Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der Vorlage der Mitteilung der EU-Kommission zur Ostseestrategie im Juni letzten Jahres und der Annahme durch den Rat Ende Oktober - das war schnell für die europäische Ebene - ist ein 20 Jahre altes schleswig-holsteinisches Bestreben der Landespolitik in die Umsetzungsphase übergegangen. Mit der Definition einer Politik für Makroregionen geht die Europäische Union einen neuen Weg, ihre Politik gezielt an den Erfordernissen der jeweiligen Regionen länderübergreifend anzupassen. Die Donau-Strategie ist genannt worden. Für unseren Raum wird eine Strategie für die Nordseeregion von entscheidender Bedeutung sein, die hoffentlich nicht zu viele Jahre auf sich warten lassen wird.
Zur Dimension! Im Ostseebereich haben wir im Bereich dieser Strategie allein acht Mitgliedsländer der EU. Wir haben über 90 Millionen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die hiervon betroffen sind. Mit den internen Instrumenten, aber auch mit vorhandenen Institutionen wie der Nordischen Dimension muss es gelingen, Drittländer wie zum Beispiel Russland an den entscheidenden Umsetzungsphasen zu beteiligen, um auch erfolgreich zu sein.
Es ist nicht ganz unwichtig, dass alles, was umgesetzt wird, auch mit einer Good Governance umgesetzt wird und dass wir deswegen keine neuen Institutionen etablieren, kein neues Geld in die Hand nehmen, aber dass es uns zugleich auch gelingt das ist für den Landtag wichtig -, demokratische Entscheidungsstrukturen zu halten und auch demokratische Kontrollen aufrechtzuerhalten.
Wir können die Ziele der Ostsee-Strategie unterstreichen. Ein positives Bild der Entwicklungspotenziale dieser Region wird im Dokument gezeichnet. Soweit ein bisschen zur schönen Sprache, die in europäischen Dokumenten steht und auch zu dem schönen Bild, das dort gezeichnet wird. Wir müssen aber auch die Frage nach der Kohärenz dieser Politik für Makroregionen mit den großen europäischen Finanzströmen, die auch in diese Regionen fließen, stellen.
Allein aus der Kohäsionspolitik sind es in den Jahren 2007 bis 2013 50 Milliarden €. Hinzu kommen der Regionalfonds und der Sozialfonds mit denen die Wirtschaft gestaltet wird. Nur ein Bruchteil, 1,5 %, fließen in die Bereiche regenerative Energien und Energieeffizienz. Die Mehrzahl der Gelder geht nach wie vor in die alten Techniken. Das muss man sich vor Augen halten. Hier gilt es umzusteuern.
Ein anderes Beispiel: Die Eisenbahn wird von allen ja immer gern abgefeiert als das fortschrittliche Verkehrsmittel der Zukunft, auch in diesem Dokument. Wenn wir dann von Hamburg aus mit der Bahn nach Tallin fahren wollen, brauchen wir an die 70 Stunden. Das ist schneller als vor zehn Jahren. Es ist ein Fortschritt da, aber es dauert noch erheblich länger als zur Kaiserzeit.
Wir können von Erfolg reden, wenn wir nach diesen fünf Jahren Legislaturperiode - solange sie denn hält - schneller als zur Kaiserzeit mit der Bahn in Tallin sein können.
Wir sollten einmal ganz genau nachgucken, wer bei der Forschungsplattform mit entscheidet und nach welchen Interessen entschieden wird. Auch wenn uns immer wieder schöne Leuchttürme vorgemacht werden, geht die Masse der Gelder doch in Dinosauriertechnik.
Die Fischereipolitik: In sie fließen 1,25 Milliarden € in den kommenden sechs Jahren. Es lässt sich kaum noch erklären, dass sich durch diese Fischereipolitik auf der einen Seite die Umweltsituation dramatisch verschlechtert und auf der anderen Seite auch gerade die Situation kleiner mittelständischer Fischereibetriebe rund um die Ostsee herum dramatisch ist. Wir müssen heraus aus einer mit öffentlichen Mitteln und öffentlichen Instrumenten organisierten Loser-Situation für Umwelt und Fischerei hinein in eine Win-Win-Situation. Das gilt auch ein Stück weit für die Landwirtschaftspolitik.
Wenn Marktinstrumente und Marktinstrumentenfehlentwicklung mit öffentlichen Mitteln gerade auch gegen die Ziele dieser Ostsee-Strategie organisiert werden - ich nenne die Umweltsituation und die nachhaltige ländliche Entwicklung, in der Wertschöpfung und Arbeit erbracht werden sollen -, dann muss das anders organisiert werden. Das kann nicht sein, das kann man den Bürgerinnen und Bürgern überhaupt nicht erklären. Wenn dann der hier auch beschriebene Fonds für ländliche Entwicklung nur als kleiner Fonds besteht, mit dem Fehlentwicklungen kompensiert werden sollen, dann ist das höchstens ein Reparaturfonds, mit dem für den Tourismus Landschaften wieder „möbliert“ werden sollen. Ich will hier keine schlechte Laune verbreiten, aber gerade vor dem Hintergrund der gestrigen Diskussion zur Schuldenbremse, zur Situation der öffentlichen Haushalte, muss ich sagen: Geld kann man nur einmal ausgeben. Das gilt umso mehr, wenn man es zweimal in die Hand nehmen müsste, um gegensätzliche Ziele entsprechend zu bedienen.
