Protokoll der Sitzung vom 29.01.2010

(Beifall bei der SPD)

Ergebnisoffenheit heißt auch, dass wir nicht um den Begriff des Nordstaats herumtanzen, sondern in einer umfangreichen Analyse und in einem Entwicklungskonzept die Problematik einer Länderfusion nur als eine Fragestellung unter vielen thematisie

ren und auch nicht an den Anfang der Diskussion stellen wollen. Es geht um die fachlichen Bereiche einer Kooperation. Es geht um den regionalen Zuschnitt und um die Zielsetzungen. Es geht auch um die Rückwirkungen auf die verschiedenen Regionen, gerade in unserem Land. Zum Schluss geht es auch um organisatorische oder gar staatsrechtliche Fragen einer Kooperation.

Natürlich wissen wir, dass es in den vergangenen Jahren unendlich viele Bemühungen gegeben hat, zu einer verstärkten Kooperation vor allem der Bundesländer Hamburg und Schleswig-Holstein zu kommen. Das will ich gern konzedieren. Diese aufgrund der Zeit nicht alle aufzuzählen, heißt nicht, diese Bemühungen kleinzureden. Das habe ich keinesfalls vor. Es kann aber nicht übersehen werden, dass wir vom Ergebnis her eine völlig unzufriedenstellende Situation haben, die dringend verbessert werden muss. Das sage ich ausdrücklich nicht in Richtung einer speziellen Regierung. Das sage ich auch ausdrücklich nicht in Richtung eines politischen Lagers. Ich glaube, das ist eine Aufgabe, der sich alle stellen müssen. Da kann sich niemand herausstehlen. Ich hoffe, das wird auch keiner wollen.

(Beifall bei der SPD)

Es gibt ein paar Punkte, die den Handlungsdruck in den letzten Jahren deutlich verstärkt haben. Herr von Boetticher ist darauf eingegangen und hat deutlich gemacht, dass die Länder durch die Föderalismusreformen mehr Eigenständigkeit haben und durch weniger Bund-Länder-Kooperation in vielen Bereichen ihre Unterschiedlichkeit unter Umständen eher verstärken. Daraus könne ein Problem entstehen. Herr von Boetticher, hier teile ich Ihre Analyse. Die Antwort kann aber nicht sein, dass alles zu schwierig sei und dass wir deshalb nicht vorankommen. Die Antwort muss doch sein: Das ist eine neue Herausforderung, die geradezu dazu zwingt, zu einer einheitlichen Linie Norddeutschlands zu kommen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich denke, hier liegen wir im Kern nicht auseinander. Das ist doch eher ein zusätzlicher Impuls dafür, dass wir so etwas wie eine Enquetekommission machen müssen. Die Entwicklung Europas zu einem Europa der Regionen, das nicht mehr von den herkömmlichen Verwaltungsstrukturen bedient werden kann, übt einen zusätzlichen Druck aus, hier zu neuen Lösungen zu kommen. Ich nenne nur das Beispiel Forschung und Entwicklung: Innovati

(Jürgen Weber)

onspotenziale werden heutzutage nicht mehr aus der Königsteiner Gießkanne bedient, sondern sind stets wettbewerblich aufgestellt. Hier kann der Norden nur gemeinsam in den Wettbewerb gehen, wenn er in diesem Wettbewerb nicht untergehen will. Deshalb brauchen wir hier mehr Kooperation.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist schon angedeutet worden: Wir fangen natürlich nicht bei null an. Wir haben die Metropolregion als einen Motor, der an manchen Stellen stockt, der an manchen Stellen aber durchaus schon einige positive Entwicklungen gebracht hat. Wir kennen die Initiativen der Unternehmensverbände. Es hat wissenschaftliche Tagungen zu diesem Komplex gegeben. Wir haben Erfahrungen aus anderen nicht staatlichen Bereichen, aus den Bereichen der Gewerkschaften, der Kirchen, der Rundfunkanstalten und vielen mehr. Wir fangen also nicht bei null an. Wir müssen das natürlich mit einbeziehen. Deshalb kann es auch nicht ausreichen, eine Große Anfrage zu machen und unsere Regierung zu fragen. Wir müssen die Fragen breiter stellen. Regierungen zu fragen, ist ein Bestandteil der Arbeit, aber darauf kann sich dies sicherlich nicht reduzieren. Deshalb wollen wir darüber hinaus zu einer Lösung kommen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Fachliche Expertise und politisches Denken über den tagespolitischen Rand und über den landesherrlichen Horizont hinaus scheinen mir dringend erforderlich. Deshalb ist die Form einer Enquetekommission keine falsche, sondern eine nützliche und notwendige Form, wenn alle mit der notwendigen Ernsthaftigkeit an die Arbeit gehen. Sich dieser Mühe zu unterziehen, kostet eher Mut als zusätzliches Geld. Es schwirren alle möglichen Summen im Raum herum. Deshalb haben wir noch einmal mit Blick auf den Ursprungsvorschlag der Grünen deutlich gemacht, dass wir uns nicht nur vorstellen können, sondern davon ausgehen, dass die Arbeit im Rahmen des bestehenden Haushalts des Landtages abgewickelt und entwickelt werden kann. Wir brauchen kein zusätzliches Geld über das hinaus, was dem Landtag zur Verfügung steht.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und vereinzelt bei der CDU)

