Protokoll der Sitzung vom 19.05.2010

Kinder und minderjährige Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr benötigen einen ganz besonderen Schutz. Die UN-Konvention ist ein breit gefächertes Vertragswerk mit mindestens 17 Einzelpunkten und sichert Kinder zum Beispiel in den Bereichen soziale Sicherheit und Versorgung und bietet Schutz vor wirtschaftlicher Ausbeutung und sexueller Gewalt. Aus diesem Grunde begrüßen wir Liberalen, dass die Bundesregierung am 3. Mai dieses Jahres die Vorbehaltserklärung zur UN-Kinderrechtskonvention aus dem Jahr 1992 nach 18 Jahren endlich zurückgenommen hat, wie es im Koalitionsvertrag vereinbart wurde. Ein jahrelanges fraktionsübergreifendes Anliegen des Bundestages und der dortigen Kinderkommission ist damit umgesetzt worden.

Auch für uns Liberale im Schleswig-Holsteinischen Landtag steht das Kindeswohl im Mittelpunkt unserer Politik. Doch entscheidend für die Kinder ist, dass wir alle hinsehen, verstehen und handeln.

(Beifall bei FDP und CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich einen Hinweis geben. Wenn viele flüstern, kann auch das insgesamt ein bisschen lauter werden. Ich bitte, das zu beachten. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich Herrn Abgeordneten Rasmus Andresen das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen Abgeordnete! Zum 1. April 2008 trat nach zähem Ringen das schleswig-holsteinische Kinderschutzgesetz in Kraft. Bereits im Herbst 2005 hatte die damalige Landtagsfraktion der Grünen einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt, durch den eine verpflichtende Kindergesundheitsuntersuchung im öffentlichen Gesundheitsdienst verankert werden sollte. Was CDU und FDP damals skeptisch beäugten, fand bei den Experten grundsätzliche Zustimmung. Dennoch wurde das Gesetzgebungsverfahren so lange verschleppt, bis CDU und SPD mit einem eigenen Gesetzentwurf aufwarten konnten. Dieses Kinderschutzgesetz wurde dann zügig durch die parlamentarischen Verfahren geschleust. Auch wir Grünen haben zugestimmt, obgleich wir bei einigen Details skeptisch waren und Änderungsanträge der Grünen abgelehnt wurden.

(Anita Klahn)

Der im Gesetz verankerte Landeskinderschutzbericht wurde für Herbst 2009 angekündigt. Er liegt uns heute vor. Was lange währt, wird endlich gut, so könnte man meinen. Das kann man so aber nicht sagen. Hintergrund des Kinderschutzgesetzes war in den Jahren 2005 ff. eine erschreckend gestiegene Zahl qualvoll vernachlässigter Kinder. Ziel war es damals, durch verbindliche Vorsorgeuntersuchungen oder zumindest ein lückenloses Einladungswesen zu erreichen, dass jedes Kind sein Recht auf eine Gesundheitsuntersuchung in Anspruch nehmen kann.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Hoffnung war, dass auf diesem Weg kein Kind mehr „durchrutscht“ und Defizite in der Entwicklung sowie Vernachlässigungen und Misshandlungen aufgedeckt werden können. Die Ergebnisse des heute vorliegenden Berichts geben dies nicht wieder.

Die Inanspruchnahme der Vorsorgeuntersuchungen konnte insbesondere bei Familien mit Migrationshintergrund gesteigert werden. Das ist gut. Je später die sogenannte U im Lebensalter des Kindes liegt, umso geringer ist die Inanspruchnahme und umso häufiger muss erinnert werden. Eine Ausnahme stellt die U8-Untersuchung dar, die in zeitlicher Nähe zur Einschulung liegt.

Auf der Seite der positiven Aspekte möchte ich die Arbeit der regionalen Netzwerke erwähnen. Auch von unserer Seite geht ein großer Dank an die Jugendämter, die hervorragende Arbeit leisten.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber auch Angebote des Landes wie Welcome oder das Schutzengelprogramm ergänzen das Angebot der Kinderschutz-Zentren und lokalen Bündnisse sehr gut. Frau Tenor-Alschausky hat darauf hingewiesen.