Die Wirtschaftskrise hat auch die Ostseeregion nicht verschont, und auch hier kann wirtschaftlicher Fortschritt nur mit sozialem Fortschritt und positiver Umweltentwicklung einhergehen. Europa mit EU 2020, nach der Lissabon-Strategie bis 2010, zur fortschrittlichsten Region weltweit zu machen, hat nicht geklappt, weil man soziale und Umweltaspekte völlig ignoriert hat. Nach der neuen Lissaboner Strategie das bis 2020 zu erreichen, kann nur klappen, wenn der Green New Deal Grundlage wird. Wir wollen die Ostsee-Strategie als Chance sehen, die großen europäischen Finanzströme effizienter zu nutzen, für eine kohärente Politik, auch für diese Region.
Einen Satz noch! - In der Umsetzung der Strategie werden Kommission und Rat eine gewisse HeadFunktion übernehmen, wie es in Europa heißt. Es wird aber an den Ländern und den Regionen liegen, wie schnell sie umgesetzt wird. Von daher ist es gut, dass wir heute den Antrag beraten. Es ist klar: Der Antrag wird in den Ausschuss überwiesen werden, entsprechend nachgebessert werden, und er wird auch von uns mit Kontrollvermerken versehen werden, damit wir eine parlamentarische Kontrolle darüber behalten, was hier ablaufen wird.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Manchmal hat man Erlebnisse, bei denen man dem anderen zuhört und denkt: O Gott, was sollst du denn jetzt noch sagen? Herr Kollege Herbst, ich danke Ihnen sehr. Sie haben vieles von meiner Kritik in diesem Antrag so ausgedrückt, wie auch ich es ausgedrückt hätte. Das war ja eine durchaus konstruktive und sehr sachliche Kritik, der ich mich in vielen Punkten anschließen kann. Der Kollege Dr. Klug hat uns gerade gesagt, wie sein Politikbild ist, und wie wohl auch das Politikbild dieser Regierung ist: Das Machbare möglich machen.
Wir stellen uns einmal vor, es wäre das Jahr 1948. Die Bundesrepublik liegt zu großen Teilen noch in Trümmern, auch das Land Schleswig-Holstein ist noch nicht - wie der Kollege Fürter es ausdrücken würde - so aufgestellt, wie es aufgestellt sein könnte. Dann sitzen hier Parlamentarier - oder wir denken vielleicht auch, dass wir in Bonn sitzen -, und einer steht auf und sagt: Wir werden versuchen, aus Europa einen Ort des Friedens zu machen - nachdem man gerade diese schrecklichen Ereignisse hinter sich hat. Das ist eine Vision. Diese Vision kann man nicht nach dem Motto verwirklichen: Wir müssen das Machbare möglich machen. Ich glaube einfach, dass es dazu mehr bedarf. Wenn wir dieses
Mehr nicht aus dem politischen Raum entwickeln wollen, wird es von der Regierungsbank nicht kommen. Ich glaube, wir müssen es aus dem parlamentarischen Raum heraus entwickeln. Da sind Anträge wie der heutige zur Umsetzung der EU-Ostseestrategie - obwohl ich mich natürlich auch frage, ob wir den nicht letzten Monat schon einmal beschlossen haben - notwendig.
Ich glaube, dass wir über die Diskussion und die breite Übereinstimmung, die wir bei solchen Anträgen haben, zu Schritten kommen, die uns einer Vision näherbringen. Einzelne Schritte sind angesprochen worden, von der FDP, von der CDU und von den Grünen sind Schritte angesprochen worden.
Ich möchte einen weiteren Punkt einbringen. Wenn wir uns die Ostsee angucken, ist das nicht nur ein riesiges Gebiet mit unglaublich vielen Einwohnern, sondern die Ostsee ist auch eine Region, in der unglaublich viele Waffen produziert werden. Das wäre ein Punkt, der uns am Herzen liegt. Es gab früher einmal das Schlagwort: Ostsee - das Meer des Friedens. Das ist vielleicht unsere Vision. Uns ist schon klar, dass wir nicht innerhalb der nächsten fünf Jahre die Waffenindustrie in Europa oder auch nur in der Ostseeregion abbauen können.
Wir werden die Waffenindustrie in den Ländern des Ostseeraumes nicht abbauen können, wir werden sie wahrscheinlich nicht einmal in Schleswig-Holstein abbauen können, weil die Mehrheitsverhältnisse einfach so sind, wie sie sind. Aber es könnte doch eine Vision sein, im Rahmen der EU-Ostseestrategie nicht nur Reden über soziale Standards, über wirtschaftliche Zusammenarbeit, über Umweltstandards zu halten. Da haben wir genug zu reden. Wir haben auch genug darüber zu reden, was passiert, wenn die Fehmarnbelt-Querung, durch die ständig mit Öl beladene Tanker fahren, plötzlich durch Brückenpfeiler verschmälert wird. Wie können wir das überhaupt in den Griff kriegen? Wir können auch darüber reden, ob wir es schaffen, die Ostsee ein bisschen mehr auf den Weg des Friedens zu bringen. So werden wir uns in die Diskussion um diese Anträge einbringen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als sich der Europaausschuss im Sommer letzten Jahres in Stockholm über die schwedische EURatspräsidentschaft informierte, stand die EU-Ostseestrategie im Mittelpunkt der meisten Gespräche.
