Das Land verfügt derzeit über Einnahmen von rund 6 Milliarden €. Rund ein Drittel dieses Aufkommens ist durch Zinsen und Pensionen gebunden. Das heißt, mit jedem dritten eingenommenen Euro zahlen wir für die Lasten der Vergangenheit. Jeder dritte Euro fehlt uns damit jetzt schon für wichtige Zukunftsaufgaben. Er fehlt uns für Forschung und Entwicklung, für bessere Bildung und
Nur wenn Schleswig-Holstein strikt und nachweisbar seine Hausaufgaben macht, bekommen wir die von Bund und Ländern zugesagten Konsolidierungshilfen von 80 Millionen € pro Jahr. Die Aufnahme der Schuldenbremse in die Verfassung zeigt, dass die Konsolidierung von fast allen Parteien in Schleswig-Holstein getragen und als zwingend notwendig erachtet wird. Das ist Ausdruck politischer Verantwortung. Ich bin daher auch den Grünen dankbar, dass sie eigene Konsolidierungsvorschläge gemacht haben. In vielen Bereichen decken sich diese Vorschläge mit denen der Haushaltsstrukturkommission. - Dass Ende Juni oder - wie ich gestern gelesen habe - jetzt wieder verschoben auf Anfang Juli nun auch die Sozialdemokraten Vorschläge vorlegen wollen, begrüße ich ausdrücklich. Ich finde es auch in gewisser Weise spannend, was dabei herauskommen wird.
Meine Damen und Herren, meine Regierungserklärung vom 18. November 2009 trägt das programmatische Motto: Mut, Tatkraft, Aufbruch - in Verantwortung für Schleswig-Holstein. - Genau darum geht es jetzt. Die christlich-liberale Regierung läutet eine neue Reformperiode in der Geschichte dieses Landes ein. Vor uns liegen zehn harte Jahre. Erst die Politiker ab 2020 - die meisten von denen, die hier sitzen, werden das in diesem Raum nicht mehr erleben - werden die Früchte unserer heutigen Arbeit ernten können. Wer heute schon meint, die Vorschläge der Landesregierung nicht mittragen zu können, muss sich darüber klar sein, dass wir 2011 und 2012 nur die ersten 250 Millionen € erwirtschaften. Danach brauchen wir bis 2020 noch eine weitere Milliarde.
(Die Abgeordneten Antje Jansen [DIE LIN- KE] und Ranka Prante [DIE LINKE] tragen ein T-Shirt mit der Aufschrift: „Ich kämpfe für die Uni Lübeck“)
Herr Ministerpräsident, ich muss Sie kurz unterbrechen. Ich habe die Abgeordneten der Linken gebeten, die T-Shirts zu tauschen, ansonsten würde ich sie von der weiteren Teilnahme an dieser Sitzung ausschließen. - Herr Ministerpräsident, Sie haben das Wort.
(Die Abgeordneten Antje Jansen [DIE LIN- KE] und Ranka Prante [DIE LINKE] verlas- sen den Plenarsaal - Zurufe)
Herr Präsident, wir reden hier über den Aufbruch in eine neue Zeit, in ein zukunftsfähiges und besseres Schleswig-Holstein. Reform beginnt spätestens da, wo das Geld endet, und unser Land muss reformiert werden. Diese Regierung wagt den Aufbruch in das neue Schleswig-Holstein. „Aufbruch“ kommt von „Brechen“, vom Brechen mit Bisherigem. Diese Regierung bricht aus voller Überzeugung mit der Vorstellung, dass Politik alles lösen kann und für alles verantwortlich ist.
Diese Regierung bricht mit der Vorstellung, dass mehr Staat, mehr öffentliche Programme und Leistungen zu mehr individuellem Glück und mehr Wohlstand führen. Diese Regierung bricht mit der Vorstellung, man könne mit rein kosmetischen Korrekturen den Haushalt sanieren und das Land wieder auf Kurs bringen. Diese Regierung bricht mit der Vorstellung, alle Bundes- und EU-Programme kofinanzieren zu können und zu müssen. Und diese Regierung bricht mit der Vorstellung, die Verfassung sei ein beliebiges Instrument. Unsere Verfassung ist kein Placebo. Die Verfassung gilt, sie ist für uns, für mich ganz persönlich Recht und Auftrag, und deshalb nehmen wir die Schuldenbremse ernst.
Konsolidierung ist kein Zuckerschlecken. Erheblich weniger Geld auszugeben, ohne dass es wehtut, geht nicht. Aber all das birgt auch Chancen. Dafür müssen wir uns und die Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner begeistern.
Welche Chancen sehe ich? - Wir machen Schluss mit der Schuldenmacherei. Das ist auch die Rückkehr zu Ehrlichkeit und Seriosität, es ist die Rückkehr zu Glaubwürdigkeit in der Politik. Wer kann dagegen sein?
