Jürgen Weber
Sitzungen
17/1
17/2
17/3
17/6
17/7
17/8
17/9
17/10
17/13
17/14
17/15
17/17
17/18
17/19
17/20
17/21
17/25
17/27
17/28
17/34
17/37
17/41
17/44
17/45
17/46
17/50
17/52
17/53
17/55
17/56
17/58
17/60
17/61
17/64
17/68
17/69
17/71
17/73
17/75
17/76
17/77
Letzte Beiträge
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Tatsache, dass man sich heute der Stimme enthält, hat einen ziemlich guten Grund. Es ist nämlich keinesfalls so, dass durch die Dinge, die in dem Konzept aufgeschrieben worden sind, alle Fragen beantwortet worden sind. Mindestens genauso viele Fragen sind noch offen. Und die Tatsache, dass der Kollege de Jager jetzt sieben Jahre an zwei verschiedenen Stellen Verantwortung für die Hochschulen hat und fünf Wochen vor dem Ende dieser Legislaturperiode etwas vorlegt, wird nicht ernsthaft die Grundlage dafür sein können, dass wir heute sagen: „So machen wir es“. Das ist das Erste, was ich sagen möchte.
Zweitens. Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland erhebliche Erfahrungen mit dem Thema Stiftungshochschulen, Stiftungsprofessuren und Ähnliches. Eine Grunderfahrung ist die - in aller Kürze; wir können das jetzt nicht ausbreiten, aber wir kennen das auch in Schleswig-Holstein aus dem Bereich der Stiftungsprofessuren -: Wir wissen, dass es häufig interessante, auch privat mitfinanzierte Anschübe gibt, die sehr schnell wieder in die Verantwortung des Steuerzahlers zurückfallen, nämlich in die Grundhaushalte der Hochschulen, wenn die ersten fünf Stiftungsjahre vorbei sind. Also muss man sich genau überlegen, was man will.
Wir machen hier Hochschulpolitik für SchleswigHolstein und nicht nur für Lübeck. Wenn die Lübecker Universität, was ich nachvollziehen kann, aus den Erfahrungen der letzten Jahre, einen rechtlichen Handlungsrahmen will, der sozusagen für mehr Sicherheit des Bestandes sorgt, dann kann ich das nachvollziehen, dann kann ich das auch akzeptieren. Deswegen ist das ein offenes Verfahren. Sich jetzt aber hinzustellen und zu sagen „Wir wollen andere und bessere Rahmenbedingungen als die anderen Hochschulen“, muss ja doch zumindest mal abgewogen werden, was das in der Konsequenz für andere Hochschulen heißt. Wir machen nicht Hochschulpolitik für die Universität Lübeck, sondern wir machen Hochschulpolitik für alle
Hochschulen des Landes. Deshalb gilt es, diese Interessen auch gemeinsam abzuwägen.
Meine vorletzte Bemerkung! Die Frau Kollegin Spoorendonk ist schon darauf eingegangen: In dem Antrag, den Sie vorgelegt haben, heißt es, Sie halten es für unabdingbar, dass dem Konzept für eine Stiftungsuniversität alle Beteiligten Hochschulgruppen vom Präsidium über den Mittelbau bis zum AStA zustimmen. Mit dem AStA meinten Sie wahrscheinlich das Studentenparlament, weil das ja das gewählte Gremium ist. Da frage ich mich: Sind damit die akademischen Gremien gemeint oder vielleicht auch die Personalvertretungen der Mitarbeiter an den Hochschulen? Das geht daraus überhaupt nicht deutlich hervor. Das sind schon zwei unterschiedliche Paar Schuhe, die berücksichtigt werden müssen.
Weil hier immer das Hohelied der Autonomie der Hochschulen gesungen wird, möchte ich zum Schluss noch darauf hinweisen, dass Autonomie der Hochschule ein starkes, großes und wichtiges Gut ist. Das steht völlig außer Zweifel. Aber Hochschulen haben einen öffentlichen Auftrag. Wir als Land Schleswig-Holstein, unterstützt durch den Gesetzgeber, ausgeführt durch die Regierung und gegossen in Zielvereinbarungen, formulieren natürlich auch das, was wir erwarten, was Hochschulen leisten mit den Steuergeldern, die wir zur Verfügung stellen. Wie sich ein solcher Prozess in einer Stiftungsuniversität abbildet, die sich außerhalb der Gremien und der Struktur der bisherigen Hochschullandschaft befindet, ist überhaupt noch nicht ausdiskutiert.
Auf dieser lauen Grundlage können Sie nicht ernsthaft erwarten, dass wir für diesen allgemein gehaltenen Antrag die Hand heben. Deswegen werden wir uns der Stimme enthalten.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum ganzen Themenkomplex baulicher Masterplan möchte ich mich heute Morgen nicht äußern. Wir haben darüber im Ausschuss intensiv beraten. Das muss jetzt nicht alles wiederholt werden. Lassen Sie mich mich konzentrieren auf die Vorschläge,
die zur Neuordnung der Hochschulmedizin auf dem Tisch liegen.
Kollege Günther als Meister der Begrüßung von Vorschlägen hat eine kleine Sache verwechselt. Im Januar gab es einen Vorschlag der beiden Universitätspräsidien für die Neuordnung der Hochschulmedizin, der sich a) dadurch auszeichnete, dass das UKSH nicht beteiligt war, b) dass die Zahl der Vorstandsmitglieder mehr als verdoppelt werden sollte und c) dass im Prinzip mehr oder weniger die Defusionierung eingeleitet werden soll. Das haben Sie begrüßt. Dieses Papier ist allerdings mittlerweile vom Tisch, weil die beiden Hochschulen zusammen mit dem UKSH einen Monat später ein neues Papier auf den Weg gebracht haben, das Sie ebenfalls gerade begrüßt haben. Unsere Auffassung ist die, dass man die Dinge erst einmal prüfen sollte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will an dieser Stelle etwas sagen, was nicht jedes Mal gesagt wird: Der Minister hat komplett recht.
- Warten Sie ab!
Der Minister hat recht, wenn er ausführt, dass man Empfehlungen des Wissenschaftsrats nicht links liegen lassen darf. Man darf sie auch nicht rechts liegen lassen. Sie haben eine hohe Bedeutung, wenn man an die Fleischtöpfe der Hochschulfinanzierung will. Das ist völlig unzweideutig. Das heißt aber nicht, dass man als politisch Verantwortlicher nicht auch Gutachten des Wissenschaftsrats kritisch gegenliest. Dies will ich an zwei oder drei Stellen deutlich machen, denn ein Gutachten des Wissenschaftsrats ist kein Papier mit wissenschaftlicher Objektivität. Wenn man so will, dann ist es letztlich ein Dokument wissenschaftspolitischer Diplomatie. Dabei setzt sich mal der eine, mal der andere durch. Es liegt in der Natur der Sache, dass es im Kern aus dem Blickwinkel der Wissenschaft geschrieben ist und dass der Blickwinkel der Krankenversorgung drastisch unterbelichtet ist.
Lassen Sie mich dies mit drei Zitaten aus diesem Gutachten unterstreichen. Der Wissenschaftsrat schreibt zum Beispiel:
„Durch die Fusionierung der beiden Universitätklinika konnten bisher keine wesentlichen Synergieeffekte erreicht werden.“
Das kann man schreiben, wenn man mit Wissenschaftlern redet, die sich nicht mögen. Das kann man aber nicht schreiben, wenn man in die Bücher des Klinikums hineinsieht. Dort wird man sehen, dass es in erheblichem Maße wirtschaftliche Synergieeffekte gegeben hat.
Ich zitiere weiter aus dem Gutachten des Wissenschaftsrats:
„Die unterschiedlichen Forschungsausrichtungen, die Organisationsstrukturen, eine geplante Stiftungsuniversität auf Lübecker Seite, eine Volluniversität auf Kieler Seite, sprechen gegen die derzeit angestrebte Annäherung der Standorte …“
Es ist bemerkenswert, dass ich in einem Gutachten nicht die Fakten und den Ist-Zustand bewerte, sondern den Wunsch von Teilen der Lübecker Hochschule als Ausgangspunkt der Analyse nehme. Das ist außerordentlich bemerkenswert. Es ist eben ein wissenschaftspolitisches und kein wissenschaftsanalytisches Dokument.
Ein letztes Zitat aus diesem Bericht, obwohl man viele ähnliche Beispiele anbringen könnte:
„Die Forschungsleistungen an der Universität zu Lübeck sind in verschiedenen Bereichen beeindruckend.“
Das ist ohne Frage richtig.
„Allerdings bewegt sich das Drittmittelaufkommen pro Professur deutlich unterhalb des Bundesdurchschnitts. Die Ursachen hierfür sind nicht unmittelbar ersichtlich.“
Das ist natürlich eine absolut kernige Aussage. Unmittelbar nicht ersichtlich sind für mich einige Schlussfolgerungen, zu denen der Wissenschaftsrat kommt. Daher glaube ich, es ist angemessen, die Vorschläge, die daraus abgeleitet werden, kritisch zu beleuchten. Das will ich in sechs oder sieben Punkten kurz tun:
Die Überlegungen, die in dem Vorschlagspapier der Universitäten und des UKSH aufgeschrieben sind, sind in Teilbereichen unzweifelhaft notwendig. Die Überlegung, Forschung und Lehre in den Klinikvorstand zu integrieren, scheint zumindest vernünftig und uns zielführend zu sein.
Der Wunsch nach wissenschaftlicher Profilbildung an den beiden Standorten ist meines Erach
tens ebenso vernünftig. Er ist dann vernünftig, wenn er zu Synergieeffekten führt. Er ist auch dann vernünftig, wenn Doppelangebote daraufhin kritisch überprüft werden, was notwendig und was sinnvoll ist. Das würde ich zur Profilbildung hinzuzählen.
Alle Vorschläge, das operative Geschäft des Klinikums weniger an den Interessen der Krankenversorgung und der Wirtschaftlichkeit und dafür mehr an den Interessen der einzelnen Lehrstühle auszurichten, betrachten wir eher kritisch. Ich finde, dies muss noch einmal deutlich hinterfragt werden. Ich glaube, dass hier zu sehr die Interessen einzelner Lehrstühle die Feder geführt haben und weniger das Gesamtinteresse der Hochschulmedizin.
