Deshalb erwarten wir, dass sich die Enquetekommission neben der Auslotung von Synergieeffekten und neben der Fragestellung bürgerfreundlicher Strukturen auch mit der Sicherung der parlamentarischen Rechte beschäftigt.
Meine Damen und Herren, ich möchte mich bei meinen Kolleginnen und Kollegen von der SPD dafür bedanken, dass es uns im Vorfeld gelungen ist, gemeinsam einen Antrag zu formulieren. Unser Antrag war gut, aber mit Ihrer Hilfe ist er noch besser geworden. Insofern ist es eine gute Grundlage für die Enquetekommission. Wir haben damit auch die Möglichkeit, mit einem Viertel der Stimmen diese Enquetekommission heute mit unserem Minderheitsrecht zu beschließen. Es kann also losgehen. Ich hoffe, dass es eine gute und produktive Arbeit der Enquetekommission wird, ergebnisorientiert und mit konkreten Handlungsempfehlungen.
Das Wort hat der Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion, Herr Abgeordneter Dr. Christian von Boetticher.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Jahre 2004 hat eine Lüneburger Studentin, Frau Joana Jäger, eine Umfrage in Pinneberg gemacht, was die Pinneberger an ihrer Stadt am meisten schätzen. Die überraschende und doch nicht überraschende Antwort war die Nähe zu Hamburg. Das kennzeichnet wieder relativ gut die Wechselbeziehung, die man im Hamburger Umland zu der großen Nachbarstadt, der Hansestadt Hamburg, hat. 134.000 Menschen pendeln täglich aus Schleswig-Holstein nach Hamburg. Im Übrigen, nur um zu zeigen, dass auch die Wechselbeziehungen zwischen den Ländern sehr unterschiedlich sind: Aus dem ganzen Bereich Niedersachsen sind es gerade einmal 78.800. Was noch eklatanter auffällt: Aus dem Bereich Mecklenburg-Vorpommern sind es gar nur 9.200.
Das zeigt schon, dass diese Wechselbeziehungen zwischen den norddeutschen Ländern sehr unterschiedlich sind.
Die Frage, dass wir kooperieren müssen, dass wir mehr machen müssen, als wir heute tun, erschließt sich, glaube ich, allen Parlamentariern. Wir leben in einer Zeit der Globalisierung, des zusammenwachsenden Europas auf der einen Seite, das uns dazu zwingt, Strukturen in Deutschland zu hinterfragen. Wir haben auf der anderen Seite - das hat Frau Kollegin Heinold uns zu Recht ausgeführt - die verschuldeten Haushalte, die im Augenblick im Mittelpunkt der Debatten stehen. Auch von der Seite her empfiehlt es sich, Strukturen infrage zu stellen und zu schauen, ob man sich in Zukunft anders aufstellen muss.
Dabei gilt für uns die Losung: So viel Föderalismus wie möglich, aber auch so viel Kooperation wie nötig. Wir werden dort deutlich mehr machen müssen, als es in der Vergangenheit der Fall gewesen ist.
Norddeutsche Kooperation ist dort ein richtiges und gutes Stichwort. Wir haben als Schleswig-Holsteiner in den vergangenen Jahren eine ganze Menge auf den Weg gebracht, nicht nur die letzte Landesregierung in der Großen Koalition, sondern die Anknüpfungspunkte gab es auch schon früher. Ich nenne einmal die großen Cluster: Hafen und Logistik, Medizin und Biomedizin oder Luftfahrttechnik, wo der eine ohne den anderen nicht erfolgreich sein kann. Aber wir haben auch wechselseitige Abhängigkeiten im täglichen Arbeitsleben, beispielsweise Abhängigkeit der Hamburger von der Arbeitskraft, der Ausbildung - und ich füge schmunzelnd das dritte A hinzu - der Ausgleichflächen in Schleswig-Holstein und auf der anderen Seite die Abhängigkeit auch von uns nach Hamburg in Infrastruktur wie Häfen und Flughäfen, Kulturangebote, aber natürlich auch Bereitstellung der Arbeitsplätze.
Ich sage ganz bewusst: Es ist nicht so, dass wir heute bei null anfangen oder über null debattieren müssen, in der Zwischenzeit ist viel an Kooperation geschehen. Ich nenne Dataport, die Statistischen Landesämter, zu denen ich gleich noch etwas sagen werde, Eichdirektion Nord, die gemeinsame Vertretung im Hanse-Office, gemeinsame Vertretungen insgesamt in Europa, aber auch die Landesmedienanstalt.