Ja, wir machen ernst mit der Generationengerechtigkeit. Generationengerechtigkeit hat bisher viel, zu viel in Sonntagsreden und zu wenig in Haushaltsplänen stattgefunden. Damit machen wir Schluss. Unsere Kinder und Enkel werden es uns danken.
Ja, wir haben die echte Chance, Schleswig-Holstein wieder auf Kurs zu bringen und unsere Heimat in eine gute, in eine bessere Zukunft zu führen. Ich fordere alle auf mitzumachen.
Diese Chancen dürfen wir nicht verspielen. Die Menschen haben einen Anspruch darauf, dass wir unserer Verantwortung gerecht werden.
Meine Damen und Herren, mir ist klar, dass die Konsolidierung vielen Menschen Angst macht. Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern reinen Wein einschenken. Beschränken auf das Machbare heißt auch, dass die Bürgerinnen und Bürger wieder mehr selbst organisieren und finanzieren müssen. Da gibt es nichts zu beschönigen. Aber genauso klar will ich hier sagen, dass ich eine reine Finanzsicht auf alle Dinge, auf alle Lebensbereiche ablehne. Der Mensch ist mehr als das Ergebnis einer Kosten-Nutzen-Rechnung. Unentgeltliche aufopfernde Pflege in den Familien, ehrenamtliche Arbeit von Tausenden Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteinern in den Sportvereinen, in Wohlfahrts- und Jugendverbänden, in den Feuerwehren, in den Chören, Musik- und Theatergruppen, im Naturschutz, in den Kirchen, in Gewerkschaften, in Kommunen und Parteien kann und soll man nicht in Euro und Cent aufmessen. All denen, die sich auf diese Weise für das Gemeinwohl starkmachen, danke ich sehr herzlich.
Wir brauchen auch weiterhin das freiwillige Engagement, ja, wir brauchen es heute und in Zukunft mehr denn je.
Damit aber ehrenamtliches Engagement überhaupt wirksam werden kann, werden wir Bürokratie abbauen und so die nötige Freiheit für Selbstverantwortung geben. Statt staatlicher Gängelei bieten wir faire Partnerschaft an.
Auch nach Abschluss der Konsolidierung, nach Beseitigung des strukturellen Defizits von 1,25 Milliarden € wird das Land immer noch über 8 Milliarden € für öffentliche Aufgaben ausgeben. Schon allein das macht deutlich: Niemand wird unter die Räder kommen, und wer wirklich Hilfe braucht, wird sie auch bekommen, meine Damen und Herren.
Die christlich-liberale Koalition ist entschlossen, das strukturelle Defizit im Landeshaushalt abzubau
en. Das hat in Schleswig-Holstein bisher niemand versucht. Wir packen das jetzt an. Das ist eine Reform, die nicht nur auf die nächsten zwei Jahre, sondern bis 2020 und darüber hinaus zielt. Der Abbau des strukturellen Defizits durch strukturelle Reformen ist der erste Baustein bei der Umsetzung unserer Konsolidierungsstrategie. In der Praxis wird das bedeuten: Wo wir heute etwas komplett oder teilweise streichen, wird dies auch in den nächsten Jahren nicht wiederkommen.
Auch wenn wir weniger Geld ausgeben, werden wir den Haushalt dadurch allein nicht in Ordnung bringen können. Deshalb gehört zu unserer Konsolidierungsstrategie als zweiter Baustein auch das Erzielen von mehr Steuereinnahmen durch Wirtschaftswachstum. Bekanntlich ist das eine unsichere Wette auf die Konjunktur. Die Handlungsmöglichkeiten einer Landesregierung sind hier sehr begrenzt. Bildung, Forschung, Infrastruktur lauten hier die Stichworte für eine gute Zukunft. Oder, wie Professor Weber, der Präsident der Deutschen Bundesbank, sagte: „Gesunde Haushalte in der Verbindung mit der Schuldenbremse können und werden dauerhaft zu einem Standortvorteil führen.“
Lassen Sie uns das tun, was möglich ist. Die CDUFDP-Koalition jedenfalls wird alles in ihrer Macht Stehende tun, um die Konsolidierung voranzubringen.
Sie braucht aber - das ist der dritte Baustein unserer Konsolidierungsstrategie - auch die Hilfe des Bundes und der anderen Länder. Deshalb will ich hier drei klare Forderungen an den Bund richten.