Der Vorschlag, die beiden Campi in Kiel und Lübeck zu Anstalten öffentlichen Rechts zu machen und den UKSH-Vorstand auf strategische Fragen zu reduzieren, bedarf zumindest einer eingehenden Diskussion. Wir gehen diese Diskussion ergebnisoffen an, verschließen uns solchen Vorschlägen nicht, haben aber noch Klärungsbedarf. Mit Blick auf den Wunsch, hier Einmütigkeit herzustellen, will ich sagen: Das kann man tun, aber vor der Einheit kommt die Klarheit. Alte Apo-Kämpfer kennen diesen Spruch, Kollege Dr. Tietze. Es gibt hier einige Dinge, die noch zu klären sind.
Wir finden es bedenkenswert und richtig, dass vorgeschlagen wird, dass die Mittelverteilung zwischen Forschung und Lehre künftig nicht mehr über einen Medizinausschuss, sondern wieder direkt von den politisch Verantwortlichen, nämlich vom Haushaltsgeber, formuliert wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage aber voraus: Wir können den gemachten Vorschlag mittragen, aber das heißt, dass die Frage der Mittelverteilung zwischen Kiel und Lübeck, über die dann wieder diskutiert wird, hier fällt. Dazu sage ich: Viel Spaß bei den Diskussionen, die nicht irgendwo stattfinden, sondern die hier stattfinden. Hier kommen wir an einen Punkt, an dem wieder alle den Schwur in der Frage tun müssen, ob wir hier eine gemeinsame Linie finden oder nicht.
Lassen Sie mich zum Schluss kommen und sagen: Bei allen berechtigten Forderungen der Wissenschaftler nach hervorragenden Rahmenbedingungen will ich daran erinnern, dass unser öffentlicher Auftrag nicht nur in der Stärkung der Wissenschaft besteht, sondern auch die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Klinikum und natürlich nicht zuletzt die Interessen der Patientinnen und Patienten beinhaltet. Diese müssen zur Geltung kommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen kein Klinikum der Teilfürstentümer. Wir wollen ein modernes wissenschaftsbasiertes und wissenschaftsorientiertes Klinikum, in dem auch Patienten und Mitarbeiter vorkommen. Wenn wir hier eine gemeinsame Linie finden, dann werden wir eine einvernehmliche Lösung finden. Diese Frage wird nicht die Landesregierung, wie immer sie auch zusammengesetzt sein mag, entscheiden können, denn es werden Gesetze geändert werden müssen. Der Job liegt beim Landtag, und das ist der beste Ort, an dem er geleistet werden kann.
Kollege Magnussen, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass der Kollege Stegner auf einer Beerdigung ist und dass es ein akzeptabler Grund ist, heute nicht hier zu sein?
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es war eine lange Diskussion, trotzdem erlauben Sie mir, für die SPD-Fraktion noch einmal drei Feststellungen zu treffen.
Feststellung eins: Es ist hier viel über Verantwortungsethik gesprochen worden. Man sollte in diesem Zusammenhang auch den Begriff der intellektuellen Redlichkeit einbeziehen. Es sind hier eine ganze Reihe von Dingen auf den Tisch gelegt worden, die inhaltlich schwer nachzuvollziehen sind.
Nächste Anmerkung: Wir kritisieren in keiner Weise die Arbeit der zuständigen Abteilung im Ministerium. Wir empfinden sie als fachkundig, sachgerecht arbeitend und hochqualifiziert - früher und
heute, das hat sich nicht geändert. Wir danken ihr für ihre Arbeit, die ist hier nicht zu kritisieren.
Nächste Bemerkung: Das heißt nicht, dass wir es für eine schnelle Information und gute Kommunikation halten, dass von der Erstinformation der zuständigen Mitarbeiter und des Ministers durch den TÜV am 10. Januar 2012 zwei Monate ins Land gegangen sind, bis auch diejenigen, die parlamentarisch für das Verantwortung tragen, was hier im Land passiert, eine erste Information erhielten. Darüber kann man streiten, aber das halte ich nicht für eine schnelle und gute Kommunikation. Deshalb bleibt unsere Kritik an dieser Informationspolitik weiter bestehen und gültig.
Moralische Fragen: Das kann man so sehen. Ich finde, es lohnt den Streit nicht über die Frage, wer sozusagen den moralisch höheren Anspruch hat. Ich fände es sinnvoller, über tatsächliche Entwicklungen zu reden. Da muss man ganz einfach feststellen, dass es in dieser Gesellschaft in Deutschland in erheblich unterschiedlichem Maße Zeit gebraucht hat, bis verschiedene politische Lager erkannt haben, welche Probleme die Atomenergie mit sich bringt. Das hat einfach unterschiedlich lang gedauert.
Ich kenne das aus meiner Partei sehr gut. Ich habe 1988 - Kollegin Erdmann, da waren Sie noch zu jung - vor den Wasserwerfern in Brokdorf gestanden. Damals hat es eine Einsicht in der schleswigholsteinischen SPD gegeben, als große Teile meiner eigenen Partei noch sehr pro Atomenergie aufgestellt waren. Die Grünen waren früh dabei, und wir waren früh dabei. Bei manchen Parteien hat das länger gedauert. Die schleswig-holsteinische FDP hat es früher eingesehen als die schleswig-holsteinische Union. Auch vor Fukushima gab es im Zusammenhang mit Atomkraftwerken kritische Stimmen aus dem Bereich der Liberalen.
- Ja, das habe ich doch gerade gesagt. Sie waren früher dran als Ihre Unionskollegen. Daraus mache ich keine moralische Diskussion. Diese Tatsachen jedoch einfach umzudrehen, nervt.
Deshalb gibt es Aufregung. Die unterschiedlichen Geschwindigkeiten bei der Einsicht mögen auch damit zu tun haben, dass die unterschiedliche Nähe zu den Positionen von Energiekonzernen eine Rolle gespielt hat.
- Bevor Sie sich aufregen, hören Sie den Satz zu Ende. Nicht umsonst hat es in der nordrhein-westfälischen SPD länger gedauert als in unserer, weil die sozialdemokratischen Aufsichtsräte bei RWE mehr Probleme mit diesem Kurs hatten als die schleswig-holsteinische SPD. Das werfe ich keiner Partei vor. Seien Sie einmal in der Lage, Dinge zu analysieren, ohne gleichzeitig jedes Mal Ihre Feindbilder zu aktivieren.
Ein letzter Satz: Wenn Sie in der Lage wären, einzugestehen, dass Sie uns fast 20 Jahre lang, seit 1998, vorgeworfen haben, wir würden mit unseren Sicherheitsmaßnahmen im Hinblick auf die Umsetzung der Kernenergie so etwas wie einen kalten Ausstieg machen, weil wir ständig nerven würden, ständig abschalten lassen würden und mehr tun würden, als Standard ist, dann hätten wir vielleicht eine gemeinsame Haltung dahin gehend, dass wir gemeinsam der Auffassung sind, dass man über die Einforderung von Sicherheitsstandards den Kurs raus aus der Kernenergie gemeinsam finden kann.
Das war bisher immer unsere Auffassung. Wenn das nun unser aller Auffassung ist, dann ist das ein guter Schritt jenseits von Vergangenheitsbewältigung, die auch sein muss. Lassen Sie uns gemeinsam einen Schritt nach vorn gehen. Wir alle können bei unseren Überzeugungen bleiben. Ich sage: Faktgefühl ist besser als Taktgefühl. Jeder hat eine moralische Haltung. Wir sollten eine politische Haltung haben. Wenn wir diese gemeinsam haben, dann bringen wir die Dinge voran.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Landtag hat in dieser Wahlperiode nicht gerade besonders viele Heldentaten vollbracht - kein Wunder bei diesen Mehrheitsverhältnissen. Aber immerhin haben wir wie in der 16. Wahlperiode bei der Abwehr der HSH-Nordbank-Krise in dieser Wahlperiode mit der gemeinsamen Klage für das Haushaltsselbstbestimmungsrecht des Landtags für das Selbstbewusstsein und das klare Bekenntnis zu unserer Verantwortung als Parlamentarier einen richtigen und wichtigen Weg gewählt. Deswegen ist es sinnvoll und konsequent, dass wir heute diese beiden Gesetzentwürfe zur Verfassungsänderung vorlegen.
Meine Damen und Herren, wir sind gemeinsam formal mit der Klage gescheitert. Deswegen sollten wir gemeinsam die Grundlagen für die Stärkung der Rechte des Landtags schaffen. Wir wollen erreichen, dass in Fragen der dem Landtag laut Grundgesetz zugewiesenen Rechte und Pflichten sowie bei der Übertragung von Gesetzgebungszuständigkeiten der Länder auf die EU die Landesregierung an Stellungnahmen des Parlaments zu binden ist. Das gilt für den Bereich Kompetenzverteilung zwischen Parlament und Regierung, die in dieser Form bisher nicht geregelt ist, und das gilt auch mit Blick auf die EU, deren Einfluss auf die Mitgliedsländer enorm gewachsen ist und deren Vorgaben und Beschlüsse weitreichende Auswirkungen auf die Bundesländer haben. Das ist Ihnen alles bekannt.
Zwei Probleme gilt es zu lösen. Erstens das Weisungsrecht in Bundesratsangelegenheiten, für die es bisher keine gesetzliche Grundlage gibt. Hier gilt es, einen Interessensausgleich herzustellen, der an die Wahrung der Kernkompetenzen des Landtags, nämlich der Gesetzgebung und Vertretung des Volkes gemäß Artikel 2 Abs. 1 Satz 2 und Artikel 10 der Landesverfassung, anknüpft. Demnach ist die Kernkompetenz des Landtags dann berührt, wenn die Landesregierung im Bundesrat über solche Gesetze entscheidet, in deren Folge Gegenstände der Gesetzgebung des Landes oder sonstige Kompetenzen auf eine andere Ebene verlagert werden.