Die Fraktionen und der Landtag selbst verfügen über genug Kraft und auch über genug finanzielle Kraft, um das zu wuppen. Das will ich noch einmal deutlich sagen, weil das ganz offensichtlich ein Ar

gument nach dem Motto war: Das kostet alles Geld, deshalb können wir das nicht machen. Das ist eine blöde Debatte, die in letzter Zeit immer häufiger aufkommt. Demokratie kostet Geld. Für alle anderen Dinge aber lassen wir Dinge zu, die eher problematisch sind.

(Beifall bei der SPD und der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Ich will das nicht ausweiten, weil ich keinen Parteienstreit in dieser Frage haben möchte. Wir haben diesen Vorschlag auch deshalb mit entwickelt und einen gemeinsamen Antrag vorgelegt, weil wir wollen, dass mit einem klaren Fragenkatalog deutlich gemacht wird, dass wir die Vorgaben nicht zu kleinteilig machen, die Dinge aber auch nicht ausfransen lassen wollen. Wir wollen auf das fokussieren, was wir aufgeschrieben haben. Zu diesem Fokus gehört auch, dass es nicht allein um die Kooperation zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein geht. Man muss die norddeutsche Kooperation über Hamburg und Schleswig-Holstein hinaus denken.

Das wollen wir mit diesem Antrag, für den wir um Zustimmung bitten. Eine Zustimmung der Koalitionsfraktionen werden wir wohl nicht erhalten, aber ich nehme es als positives Signal und gehe davon aus, dass zumindest die Arbeit dieser Kommission mit großer Ernsthaftigkeit und mit großem Engagement geführt wird. Wir sehen dann, wo wir zu einem Ergebnis kommen werden. Ich bin da nicht so pessimistisch und wünsche, dass wir uns gemeinsam anstrengen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die FDP-Fraktion erteile ich dem Kollegen Gerrit Koch das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Institution der Enquetekommission ist eine tolle Sache für die Opposition. Nach der Geschäftsordnung des Landtags kann sie ohne Rücksicht auf die Mehrheit des Hauses die Einsetzung eines solchen Gremiums verlangen, wenn nur ein Viertel der Mitglieder des Landtags dem zustimmt. Warum schütteln Sie den Kopf? - Das steht so in der Geschäftsordnung. Es ist Grünen und Sozialdemokraten durchaus zu gönnen, diese Vor

(Jürgen Weber)

schrift wiederentdeckt zu haben. So wird zumindest einem Ihrer Anträge auch einmal gefolgt.

(Zuruf der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Nicht so schön ist die Art und Weise, wie Sie mit der besonderen Verantwortung, die gleichzeitig mit diesem Instrument verbunden ist, umgehen. Aus Sicht meiner Fraktion ist der von Ihnen eingebrachte Antrag nicht richtig durchdacht. Ich appelliere daher an die Antragsteller, dass wir zumindest noch einmal im Rahmen einer Ausschussberatung über den vorgelegten Einsetzungsbeschluss diskutieren, wenn Grüne und SPD ihren Antrag nicht gleich ganz zurückziehen. Das werden Sie nicht machen, aber ich bitte Sie trotzdem darum.

Auf den ersten Blick - sozusagen unter dem Blickwinkel einer oberflächlichen Plausibilität - wird durch den Antrag eine durchaus löbliche Idee verfolgt, nämlich die länderübergreifende Kooperation. Dabei ist das eigentliche und unbedingte Ziel der Grünen bekanntlich, zu einer Länderfusion von Hamburg und Schleswig-Holstein zu kommen. Zentralismus statt Pluralismus ist also die Devise. Das machen wir nicht mit, das sage ich Ihnen gleich vorab.

(Beifall bei FDP und SSW)

Wenn es jedoch um länderübergreifende Kooperationen geht, dann ist dies auch das Ziel der Landesregierung und der sie tragenden Fraktionen. Ich erlaube mir, Ihnen die Lektüre unseres Koalitionsvertrages nahezulegen. Dort haben CDU und FDP zum Beispiel vereinbart, die Innovationsfähigkeit der Unternehmen weiter zu stärken und innovative Felder zu erschließen, etwa durch Innovationsnetze zwischen Mittelstand, Großunternehmen, Forschungseinrichtungen und Hochschulen, und zwar auch in Kooperation mit Hamburg.