Er muss fair verhandelt werden, und jeder muss nach seiner Leistungsfähigkeit einzahlen. Mit einem Schuldenfonds hätten wir so etwas wie eine finanzpolitische Stunde null. Bei der Föderalismusreform 2009 hat Schleswig-Holstein vehement für eine vernünftige Altschuldenregelung geworben. Die Altschulden würgen die Länder ab. Sie nehmen ihnen jeden Spielraum. Ich warne ein bisschen davor, dass einige Länder das Gefühl haben, sie seien aus der Schuldenfalle heraus. Wenn ich daran denke, dass wir 2017/2018 in der vollen Diskussion über Soli, über Transferleistungen in den Ländern, über den Länderfinanzausgleich sein werden, dann weiß ich, dass die Situation auch in Ländern, die sich im Moment noch sehr zurücklehnen, dramatisch wer
Ohne die erdrückenden Altschulden hätte Schleswig-Holstein 2008 zum Beispiel einen Überschuss von 600 Millionen € erwirtschaftet. Wir wären in der Lage gewesen, den Haushalt auszugleichen. Selbst in dem schwierigen Krisenjahr 2009 hat Schleswig-Holstein neue Schulden fast ausschließlich aufnehmen müssen, um damit die Zinsen für die Altschulden zu bezahlen. Die Altschuldenproblematik bleibt also auf der Tagesordnung. Sie muss gelöst werden.
Meine Damen und Herren, meine zweite Forderung: Auf Bundesebene brauchen wir endlich ein wirksames Konnexitätsprinzip. Auch der Bund muss wissen, wenn er kostenwirksame Beschlüsse fasst, hat er auch für die Finanzierung zu sorgen, und wenn der Bund neue Leistungsansprüche schafft, zusätzliche Verwaltungskosten auslöst oder durch Steuersenkungen auch die Einnahmen der Länder mindert, dann muss er für einen Ausgleich sorgen.
Drittens brauchen wir eine stärkere Beteiligung der Länder und der Kommunen an der Umsatzsteuer. Wer den Föderalismus und die kommunale Selbstverwaltung ernst nimmt, darf die Länder nicht länger zu Kostgängern des Bundes und die Kommunen zu Kostgängern der Länder machen.
Zum Altschuldentilgungsfonds, zur Konnexität und zur Steuerverteilung werden wir entsprechende Initiativen ergreifen. Wir werden unsere Forderungen mit Nachdruck gegenüber dem Bund vertreten.
Erlauben Sie mir noch ein Wort zur Steuerverteilung im Bund. Ich bin sehr dafür, dass europaweit, besser noch international abgestimmt eine Finanzmarktsteuer eingeführt wird. Auf diese Weise können die Börsen wieder auf normales Maß heruntergebremst und die Finanzbranche an der Begleichung des von ihr angerichteten Schadens beteiligt werden. Wenn es diese neue Steuer gibt, dann darf das Aufkommen nicht nur dem Bund zufließen. Bund und Länder bilden bei der Beseitigung der Krisenschäden eine Schicksalsgemeinschaft. Diese Solidarität gilt aber nicht nur für die Ausgabenseite, sie muss auch für die Einnahmeseite gelten, meine Damen und Herren.
Schleswig-Holstein wird aktiv an einer Steuerstrukturreform mitwirken, die zukünftiges Wachstum unterstützt, Ausnahmetatbestände reduziert, zu mehr Transparenz und zu weniger Bürokratie bei Bürgern und Unternehmen sowie der Steuerverwaltung führt. Eine weitergehende strukturelle Senkung des Steuervolumens würde die regelmäßigen Einnahmen dauerhaft reduzieren und damit das strukturelle Defizit des Landes von 1,25 Milliarden € weiter erhöhen. Schleswig-Holstein sieht deshalb derzeit keinen finanziellen Spielraum für eine weitere Absenkung des strukturellen Steuervolumens.
Meine Damen und Herren, CDU und FDP haben im Koalitionsvertrag eine Haushaltsstrukturkommission vereinbart. In meiner Regierungserklärung vom 18. November 2009 habe ich die Einsetzung angekündigt. Die Kommission hat am 25. Mai ihre Empfehlungen vorgelegt.
- Sie kennen das. - Einen Tag später hat das Kabinett die Empfehlungen diskutiert und den Finanzminister gebeten, sie zur Grundlage für den Entwurf des Doppelhaushaltes 2011/2012 sowie für die mittelfristige Finanzplanung zu machen. Das Kabinett wird den Entwurf am 13. Juli verabschieden und dann dem Landtag zuleiten. Bis dahin werden noch viele Gespräche zu führen sein und, wie zum Beispiel nach dem Treffen mit der Lübecker Uni-Spitze, dem Bürgermeister von Lübeck sowie der IHK, Alternativen zu prüfen sein. Nach der Beschlussfassung des Kabinetts wird sich der Landtag mit dem Haushaltsentwurf befassen. Das Haushaltsrecht ist das Königsrecht des Parlaments. Weil das so ist, darf, soll und muss auch gestritten werden.