Kritisch sehen wir allerdings die Praxis der Vorsorgeuntersuchungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Sie bleibt deutlich hinter den Erwartungen zurück. Im Rahmen der Beratungen des gemeinsamen Bundesausschusses erwarten wir, dass die kinderärztlichen Beratungszeiten ausgedehnt und die Beratungsgebühren von 30 bis 40 € abgeschafft werden.

Aber auch das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Familie ist belastet. Das könnte daran liegen, dass der Arzt den Nachweis über die Inanspruchnahme weiterleitet. Vielleicht sind einige Eltern vor diesem Hintergrund nicht so offen und zu

gänglich, wie sie es sein könnten. Deswegen fordern wir Grünen Sie auf, die Nachweispflicht bei den Eltern und nicht bei den Ärzten anzusiedeln.

Frau Tenor-Alschausky und ich haben den gleichen Redeaufbau gewählt. Das habe ich schon gemerkt. Lassen Sie mich zum Abschluss noch einen Kommentar zur Stellungnahme der Landesregierung abgeben. Es ist schön und gut, dass Sie sehr pragmatisch den eingeschlagenen Weg der Vorgängerregierung fortsetzen wollen. Wir glauben allerdings, das reicht nicht aus. Frau Tenor-Alschausky hat auch schon auf die Haushaltsberatungen hingewiesen. Sie werden den großen Test darstellen. Wir fordern Sie darüber hinaus auf, eigene und weitergehende Konzepte zum Kinderschutz vorzulegen. Sie könnten beispielsweise bei der Bekämpfung von Kinderarmut und sozialer Isolation anfangen. Dies wurde im Bericht als eine der zentralen Baustellen zum Wohlergehen von Kindern genannt.

Der eingeschlagene Weg ist richtig. Das haben alle deutlich gemacht. Allerdings dürfen wir nicht am Anfang stehenbleiben. Wir freuen uns auf die Beratung im Ausschuss und hoffen, diese konstruktiv begleiten zu können.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Für die Fraktion DIE LINKE erteile ich der Frau Abgeordneten Ranka Prante das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für DIE LINKE ist der Schutz von Kindern das höchste Gut. Sie sind das schwächste Glied in der Gesellschaft. Damit sind sie direkt von ihrer Umgebung abhängig. Wenn diese Umgebung versagt, sind sie direkt von der gesamten Gesellschaft abhängig.

Dies beinhaltet für uns alle eine hohe Verantwortung. Vor allem bei Kindern aus einkommensschwachen Familien ist mehr Engagement nötig. Es muss wieder Aufstiegschancen geben. Wir dürfen auch nicht vergessen, hinter die bürgerlichen Fassaden zu gucken. Eine Kultur des Hin- statt Wegguckens bei Kindeswohlgefährdung bedarf einer Unterstützung durch die Politik. Die Jugendämter sind personell unterbesetzt und können kaum noch Hausbesuche erledigen, wenn es eine Kindeswohlgefährdung vorliegt.

(Rasmus Andresen)

Der Bericht der Landesregierung ist für uns größtenteils unkonkret. Die Schutzengel für SchleswigHolstein sind der einzige konkrete Ansatz. Ansonsten findet sich beim genauen Lesen oft der Versuch des Landes, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Dafür sollen dann die Kommunen in die Bresche springen. Beim Kinderschutz, bei häuslicher Gewalt ist das ebenso der Fall wie bei der Schulsozialarbeit. Beides sieht das Land in seinem Bericht als wichtig an. Beides wird zum größten Teil von den Kommunen bezahlt. Es kann und darf nicht sein, dass das Land verbal Schulsozialarbeiter für wichtig hält und die Kommunen im Regen stehen lässt.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Vermutung bestätigt sich im Bericht des Rates. Vor allem in den kreisfreien Städten werden zum Beispiel beim Schutzengel-Programm zu wenig Zuschüsse durch das Land gegeben. Positiv ist die gute Vernetzung der Akteure, die beim Kinderschutz eine Rolle spielen. Aus dem Bericht geht hervor, dass diese Vernetzung außerdem gut voranschreitet.