Der zweite Bereich, das Weisungsrecht des Landtags zur Klage gegenüber dem Bundesverfassungsgericht, ist ein zweiter zentraler Punkt, die Lehre aus unserer fehlgelaufenen Klage bezüglich unseres Haushaltsrechts in Hinblick auf die Schuldenbremse. Der Landtag hat nach den Regelungen des Bundesverfassungsgerichts nur in Organstreitigkeiten, in welchen die Volksvertretungen der Länder ausdrücklich benannt sind, eigene Rechte. In diesem Fall ist uns konzediert worden, dass wir sie nicht haben. Deswegen hat der Landtag in einer wichtigen Frage eben keine eigene Rechtsschutzmöglichkeit. Diese wollen wir herstellen.
Die Überlegung - ich gebe zu, das ist eine etwas trockene Materie; wir sollten sie dennoch in der Sache korrekt ausführen -, diese Probleme über eine Änderung des Grundgesetzes zu lösen, kann man erörtern. Wir alle aber wissen, dass die Chancen gering sind und dass wir einen langen Atem bräuchten. So lange wollen wir nicht warten.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, für die Ausübung dieser Befugnisse, die wir wollen, gelten die gleichen verfassungsrechtlichen Beschränkungen wie beim Weisungsrecht gegenüber dem Bundesrat, da die Kompetenzen des Landtags eben auch einen Eingriff in die verfassungsmäßigen Rechte der Landesregierung darstellen. Deswegen ist zu beachten, dass ein umfassendes, nicht auf bestimmte Kompetenzen des Landtags beschränktes Weisungsrecht des Landtags unzulässig wäre, weil damit ein Übergriff in die Kernkompetenz der Exekutive drohen würde.
Wir halten es für zielführend, bei dieser zweiten Frage den Vorschlag, den auch der Landtagsdirektor formuliert hat, aufzugreifen und eine Regelung ähnlich wie in der Verfassung des Landes BadenWürttemberg aufzunehmen.
Das alles kommt nicht aus dem Off. Wir haben das Papier der Präsidentinen und Präsidenten und der Direktorinnen und Direktoren der Landtage des Bundestages und des Bundesrates als Diskussionsgrundlage. Wir haben die Diskussion und die Auswertung darüber, wie wir sozusagen mit der Schuldenbremse umgehen. Viele haben sich dazu geäußert - auch unser Landtagspräsident mehr als einmal.
Seit November 2009 beschäftigt sich der Europaausschuss mit der Frage, wie er die Integrationsverantwortung, die uns das Bundesverfassungsgericht infolge des Vertrages von Lissabon aufgegeben hat, wahrnehmen kann und in welchem Maß und in welchem Ausmaß die Bundesregierung verpflichtet werden kann, den Landtag an Entscheidungen zu beteiligen. Es ist also an der Zeit, darüber heute zu debattieren und die Dinge auf den Weg zu bringen.
Ich will zum Schluss auf das eingehen, was ich in öffentlichen Stellungnahmen der Regierungsfraktionen im Hinblick auf den Zeitpunkt der Einbringung unserer Vorschläge gelesen und gehört habe. Die Kritik, es sei der falsche Zeitpunkt, da wir uns am Ende der Legislaturperiode befinden, verwundert mich allein deswegen schon, weil Sie seit Februar weit über 20 Last-Minute-Gesetze auf den Weg gebracht haben und husch, husch durchs Parlament bringen.
Dann wird man auch das Recht haben, bei diesen wesentlichen Fragen einen Aufschlag zu machen.
Zum Zweiten höre ich mit Verwunderung, das könne etwas mit Wahlkampf zu tun haben. Meine Damen und Herren, kennen Sie irgendjemanden außerhalb dieses Hauses, der diese verfassungsrechtliche Diskussion für ein Wahlkampfthema hält? Allein die Tatsache, dass ich hier rede, mag Versicherung genug sein, dass es für uns kein Wahlkampfthema ist, sondern ein Punkt, bei dem es um die Sache geht.
Ich möchte meinen letzten Satz formulieren, der so heißt: Regierungsfraktionen mögen sich vielleicht schwerer tun, die Regierung stärker an das Band zu nehmen.
Deswegen ist es richtig und sinnvoll, dass wir als Noch-Opposition und künftige Regierungsfraktion heute ein Signal nicht der Diskontinuität, sondern der Kontinuität bei diesem Thema setzen.
Springen Sie sozusagen über Ihren Schatten! Stimmen Sie in der zweiten Lesung, die wir hoffentlich im April haben werden, diesen Gesetzentwürfen zu! Ich freue mich zumindest auf eine sachliche Beratung, denn das Recht auf eine sachliche Beratung hat jedes Parlament.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der schwedischen Sprache gibt es Fremdwörter, die teilweise aus dem Englischen, teilweise aus dem Deutschen stammen, und es gibt im Schwedischen auch den Begriff des Besserwissers. Die Schweden müssen gute Kenntnisse über den Fraktionsvorsitzenden der schleswig-holsteinischen FDP haben.
Kollege Kubicki, ich will Ihnen noch einmal deutlich sagen: Auch uns ist klar, dass man für eine Verfassungsänderung eine Zweidrittelmehrheit braucht. Auch uns ist klar, dass das, was wir hier beantragen, nicht beschlossen wird, wenn es nicht einen Prozess gibt, auf den wir uns einigen. Auch uns ist klar, dass man in der Diskussion einen Aufschlag machen muss.
Auch ich habe vorhin gesagt: Die Frage, ob unsere Gesetzentwürfe der Diskontinuität anheimfallen oder nicht und in der nächsten Legislaturperiode wieder neu eingebracht werden müssen, ist nicht die zentrale Frage, sondern die zentrale Frage ist, dass wir bereits in der heutigen Konstellation ein Signal dafür geben, was wir wollen, was geklärt werden muss und dann in die Beratungen geht.
Es ist für uns eine klare Botschaft, dass ich unabhängig davon, ob ich Regierungs- oder Oppositionsfraktion bin, einen klaren Begriff von der Stärkung des Parlaments und Beschränkung der Möglichkeiten der Regierung in den Punkten habe, die ich vorhin formuliert habe.
Natürlich werden wir die Frage im Bundesrat nicht abschließend klären können; das werden wir in der nächsten Legislaturperiode fortsetzen. Wenn es bei der Organschaftsproblematik - was wir als Landtag dürfen und was wir nicht dürfen - von Ihrer Seite, wie das die Kollegin Spoorendonk gesagt hat, erhebliche rechtliche Bedenken gibt, werden wir nicht zueinanderfinden und das in der nächsten Legislaturperiode diskutieren.
Wir befassen uns hier mit sehr vielen - ich formuliere das höflich - kleinteiligen und nicht immer weltbewegenden Fragen. Dann muss man dieses Thema, das seit mindestens einem Jahr auf verschiedenen Ebenen diskutiert wird und virulent ist, in dieser Form in den Landtag einbringen können.
Wenn Sie fachlich eine andere Auffassung haben, dann tragen Sie die vor! Dann werden wir das in der nächsten Legislaturperiode fortsetzen.
Ich sage nichts, was irgendwie wahlkampfmäßig interpretierbar ist. Nichtsdestotrotz wollte ich Ihnen, Kollege Kubicki, zumindest die Möglichkeit geben, noch einmal zu diesem Thema im Landtag zu reden, weil Sie in der nächsten Legislaturperiode keine Gelegenheit mehr dazu haben werden.
Frau Präsidentin! Wir beantragen, zu dem entsprechenden Tagesordnungspunkt in der Sache abzustimmen und, wenn dem stattgegeben ist, dann die bereits beantragte namentliche Abstimmung durchzuführen, weil es eine hinreichende Diskussion zu diesem Punkt in mehreren Sitzungen des Landtags gegeben hat und in der Sache gut entschieden werden kann. Wer der Auffassung ist, dass er sich der Entscheidung entziehen kann, soll das tun. Aber auch das ist dann eine Aussage.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Regel sehe ich und sehen wir solche Wahlkampfinszenierungen sportlich und mit einer gewissen Gelassenheit. Aber anders als der Kollege Habeck hatte ich auch schon vor dieser Debatte keine Hoffnung, dass wir hier eine seriöse Debatte auf den Kernpunkt hin zugespitzt, wie wir die Schuldenbremse in diesem Land zu einem Erfolg führen können, erwarten können. Meine Erwartungen sind in der Tat erfüllt worden.
Es ist doch bemerkenswert - so viel will ich schon sagen -, dass wir in diesem Land die Schuldenbremse auch in unsere Landesverfassung integriert haben, um zu unterstreichen, dass wir das tun wollen, was wir aufgrund der grundgesetzlichen Bedingungen sowieso tun müssen, dass wir damit ein klares Signal abgeben. Sie können hier gern diese „Schulden-Koalitions-Nummer” fahren, denn es ist ja nicht sozusagen ein freiwilliger Akt oder ein Wunschakt, sondern es ist ein Verfassungsgebot, dass man die Schuldenbremse einhält. Jeder, der hier regiert - wer immer das ist -, muss die Verfassung einhalten. Wir werden das ab dem 6. Mai auch tun.
Es ist aber ein zentraler Unterschied, wie man den Schuldenabbau in einer Gesellschaft, die noch viele Aufgaben zu erledigen hat, gemeinsam einbettet. Wir sagen: Wir können nicht Entwicklungen, Bildungschancen abwürgen, um nachher dann noch mehr Kosten für diese Gesellschaft zu verursachen, weil dann wieder repariert werden muss. Wir müssen beides tun: Schuldenabbau und eine vernünftige Sozial- und Bildungspolitik.
Deshalb trauen wir uns als Land Schleswig-Holstein genau das zu, was sich alle anderen Länder und auch der Bund zutrauen, einen Abbaupfad zu definieren, wie er in unserem Gesetzentwurf definiert ist. Wir tun das, was alle anderen auch tun. Wir machen keine „Brüning-Politik”, die die Chancen der Menschen in diesem Land abwürgt und sie nicht zur Entfaltung kommen lässt.
Es gibt überhaupt keinen Grund - und das will ich gern leise sagen -, eine völlig illusorische Vorlage vorzulegen, wie das der Finanzminister tut. Es stellt sich auch die Frage - das darf man am Schluss einer solchen doch eher wahlkampfgeprägten Debatte sagen -,
wieso sozusagen ein Ausführungsgesetz zu einer Verfassungsnorm als „Last-Minute-Gesetz” hier „durchgehuscht” werden soll. Die meisten Länder bereiten das mit Sorgfalt vor. Sorgfalt ist hier längst vom Tisch, Sorgfalt kehrt wieder ab dem 6. Mai 2012 in dieses Haus ein.
