächlich einstellt - einen Fehlbetrag von rund 10 Millionen € für beide Haushaltsjahre auf,

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

ohne dass man berücksichtigt, ob da nicht der Anreiz einer Beitragsfreiheit zu einer wesentlich höheren Inanspruchnahme führt, und ohne zu berücksichtigen, ob die Berechnungsbasis - die famosen 120 € pro Kind und pro Monat - die realen Kosten eines Kindergartenplatzes widerspiegeln.