DIE LINKE dankt den Beteiligten ausdrücklich für ihr Engagement.

Die Anfragen an Kinderschutz-Zentren steigen erheblich. Die Landesregierung sollte sich dringend überlegen, wie sie diesen steigenden Bedarf deckt. Um neue Einrichtungen und mehr Personal kommt die Landesregierung nicht herum, wenn sie diese Aufgabe wirklich ernst nimmt.

(Beifall bei der LINKEN)

Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass der Bericht Frauenberatungsstellen und Frauenhäuser ausdrücklich positiv erwähnt. Frauenberatungsstellen und Frauenhäuser leisten wichtige Arbeit auch beim Kinderschutz.

Vor allem nach dem Beschluss der Schuldenbremse ist es nun Ihre Aufgabe, dafür zu sorgen, dass diese Institutionen weiterhin ihre gute Arbeit leisten können. Wir sind gespannt und hoffen das Beste, fürchten allerdings das Schlimmste. Die Anregungen des Berichtes werden Gelder kosten. Präventive Familienarbeit durch Hebammen wird gerade abgebaut. Der Bericht betont jedoch die Wichtigkeit dieser Institution. Überlegen Sie, wie Sie künftig die Arbeit von Familienhebammen fördern.

Ein wichtiges Anliegen des Berichtes ist es, mehr Fortbildung für Menschen anzubieten, die sich für Kinder engagieren. Auch dies kostet Geld. Wir sind

gespannt, wie Sie das in Zukunft gewährleisten wollen.

Noch gar nicht erwähnt sind die im kommenden Bericht zu beantwortenden ersten Fragen: Sind die Arbeitsplätze im Bereich der Kinderhilfe befristet? Sind sie gut bezahlt? Reichen die Zuschüsse des Landes und der Kommunen aus, um einen guten Schutz von Kindern zu gewährleisten? - Wir, DIE LINKEN, befürchten, die Beantwortung dieser Fragen werden der Landesregierung ein Armutszeugnis ausstellen.

Zum Schluss möchte ich allen, die mit großem Engagement Kindern helfen, noch einmal herzlich danken.

Die Landesregierung darf diese engagierten Menschen nicht im Regen stehenlassen und muss sie finanziell und personell unterstützen. DIE LINKE wird sich immer für die Schwächsten in der Gesellschaft einsetzen. Kinderschutz und Präventionsarbeit ist der beste Schutz vor Gewalt. Kinderschutz ist nachhaltig und langfristig auch finanziell ein Gewinn. Ganz abgesehen davon ist der LINKEN klar: Der Wert eines Kindes, dem geholfen wird, kann nicht in Geld gemessen werden. Der Wert eines Kindes, dem geholfen werden kann, ist unbezahlbar.

(Beifall bei der LINKEN)

Für die Fraktion des SSW erteile ich Herrn Abgeordneten Flemming Meyer das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Zunächst möchte ich die Gelegenheit nutzen, um mich bei der Kommission für diesen Bericht zu bedanken. Es ist der Kommission trotz zeitlichem Druck und schweren Rahmenbedingungen gelungen, einen umfangreichen und vor allem informativen Bericht vorzulegen. Dafür danke ich ausdrücklich. Der SSW teilt die Auffassung der Landesregierung, wonach bei dem Thema Kinderschutz in Schleswig-Holstein weitgehend Konsens über alle Parteigrenzen hinweg herrscht. Dies halten wir für erfreulich, aber auch für eine Selbstverständlichkeit. Denn die Tatsache, dass nicht alle Eltern in der Lage oder willens sind, ihren Kindern das zu geben, was sie brauchen, führt zur Verantwortung der Gesellschaft für ihre Kinder und Jugendlichen. Dass der Bedarf an Hilfe zunimmt, zeigt allein die große

(Ranka Prante)

Nachfrage in den Kinderschutz-Zentren unseres Landes.