Lieber Herr Kollege Harms, weil Sie noch einmal so freundlich ausgebreitet haben, dass das ja etwas ist, was alle wollen und alle immer gewollt haben: Ist Ihnen bekannt, dass das Zukunftsinvestitionsgesetz im Bundestag gegen die Stimmen von FDP und Grünen beschlossen wurde?
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt einen zentralen Grund, dass wir hier und heute unseren Antrag zum Erhalt der Sexualmedizin beschließen sollten, und der besteht darin, dass seit Monaten die Verantwortung für eine auskömmliche Finanzierung der Sektion zwischen Universität, Fakultät, Klinikum, Wissenschaftsministerium, Justizministerium und neuerdings auch dem ZIP dem Zentrum für Integrative Psychiatrie - hin und her gespielt wird. Es gibt immer noch keine Lösung. Dafür ist die Bedrohung der Sexualmedizin mittlerweile existenziell - zulasten der Studierenden, zulasten der Forschung und, wenn nichts passiert, sehr bald auch zulasten der notwendigen Prävention und Therapie von Sexualstraftätern.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Schwarze-Peter-Spiel muss endlich aufhören!
Es ist doch nicht nachzuvollziehen - um nur ein Beispiel zu nennen -, dass im Kontext des sogenannten Runden Tisches gegen sexuellen Kindesmissbrauch Bundesministerin Schavan erklärt, künftig dürfe es keine Lehrer- oder Medizinerausbildung geben - ich füge hinzu: auch keine Juristenausbildung -, in der dieses Thema nicht vorkomme. Gleichzeitig wird im Land eine kleine, aber feine und leistungsfähige Gruppe infrage gestellt. Das geht so nicht.
Herr Minister de Jager, Sie hätten sich die Debatte hier und heute ersparen können, wenn Sie auf die diversen Weckrufe, die Sie in den letzten Wochen und Monaten ereilt haben, reagiert und gehandelt hätten, statt das Problem auszusitzen und es anderen vor die Tür zu legen.
Eigentlich müsste diese Landesregierung um die Bedeutung dieser Arbeit wissen. Denn im 3. Opferschutzbericht, der uns vorliegt, loben Sie die Arbeit dieser Einrichtung an verschiedenen Stellen; aber offensichtlich weiß die eine Abteilung bei Ihnen nicht, was die andere schreibt.
Meine Damen und Herren, die prekäre finanzielle Situation der Sektion für Sexualmedizin verfolgt uns schon ein bisschen länger; spätestens seit August 2009 müsste auch der Wissenschaftsminister deutlich wissen, wie die finanziellen Probleme aussehen. Denn bereits im Sommer 2009 hat ihm das UKSH geschrieben, dass es jetzt an der Zeit sei, die vorgezogene Finanzierung durch das Ministerium sicherzustellen. Der Brief schließt mit dem Satz ich zitiere -:
„Da seit nunmehr einem Jahr keine Mittel zur Finanzierung der Stelle des Leiters der Sektion für Sexualmedizin vorhanden sind, bitte ich Sie dringendst, sich dieser Angelegenheit anzunehmen.“
Das schreibt der Kaufmännische Direktor des Universitätsklinikums. Getan haben Sie nichts, passiert ist nichts.
Stattdessen lassen Sie die Situation durch Ihre Staatssekretärin im Bildungsausschuss schönreden, als diese im Januar 2011 verkündete, die Ausstattung der Sektion sei gut und ihr Fortbestand gesichert. - Eine im besonderen Maße faktenunabhängige Aussage.
Wir haben die Landesregierung mehrfach, zuletzt in einer Kleinen Anfrage im Dezember 2011, gefragt, wie sie sicherstellen will, dass der nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Mai 2011 zur Sicherungsverwahrung ab 2013 geltende Therapie- und Begutachtungsanspruch von verurteilten Sexualstraftätern im Land personell umgesetzt werden soll. Ihre Antwort - ich zitiere aus der Antwort auf die Kleine Anfrage, die ich gestellt habe - lautet:
,,Die Landesregierung hat bezüglich dieser bundesweit eintretenden Veränderungen noch keine Entscheidung getroffen.“
Da verschlägt es einem angesichts der Situation der Sexualmedizin die Sprache - zumal uns vor wenigen Tagen Frau Andreßen im Bildungsausschuss mit der Aussage verblüffte, die Kosten für den Leiter der Sektion Sexualmedizin würden von der Universität getragen, was nachweislich falsch ist. Weiter behauptete sie, das Wissenschaftsministerium
könne keine Trägerkosten für die Sektion übernehmen, weil deren Leistungen auszuschreiben seien, da diese ja auch von anderen erbracht werden könnten. - Von anderen, aha! Wen kennt die Landesregierung denn sonst noch im Land, der sexualmedizinische Forschung und Lehre betreibt? - Das würde mich interessieren.
Weiter wird behauptet, für die Fortsetzung der Arbeit sei eine institutionelle Struktur gar nicht nötig. Das kommt ja auch im Änderungsantrag zum Ausdruck, in dem Sie nur von „Aufgabe“ reden und nicht von „Struktur“. Einmal abgesehen davon, dass dadurch kein einziges Finanzproblem gelöst wird, kann man sich anderenorts ansehen, was passiert, wenn die Organisationsstruktur weg ist: Frankfurt hat die Sexualmedizin gerade per Federstrich abgeschafft.
Meine Damen und Herren, statt Ihre Verantwortung wahrzunehmen und den Beteuerungen Taten folgen zu lassen, lassen Sie lieber die eigene Unzuständigkeit im Raum stehen und die Frau Staatssekretärin Märchen erzählen, wie das vom angeblichen Betrauungsakt des Justizministeriums - ein Vorgang, der eigentlich noch eine parlamentarische Aufarbeitung verdient hätte.
Ich will zum Schluss gern sagen müssen: Sie sich entscheiden, ob Sie die sexualmedizinische Forschung und Lehre haben wollen oder nicht.
Die Sexualmedizin, die vorbildlich interdisziplinär aufgestellt ist - ich komme zum Schluss -, greift die große Nachfrage der Studierenden auf. Unsere Gesellschaft braucht das. Den Antrag auf eine Sicherstellung der Sexualmedizin in Kiel, den wir stellen, könnte man in einem einzigen Satz zusammenfassen: Machen Sie an dieser Stelle endlich Ihre Arbeit, Herr Minister!
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bitte um Verständnis, dass ich mich noch einmal zu Wort gemeldet habe. Sie mögen vielleicht der Auffassung sein, dass wir hier eher eine Ausschussdiskussion führen. Aber aufgrund der Bedeutung des Themas und aufgrund der Tatsache, dass wir darüber seit Monaten und Jahren im Ausschuss diskutieren und nicht zu einem Ende kommen, ist das heute erforderlich. Ich möchte drei Punkte ansprechen, insbesondere im Hinblick darauf, was vorhin vom CDU-Kollegen ausgeführt worden ist.
Erstens. Ich hätte es von mir aus nicht erwähnt, aber angesichts der eher kryptischen Andeutungen nach dem Motto, Animositäten zwischen Wissenschaftlern und Ähnliches seien auch zu berücksichtigen, will ich sagen, dass ich es für außerordentlich ungewöhnlich halte, dass das Ministerium sowohl im Ausschuss als auch in der Antwort auf meine Kleine Anfrage eine gewisse Relativierung der wissenschaftlichen Leistung und Bewertung der Sektion vornimmt. In der Antwort auf meine Kleine Anfrage antwortet die Landesregierung zum Forschungsbereich, dass dieser Bereich nicht besonders ausgeprägt sei.
Ich will das jetzt nicht vertiefen. Diese zurückhaltende Art und Weise, die Dinge nach vorn zu treiben, hat aber ganz offensichtlich damit zu tun, dass einem das eine oder andere an der Arbeit nicht passt und Strukturgründe vorgeschoben werden.
Zweitens. Ausrede Hochschulautonomie. Lieber Kollege Günther, Hochschulautonomie ist nicht die Erlaubnis zur strukturellen Verantwortungslosigkeit.
Wenn die Gesellschaft diese Aufgabe will, wenn die Gesellschaft Therapie und Prävention will, wenn die Gesellschaft wissenschaftliche Forschung und Lehre bestellt, dann muss die Gesellschaft das auch bezahlen. Dann können Sie nicht sagen, dass bei Hochschulautonomie die Hochschulen entscheiden sollen, ob sie darüber forschen oder nicht. Wir brauchen diese Forschung. Also müssen wir sie auch sicherstellen.
Wenn wir - und dies ist der dritte Punkt - dies sicherstellen wollen, dann können wir nicht nur sagen, dass wir eine Aufgabe egal in welcher Struktur wünschen. Wir kennen Hochschule. Wir wissen, was passiert, wenn es keine eigenständigen Bereiche in einer Hochschule gibt, sondern wenn sie sozusagen einem anderen Entscheidungskomplex zugeordnet werden. Das sehen wir nicht nur in Frankfurt, wie es beispielhaft von der Frau Kollegin Funke angeführt worden ist. Schauen Sie sich einmal die Geschichte der CAU an! Schauen Sie sich dort einmal die Toxikologie und die Rechtsmedizin an!
Wenn der Bereich Sexualmedizin nicht eigenständig arbeiten kann, wenn er woanders angedockt wird und wenn Sie zudem durch die Beantwortung Kleiner Anfragen die konkrete Leistung von Wissenschaftlern infrage stellen, dann sind Sie schneller, als Sie glauben, in einer Situation, in der dieser Bereich wegradiert wird. Ich unterstelle das niemandem, aber das Problem ist da.
Letzter Punkt. Ich habe den Eindruck, dass nicht alle alles verstanden haben. Wir reden über die Finanzierung von Forschung und Lehre in diesem Bereich.
Wir reden nicht über Dunkelfeldprojekte und Ähnliches, deren Finanzierung gesichert ist. Diese sind nicht durch eine mangelnde Finanzierung gefährdet. Das Problem ist aber, dass wir dann bald keine Leute mehr haben, die das tun können. Das ist der Kernpunkt. Die Finanzierung von Forschung und Lehre ist nicht Aufgabe des Klinikums, sondern Aufgabe der Hochschullandschaft, und dafür ist das Wissenschaftsministerium verantwortlich.
