Protokoll der Sitzung vom 12.11.2008

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 37. Tagung des Schleswig-Holsteinischen Landtags. Das Haus ist ordnungsgemäß einberufen und beschlussfähig.

Erkrankt ist der Kollege Konrad Nabel. Wir wünschen ihm gute Besserung.

(Beifall)

Beurlaubt ist die Kollegin Ulrike Rodust.

Meine Damen und Herren, die Fraktionen und die Abgeordneten des SSW haben sich darauf verständigt, die erste Lesung des Gesetzentwurfs der Landesregierung zur Änderung des Landesverwaltungsgesetzes und des Kirchenaustrittsgesetzes, Drucksache 16/2313, in dieser Tagung zu behandeln. Ich schlage Ihnen vor, den Gesetzentwurf als Punkt 13 a in die Tagesordnung einzureihen und ohne Aussprache an den Innen- und Rechtsausschuss zu überweisen. Der Tagesordnungspunkt ist der Sammeldrucksache 16/2309 hinzugefügt worden. - Ich höre keinen Widerspruch, dann werden wir so verfahren.

Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen eine Aufstellung der im Ältestenrat vereinbarten Redezeiten übermittelt. Der Ältestenrat hat sich verständigt, die Tagesordnung in der ausgedruckten Reihenfolge mit folgenden Maßgaben zu behandeln:

Zu den Tagesordnungspunkten 4, 5, 7, 10, 14, 18, 20, 26, 28 und 29 ist eine Aussprache nicht geplant.

Zur gemeinsamen Beratung sind die Tagesordnungspunkte 2, 17 und 22 - Regierungserklärung sowie Anträge zu den Folgen der Entwicklung auf den internationalen Finanzmärkten und den Auswirkungen des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes des Bundes auf Schleswig-Holstein - vorgesehen sowie die Punkte 21 und 23, Anträge zum „Bildungsgipfel“.

Von der Tagesordnung abgesetzt werden sollen die Tagesordnungspunkte 6, 15 und 27.

Anträge zu einer Fragestunde oder einer Aktuellen Stunde liegen nicht vor.

Wann die weiteren Tagesordnungspunkte voraussichtlich aufgerufen werden, ergibt sich aus der Ihnen vorliegenden Übersicht über die Reihenfolge der Beratungen in der 37. Tagung.

Wir werden jeweils unter Einschluss einer zweistündigen Mittagspause heute und morgen läng

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stens bis 18 Uhr tagen. Am Freitag ist keine Sitzung vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch; dann werden wir so verfahren.

Meine Damen und Herren, auf der Tribüne begrüße ich Schülerinnen und Schüler der Käthe-KollwitzSchule mit ihren Lehrkräften sowie unsere früheren Kollegen Poppendiecker und Wiebe. – Seien Sie uns herzlich willkommen!

(Beifall)

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 2, 17 und 22 auf:

Gemeinsame Beratung

a) Regierungserklärung zu den Folgen der Entwicklung auf den internationalen Finanzmärkten

b) Auswirkungen der internationalen Finanzkrise

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/2274

c) Auswirkungen des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes des Bundes auf Schleswig-Holstein

Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/2293

Für die Landesregierung erteile ich Herrn Finanzminister Rainer Wiegard das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit Mitte des letzten Jahres haben wir es weltweit mit der wohl schwersten Finanzmarktkrise der letzen 100 Jahre zu tun. Sie hat sich aus der Immobilienkrise in den USA entwickelt. Diese Krise hat vielfältige Auswirkungen. Personell hat sie jetzt auch die HSH Nordbank erreicht. Vorstandsvorsitzender Hans Berger hat vorgestern seinen Rücktritt angeboten. Der Aufsichtsrat wird kurzfristig über seine Abberufung entscheiden. Noch bis vor wenigen Tagen hat der Vorstandsvorsitzende der Bank den Eigentümern, den Gremien, dem Kabinett und dem Finanzausschuss des Landtags gegenüber den Eindruck vermittelt, dass die Krise beherrschbar sei. Daran gibt es nun erhebliche Zweifel, denn dies

setzt ein verlässliches Zahlenwerk in der Bank voraus. Seit den letzen Tagen gibt es neue Hinweise auf möglicherweise weiteren erheblichen Abschreibungsbedarf aus Kapitalmarkttransaktionen, die aus dem Jahr 2008 stammen. Das haben und hatten wir bisher definitiv ausgeschlossen.

Der Aufsichtsratsvorsitzende hat deshalb in Abstimmung mit den Eigentümern die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG - sie ist der neue Abschlussprüfer der Bank - beauftragt, über den Rahmen der Abschlussprüfung hinaus alle wesentlichen Kapitaltransaktionen im Hinblick auf die bilanzielle Wirkung für das Geschäftsjahr 2008 zu überprüfen.

Diese Fakten müssen unverzüglich und vollständig auf den Tisch. Es ist ein ungewöhnlicher Vorgang, dass ein Aufsichtsrat eine Sonderprüfung dieses Ausmaßes beauftragt.