In der Tat ist Schleswig-Holstein mit dem Landeskinderschutzgesetz auf dem richtigen Weg. Der vorliegende Landeskinderschutzbericht ist ein wesentlicher Bestandteil, und er bringt zum Ausdruck, dass ein effektiver Kinderschutz nur durch eine professionen- und disziplinenübergreifende Zusammenarbeit gelingen kann. So viel zur Theorie.

In der Praxis zeigt sich, dass es in viel zu vielen Fällen immer noch nicht gelingt, Kinder effektiv vor den Gefahren für ihr körperliches, geistiges oder seelisches Wohl zu schützen. Daran ändert auch der vorliegende Bericht nichts.

Bereits die Ausführungen zum verbindlichen Einladungs- und Erinnerungswesen zu den Früherkennungsuntersuchungen machen deutlich, dass allein dieses Instrument nicht wirkungsvoll genug ist, um Fälle von Kindeswohlgefährdung zu verhindern.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir sollten uns also darüber bewusst sein, dass wir uns auch hier noch ganz am Anfang eines langen Weges befinden. So müssen die Verfahrensabläufe, wie von der Kommission im vorliegenden Bericht zu Recht gefordert, weiter optimiert und der Ausund Aufbau der Landesnetze zum Kinderschutz weiter vertieft werden. Nach Meinung des SSW ist die Landesregierung unverändert dazu verpflichtet, die Kommunen durch die Förderung von Kinderschutzprojekten in ihrer Arbeit zu unterstützen und einen Beitrag zur Stärkung der Erziehungskompetenzen von Eltern im Rahmen ihrer Arbeit in den Familienbildungsstätten zu leisten.

Dass die Berichterstattung in Form des uns vorliegenden Berichts zur Sensibilisierung der Entscheidungsträger für Fragen und den weiteren Ausbau des Kinderschutzes beiträgt, kann zwar kaum ernsthaft bezweifelt werden, aber für den SSW ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass es hierbei nicht stehen bleiben kann. Ein wirklich effektiver Kinderschutz fordert weitergehende Maßnahmen wie die Konzentration auf konkrete Hilfen für Eltern und Kinder und eine systematische Sozialarbeit anstelle bloßer Beratungen. Leider verweist die Landesregierung viel zu häufig nur auf die notwendige Vernetzung der vielen im Kinderschutz tätigen Akteure. Dies ist ganz sicher sinnvoll, wie zum Beispiel die Erfahrungen mit dem Programm „Schutzengel für Schleswig-Holstein“ zeigen.

Um aber einen wirksamen Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Gefahren für ihr körperliches, geistiges und seelisches Wohl zu gewährleisten, muss mehr getan werden. Eine gesicherte finanzielle Unterstützung für kommunale Projekte und Unterstützungssysteme wie zum Beispiel im Bereich der frühen Hilfen und der Frühförderung, aber auch im Bereich der Förderung von Qualifikationen der in der Jugendhilfe Tätigen muss ein wesentlicher Bestandteil des Kinderschutzes in Schleswig-Holstein sein und bleiben. Denn auch darüber, dass am Wohl der Kinder und Jugendlichen nicht gespart werden darf, müssen wir uns alle einig sein.

Um ein konkretes Beispiel aus dem vorliegenden Bericht aufzugreifen: Allein im Kieler Kinderschutz-Zentrum wurden im Jahr 2007 von 60 ehrenamtlichen Beraterinnen und Beratern 2.500 Stunden wertvolle und dankenswerte Arbeit geleistet. Diese muss selbstverständlich durch Supervision und Fortbildung unterstützt werden. Sparmaßnahmen haben in einem solchen Bereich eine fatale Wirkung und sind ganz sicher nicht an ihrem Platz.

(Beifall bei SSW, der LINKEN und des Ab- geordneten Wolfgang Baasch [SPD])

Wie ernst die Landesregierung mit es dem Kinderschutz meint, wird sich in der Praxis zeigen. Es hat mich auf jeden Fall sehr gefreut, Herr Minister, dass Sie die Verbesserungsvorschläge und die Anregungen zur Weiterentwicklung, wie sie in dem Bericht standen, in Ihrer Rede positiv aufgenommen haben.