In der Präsentation dieser Strategie fiel zum einen auf, dass sich Bundesregierung und Bundestag sehr viel mehr in der Weiterentwicklung des Ostseeraums engagiert haben als noch vor einigen Jahren. Dieses verstärkte Engagement stand auch Pate bei einem Antrag der Großen Koalition in Berlin, der 2009 im Bundestag debattiert wurde. Vor diesem Hintergrund ist es erfreulich, dass Deutschland eine Führungsrolle bei der Koordination von Umweltschutzmaßnahmen und der Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen übernommen hat. Ich stelle somit in den Raum, dass sich auch die neue Bundesregierung dieser Verantwortung stellt und nicht wieder zurückrudert.
Zum anderen wurde bei der Vorstellung der EUOstseestrategie deutlich, wie unterschiedlich sich Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein in die Arbeit mit der Umsetzung der genannten Strategie eingebracht haben.
Mecklenburg-Vorpommern klinkte sich frühzeitig in die Konsultationsprozesse der EU-Kommission ein und veranstaltete zum Beispiel schon 2008 zwei Workshops mit Akteuren aus dem Land, die sich in der Ostseekooperation engagieren. Da die Ostseestrategie dezentral umgesetzt werden soll, übernehmen Mitgliedstaaten, Regionen oder Organisationen die Koordinierung der Aktionsbereiche und der verschiedenen Leuchtturmprojekte. MecklenburgVorpommern hat daher die Rolle des Koordinators für den Aktionsbereich Tourismus übernommen.
Anders als Mecklenburg-Vorpommern entschied sich die schleswig-holsteinische Landesregierung dafür, sich durch die Bundesebene vertreten zu lassen. In einer der letzten Europaausschusssitzungen vor der Landtagswahl erläuterte Europaminister Döring, wichtiger sei, sich für die Etablierung einer interregionalen Gruppe der Ostseeanrainer im AdR stark zu machen - mit dem Ziel, dass diese Gruppe als Bindeglied zwischen Ostseeorganisationen und EU-Einrichtungen fungieren soll. Sie soll sicherstellen, dass die Positionen der Ostseeregionen so
wohl im Ausschuss der Regionen als auch in der Europäischen Kommission und anderen europäischen Entscheidungsgremien wahrgenommen werden.
Aus Sicht des SSW kommt es vorerst nicht darauf an, die von Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein eingeschlagenen Wege zu bewerten. Beide haben klare Vor- und klare Nachteile. Ich bin aber der Auffassung, dass es Schleswig-Holstein gut zu Gesicht stünde, mit der EU-Ostseestrategie offensiver umzugehen, zumal die Zusammenarbeit im Ostseeraum - historisch betrachtet - ganz wesentlich auch von Schleswig-Holstein mitgeprägt worden ist.
Das gilt für den Bereich der Umweltprobleme genauso wie für die Schiffssicherheit, zum Beispiel in der Kadetrinne. Gleichwohl ist es ärgerlich, dass Schleswig-Holstein seine besonderen Kompetenzen - und ich meine, die haben wir in Schleswig-Holstein - bei der Weiterentwicklung eines grenzüberschreitenden Arbeitsmarktes im Ostseeraum nicht konkreter in den Umsetzungsprozess der EU-Ostseestrategie eingebracht hat.
Das soll heißen: Der SPD-Antrag zur Umsetzung der EU-Ostseestrategie in Schleswig-Holstein ist lange überfällig, weil er zu heilen versucht, was meiner Meinung nach bisher versäumt wurde, nämlich die parlamentarische Auseinandersetzung mit der Ostseestrategie. Wir hinken der Entwicklung also ein wenig hinterher, denn hätten wir die Debatte früher geführt - jetzt kann man sagen, die Landtagswahl kam dazwischen, aber wir hätten sie schon im Frühjahr letzten Jahres führen können - hätten wir uns auch mit der Frage befassen können, ob wir nicht doch den Weg von Mecklenburg-Vorpommern hätten gehen sollen, ob wir nicht beides hätten erreichen können, sowohl in Brüssel aktiv zu sein als auch schneller und früher in den Konsultationsprozess eingreifen zu können.
(Vereinzelter Beifall bei SSW und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN sowie Beifall der Ab- geordneten Kirstin Funke [FDP])
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich natürlich sehr darüber, dass unser Antrag zu so einer engagierten Debatte beiträgt. Ich glaube, wir
haben selten so engagiert über ein europapolitisches Thema gesprochen. Ich glaube, schon das ist ein Erfolg des Antrags.