Wir hatten in der letzten Wahlperiode eine Debatte, die weitergehend war. Wir hatten im Übrigen auch Arbeitsgruppen, die weitergehend gedacht haben. Ich denke an den Kollegen Döring im Bereich des Gerichtswesens, der ja ganz konkret in Verhandlungen mit dem Hamburger Kollegen darüber war, wie
man weitergehen kann. Wir stellen immer wieder fest, woran es genau bei diesen Fragen am Ende hapert. Am Ende war es auch beim Statistischen Landesamt nicht nur die Frage, dass jeder seine Räumlichkeiten behalten wollte, sondern es waren drei Fragen, die uns immer wieder an tiefgreifender Kooperation gehindert haben. Das ist eine fehlende gemeinsame IT-Technik. Wenn man nicht technisch miteinander vernetzt ist, ist es schwer, gemeinsame Behörden oder gemeinsame Einheiten herzustellen. Es ist ferner das fehlende gemeinsame Beamtenrecht, und es ist schließlich vor allen Dingen auch das fehlende Beamtenbesoldungsrecht; man darf das nicht unterschätzen. Auch da gibt es große Unterschiede, die eine Kooperation im Detail immer schwer werden lassen.
Ich sage das ganz bewusst, weil ich hier und heute nicht gegen eine Nordkooperation bin. Im Gegenteil, ich habe mich immer sehr dafür eingesetzt, und die eigene Biografie gibt das her. Wer mit 23 Jahren aus dem Kreistag heraus in die Metropolregionskonferenz gesetzt wird, zunächst glaubt, das sei ein ganz wichtiges Gremium für die Zusammenarbeit, und dann feststellt, dass wir zwar viele Gremien haben, aber relativ wenig Bewegung in der Kooperation, der weiß, glaube ich, wovon er redet.
Aber ich weiß auch, dass eine einzige Umfrage, die es bisher gegeben hat, 2005 gezeigt hat, dass auch der Wille der Bevölkerung dafür da ist, der am Ende gebraucht wird. Wir werden dieses Ziel, einen gemeinsamen Weg nur verwirklichen können, wenn er von den Menschen unterstützt wird. Aber es sind sehr viel Menschen mehr, als man manchmal in der Öffentlichkeit glaubt. Die repräsentative Umfrage hat damals gezeigt: 52 % in beiden Ländern, Hamburg und Schleswig-Holstein - darauf bezog sich die Umfrage -, sind für ein - ich sage jetzt ganz bewusst - gemeinsames Nordelbien. Mir geht der „Nordstaat“ langsam ein bisschen auf den Geist. Das, was zwischen Hamburg und SchleswigHolstein läuft, könnte man ganz getrost und guten Gewissens als Nordelbien bezeichnen. Dafür gibt es schon eine hohe Zustimmung.
Das Interessanteste bei der Umfrage war für mich damals, dass dabei nicht das herauskam, was wir gefühlt haben, nämlich dass die Begeisterung von Süden nach Norden abnimmt, sondern wir hatten bei einer repräsentativen Umfrage die höchsten Zustimmungswerte ganz im Norden. Das ist bei uns, wenn wir innerparteiliche Debatten führen, gefühlt anders. Aber ich stelle fest, dass das in der Bevölkerung durchaus so gesehen wird.
Darum ganz klar: Wir brauchen hier neue Wege. Wir brauchen die Analyse dessen, woran es bisher gescheitert ist, und wir brauchen auch gemeinsame weitere Schritte über Hamburg hinaus. In vielen Bereichen bietet sich auch eine größere Kooperation an.
Jetzt kommt das Aber, meine Damen und Herren. Die Frage, ob dafür eine Enquetekommission des Landtags die richtige Institution ist, um das Ganze, um diesen Gedanken, den wir und den ich vom Grund her völlig teilen, zu befördern, das ist in meinen Augen hoch fragwürdig. Wir haben dann eine Enquetekommission, die eine ganze Menge an Anhörungen produzieren wird, die auch, um zu Ergebnissen zu kommen, Gutachter beauftragt, die letztlich auch eine ganze Menge an Geld kosten wird. Das darf ich auch einmal sagen. Ich kenne ja die linke Rhetorik. Sie hätten jetzt gesagt, da wollen Sie 200.000 €, 300.000 € ausgeben, um ein bisschen als Landtag über die große Kooperation zu philosophieren, und gleichzeitig haben wir Kinder, die keine warme Mahlzeit bekommen. Das wäre Ihre Rhetorik; die will ich nicht.