Die Situation verdeutlicht, dass das Vertrauen in den Vorstandsvorsitzenden der HSH Nordbank nicht mehr existiert. Auch wenn das hier einen Regierungserklärung ist, die mit persönlicher Betroffenheit nicht so viel zu tun hat, will ich schon sagen, dass ich darüber auch persönlich enttäuscht bin, weil ich mich bisher auf die Berichte verlassen konnte und verlassen habe. Ich halte die Abberufung von Hans Berger für einen konsequenten und notwendigen, aber auch unausweichlichen Schritt. Nach wie vor bin ich überzeugt, dass die internationale Finanzmarktkrise in ihren Auswirkungen und in ihrer Dauer von niemandem vorhersehbar war. Wer heute behauptet, man hätte Risiken in ihrem Ausmaß erkennen müssen, der täuscht sich selbst und die Öffentlichkeit. Noch heute ist niemand in der Lage, die weiteren Wirkungen definitiv vorherzusagen. Dass möglicherweise Wirkungen rückwirkend zutage treten, ist nicht akzeptabel.

Meine Damen und Herren, in dieser Finanzmarktkrise haben die Märkte versagt. Ursache der Krise war die expansive Geldmarktpolitik der amerikanischen Notenbank mit extrem niedrigen Zinsen und absolut unzureichenden Standards der Kreditvergabe. Millionenfach wurden Kredite auch an Schuldner mit mangelnder Bonität vergeben und Immobilienpreise ohne jeden Bezug zu ihrem tatsächlichen Wert in fantastische Höhen getrieben. Diese sogenannte Immobilienblase ist geplatzt und hat sich inzwischen wegen ihrer weltweiten Verbreitung und der Unsicherheit der Märkte - jeder misstraut jedem - zu einer ernsten weltweiten Krise der internationalen Finanzmärkte entwickelt. Sie ist also nicht mehr allein auf den Immobilienmarkt beschränkt.

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(Präsident Martin Kayenburg)

Diese Krise wird uns noch weit über das Jahr 2009 hinaus beschäftigen. Denn sie birgt weitere mögliche Gefahren. Sie birgt vor allem auch Gefahren für die weltweite Konjunktur- und Wachstumsentwicklung. Auch in Deutschland trübt sich die konjunkturelle Lage in diesem Jahr ein. Das wirtschaftliche Wachstum wird im kommenden Jahr nahe null liegen. Gestiegene Rohstoffpreise verteuern die Produktion, belasten private Haushalte und beeinträchtigen den privaten Konsum. Die Investitionsneigung in der Wirtschaft und die Daten für Produktion und Nachfrage weisen nach unten.

Zudem hat sich bis zum Sommer die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft durch eine Aufwertung des Euro verschlechtert. Das relativiert sich zwar derzeit wieder, aber die Wirkungen aus dem ersten Halbjahr sind deutlich spürbar. Diese Entwicklung hat zur Folge, dass sich die Ertragsaussichten der Unternehmen verschlechtern und damit die Investitionstätigkeit nachlässt. Dabei, meine Damen und Herren, ist die Finanzmarkkrise der letzten 18 Monate nicht etwa Ursache für die sich abschwächende Konjunkturentwicklung. Das Schlimme ist, dass sie eine bereits eintretende Abschwächung der weltweiten Konjunkturentwicklung in einer Phase verstärkt, in der wir sie überhaupt nicht gebrauchen können.

Deshalb ist auch klar: Die Finanzkrise ist kein deutsches Spezifikum und erst recht kein norddeutsches. Wir sind allerdings in einer Welt offener Grenzen und freier Märkte von den Auswirkungen gleichwohl betroffen. Zugleich sind wir alle aufgefordert, uns vor Überdramatisierungen - damit meine ich den politischen Bereich - ebenso wie vor allzu populistischen Forderungen und Untertönen zu hüten, weil sie in der Öffentlichkeit möglicherweise Erwartungen wecken, die so nicht erfüllbar sein werden.

Die Finanzwelt wird nach dieser Krise nicht wieder so aussehen wie vor der Krise. Das ist übrigens bei allen problematischen Wirkungen, die sich inzwischen einstellen, nicht einmal das schlechteste Ergebnis. Stabile und funktionsfähige Finanzmärkte sind Voraussetzung für eine funktionierende Wirtschaft. Deshalb gehören diese Märkte nicht etwa den Banken und auch nicht denen, die in den Banken handeln. Sie sind fundamentaler Bestandteil unserer Wirtschaftsordnung, damit Betriebe und Unternehmen innovative Investitionen, die öffentliche Hand die notwendige Infrastruktur und Herr und Frau Bürger ihr Eigenheim finanzieren und Vorsorge für ihr Alter treffen können.

In der Bundestagsdebatte zu diesem Thema wurde deshalb vom Finanzmarkt als einem öffentlichen Gut gesprochen. Ich glaube, dass das eine gute, richtige und zutreffende Beschreibung ist. Dieses wichtige öffentliche Gut muss der Staat schützen. Der Staat hat für einen funktionierenden Markt zu sorgen. Das ist übrigens auch die bittere Erkenntnis für diejenigen, die ständig nach immer mehr Markt und weniger Staat rufen.