Selbstverständlich sollte jede Möglichkeit zur sinnvollen Zusammenarbeit zwischen den nördlichen Bundesländern über die starren Landesgrenzen hinaus genutzt werden. Selbstredend können sich daraus Chancen zur Kostenreduzierung, zur Straffung von Abläufen, zu viel gepriesenen Synergien und vor allem zur Stärkung des Nordens Deutschlands ergeben. Dennoch haben wir als FDP-Fraktion Probleme mit Ihrem Antrag.

Es haben sich bereits unzählige Kooperationen ergeben - das haben wir bereits gehört. Die Wirtschaft hat sich noch nie an politische Grenzen gehalten, solange sie irgendwie überwindbar sind. Gerade die Unternehmer unseres Landes denken und

handeln über die Grenzen unseres Bundeslandes hinaus.

Meine Damen und Herren, sinnbringende Zusammenarbeit zu fordern und zu fördern, ist sicherlich auch Aufgabe unseres Hauses. Ohne jetzt schon auf den genauen Inhalt des Antrages einzugehen - das hole ich gleich nach -, krankt der Antrag jedoch an einem beachtlichen Mangel. Es macht nämlich keinen Sinn, dass wir einsam und allein in einem fast zwei Jahre lang tagenden Gremium Resolutionen und Vorschläge ausarbeiten, wenn wir diejenigen, mit denen wir später kooperieren wollen, nicht gleichzeitig bei den Überlegungen mit am Tisch haben.

(Beifall bei FDP und CDU)

Um es deutlich auszudrücken: Es bringt uns schlichtweg nichts, wenn eine allein schleswig-holsteinische Enquetekommission zwei Jahre lang berät, Vorschläge ausarbeitet, dann mit den fertigen Rezepten die Nachbarländer aufsucht, ihnen diese vor die Nase hält und die am Ende einfach sagen: Das wollen wir nicht! Dann bereichert die Arbeit bestenfalls eine Bibliothek oder geht schlichtweg in den Müll.

Die in den zwei Jahren durch Anhörung von Sachverständigen und Verwaltungsarbeit aufgetretenen Kosten haben dann die Antragsteller zu verantworten. Dabei können wir von einem durchaus sechsstelligen Betrag ausgehen - ein tolles Ergebnis angesichts der aktuellen Haushaltslage. Was für die Enquetekommission verbraucht wird, fehlt logischerweise woanders.

Wenn ein vergleichbares Gremium Sinn machen soll, dann müssen wir auch die anderen Länder wie Hamburg, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern oder vielleicht auch Bremen von Anfang an dort mit einbinden. Eine entsprechende Kommission können wir aber so nicht beschließen, wir können die anderen Länder nicht zu einer Teilnahme zwingen, wir können sie lediglich höflich dazu einladen.

(Zurufe von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

- Genau, machen wir das doch!

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

- Aber nicht im Rahmen einer schleswig-holsteinischen Enquetekommission.

(Zurufe von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Gerrit Koch)

Meine Damen und Herren, was den Antrag weiter problematisch macht, ist seine Unbestimmtheit in vielen Einzelfragen. Lassen Sie mich einzelne Beispiele nennen!

Es soll die Bilanz der Metropolregion Hamburg bewertet werden. Dazu muss man sich zunächst einmal die Frage stellen, was in diese Bilanz überhaupt hineingehört. Geht es hier nur um die Bilanz im schleswig-holsteinischen Bereich der Metropolregion, oder wollen Sie auch Hamburg und Niedersachsen hierzu berücksichtigen? Die Bewertung dieser Bilanz mag unterschiedlich ausfallen, weil in gewissen Konkurrenzverhältnissen Schleswig-Holstein möglicherweise andere Bewertungen abgibt als Hamburg.

Hierzu ein Beispiel: Wenn sich die Firma Montblanc beim FDP-Bürgermeister Günther Hildebrand in Ellerbek angesiedelt hat - da sitzt er -, dann wird dies aus schleswig-holsteinischer Sicht durchaus positiv beurteilt. Die Freie und Hansestadt Hamburg hingegen, die auch gern die Firma Montblanc bei sich angesiedelt hätte, hat zu diesem Sachverhalt möglicherweise eine etwas andere Sichtweise.

(Zurufe der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Frau Kollegin Heinold, das Wort hat der Redner am Rednerpult.

So soll es sein. - Anderes Beispiel: Wenn im Antrag der Enquetekommission danach gefragt wird, auf welchem Wege durch Kooperationen im Bereich Bildung und Wissenschaft eine Stärkung der norddeutschen Bildungslandschaft erfolgen kann, dann wird sich die Kommission mit Sicherheit zunächst einmal darüber die Köpfe zerbrechen, was sie unter einer Stärkung der norddeutschen Bildungslandschaft überhaupt versteht. Da gehen die Ansichten wohl nicht nur länderübergreifend, sondern auch länderintern auseinander. Das müsste im Antrag schon etwas konkretisiert werden.

(Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Mensch, Junge!)