Protokoll der Sitzung vom 24.02.2010

Meine Damen und Herren, Guido Westerwelle, um auf den Verursacher dieser Debatte zurückzukommen, hat die reflexartige Reaktion einiger Politiker auf das Verfassungsgerichtsurteil kritisiert. Einige haben gleich erklärt - auch Ihre Kollegen, Herr Dr. Habeck -, man müsse jetzt automatisch die Regelsätze erhöhen, und für Steuersenkungen für kleine und mittlere Einkommen gebe es keine Möglichkeit mehr. Wir sind jedoch der Meinung, dass sich mehr Fairness im Sozialsystem und mehr Fairness im Steuer- und Abgabensystem nicht ausschließen, sondern vielmehr miteinander einhergehen müssen. Das ist eine ganz wichtige Frage. Ich bin der Meinung, man sollte diese beiden Dinge nicht immer gegeneinander ausspielen. Das sind keine Gegensätze, sondern sie müssen tatsächlich miteinander einhergehen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Dabei muss man auch die Ängste der Menschen berücksichtigen. Ich stimme allen Kollegen zu, die sagen - das haben ja auch die Linken eingeworfen, wenn auch meist wenig zielführend -, die Menschen, die hilfebedürftig sind, haben große Angst und machen sich Sorgen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Aber auch in der Mittelschicht, die in den letzten Jahren leider geschrumpft ist, was uns auch allen Sorgen machen sollte, bestehen große Ängste, Abstiegsängste. Wir sind der Meinung, an dieses Problem müssen wir auf jeden Fall als Politik insgesamt herangehen und müssen über das Thema der sozialen Sicherungssysteme diskutieren.

(Beifall bei FDP und CDU)

Nun begrüße ich auf der Zuschauertribüne die Landesvorsitzende von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Frau Erika von Kalben. - Herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Das Wort hat die Vorsitzende der SSW-Fraktion, Frau Abgeordnete Anke Spoorendonk.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss mit der Kritik an meinem Redebeitrag leben. Das kann ich auch. Ich kann es sogar gut. Aber ehe alle sich vom Saulus zum Paulus wandeln, möchte ich doch noch einmal ganz friedlich auf die Debatte in den Medien vor dieser Aktuellen Stunde verweisen. Ich erspare mir die entsprechenden Zitate.

Dann möchte ich noch einmal fragen: Wenn man sich verinnerlicht, was in den Medien zu sehen und zu lesen war, wie würde man das als Mensch in Schleswig-Holstein auffassen? Darum bleibe ich dabei, dass die Debatte über die Auswirkungen des Bundesverfassungsgerichtsurteils für ganz andere Zwecke instrumentalisiert worden ist.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Denn wer sich ernsthaft mit dem Thema Sozialstaat befassen will - diese Tagesordnungspunkte kommen ja noch; wir hätten uns das hier also sparen können -

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN - Zurufe von CDU und FDP)

- Lieber Kollege Kubicki, ich habe das bei Ihnen abgeguckt. Ich bin nicht immer so, dass ich das letzte Wort haben möchte, aber ich weiß, dass es andere in diesem Saal gibt, die das gern machen.

Wer sich also ernsthaft mit dem Problem des Sozialstaats befassen will, ist wirklich schlecht beraten gewesen, erst einmal eine Debatte anzuzetteln, die so polarisiert, wie es bei dieser Debatte der Fall ist.

Richtig ist ja, dass es durchaus Kritikpunkte gibt, die auch diskutiert werden müssen, so zum Beispiel die Effizienz und die Ziele der Bundesagentur für Arbeit, die fehlende Förderung der Arbeitslosen und auch die Entlastung der Niedrigeinkommen

(Christopher Vogt)

oder die Frage nach der Verteilung der Geldleistungen und der Dienstleistungen in der Familienpolitik. Alles das sind ja sehr relevante Problemstellungen, die debattiert werden müssen und die auch zu Änderungen führen müssen. Vergessen wird in dieser Debatte aber das ganz entscheidende Thema, das letztlich maßgeblich zu dem Bundesverfassungsgerichturteil beigetragen hat. Das ist das Thema der Kinderarmut. Das war ja der Auslöser der ganzen Sache. Darüber haben wir bis jetzt noch keine sieben Worte verloren.