Deshalb müssen jetzt endlich klare Beschlüsse her. Das müssen wir heute in der Sache beschließen. Der einzige Antrag, der das richtig formuliert, ist unser Antrag.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Harms hat viele richtige Dinge gesagt. Ich möchte zwei oder drei Dinge noch einmal zuspitzen und dann etwas zum Abstimmungsverhalten sagen. Ich will mich nicht zur Frage von Sinn oder Unsinn des Flughafens äußern, denn das ist nicht Bestandteil der Antragslage.
In der Antragslage geht es um das Beihilfeverfahren. Wir sollten deshalb dazu ernsthaft ein paar Worte sagen.
Ich möchte an den früheren Landtagsvizepräsidenten Kurt Hamer erinnern - er ist schon länger verstorben. Er hat einmal den richtigen Satz geprägt: Jeder, der einen Antrag stellt, sollte sich vor Augen halten, dass er ein Dokument der Parlamentsgeschichte schreibt. Ich glaube, das sollte man sich hinter die Ohren schreiben, wenn man einen Antrag formuliert. Normalerweise meine ich damit alle, heute meine ich damit den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Es gehört zur Seriosität, wenn ich in einem Antrag die Forderung stelle, die durch den Prüfungsbericht bekannt gewordenen EU-rechtlichen Beihilfen seien aufzuklären, dass man erstens feststellt, ob das überhaupt im rechtlichen Sinne Beihilfen sind. Die Klärung dieser Frage liegt mittlerweile in dritter Instanz beim Bundesgerichtshof, ist also überhaupt noch nicht geklärt. Zweitens muss man feststellen, ob das EU-rechtswidrig war. Die Klärung dieser Frage obliegt der EU-Kommission, und die Frage ist schon einmal gar nicht geklärt. Das sind zwei Unterstellungen, die Sie hier als Tatsachen behaupten, die aber überhaupt nicht geklärt sind.
Hinzu kommt ein dritter Punkt. Sie sagen: die im Prüfbericht des Aufsichtsrats bekannt gewordenen Dinge. Wollen Sie damit sagen, dass in dem Prüfbericht des Aufsichtsrats behauptet wird, dass dort a) Beihilfen geflossen sind und sie b) nicht EU-rechtskonform gewesen sind? - Mir ist das nicht bekannt. Wenn Sie darüber nähere Erkenntnisse haben, dann tragen Sie das vor! Hier werden drei Unterstellungen, die nicht akzeptabel sind, zusammengefasst.
Zum Thema Bürgerentscheid will ich nichts sagen. Ich persönlich bin ein großer Skeptiker gegenüber der Ausweitung plebiszitärer Elemente.
Meine Fraktion sieht manches anders. Die Grünen sind in dieser Frage allerdings nicht nur Vorreiter, sondern gerade diejenigen, die das ausweiten wollen. Ich finde allerdings die Grundhaltung in dieser hier in Rede stehenden Frage schwierig. Sie sagen:
Na ja, vielleicht war das gar kein richtiger Volksentscheid. Die Leute waren vielleicht nicht richtig informiert. Da sind vielleicht irgendwelche Sachen gelaufen.
Abgesehen davon, dass Sie gar nicht wissen, ob irgendwelche Sachen gelaufen sind, will ich Ihnen deutlich sagen: Die ersten Verfahren im Hinblick auf das Thema Beihilfe - ich rede heute nur über das Thema Beihilfe - sind am 28. Juli durch Spruch des Landgerichts sozusagen das erste Mal in Form gegossen worden. Das war der 28. Juli 2006, weit vor jedem Bürgerentscheid und Ähnlichem mehr.
Sie bauen da einen Popanz auf. Das finde ich nicht in Ordnung. Wir alle sind nicht den ersten Tag hier im Parlament, wir alle wissen, wie Politik funktioniert. Ich gönne Ihnen auch im Vorfeld einer Bürgermeisterwahl diese Diskussion - kein Thema, das sei Ihnen gegönnt, ohne jede Probleme -, aber der Mindestkern an sachlicher und rechtlicher Korrektheit muss meiner Meinung nach in jedem Antrag durchleuchten.
Kritisieren Sie Herrn Saxe - meinetwegen -, aber machen Sie das rechtlich sauber.
Mein letzter Satz: Nach unserem Änderungsantrag haben die Regierungsfraktionen einen weiteren Änderungsantrag gestellt, der noch etwas präziser ist. Der ist okay. Wir können ihm zustimmen. Wir ziehen deshalb unseren Änderungsantrag zurück und werden dem Antrag von CDU und FDP zustimmen. Das wollen Sie ja auch, dann haben wir einen gemeinsamen Antrag.
Ich habe ein bisschen gewartet, um Ihre Rhetorik zu ihrer vollen Entfaltung kommen zu lassen. Herr Kollege Habeck, Sie haben ausgeführt, dass es ein Skandal sei, dass die Hamburger hier etwas Erfolgreiches abgreifen. Können Sie uns erklären, warum die Industrie, die Industrieverbände und der gesamte Bereich der Windenergie - der größere Teil davon - sich ganz in Richtung Hamburg orientieren? Sind Sie
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es passt ganz gut nach dem Beitrag des Kollegen Matthiessen. Kollege Matthiessen, Sie sprachen vom parteipolitischen Hickhack. Das finde ich lustig, wenn man selbst den Aufschlag in der Debatte mit einer parteipolitischen Aktion macht.
Das ist auch keine schlimme oder schreckliche Sache. Das gehört zum Geschäft dazu. Ich neide es niemandem, dass er daraus politischen Gewinn zu ziehen wünscht und glaubt, das zu können, wenn er die Hansestadt Hamburg und den Ersten Bürgermeister - oder wen auch immer - politisch attackiert. Das ist politisches Geschäft. Da können wir ein bisschen Spaß haben, aber das regt mich nicht besonders auf.
Es ist nur deswegen ein bisschen ärgerlich, weil wir über ein tatsächliches, faktisches Problem reden. Das tatsächliche, faktische Problem werden wir mit dieser Art von bilateraler Kooperation und bilateralem politischem Austausch nicht wirklich fördern.
Kollege Matthiessen, Sie haben es vorhin noch einmal erwähnt. Ich hätte nicht gedacht, dass ich solche Dinge hier auslöse, wenn ich sage: Marktwirtschaftliche Elemente in dieser Gesellschaft gibt es. Man muss das vielleicht auch mit in die Bewertung einbeziehen. Wenn eine erhebliche Zahl an Unternehmen sagt, Hamburg könnte für sie attraktiver sein, muss man das vielleicht zumindest in die Überlegung und Bewertung der Analyse einbeziehen und nicht so tun, als wenn das alles gar nicht existiert.
Herr Matthiessen, wenn Sie dann sagen, der Verband deutscher Maschinen- und Anlagenbauer sei nicht so groß und nicht so relevant und nicht so bedeutend: Wo ist dann bitte das Problem, wenn alle Bedeutenden von Husum gar nicht wegwollen? Wo bitte ist das Problem?
Es ist doch ganz offensichtlich so, dass wir dort Hausaufgaben zu machen haben und uns der Frage stellen müssen, ob es Handlungsbedarf gibt, dem wir nachkommen müssen oder nicht. Ich bin bei denen, die sagen: Wir können nicht einfach noch einmal 10 oder 20 Millionen € in die Hand nehmen und irgendwas in Husum machen. - Das ist doch absurdes Theater. Jeder weiß, dass das nicht funktionieren kann. Das Land Schleswig-Holstein hat in den letzten Jahren in enormem Maße in Husum investiert. Das kann man nicht einfach wegreden und leugnen. Das ist so. Dort ist Geld hingeflossen.
- Es ist ja so! Es hätte diese Messe gar nicht gegeben, wenn dort nicht auch in erheblichem Maße Landesgeld investiert worden wäre.
Lassen Sie mich einen letzten fachlichen Gedanken noch sagen, zum Politischen hat der Kollege Schulze schon etwas gesagt: Wenn in der Presse Folgendes kommentiert wird - ich zitiere einen Kommentar der „taz“:
„Die Husum WindEnergy wird von ihrem eigenen Erfolg überrollt, dem Wandel aber sind enge Grenzen gesetzt. Hallen und Freiflächen sind nicht alle zwei Jahre beliebig erweiterbar. … Hotellerie und Gastronomie können den Andrang nicht mehr bewältigen. Die Lage ist weit entfernt vom Flughafen Fuhlsbüttel … Die Messe wächst über Husum hinaus.“
Ich mache mir das nicht zu eigen, aber ich erwarte, wenn man hier solche Bekenntnisse zum Standort Husum abgibt, dass man auch die Frage der Entwicklungschancen sachlich analysiert und hier nicht nur Muskelspiele macht, sondern sagt, wie es gemeinsam geht. Da bin ich bei dem Kollegen von Boetticher, der sagt, das müsse man gemeinsam tun.
Natürlich, selbstverständlich.
- Kollege Harms hat vorhin gesagt, dass wir dort erhebliche zusätzliche Investitionen brauchen. Diese zusätzlichen Investitionen wird man nicht zum Nulltarif bekommen. Das ist schon in dieser Debatte vorgetragen worden. Man kann nicht immer nur schwarz-weiß malen. Nur weil ich mit dem Kollegen Harms einen gemeinsamen Antrag gestellt habe, muss ich nicht jede seiner Ausführungen bis zum Letzten kommentieren. Eine etwas differenzierte Diskussion - das liegt vielleicht nicht jedem muss in einem Parlament möglich sein.
Frau Präsidentin, ich formuliere meinen letzten Satz. - Es ist möglich, und auch für uns Sozialdemokraten überhaupt kein Problem, kritisch zu hinterfragen, ob jede Vorgehensweise des Hamburger Senats akzeptabel ist, aber daraus zu konstruieren, das Problem der Entwicklungschance von Husum ist Hamburg, stimmt nicht.
Das Problem von Husum ist, ob es eine norddeutsche Kooperation und Abstimmung gibt. Über diese Frage müssen wir reden.
Frau Präsidentin, wir beantragen die alternative Abstimmung der beiden Anträge.