Ich will Ihnen nur mal vorführen, wie das ist, weil Sie sehr schön Dinge miteinander verknüpfen, die relativ wenig miteinander zu tun haben. Ich will das nicht machen, ich will nur mal ganz deutlich sagen: Ich glaube, dass an der Stelle dieses Geld wirklich auch sinnvoller ausgegeben werden kann als dafür, dass wir uns mal wieder von null an Gedanken machen.
Ich hätte mir gewünscht, dass wir zu einer gemeinsamen Großen Anfrage an die Landesregierung kommen, in der mehrere Dinge ganz klar gemacht werden können, nämlich: Was ist bisher geleistet worden? Wo liegen die Probleme? Frau Kollegin Heinold, die haben Sie nämlich nicht geschildert. Ich habe nicht das Gefühl, dass das bei Ihnen wirklich vorhanden war. Es geht nicht darum, was geschehen ist und was nicht geschehen ist, sondern die entscheidende Frage ist, warum etwas nicht geschehen ist. Da wissen wir die Antworten. Die allein reichen uns aber nicht, sondern wir wollen wissen, wie die Regierung beabsichtigt, in den nächsten Jahren diese vorhandenen Defizite aufzuarbeiten und zu überwinden.
Aber das allein ist eine Analyse. Da wollen wir von der Landesregierung hören, was bisher geleistet worden ist und was noch geleistet werden soll. Ob es uns weiterbringt, wenn wir nun in einer großen
Enquetekommission zusammensitzen und am Ende Empfehlungen aussprechen werden für eine vertiefte Zusammenarbeit zwischen den norddeutschen Ländern, das wage ich zu bezweifeln.
Ich will dazu sagen: Erfolg könnte das Ganze ausschließlich dann haben, wenn es eine gemeinsame Enquete der norddeutschen Länder wäre. Wenn wir hier eine Enquete machen, und wir kommen zu intelligenten Empfehlungen, aber die anderen Bundesländer sagen, das ist ja schön, was Ihr da gemacht habt, ist nett anzuschauen, aber wir gehen den Weg nicht mit, dann haben wir sozusagen lange umsonst gearbeitet und uns lange umsonst weise Gedanken gemacht. Ich glaube, wir brauchen mehr. Wir brauchen die Regierung an unserer Seite. Wir brauchen an dieser Stelle Legislative und Exekutive, die sich gemeinsam auf den Weg machen müssen. Dafür ist eine Enquetekommission der falsche Weg. Wir werden daher heute nicht für die Enquetekommission stimmen. Wir werden uns der Stimme enthalten, weil uns das Thema wichtig ist. Das habe ich, glaube ich, deutlich gemacht. Und wir werden - das darf ich sagen, weil Sie die Enquetekommission auch ohne unsere Zustimmung einrichten können, wenn Sie ein Minderheitsquorum im Hause erfüllen - ganz engagiert dort mitarbeiten, damit, liebe Frau Kollegin Heinold, aus dieser Enquetekommission kein ganz grüner Quatsch-Comedy-Club wird.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege von Boetticher, Ihre Rede war in großen Passagen eine, die ich unterschreiben kann. Ich weiß aber nicht, warum Sie solch einen peinlichen Schluss gewählt haben, muss ich sagen.
Kein Problem haben wir auch damit, dass Sie begründet haben, warum Sie der Enquetekommission nicht zustimmen. Denn der gemeinsame Antrag von Grünen und SPD hat ja natürlich einen schweren Geburtsfehler: Es ist ein Antrag von Oppositionsfraktionen, also kommt der Ablehnungsreflex. Damit können wir in diesem Fall sehr gut leben, weil ja eine qualifizierte Minderheit in der Lage ist, auf
grund der Geschäftsordnung bei solchen Fragen qualitativ und konstruktiv Konzepte für die Zukunft des Landes zu entwickeln.