(Beifall bei SSW und SPD)

Das, denke ich, muss uns wirklich beschäftigen.

Ich will nur noch einmal sagen: Man hat das Kindergeld erhöht, und man hat vergessen, das für Hartz-IV-Empfänger entsprechend zu ändern. Das ist eine weitere Verstärkung der Schieflage.

Es gibt also konkrete Themen genug. Aber wir sollten uns nicht hinstellen und so tun, als hätte das, was wir heute getan haben, wirklich etwas mit dem Sozialstaat zu tun hat. Das ist nicht der Fall.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich Frau Kollegin Dr. Marret Bohn das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der letzten Stunde habe ich mich gefragt: Wem hilft eigentlich diese Debatte?

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das haben Sie sich vorher schon aufgeschrieben, nicht wahr? - Heiterkeit bei der FDP)

Hilft sie den Arbeitslosen, Herr Kollege Kubicki, oder hilft sie denjenigen, die morgens um 6 Uhr aufstehen, zur Arbeit fahren und sich abends in den Nachrichten wundern, was in der Politik gerade die Debatte bestimmt? - Das frage ich Sie. Meinen Sie, dass das denen hilft? - Ich höre nichts!

(Heiterkeit und Beifall bei BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Oder hilft sie den Kindern und Jugendlichen, die nicht dieselben Bildungschancen haben wie ihre Nachbarskinder? Auch denen hilft sie nicht.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Aha!)

Sie geht aus meiner Sicht - das muss ich Ihnen auch einmal ganz deutlich sagen - in weiten Teilen völlig am Thema vorbei.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Aha!)

Wir hätten uns gern mit Ihnen über die Auswirkungen und über die Konzepte unterhalten.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das kommt doch noch! - Zurufe des Abgeordneten Dr. Christi- an von Boetticher [CDU] - Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat die Aktuelle Stunde denn angemeldet?)

- Wer hat die Aktuelle Stunde doch gleich angemeldet? Wer war das noch?

Fakt ist: Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass die Regelsätze im SGB II für Kinder und Erwachsene verfassungswidrig sind.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Die Berechnung der Regelsätze!)

- Richtig. Die Art und Weise, wie jetzt nach dem Urteil von einigen über die Arbeitslose gesprochen worden ist, finde ich unerträglich.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Von einem Außenminister der Bundesrepublik wünsche ich mir differenzierte und kluge Äußerungen und keine Polemik. Dabei ist mir auch völlig egal, ob gerade irgendwo Wahlkampf ist oder ob gerade die Umfragewerte für die Partei nicht gut aussehen. Es sollte nicht um diese Themen gehen.

Liebe Kollege Stegner, tun Sie mir einen persönlichen Gefallen. Wenn Sie nachher twittern, wählen Sie Ihre Worte bitte so, dass es nicht zu Missverständnissen kommt. Seit November stehe ich hier, und unsere Fraktion möchte, dass es endlich zu Lösungen für die Trägerschaft im SGB II kommt.

Es wird in den Sozialausschuss verwiesen. Herr Kollege Kalinka, Sie haben es gerade selber gesagt: Es wäre schön, würden wir schnell eine Lösung finden. Twittern Sie doch bitte einmal Herrn Steinmeier, dass die Kolleginnen und Kollegen in Berlin auf Frau von der Leyen zugehen und jetzt bitte keine Machtspielchen spielen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, FDP und SSW)

Das wäre aus meiner Sicht genauso unverantwortlich wie das monatelange Hin und Her, das die CDU zum Thema SGB II bisher an den Tag gelegt hat. Die Aussage der Bundesarbeitsministerin, dass die Höhe der Gesamtausgaben nicht steigen darf, ist

(Anke Spoorendonk)

da wenig hilfreich. Wir sollten erst einmal sehen, was die transparente Berechnung der neuen Regelsätze denn erbringt. Danach können wir uns darüber unterhalten, welche Auswirkungen das hat.

In einem Punkt gebe ich Frau von der Leyen allerdings recht: Von der Bezeichnung Hartz IV sollten wir uns alle, insbesondere nach den Vorfällen bei VW, endgültig verabschieden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Die Arbeitslosen in Schleswig-Holstein haben sich ihre Lage nicht ausgesucht.

(Wortmeldung des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])