Kollege Harms, wir versuchen die ganze Zeit zu verstehen, von wem Sie reden. Reden Sie von den Roma, die hier seit Längerem ansässig sind und die sozusagen schon länger Bestandteil unserer
Sie haben gerade den Begriff der Zuwanderung benutzt. Sind Sie in der Lage, uns zu erklären, was Sie unter „Zuwanderung“ verstehen? Solange es sich um EU-Bürger handelt, haben Sie den Begriff der Flüchtlinge benutzt. Sind Sie in der Lage, uns zu beschreiben, über welchen Status von Menschen, die hierher kommen, wir reden?
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das waren zwei sehr unterschiedliche Botschaften diese Woche: eine durchaus hoffnungsvolle Nachricht und eine dramatisch negative. Die tendenziell hoffnungsvolle ist, dass die Regierungsfraktionen und die Landesregierung sich entschlossen haben, ein Asset-Modell zu verfolgen und ihre Privatisierungsträumereien einzustellen. Das begrüßen wir außerordentlich. Dazu ist schon viel von Kollegin Heinold und vom Kollegen Harms gesagt worden. Ich will das nicht alles wiederholen. Ich will nur kurz auf zwei Punkte in diesem Zusammenhang hinweisen.
Machen Sie nach dem ersten Schritt auch den zweiten Schritt, und beenden Sie den Defusionierungsunsinn, der noch in manchen Köpfen spukt!
Schildbürgerstreiche dieser Dimension kann sich unser Land nicht leisten.
- Die sitzen auch in Lübeck, Herr Kollege.
Ich will nur noch einmal deutlich machen - wir haben es in unseren Antrag hineingeschrieben; das muss ich hier alles nicht noch einmal sagen -, dass bei der Frage der Umsetzung des Modells, das jetzt favorisiert wird, natürlich nachgewiesen werden
muss - diese Herkulesaufgabe steht uns noch bevor -, dass es wirtschaftlicher ist als ein anderes, und es muss nachgewiesen werden, dass die Rendite faktisch nicht durch Arbeitsverdichtung, sondern durch Strukturverbesserungen erfolgt. Das ist die zentrale Aussage und die zentrale Bedingung.
Wenn es gelingt, das nachzuweisen und diese Bedingungen einzuhalten, werden wir diesen Weg lang genug ist er gewesen, lang genug dauerte die Hängepartie - auf jeden Fall unterstützen.
Lassen Sie mich zum zweiten Punkt kommen, zum Partikeltherapiezentrum. Zum ersten Punkt werden wir in den Ausschüssen noch Diskussionsbedarf haben. Die angekündigte Beendigung des PTZ in Kiel ist für uns sowohl ein gesundheitspolitischer als auch ein wissenschaftspolitischer Offenbarungseid.
Ein Konzern, der alle an der Nase herumführt, eine Bundesregierung, die jedes Handeln verweigert, und eine Landesregierung, die sich sicherheitshalber in die Büsche schlägt, all das ist keine gute Botschaft.
Wir erinnern uns, und ich zitiere:
„Mit dem derzeit größten PPP-Projekt des Landes machen wir einen Riesensprung, der für viele tausend krebskranke Menschen [im Land] dank neuartiger hochpräziser Tumorbehandlungen zu einem längeren Leben führen wird.“
Dies sagte Wirtschaftsminister Dietrich Austermann im Januar 2008. Ein Jahr später verkündet der damalige Wirtschaftsminister Marnette in einem Bericht der Landesregierung:
„Die Landesregierung geht nach der eindeutigen schriftlichen Stellungnahme und dem persönlichen Kontakt mit der Siemens AG nicht von einem Rückzug des Geräte- und Systemlieferanten aus.“
Trotz dieser Bekundungen sind die Diskussionen und der Zweifel daran, ob dieses Projekt realisiert wird, nicht wirklich neu. Das muss man der Ehrlichkeit halber sagen. Zweifel sind relativ früh laut geworden. Ich finde es im Zusammenhang mit die
ser Geschichte interessant, dass diese Zweifel zu einem Zeitpunkt geäußert wurden, als es gar nicht um die fehlende Wirtschaftlichkeit ging und auch gar nicht gehen konnte, weil die Frage, wie viele Patienten im Jahr behandelt werden könnten, gar nicht kritisch beleuchtet wurde. Meine Schlussfolgerung ist, dass man so davon ausgehen darf, dass der Finanzvorstand bei Siemens die Entscheidung zum Rückzug aus Kiel eher vor dem Hintergrund der über 600 Millionen €, die ihn der Betrugs- und Korruptionsskandal kostet, getroffen hat als vor dem Hintergrund tatsächlicher valider Berechnungen der Folgekosten im Kieler PTZ.
Das zeigen meines Erachtens auch die Pläne von Siemens in China, denn der Konzern Siemens steigt nicht aus, er steigt um. Das ist etwas ganz anderes. Offensichtlich ist diese Anlage dann, wenn man sie vernünftig umsetzt, profitabel. Das wird die Zukunft zeigen. So weit, so schlecht für SchleswigHolstein, könnte man sagen, wären da nicht die Verträge, die Siemens und das UK S-H geschlossen haben. In letzter Zeit wurde relativ wenig darüber geredet, aber es ist heute angesprochen worden: So weit, so schlecht, wären da nicht die Patienten, die auf neue Therapiemöglichkeiten hoffen, um die man sich bei Siemens - das darf man wohl so deutlich sagen - offensichtlich einen Dreck schert.
Nun wird man nicht erwarten können, dass ausgerechnet das klamme Land Schleswig-Holstein dem Siemens-Konzern die Stirn bieten kann, und diese Regierung kann es schon gar nicht. Das muss man konzedieren. Vor dem Hintergrund einer funktionierenden vergleichbaren Anlage im Patientenbetrieb in Heidelberg hat die Siemens AG seinerzeit im Juli erklärt, die Anlagen in Marburg und Kiel aus wirtschaftlichen Gründen nicht fortsetzen zu wollen. In der „Ärztezeitung“ ließ man Ende Juli verlautbaren, die Technologie sei technisch noch nicht einsetzbar. Für Kiel wurden erhebliche Softwareprobleme kommuniziert. Wie dem auch sei, die Marschroute daraus war klar: Mit schwer widerlegbaren Vermutungen konnten die rein ökonomischen Erwägungen überspielt werden, und es konnte rechtlich der Punkt gefunden werden, an dem Siemens auf der einen Seite und die Landesregierung auf der anderen Seite die Möglichkeit gefunden haben, sich unter Gesichtswahrung vom Acker machen zu können. Dabei spielt der Aspekt keine Rolle mehr, dass die Vorteile dieser Therapie zur Behandlung sonst kaum therapierbarer Krebserkrankungen weltweit in Studien nachgewiesen worden sind und auch hier hätten etabliert werden können. Es spielt keine Rolle, dass in 60 Jahren 60.000
Patienten behandelt wurden, davon fast 90 % mit Protonen. Die übrigen 10 % werden überwiegend mit Atomkernen des Kohlenwasserstoffatoms behandelt. Die Kieler Anlage, die beides machen kann, ist somit ein herausragendes Merkmal des Kieler Standorts. Professor Kraft, der gern als technischer Vater dieser Technologie in Deutschland bezeichnet wird, hat deutlich gemacht, dass wir hier die modernste Anlage gehabt hätten.
Die Kieler Klinik für diagnostische Radiologie hat ein neues Verfahren enwickelt und erprobt, das eine wesentliche Voraussetzung für den sinnvollen Einsatz der Partikeltherapie auch im Bereich bewegter Tumore ist. Lungen- und Lebertumore werden dadurch erreichbar, was die Zahl der Patienten, die von einer solchen Therapie profitieren könnten, deutlich erhöht. Bereits heute hat der Gemeinsame Bundesausschuss in Deutschland Behandlungen für eine ganze Reihe von Indikationen zugelassen. Weitere befinden sich im Antragsverfahren. Professor Kraft, Leiter des Helmholtz-Zentrums in Darmstadt, macht deutlich, dass die Technologie nach einer Anlaufphase seiner Auffassung nach kostendeckend arbeiten könne. Diese Argumentation kann man nicht einfach vom Tisch wischen. Man muss sie weiterverfolgen.
Ich will noch einmal etwas in Erinnerung rufen, was der Herr Minister schon gesagt hat: Es besteht eine Abstimmung zwischen den norddeutschen Ländern. Dies muss uns deutlich machen, dass dieses Thema nicht nur ein schleswig-holsteinisches Thema ist, sondern dass hier mehrere Interessen im Boot sitzen und dass mehrere Beteiligte handeln müssen. Die Tatsache, dass eine Zusammenarbeit des NRoCK mit Norwegen, Dänemark, Litauen und anderen Ostseestaaten abgebrochen wird, ist gesundheitspolitisch gesehen ein schwieriges Thema, das in die Bewertung und in die Beurteilung eingeflochten werden muss.
Vor allem aber muss man daran erinnern, dass die Entwicklung der Schwerionentherapie in Deutschland über sehr viele Jahre hinweg mit erheblichen Steuergeldern gefördert worden ist. Deshalb haben wir es unseres Erachtens mit einem Vorgang von nationaler Bedeutung zu tun. Die Frage lautet deshalb: Wurde oder wird überprüft, ob wissenschaftspolitische und gesundheitspolitische Interessen gebündelt werden können und ob die Anlage in Kiel in Zusammenarbeit von NRoCK, Physikalisch-Technischer Bundesanstalt in Braunschweig und GSI Darmstadt und vielleicht auch den Anbietern, die bereits funktionie
rende Anlagen japanischer Herstellung haben, betrieben werden kann? - Ich bin hier kein Grundpessimist. Wird in dieser Frage noch diskutiert, ob diese Therapieform hier in Kiel durchgeführt werden kann, und zwar auf einer Basis, die ökonomisch und finanziell nicht schlechter für das Land ist? Denn es ist klar: Wir dürfen keine zusätzlichen finanziellen Risiken eingehen. Das ist unstrittig. Das bestreiten wir auch nicht.