(Beifall bei CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Erinnern wir uns, meine Damen und Herren: Im Juni 2007 gibt es massive Verluste bei Hedgefonds der New Yorker Investmentbank Bear Stearns. Im August 2007 geraten auch deutsche Banken in Schwierigkeiten. Rettungsaktionen werden für die Mittelstandsbank IKB, für die SachsenLB, für die WestLB organisiert. Im September 2007 stürmen besorgte Kunden die Schalter der britischen Bank Northern Rock; die Bilder haben wir alle in den Tageszeitungen und Nachrichtensendungen gesehen. Anfang September 2008 übernimmt die US-Regierung die Kontrolle bei den US-Hypothekenfinanzieren Fannie Mae und Freddie Mac mit einem Volumen von 200 Milliarden US-$, und am 15. September dieses Jahres geht die viertgrößte amerikanische Investmentbank in Insolvenz, die über 150 Jahre alte Traditionsbank Lehman Brothers. Die drittgrößte Investmentbank, Merrill Lynch, wird zur Vermeidung einer Insolvenz von der Bank of America gekauft. Morgan Stanley und Goldman Sachs, die Nummern eins und zwei dieser Bankenkategorie, geben ihren Sonderstatus auf. Es gibt seitdem keine Investmentbanken mehr. Der zweitgrößte Versicherer der Welt, die amerikanische AIG, wird mit 85 Milliarden US-$ verstaatlicht. Die Notenbanken intervenieren gleich mehrfach mit Liquiditätszuflüssen, mit Tendern in dreistelliger Milliardenhöhe. Das ist eine gewaltige Auswirkung, die so niemand hat vorhersehen können.

Meine Damen und Herren, der Markt hat versagt, und zwar zuallererst und weitgehend der nicht regulierte Markt in den USA. Dort mangelt es an einem hinreichenden Rahmen für einen stabilen Bankenmarkt. Unter diesen Folgen müssen nun auch die Marktteilnehmer in Deutschlands leiden, die einer wirklich strengeren Regulierung unterworfen sind. Hätten sich die Vereinigten Staaten an das hiesige Regelwerk gehalten, das für die Kreditvergaben gilt, wäre es nicht zu dieser Immobilienkrise gekommen, und damit wäre uns die dramatische Krise der Finanzmärkte mit ihren möglichen Auswirkun

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(Minister Rainer Wiegard)

gen auf Konjunktur und Wachstum erspart geblieben.

(Beifall bei CDU und SPD)

Deshalb sage ich noch einmal deutlich: Hier hat zunächst der Markt versagt. Die Politik hat die Krise nicht ausgelöst, aber die Politik muss Wege aus dieser Krise weisen. Wenn Märkte versagen, obliegt der Politik die Aufgabe, die notwendigen Entscheidungen zu treffen und den Rahmen für künftiges Handeln zu bestimmen.

Niemand hat eine derartige Eskalation an den Finanzmärkten und ihre Auswirkungen insbesondere auch auf deutsche Banken vorsehen können. Wer heute behauptet, er habe das schon immer gewusst, der hat dieses Wissen seinerzeit für sich behalten.

(Zuruf des Abgeordneten Holger Astrup [SPD])

- Herr Kollege, ich kenne keine einzige Mitteilung aus der Zeit vor dem 15. September, die darauf hindeutete, dass Lehman Brothers pleitegeht, dass Merrill Lynch fast pleitegeht, dass auch die anderen Banken zusammenbrechen und dass es nachher praktisch keine Liquidität im Interbankenhandel gibt. Darauf hat es keine Hinweise geben können.

(Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Aber darauf, dass die Finanzmärkte zusammenbrechen!)

Genau dieses Datum, die Pleite von Lehman Brothers am 15. September, ist ein besonderes Datum. Denn mit diesem Datum scheiden sich die Ereignisse in eine Zeit davor und eine Zeit danach, weil diese Insolvenz - es war übrigens einer der größten Fehler der amerikanischen Finanzpolitik, sie nicht abzuwenden - eine gewaltige Entwicklung insbesondere in Europa und Deutschland ausgelöst hat.

Lehman Brothers hatte eine Bilanzsumme von 800 Milliarden US-$. Davon war gut die Hälfte 400 Milliarden US-$ - auf das Europa-Geschäft ausgerichtet, und auf Deutschland entfiel ein ganz beträchtlicher Teil. Damit war nahezu jede international im Investmentgeschäft operierende Bank von dieser Insolvenz betroffen - in Italien, in Frankreich, in England, in den Niederlanden und auch in Deutschland. Darüber sind in einer Art Dominoeffekt auch die Hypo Real Estate in erhebliche Bedrängnis und andere Banken in sehr schwierige Lagen gebracht worden; dazu gehört neben anderen auch die HSH Nordbank.