Lassen Sie mich mit ein paar Worten begründen, warum wir der Idee der Grünen mit einem gemeinsamen Antrag nachgekommen sind.
Das Thema einer umfassenden Kooperation in Norddeutschland bis hin zur Frage einer Länderneugliederung ist ja in Schleswig-Holstein genauso alt wie das Bundesland selbst. In der Debatte zur Beschlussfassung über die Landesverfassung vor 60 Jahren hieß das dann folgendermaßen - ich darf zitieren -:
„Diese Lebensfähigkeit … muss für Schleswig-Holstein in seinen heutigen Grenzen und in seiner heutigen sozialen und wirtschaftlichen Struktur bezweifelt werden. SchleswigHolstein ist in seinem sozialen Gefüge das meistbelastete, nach seinem Steueraufkommen das ärmste, nach seiner geografischen Lage das abgelegenste und als Grenzland das von volks- und kulturpolitischen Auseinandersetzungen am meisten in Mitleidenschaft gezogene Land der Bundesrepublik Deutschland.“
Debatte Ende 1949, Worte des ehemaligen Innenministers und Oppositionsführers Käber. In dem dann gemeinsam beschlossenen Text der Landesverfassung heißt es:
„Die Landessatzung verliert vorbehaltlich anderweitiger bundesgesetzlicher Regelung ihre Gültigkeit an dem Tage, an dem die von Schleswig-Holstein erstrebte Neugliederung des Bundesgebietes in Kraft tritt.“
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Debatte um diese Beschlussfassung ist sehr lange her. Schleswig-Holstein hat infolge des sogenannten Wirtschaftswunders seit den 50erJahren unter Beweis gestellt, dass es als Land eigenständig leben kann. Geblieben ist allerdings die wirtschaftliche Strukturschwäche. Geblieben war und ist das unterdurchschnittliche Wachstum. Geblieben ist auch der Rückstand in Wissenschaft und Forschung. Geblieben ist auch der Investitionsstau in fast allen Bereichen der Infrastruktur.
Erstmals zu Beginn der 8. Legislaturperiode 1975 kündigte ein Ministerpräsident in einer Regierungserklärung umfangreiche Sparmaßnahmen im Haushalt an. Erstmals gerieten Finanzpolitik und Haus
haltsdefizit stärker in den politischen Fokus. Und erstmals bestimmte nicht nur wirtschaftliche Strukturschwäche, sondern auch ihre finanziellen Folgen die Debatte zwischen Opposition und Regierung.
Das ist aus naheliegenden Gründen bis heute so geblieben. Jeder kennt sie. Es kann auch nicht verwundern, dass in einer solchen Situation die Debatte um eine Kooperation in Norddeutschland gerade vor dem Hintergrund der finanziellen Notsituation immer wieder auflebt. Vor einigen Jahren hat ein Kieler Landeshausjournalist das in einem Artikel so formuliert. Ich zitiere:
„An der Küste kommt die Nordstaatdebatte so regelmäßig wie Ebbe und Flut, um dann so zuverlässig wie Seifenblasen zu zerplatzen.“
Weil nun keiner von uns Ebbe und Flut beeinflussen kann und will, andererseits aber Seifenblasen in der Politik gern auf das notwendige Maß reduziert werden sollten, haben BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD den Antrag zur Bildung einer Enquetekommission hier auf den Tisch gelegt. Ich will noch einmal deutlich sagen: Es geht nicht darum, die bekannten Worthülsen und Scheindebatten zu zelebrieren. Es geht auch nicht um Notlösungen, sondern es geht um in die Zukunft gerichtete nachhaltige politische Konzepte für eine Zusammenarbeit im Norden.
Die Enquetekommission heißt ausdrücklich „Chancen einer verstärkten norddeutschen Kooperation“. Wir sehen diese Enquetekommission vollständig ergebnisoffen. Nun könnte man sagen, das sei logischer Bestandteil einer Enquetekommission, aber ich glaube, es kann nicht schaden, das noch einmal deutlich zu sagen. Wir erwarten gerade in einer Enquetekommission eine Diskussion ohne politische Daumenschrauben. Wir erwarten Empfehlungen, die sich eben nicht auf den kleinsten gemeinsamen Nenner politischer Strategie und Taktik reduzieren. Genau das wollen wir nicht. Deshalb schlagen wir die Einrichtung einer Enquetekommission vor.