Niemand kann ernstlich nachvollziehen, warum gerade jetzt mit angeblichen Zweifeln an der Praxisreife der Therapieform argumentiert wird. Die einzigen Gründe, aus denen sich Siemens aus dem Projekt zurückzieht, liegen in Kosten-NutzenRechnungen. Das ist offensichtlich. In Ostasien ist mit dieser Technologie offenbar leichter Geld zu verdienen. Oberbürgermeister Albig hat recht, wenn er bei Siemens von reinen Opportunitätsgründen spricht.
Hat das Handeln des Siemens-Konzerns noch eine gewisse ökonomische Rationalität, die man dem Konzern sicherlich nicht absprechen kann, so ist es meines Erachtens völlig unverständlich, warum die Bundesregierung überhaupt keinen Finger rührt. Auf eine Anfrage des Kieler Abgeordneten Dr. Bartels hin erklärt die Bundesregierung - zuständig sind in der Bundesregierung bekanntlich die Herren Rösler und Bahr -, es sei allein die unternehmerische Entscheidung von Siemens, sich an der Weiterentwicklung der Partikeltherapie zu beteiligen oder nicht. Sonst wurde nichts erklärt. Sonst gibt es kein Wort zu diesem Komplex. Das ist meines Erachtens ein Paradebeispiel für einen Ausverkauf nationaler Interessen. Mit Steuermitteln entwickelte Hochtechnologie wird zur Anwendung und Wertschöpfung ins Ausland exportiert. In die Röhre gucken nicht nur die deutschen Steuerzahler, in die Röhre, aber in die falsche, gucken die Patienten, die dringend auf neue Therapiechancen warten. Das ist eine Art der Ignoranz der Bundesregierung, die Bananenrepublikniveau hat.
Bei so viel Berliner Ignoranz kann man die Haltung und die Vorgehensweise der Landesregierung eigentlich kaum noch kritisieren, denn ohne den Geleitzug einer bundespolitischen Unterstützung war auch nicht zu erwarten, dass die Landesregierung mutige Schritte einleitet.
Meine Damen und Herren, bisher - ich füge nach dieser Debatte das Wort „bisher“ ein, das nicht in meinem Manuskript steht - erkenne ich nicht den Versuch, alternative Optionen für einen Betrieb
der Partikeltherapie in Kiel ernsthaft zu prüfen. Noch im Ausschuss hat Minister de Jager auf die starke Verhandlungsposition des Landes verwiesen, sollte Siemens keine funktionsfähige Anlage vorweisen können. Das ist offensichtlich die Situation. Herr de Jager, trotz der angenehmen Situation, sich mit Ihnen zu streiten, muss ich sagen: Sie veröffentlichen auf Ihrer Ministeriums-Website nicht nur das Foto der lächelnden Liquidatoren dieses Projekts, sondern auch eins zu eins die Propagandatexte von Siemens-Healthcare. Das ist der Gipfel der Unverschämtheit.
Wir geben die Hoffnung nicht auf, dass diejenigen, die die Technologie beherrschen, miteinander im Gespräch bleiben. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie sich darum kümmern, damit die Chancen für Kiel nicht endgültig aus der Welt geschaffen sind.
In diesem Sinne beantworten wir die Antragstellungen der anderen Fraktionen so, dass wir für den Bereich des UK S-H Bedingungen formulieren.
Zum Schluss möchte ich zum Abstimmungsverfahren sagen: Es ist okay, dass über alle Anträge einzeln abgestimmt wird. Wir werden uns bei der Abstimmung über die Anträge der anderen Fraktionen im Hinblick auf die Entwicklung im UK S-H in der Sache enthalten und unserem Antrag zustimmen, weil wir glauben, dass die Bedingungen der Wirtschaftlichkeit und der Arbeitnehmerrechte so zentral sind, dass sie eines eigenen Antrags bedürfen.
Verehrte Frau Kollegin, ist Ihnen bekannt, dass die FDP in der Vergangenheit kritisch infrage gestellt hat, ob es eine hinreichende Zahl von Patienten gibt und es deswegen wirtschaftlich sein könnte, während heute hingegen infrage gestellt wird, ob hinreichend Patienten behandelt werden könnten, um es wirtschaftlich zu
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn Sie erlauben, möchte ich gern wieder zum Thema zurückkommen. Herr Abgeordneter Kubicki hat vorhin eine Frage gestellt, auf die er eine ernsthafte Antwort bekommen sollte. Deshalb habe ich mich noch einmal zu Wort gemeldet. Herr Kollege, Sie haben gefragt, ob wir der Auffassung seien, dass es richtig sei, jetzt den Vertrag aufzulösen. Ich muss vorwegschicken, dass wir den Auflösungsvertrag und den Text nicht im Detail kennen. Deshalb kann ich diese Frage nur im Grundsatz beantworten.
Grundsätzlich kann ich sagen, unsere Auffassung ist natürlich, dass wir ein Risiko nicht fortsetzen wollen, das wir finanziell nicht überblicken können. Deshalb habe ich in diese Richtung auch gar nicht argumentiert. Ich habe dahin gehend argumentiert, dass man nicht einfach im Raum stehen lassen kann, dass hier unlösbare technische Probleme vorliegen, wenn wir in Heidelberg eine funktionierende Schwerionenanlage haben und wenn in der Mayo-Klinik in den USA gerade zwei neue funktionierende Anlagen aufgebaut und in Gang gesetzt werden. Unter Umständen gäbe es auch andere wirtschaftliche Betreiber, die mit oder ohne Siemens gegebenenfalls diese Arbeit fortsetzen könnten.
Wir wissen auch, dass wir Bundeseinrichtungen haben, beispielsweise die Physikalisch-Technische Bundesanstalt in Braunschweig, die eine hohe
Kompetenz besitzen. Auch das GSI in Karlsruhe/ Darmstadt besitzt hier eine hohe Kompetenz. Beides sind Bundeseinrichtungen, sodass der Bund sozusagen in der Frage helfen könnte, die Entwicklung und die Anwendung gemeinsam zu befördern und daraus etwas zu machen, was eine Chance für den Standort Kiel lässt. Das ist also eher ein Aufforderung zum Handeln, dass heißt nicht, dass wir sozusagen finanzielle Risiken aufgrund der Vorlagen und der Verträge eingehen wollen.
Natürlich ist es so - das wissen Sie auch -, dass es viele Menschen im UK S-H gibt, die froh sind, einen Klotz am Bein loszuwerden. Das kann man hier offen ansprechen. Ich finde, das ist ein Problem. Wenn Sie fünf Radiologen fragen, bekommen Sie auch sechs verschiedene Antworten. Ich habe mindestens sechs verschiedene Radiologen gefragt. Natürlich gibt es auch Leute, die diese Therapie nicht unbedingt so in den Vordergrund stellen, weil man mit anderen auch Geld verdienen kann. Das ist also ein kompliziertes Geflecht.
Mein Appell an die Landesregierung ist, alles zu versuchen, mit oder ohne Siemens, in Kombination mit verschiedenen Anbietern und den Bundeseinrichtungen, diese Technologie in derselben nicht in einer höheren, aber auch nicht in einer geringeren - finanziellen Relevanz für das Land umzusetzen - nicht mit mehr Risiken, aber mit dem, was wir uns bisher an Risiken zugemutet haben. Ich finde, diese Linie sollte durchschlagen, und das ist auch das, was wir seinerzeit in der Großen Koalition so beschlossen haben. Ich finde nach wie vor, der Beschluss war richtig.
Das wären sechs Minuten; aber drei brauche ich nur, Frau Präsidentin. - Da Herr Kollege Koch Einzelabstimmung wünscht, werde ich etwas zu unserem Abstimmungsverhalten sagen, will aber noch zwei Punkte vorwegschicken.
Erstens. Bedauerlicherweise waren die üblichen Reflexe, wer wann wofür schuld ist, in dieser Debatte nicht zu vermeiden. Ich hätte mir gewünscht, wir würden eher über die Frage der zukünftigen Entwicklung der Bank reden und darüber, wie wir ihr gemeinsam den Rücken stark machen, um den Standort Kiel zu sichern. Das wäre, so glaube ich, eigentlich die Hauptaufgabe der heutigen Debatte gewesen. Aber vielleicht kommen wir noch dazu, wenn wir die Beschlussfassung heute hinter uns haben.
Zweitens bin ich sehr dankbar für das, was noch einmal deutlich gemacht worden ist, und für das Zitat, das Herr Kollege Vogt von der FDP-Fraktion vorgetragen hat. Denn das Zitat war, wenn ich mich recht entsinne, besser als der Beschluss; denn meine Formulierung lautete: „Verkauf, sobald es sinnvoll ist“. Das finde ich schöner als die Formulierung, die der Untersuchungsausschuss beschlossen hat und die wir mitgetragen haben. Das ist nicht zu bestreiten. Aber die Frage, wann das passieren kann, ist von so vielen objektiven Rahmendaten abhängig, dass man das auch so formulieren muss, sodass wir hier überhaupt keinen Streit haben und man einen Streit nicht dort hochheben muss, wo er nicht ist.
- Ich will das noch einmal deutlich sagen. - Deshalb - damit komme ich zu unserem Abstimmungsverhalten - werden wir der Nummer 6 Ihrer Fassung auch zustimmen. Das gilt ebenfalls für die Nummern 1 und 2, allerdings nicht für die Nummern 3, 4 und 5.
Ich will noch einmal deutlich sagen: In Nummer 3 tun Sie so, als sei es ein Faktum, dass 900 Arbeitsplätze abgebaut werden sollen. Ich glaube nicht, dass sozusagen unser Landtag beschließen sollte, dass 900 Arbeitsplätze abgebaut werden und wegfallen. Das werden wir so nicht mittragen.
Dasselbe gilt für Nummer 4. Diesbezüglich sind wir mehr als erstaunt. Dass der Landtag an Vorstand und Aufsichtsrat appelliert, sich an Verträge zu halten, ist, wie ich finde, eine sehr zurückhaltende Formulierung. Wir appellieren nicht, sondern wir gehen selbstverständlich davon aus, dass die das tun. Diese Formulierung finden wir viel zu schwach.
- Ja, aber nicht nur Hamburg, sondern auch Schleswig-Holstein. - Wir sind der Auffassung, dass diese Formulierung nicht funktioniert.
Zu Nummer 5 hat Herr Kollege Stegner schon etwas gesagt. Es geht nicht darum, das Parlament so aktiv wie möglich zu beteiligen, sondern darum, darauf hinzuweisen, dass das Parlament entscheidet. Das ist etwas anderes.
Wir werden also den Nummern 3, 4 und 5 nicht zustimmen; den Nummern 1, 2 und 6 stimmen wir zu, unserem eigenen Antrag logischerweise auch, und wir hoffen, dass es am Ende des Tages aus der Debatte heraus gelingen möge, auch wenn es in einigen Punkten abweichende Auffassungen gibt, in weitestgehender Übereinstimmung gemeinsam für den Standort Kiel der HSH Nordbank einzutreten.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Koch, das war ein durchaus heiterer und hörenswerter Auftakt der Debatte. Ganz so hei
ter finde ich die Thematik der HSH Nordbank in den letzten Jahren allerdings nicht. Wir hatten in den letzten Wochen ein bisschen Sorge, dass die Debatte heute gegebenenfalls nicht die nötige Aufmerksamkeit findet, weil die Debatte um die Aufarbeitung der Geschichte der Problematik der HSH Nordbank ein wenig in den Hintergrund gedrängt worden ist, aber die Bank ist, wie sie ist: Sie hat dafür Sorge getragen, dass der öffentliche Fokus heute auf diesem Thema liegt. Deswegen macht es Sinn, dass wir in diesem Zusammenhang noch einmal auf das eingehen, was wir in einem fast 500seitigen Papier vorgelegt haben.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, am 17. Juli 2009 in der letzten Legislaturperiode und am 27. Oktober 2009 in dieser Legislaturperiode ist der Untersuchungsausschuss beauftragt worden, die krisenhafte Entwicklung der HSH Nordbank zu untersuchen. Nach zwei Jahren liegt ein Ergebnis vor, man muss aber hinzufügen: Die Karawane ist bereits weitergezogen. Das globale Finanzkapital setzt die Zerstörung öffentlicher Haushalte und Strukturen und die Bereicherung der Spekulanten an anderer Stelle fort. Das können wir jeden Tag in der Zeitung nachlesen. Da werden erstaunlicherweise sogar ausgewiesene Apologeten der sogenannten freien Marktwirtschaft nachdenklich. In der „FAZ“ vom 14. August breitete sich Frank Schirrmacher ausgiebig über die Möglichkeit aus, die politische Linke könne in Sachen Kapitalismuskritik vielleicht immer schon recht gehabt haben.
- Die politische Linke; ich rede nicht von PseudoLinken, ich rede von der politischen Linken, Kollege Schippels.
Schirrmacher schreibt unter Bezugnahme auf politische Konservative, die Globalisierung habe ursprünglich für weltweit freien Handel gestanden und beschreibe inzwischen ein System, in dem Banken die Gewinne ihrer internationalen Erfolge einstreichen und Steuerzahler aller betroffenen Länder die Kosten jedes Fehlschlags zu tragen hätten. Die Banken kämen nur nach Hause, wenn ihnen das Geld ausgegangen sei, dann gäben die Regierungen ihnen neues.
Der Vertreter der Investorengruppe Flowers im Aufsichtsrat der HSH Nordbank, Herr Sinha, hat im Untersuchungsausschuss folgendermaßen formuliert:
„That's capitalism. Das ist die Natur des Kapitalismus. So ist es eben, das Wesen des Kapitalismus. Manche gewinnen - und andere verlieren.“
Ich zitiere das deswegen, um noch einmal deutlich zu machen, dass wir uns mit dieser Art Fatalismus nicht befasst haben, sondern ernsthafte Aufklärungsarbeit getätigt haben, die wir heute ganz ordentlich vortragen können. Die Arbeit war auch deswegen sehr förderlich, weil zum einen die beiden Vorsitzenden des Gremiums die Arbeit sehr kollegial und ordentlich gemacht haben und zum anderen immer die Möglichkeit der Opposition gegeben war, Zeugen, die wir hören wollten, zu hören und Akten, die wir sehen wollten, heranzuziehen.
Ich will, weil die Zeit knapp bemessen ist, im Hinblick auf das, was wir erarbeitet haben, ein paar Punkte herausgreifen. Kollege Koch ist schon auf das Thema eingegangen. Wir haben seinerzeit zuerst klare und deutliche Entscheidungen getroffen, wie der Bank zu helfen ist, und dann einen Untersuchungsausschuss eingesetzt. Das sind Dinge, die zusammengehören, das ist ein gemeinsamer Prozess. Es war das Parlament - das darf man mit einem gewissen Stolz sagen -, das sich unabhängig hat beraten lassen und zu der Entscheidung gekommen ist, der Bank zu helfen im Interesse der Menschen, der Bank und der Zukunft unseres Landes. Das ist ein Prozess selbstbewussten parlamentarischen Handelns. Das will ich an diesem Tag und in dieser Debatte gern einmal unterstreichen.
Die Frage der möglichen Alternativen hat eine große Rolle gespielt. Wir haben uns das wirklich sehr ausführlich angeschaut. Auch Herr Koch hat auf diesen Punkt schon hingewiesen. Es hat natürlich Alternativen gegeben, aber es liegt keine vor, die von irgendeinem ernsthaft vorgetragen worden ist oder hat vorgetragen werden können, die für das Land besser gewesen wäre. Ich glaube, wir haben eine richtige Entscheidung getroffen.
Mit der Frage, ob der Bund oder andere uns bei den Problemen hätten helfen und unsere problematische Situation hätten übernehmen können, haben wir natürlich auseinandergesetzt. Minister a. D. Steinbrück hat relativ deutlich und klar mit zwei Worten auf die Frage geantwortet, ob die Altlasten gegebenenfalls über den SoFFin abgedeckt werden könnten: definitiv nein.
Die Frage nach Schuld und Verantwortung hat logischerweise im Fokus unserer Untersuchung gestanden; denn wenn etwas so dramatisch schiefgeht wie in diesem Fall - eine Bank dieser Bedeutung hat ein erhebliches Finanzproblem und gerät ins Schlingern -, dann muss jemand schuld sein. Deswegen ist die Schuld- und Verantwortungsfrage ein zentraler Punkt der öffentlichen Debatte, aber, wie gesagt, auch unserer Aufklärungsarbeit gewesen. Ich will an dieser Stelle deutlich machen: Wir haben den oder die Schuldigen - wenn man denn Personen und nicht Strukturen meint - nicht gefunden. Menschen haben Fehler gemacht, und Systeme haben diese Entwicklung gefördert.
Wir, die SPD-Mitglieder des Untersuchungsausschusses, gehen davon aus, dass die Verantwortlichen der Bank nicht vorsätzlich gegen Gesetze, Informationspflichten oder sonstige Vorschriften verstoßen haben. Eine Ausnahme bilden die Transaktionen Omega 52 und Omega 55. Das sind Bezeichnungen für Zweckgesellschaften, für die die HSH Kreditlinien zur Verfügung gestellt hatte: bei Omega 52 zur Absicherung eines Ausfallrisiko, bei Omega 55 - in zwei Teilen - mit dem Ziel, die Bilanz der HSH zu entlasten, um kurz vor dem geplanten Börsengang die nötige Eigenkapitalquote zu erreichen.
Ich kann das hier nicht ausführlich vortragen, will aber doch Folgendes feststellen: Es ist ein besonderer Vorgang, dass die Bank ganz offensichtlich das ist zumindest an dieser Stelle für uns nachzuweisen - die Aufsichtsbehörden über den Charakter des Geschäfts, zumindest des zweiten Teils, im Unklaren ließ und den falschen Eindruck erweckte, es handele sich um eine Bilanzentlastung und nicht um ein Kreislaufgeschäft.
Dieser Punkt ist ein Beispiel dafür, dass wir Dinge untersucht haben, während gleichzeitig die Staatsanwaltschaft tätig war; sie prüft übrigens zurzeit eine Klageerhebung in dieser Frage. Es ist eine besondere Schwierigkeit der Arbeit des Untersuchungsausschuss gewesen, dass die Staatsanwaltschaft parallel ermittelt hat.
Über den gesamten Untersuchungszeitraum lässt sich zusammenfassend sagen: Die Bank hatte die Risiken, die mit der angestrebten hohen Eigenkapitalrendite verbunden waren, massiv unterschätzt, ebenso die Risiken im Kreditersatzgeschäft und im Schnellankaufsverfahren. Sie hatte sich so massiv auf rasches Geld und Wachstum ausgerichtet, dass die Marktbereiche personell, technisch und finanziell systematisch besser ausgestattet wurden als die Marktfolgebereiche. Die Bank hatte offensichtlich
keine ausreichenden Kontrollmechanismen eingezogen. Weder die Mitglieder des Aufsichtsrates noch die Wirtschaftsprüfer, externe Gutachter, die Bankenaufsicht oder die Ratingagenturen haben das gemerkt oder für bemerkenswert gehalten. In der Gesamtschau sagt das nicht nur etwas über die Zustände in der HSH-Nordbank aus, sondern auch über das gesellschaftliche und wirtschaftliche Klima, in dem die Finanzwirtschaft nur dieses eine Ziel - Wachstum - verfolgt.
An dieser Stelle muss die Selbstkritik der Politik ansetzen. Das betrifft selbstverständlich auch die Landesregierungen von Hamburg und SchleswigHolstein zum Zeitpunkt der Gründung der HSHNordbank -
- Bis zum heutigen Tag, Herr Kollege Koch! Im Hinblick auf die Verantwortung gibt es keine Ausnahme.
Wir haben in unserer Analyse festgestellt, dass es kritikwürdige Prozesse gab. Die Informationspolitik des Finanzministers in den Jahren nach 2007 gegenüber dem Parlament und den anderen Mitgliedern des Kabinetts war nicht hinreichend. Das sollte an dieser Stelle nicht verschwiegen werden.
Die Bezüge der Manager waren nicht Kernaufgabe der Arbeit des Untersuchungsausschusses. Es ist jedoch deutlich geworden, dass die Art und Weise, wie die Bank insoweit gehandelt hat, nicht akzeptabel ist. Es war geradezu eine Provokation, sich zwar auf eine Deckelung zu verständigen, diese dann aber mit Zustimmung des Anteilseigners Schleswig-Holstein, vertreten durch die Landesregierung, auszuhebeln. Das geht nicht!